Im Dienst der Staatssicherheit
Obwohl das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als zentrales Herrschaftsinstrument der DDR seit der "Wende" 1989 im Blickfeld der Öffentlichkeit steht, weiß man auch heute noch sehr wenig über die hauptamtlichen Mitarbeiter dieses Geheimdienstes. Als "Schild und Schwert der Partei" bildeten die 78.000 Berufssoldaten und -offiziere in den MfSKreisdienststellen, Bezirksverwaltungen und der Berliner Zentrale das Rückgrat des SED-Regimes.
Wie kamen "ganz normale Menschen" dazu, in diesen Apparat einzutreten, dort langfristig mitzuarbeiten, sich in die Strukturen einzufügen und diese damit zu stabilisieren? Was waren ihre Motivationsgrundlagen und Wertvorstellungen? Wie gestaltete sich ihr Lebensalltag im Dienst der Staatssicherheit? Was wurde aus ihnen nach der Auflösung des MfS und dem Zusammenbruch der DDR? Wie bewerten sie selbst ihre MfS-Vergangenheit? Dieses Buch gibt, gestützt auf über 70 Interviews, in denen ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der "Stasi" ihre Lebensgeschichten erzählen, die Antworten.
Mielkes Männer und Frauen
Obwohl das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als zentrales Herrschaftsinstrument der DDR seit der »Wende« 1989 im Blickfeld der Öffentlichkeit steht, weiß man auch heute noch sehr wenig über die hauptamtlichen Mitarbeiter dieses Geheimdienstes. Als »Schild und Schwert der Partei« bildeten die 78.000 Berufssoldaten und -offiziere in den MfSKreisdienststellen, Bezirksverwaltungen und der Berliner Zentrale das Rückgrat des SED-Regimes.
Wie kamen »ganz normale Menschen« dazu, in diesen Apparat einzutreten, dort langfristig mitzuarbeiten, sich in die Strukturen einzufügen und diese damit zu stabilisieren? Was waren ihre Motivationsgrundlagen und Wertvorstellungen? Wie gestaltete sich ihr Lebensalltag im Dienst der Staatssicherheit? Was wurde aus ihnen nach der Auflösung des MfS und dem Zusammenbruch der DDR? Wie bewerten sie selbst ihre MfS-Vergangenheit? Dieses Buch gibt, gestützt auf über 70 Interviews, in denen ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der »Stasi« ihre Lebensgeschichten erzählen, die Antworten.
Uwe Krähnke, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig. Anja Zschirpe, Matthias Finster und Philipp Reimann arbeiten dort am DFG-Projekt »Hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit« mit.
Inhalt
Vorwort 11
Einleitung 15
I: Forschungsperspektive und methodisches Vorgehen 25
1. Der Dienst im MfS als sinnstrukturierte soziale Ordnung 26
2. Untersuchungsfokusse und zentrale Leitfrage 31
3. Datenerhebung und -auswertung 34
II: Prototypische Lebensverläufe 39
1. Herr Buche: "Bei uns können Sie alles werden, auch General -aber so weit hab ich es nicht gebracht." 44
2. Herr Linde: "Für die Partei hätte ich alles gemacht." 48
3. Herr Kastanie: "Man hätte selber das und das anders machen können - im Ansatz war es richtig." 54
4. Herr Eibe: "Irgendwo hab ich die Welt mal retten und besser machen wollen." 60
5. Frau Lärche: "Dass man mich ausgesucht hatte, ich als kleines Mädchen vom Lande." 66
6. Frau Kiefer: "Ich kann von mir behaupten, dass ich immer geachtet wurde und nie Probleme hatte." 70
7. Herr Birke: "1989 hab ich gesagt: Jetzt ist Schluss. Ich nutze die Gelegenheit." 76
8. Herr Erle: "Wenn man was verändern will, muss man schließlich dabei sein." 82
9. Herr Robinie: "Ich entscheide das selber, was ich mache." 86
10. Herr Mandel: "Da kommt man früher oder später dann zur offiziellen Meinung in Widerspruch." 92
III: Dienstlaufbahnen und Karrierewege im MfS 99
1. Rekrutierungspraxis und -felder 100
1.1. Auswahl der Person und Sicherheitsüberprüfung 102
1.2. Werbegespräche und Vorschlagsbestätigung 104
1.3. Dienstantritt und Verpflichtung 105
1.4. Einarbeitung und Vereidigung 106
2. Motive für den Eintritt 112
3. Aufstiegschancen und Karrierestau 118
4. Einkommen, Gratifikation und Privilegien 125
IV: Dienstalltag und Privatleben 131
1. Behördenroutine statt Agentenabenteuer - Dienstalltag im MfS 132
1.1. Monotone Tätigkeit, akuter Zeitdruck und fragmentiertes Wissen als Facetten eines Überlastungssyndroms 132
1.2. Überzogene Arbeitszeiten und sozialistische Planerfüllung 139
2. Auch daheim immer im Dienst - Das Privatleben 146
2.1. Einfluss des MfS auf die Partnerwahl und das familiäre Leben 146
2.2. Tabuisierte Westkontakte 155
2.3. Sozialräumliche Abschottung 159
V: Mitarbeiterkontrolle und (Selbst-)Disziplinierung 161
1. Kontrolle und Disziplinierung als soziale Praxis im MfS 164
2. Registrierung auffälliger Verhaltensweisen 167
3. Bestrafung auffälliger Verhaltensweisen 172
4. Mitarbeiterführung durch Dienstvorgesetzte 176
5. Politisch-ideologische und moralische Erziehung durch die Partei 184
6. Von der Normalität zur Norm. Zur sozialen Praxis der fremdgeführten Selbstdisziplinierung 200
VI: Tschekistischer Habitus und die "feinen" Unterschiede im MfS 207
1. Reflexiver Konformismus und übergriffige Organisation - zum Passungsverhältnis zwischen Mitarbeiter und Organisation 208
2. Totale Unterwerfung als multiple Inklusion - zur Organisations-mitgliedschaft im MfS 212
3. "Genossen erster Kategorie" - zur Vergesellschaftung des leninistischen Untergrundhabitus im Staatssozialismus 220
4. Der gebrochene Habitus der "Tschekisten" 227
5. Die feinen Unterschiede unter den MfS-Mitarbeitern 236
5.1. Biografische Einpassung der geheimdienstlichen Tätigkeit 237
5.2. Altersunterschiede und Generationenzugehörigkeit 244
5.3. Vom ausführenden Mitarbeiter zum Minister. Zur Stellung der MfS-Mitarbeiter im Herrschaftssystem der DDR 252
5.4. Frauen unter Männern 260
VII: Ankommen im ehemaligen Feindesland 265
1. Die Staatssicherheit in Auflösung 268
2. Leben nach dem "Dienst für die Staatssicherheit" 273
2.1. Wehmütige Traditionalisten 273
2.2. Ungebrochen Überzeugte 275
2.3. Resignativ Passive 276
2.4. Leistungsorientierte Pragmatiker 278
2.5. Heilsuchende Konvertiten 280
3. Der Blick zurück 281
VII: Die Banalität der "Stasi" 285
1. Entprivatisierung und Gefolgschaft aus Gewohnheit und
als Erwartung 286
2. Fragmentierte Verantwortlichkeit, soziale Distanz und mangelnde Empathie gegenüber den "Feinden" 288
3. Über die realen Konsequenzen einer konformistischen Realitätsdeutung 292
Danksagung 301
Literatur 303
Abkürzungsverzeichnis 313
Anhang 315
»Die Studie schließt eine wichtige Forschungslücke. Die Täterforschung erhält Anstöße, denen nachzugehen sich lohnt. Jedem Wissenschaftler, der sich mit der Geschichte des MfS befasst, steht nun neben dem Standardwerk von Jens Gieseke eine weitere Arbeit zur Verfügung, an der kein Weg vorbeiführt.« Stefan Donth, Sehepunkte, 15.06.2018»Es hat Seltenheitswert, dass sich ehemalige Stasi-Mitarbeiter kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Deshalb ist die im Campus Verlag erschienene soziologische Studie über hauptamtliche Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes, 'Im Dienst der Staatssicherheit', von Interesse.« Barbara Bollwahn, die tageszeitung, 20.05.2017»Das Buch [besticht] durch seine Erzähl- und Erklärdichte zum Alltag und Habitus hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter, was auch deren Leben seit 1990 einschließt. Die Studie stellt eine hervorragende Ergänzung zu Jens Giesekes Standardwerk über die Hauptamtlichen dar, da es genau jene Fragen behandelt, die Gieseke seinerzeit aufgrund anderer Fragestellungen und Methoden weitgehend ausgeblendet lassen musste.« Ilko-Sascha Kowalczuk, H-Soz-Kult, 16.11.2017»Eine detaillierte und differenziete Auseinandersetzung, der neuartige Zugang im Feld der Täterforschung und die soziologischen Einblicke in die Herrschaftsausübung des MfS machen Krähnkes Studie interessant und relevant.« Christian Ebel, Gerbergasse 18, 15.11.2017»Fachlich fundierte und handwerklich solide.« Hannes Schwenger, Der Tagesspiegel, 05.04.2017»Die Studie glänzt wohltuend durch ihre Differenziertheit in der ansonsten oftmals hemdsärmligen Deutung von Phänomenen in der SED-Diktatur.« Helmut Müller-Enbergs, Jahrbuch für Extremismus & Demokratie, Band 2018
»Die Studie schließt eine wichtige Forschungslücke. Die Täterforschung erhält Anstöße, denen nachzugehen sich lohnt. Jedem Wissenschaftler, der sich mit der Geschichte des MfS befasst, steht nun neben dem Standardwerk von Jens Gieseke eine weitere Arbeit zur Verfügung, an der kein Weg vorbeiführt.« Stefan Donth, Sehepunkte, 15.06.2018
»Es hat Seltenheitswert, dass sich ehemalige Stasi-Mitarbeiter kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Deshalb ist die im Campus Verlag erschienene soziologische Studie über hauptamtliche Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes, ›Im Dienst der Staatssicherheit‹, von Interesse.« Barbara Bollwahn, die tageszeitung, 20.05.2017
»Das Buch [besticht] durch seine Erzähl- und Erklärdichte zum Alltag und Habitus hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter, was auch deren Leben seit 1990 einschließt. Die Studie stellt eine hervorragende Ergänzung zu Jens Giesekes Standardwerk über die Hauptamtlichen dar, da es genau jene Fragen behandelt, die Gieseke seinerzeit aufgrund anderer Fragestellungen und Methoden weitgehend ausgeblendet lassen musste.« Ilko-Sascha Kowalczuk, H-Soz-Kult, 16.11.2017
»Eine detaillierte und differenziete Auseinandersetzung, der neuartige Zugang im Feld der Täterforschung und die soziologischen Einblicke in die Herrschaftsausübung des MfS machen Krähnkes Studie interessant und relevant.« Christian Ebel, Gerbergasse 18, 15.11.2017
»Fachlich fundierte und handwerklich solide.« Hannes Schwenger, Der Tagesspiegel, 05.04.2017
»Die Studie glänzt wohltuend durch ihre Differenziertheit in der ansonsten oftmals hemdsärmligen Deutung von Phänomenen in der SED-Diktatur.« Helmut Müller-Enbergs, Jahrbuch für Extremismus & Demokratie, Band 2018
Vorwort
Ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zum Sprechen zu bringen, gehört zu den schwierigsten Unterfangen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR. Erstmals nach der Handvoll Interviewbände, die 1990/91 die Neugierde der Öffentlichkeit befriedigten, legen Uwe Krähnke und seine Mitstreiter mit diesem Band eine soziologische Studie vor, die frühere MfS-Offiziere verschiedenster Altersgruppen, Dienstränge und Lebenswege in Interviews einbezieht. Sie haben mit 72 ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausführlich über den Dienst beim MfS und ihre weiteren Lebenswege gesprochen. Allein schon dieser Zugang zum "Feld" macht ihre Studie zu einem Meilenstein.
Dazwischen lagen fünfundzwanzig Jahre, in denen hauptsächlich die aktengestützte Rekonstruktion von ideologischer Formung und Feindbild-pflege, Rekrutierungspolitik, inneren Strukturen, Bezahlung, Disziplinarge-schehen usw. betrieben wurde. Ein solcher Zugriff machte es möglich, die "Black Box" Stasi-Apparat zu ergründen, aber er stößt naturgemäß an Grenzen, wenn es um das subjektive Empfinden der MfS-Offiziere in ihrer alltäglichen Dienstverrichtung und ihre rückblickende Selbstsicht geht. Zum anderen verteidigte eine Schar von ehemaligen Obristen und Generälen aus Standesorganisationen wie dem "Insiderkomitee" lautstark ihre Verfolgungspraxis. Und sie wachte darüber, dass keine "falschen Töne" aus dem Kreis der ehemaligen MfS-Mitarbeiter nach außen drangen.
Diese Etappe neigt sich dem Ende zu. Aktenstudien zum MfS-Personal fördern kaum noch Neuigkeiten zu Tage, und die Erzählungen der greisen Obristen locken allenfalls noch einige gleichaltrige Mitstreiter an.
Damit sind hergebrachte Paradigmen der Täterforschung einem frischen Blick zu unterziehen: Wie monolithisch war das Stasi-Personal? Was prägte ihr Selbstverständnis? Was wurde aus ihnen nach der Auflösung dieses Ministeriums und dem Beitritt der DDR zu ihrem früheren "Operationsgebiet"?
Mit seinen soziologischen Interpretationsangeboten arbeitet das Autoren-team die inneren Logiken heraus, mit denen MfS-Mitarbeiter ihrem Leben im Getriebe der Geheimpolizei Sinn gaben. Wie es zeigt, formten die MfS-Mitarbeiter die Legitimationsideologie des "Tschekismus", also die Berufung auf die Mission der Geheimpolizei der Bolschewiki seit 1917, in verschiedene Variationen eines praktischen Alltagsbewusstseins um. Hierzu gehörte das Gefühl einer "dienenden Herausgehobenheit", aber auch der durchweg wiederkehrende Topos, selbst einer umfassenden gegenseitigen Beobachtung und Disziplinierung unterlegen zu haben - allerdings freiwillig im Unterschied zu den vom MfS Überwachten und Verfolgten.
Der "tschekistische Habitus" prägte die MfS-Mitarbeiter mit einer frappierenden Intensität durch alle Generationen - und er bestimmt bis heute direkt oder indirekt ihre Erzählungen. Zugleich arbeitet das Autorenteam eine Typologie der konkreten Selbstverständnisse heraus, insbesondere für die Masse der jüngeren Mitarbeiter, die das vielbeschworene Erbe der Altkommunisten und Antifaschisten nicht mehr aus eigenem Erleben, sondern nur noch als familiäre und kollegiale Prädisposition kannten.
Ein Solitär ist auch die Untersuchung der Lebenswege seit 1990. Bislang gibt es nur wenige Schlaglichter zu den Berufswegen, zum Umgang mit der eigenen Biografie und zu der Frage, ob die ehemaligen Geheimpolizisten politisch und mental in System und Lebenswelt der vergrößerten Bundesrepublik "angekommen" sind. Besonders anregend für die weitere Forschung ist schließlich auch die Beobachtung, dass Vernehmer oder Observationsexperten praktisch nie über ihre innere Haltung zur eigenen Rolle in der Verfolgungstätigkeit des MfS und über das Schicksal der von ihnen "bearbeiteten" Personen sprechen. Auch die Anwerbe- und Führungstechniken gegenüber Informanten tauchen hier nicht auf. Machte diese Arbeit ihnen Freude? Verschaffte sie ihnen Befriedigung? Und wie verarbeitete
Erscheinungsdatum | 04.03.2017 |
---|---|
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 214 x 142 mm |
Gewicht | 416 g |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Zeitgeschichte |
Sozialwissenschaften ► Soziologie | |
Schlagworte | Berlin • Bespitzelung • DDR • DDR-Staatssicherheit • Deutsche Demokratische Republik • Erich Mielke • Gehemindienst • Habitus • hauptamtliche Mitarbeiter • Herrschaftssystem • im • Inoffizielle Mitarbeiter • Makrosoziologie • MfS • Ministerium für Staatssicherheit • Motivation • Repression • SED • Staatssicherheit • Staatssicherheitsdienst (Stasi) • Staatssicherheitsdienst (Stasi); Biografien • Stasi • Täter • Wiedervereinigung |
ISBN-10 | 3-593-50522-3 / 3593505223 |
ISBN-13 | 978-3-593-50522-0 / 9783593505220 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich