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Politischer Klientelismus

Informelle Macht in Griechenland und Irland

(Autor)

Buch | Softcover
323 Seiten
2016
Campus (Verlag)
978-3-593-50548-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Politischer Klientelismus - Isabel Kusche
CHF 68,60 inkl. MwSt
Im Zuge der Griechenland-Krise ist in Politik und Medien wiederkehrend die Rede vom politischen Klientelimus. Selten wird jedoch genauer dargestellt, worum es sich dabei handelt und inwiefern es ein problematisches Phänomen - und nicht einfach Teil der Normalität demokratischer Politik - ist. Isabel Kusche gibt einen Überblick über den Stand der internationalen Forschung und arbeitet deren theoretische Defizite heraus. Unter Rückgriff auf die Differenzierungstheorie und in kritischer Anknüpfung an frühe Arbeiten Niklas Luhmanns deutet sie klientelistische Strukturen als spezifische Variante informeller politischer Macht. Über den Vergleich von Griechenland und Irland wird das Phänomen im europäischen Kontext verständlich.
Im Zuge der Griechenland-Krise ist in Politik und Medien wiederkehrend die Rede vom politischen Klientelimus. Selten wird jedoch genauer dargestellt, worum es sich dabei handelt und inwiefern es ein problematisches Phänomen – und nicht einfach Teil der Normalität demokratischer Politik – ist. Isabel Kusche gibt einen Überblick über den Stand der internationalen Forschung und arbeitet deren theoretische Defizite heraus. Unter Rückgriff auf die Differenzierungstheorie und in kritischer Anknüpfung an frühe Arbeiten Niklas Luhmanns deutet sie klientelistische Strukturen als spezifische Variante informeller politischer Macht. Über den Vergleich von Griechenland und Irland wird das Phänomen im europäischen Kontext verständlich.

Isabel Kusche ist Associate Professor und Fellow am Aarhus Institute of Advanced Studies der Universität Aarhus in Dänemark.

Inhalt

1. Einleitung 9
1.1 Politischer Klientelismus zwischen Korruption und demokratischer Normalität 11
1.2 Zum Aufbau der Arbeit 15

2. Klientelismusforschung und soziologische Theorie 19
2.1 Klientelismus - Definitionen und deren Folgeprobleme 20
2.2 Die modernisierungstheoretische Makroperspektive und ihre Kritiker 24
2.3 Neopatrimonialismus statt politischer Klientelismus? 27
2.4 Klientelismus als Attribut politischer Organisationen 28
2.5 Politischer Klientelismus als Ergebnis rationaler Wahl 32
2.6 Theoretische Folgen der Orientierung an Ansätzen rationaler Wahl 36
2.7 "Bringing the Dyad Back In?" 42
2.8 Schlussfolgerungen: Theoretische Defizite der Klientelismusforschung 47

3. Patron-Klient-Strukturen und Differenzierungstheorie 51
3.1 Funktionale Differenzierung und Strukturen des politischen Systems 53
3.1.1 Die strukturfunktionalistische Beschreibung demokratischer Politik 53
3.1.2 Systemtheorie als Theorie operativer Systeme 57
3.2 Netzwerke aus systemtheoretischer Perspektive 61
3.3 Differenzierungstheoretische Alternativen? 64
3.3.1 Handlungstheoretische Reformierungen der Luhmannschen Systemtheorie 64
3.3.2 Bourdieus Theorie sozialer Felder als Differenzierungstheorie 68
3.4 Systemtheoretischer Strukturbegriff und das Verhältnis von Funktionssystemen und Netzwerken 74
3.4.1 Erwartungserwartungen als temporalisierte Strukturen sozialer Systeme 75
3.4.2 Netzwerke und Reziprozitätserwartungen 77
3.4.3 Klientelistische Netzwerke, politisches Funktionssystem und das Kommunikationsmedium Macht 81
3.5 Funktionale Analyse im Schema von Problem und Problemlösung 88

4. Das Verhältnis von Politik, Verwaltung und Publikum 92
4.1 Formale und informelle Macht - Der doppelte Machtkreislauf 93
4.2 Informelle klientelistische Macht 95
4.3 Die Differenz von Politik und Verwaltung 100
4.4 Das Problem der Generalisierung von Macht - Zwei Varianten rationaler Bürokratie 110
4.5 Machtkreislauf und Differenzierung 120
4.6 Vom Modell des demokratischen Machtkreislaufs zur Empirie - Fallauswahl 122

5. Machtkreislauf und politischer Klientelismus in Griechenland 133
5.1 Griechische Staatsbildung und Demokratisierung im 19. und 20. Jahrhundert 135
5.2 Parteipolitik im demokratischen Griechenland seit 1974 138
5.3 Öffentliche Verwaltung und Verwaltungsreformen 142
5.4 Verwaltungsentscheidungen und das politische Publikum 147
5.5 Politischer Klientelismus - Vergangenheit oder Gegenwart? 150
5.6 Formale und informelle Macht im politischen Machtkreislauf Griechenlands 155

6. Politik in der Republik Irland - Demokratie unter Klientelismusverdacht 161
6.1 Historischer Hintergrund: Von Irland als Teil des Vereinigten Königreichs zur Republik Irland 162
6.2 Der Bereich der öffentlichen Verwaltung 164
6.3 Parteipolitik und Wahlverfahren 168
6.4 Das politische Publikum zwischen lokalen und nationalen Bezügen 173
6.5 Klientelismus oder Brokerage? 176
6.6 Griechenland und Irland - Ein vorläufiger Vergleich 179
6.7 Erklärungsversuche für Brokerage: Die politische Kultur Irlands 182
6.8 Kultur als soziales Gedächtnis und die Semantik von Selbstbeschreibungen 185
6.9 Zum weiteren Vorgehen 189

7. Klientelismus als Semantik in der irischen Politik 193
7.1 Vorüberlegungen zur Semantikanalyse 194
7.2 Empirisches Material, Materialzugang und -auswahl 200
7.3 Analyseschritte 206
7.4 Der Begriff Klientelismus in der irischen Öffentlichkeit im Zeitverlauf 208
7.5 Klientelismus und mögliche Synonyme im irischen Kontext 210
7.6 Der "irische Klientelismus" - Eine Annäherung 216
7.6.1 Klientelismus als (Art der) Wahlkreisarbeit 216
7.6.2 Klientelismus = Pork-Barrel Politics? 221
7.6.3 Wahlkreisarbeit und Fallarbeit - Mehr als normal? 228
7.7 Klientelismus-Semantik und Wahlkreisarbeit 32

8. Die Beobachtung von informellen Erwartungen in der irischen Politik 235
8.1 Das klientelistische Moment der Fallarbeit 236
8.2 Informalität als politische Erwartungsstruktur 251
8.3 Formalisierungsversuche informeller Einflussnahme 256
8.4 Die Beobachtung von Klientelismus im Zeitverlauf 264
8.5 Die Zurechnung von Ursachen des Klientelismus 275
8.6 Das Modell des doppelten Machtkreislaufs und die irische Politik 280

9. Fazit 287
9.1 Informelle politische Macht in Griechenland und Irland 288
9.2 Schlussfolgerungen für die Theorie gesellschaftlicher Differenzierung 294

Anhang 299
1. Kategorien der Inhaltsanalyse 299
2. Hinweis zu den Quellenangaben für Zeitungsartikel und Parlamentsprotokolle 302

Literatur 303
Danksagung 322

1. Einleitung

Aus Anlass der griechischen Parlamentswahlen im Mai 2012 fand sich in "Le Monde Diplomatique" eine anschauliche Illustration dessen, was seit Ausbruch der europäischen Finanzkrise und speziell der Krise in Grie-chenland vermeintlich Teil des Allgemeinwissens ist, nämlich was Kliente-lismus ist:

"Früher hat jeder aussichtsreiche Bewerber für das griechische Parlament (Vouli genannt) auf Wochen hinaus einen Laden gemietet, beflaggt mit Parteifahnen, voll mit Stapeln von Wahlbroschüren. Diesmal sparten sich die Kandidaten die Miete, die sie vom Privatkonto finanzieren mussten. Zum einen aus Angst vor den Glaserrechnungen, denn die Büros hätten die Wutbürger angezogen wie der Honigtopf die Bienen. Zum anderen weil so ein Ort nutzlos geworden ist. Im Kandidatenladen konnte der Wähler seinen künftigen Abgeordneten aufsuchen und die Gegenleistung für seine Stimme aushandeln: einen Auftrag für seinen Kleinbetrieb, eine Stelle für den Sohn beim staatlichen Stromversorger, eine Empfehlung für die Tochter an den parteinahen Universitätsprofessor. Das spielte sich keineswegs im Geheimen ab. Jeder konnte sehen, wer mit wem ins Geschäft kam oder kommen wollte.
Die öffentliche Kontaktzone zwischen Volk und Volksvertreter war die Kernzelle des Klientelsystems - solange es Aufträge und Posten zu verteilen gab. Seit Stellen im öffentlichen Sektor nicht mehr besetzt, sondern gestrichen werden, ist der Klientelismus tot oder doch auf dem Weg ins verdiente Grab." (Kadritzke 2012: 12)

Derart anschauliche und konkrete Darstellungen sind die Ausnahme: Stichworte wie Korruption und Klientelismus werden zwar im Zusam-menhang mit Berichten über die Schuldenkrise immer wieder genannt, dienen aber, gemeinsam mit dem Verweis aufs Schuldenmachen, eher als Etikett für die vielfältigen Probleme von Politik und staatlicher Verwaltung in bestimmten Ländern, als dass sie diese Probleme erklären würden. Implizit scheinen sich die meisten Beiträge darauf zu verlassen, dass alle eine hinreichend konkrete Vorstellung davon haben, worum es sich bei Erscheinungen wie Korruption oder Klientelismus handelt. Im Falle von Korruption mag das noch einleuchten - vor dem inneren Auge taucht vielleicht ein mit Banknoten gefüllter Briefumschlag auf, der bei einem Zusammentreffen zwischen einem Verwaltungsbeamten und einem Antragsteller oder zwischen einer Politikerin und einer Unternehmerin mehr oder weniger diskret überreicht wird. Dass solche Praktiken nicht gerade ein Ausweis für gute Politik und einen verlässlichen Staat sind, leuchtet wohl ein, und man mag sich allenfalls fragen, weshalb man dann nicht schon längst hätte wissen können, was inzwischen alle zu wissen scheinen, nämlich dass das auf Dauer nicht gut gehen kann.
Welche Assoziationen die Rede von Klientelismus hervorruft, ist weni-ger klar. Gelegentliche Hinweise deuten auf "[p]olitische Parteien, die sich ihre Unterstützung in griechischer Manier mit teuren Wahlgeschenken zu erkaufen versuchten" (Fuster 2012). Wie verheerend das offenbar sein kann, macht aber erst der Verweis auf Griechenland anschaulich, denn für sich genommen sind teure Wahlgeschenke in der Vergangenheit auch in Deutschland immer wieder einmal kritisiert oder gar skandalisiert, aber nie als Praktik ausgewiesen worden, die das Funktionieren von Staat und Politik insgesamt gefährden könnte.
Präziser ist ein anderer Hinweis, was eine Politik des Klientelismus be-inhalte: "Marode Privatfirmen wurden verstaatlicht und mit Parteian-hängern besetzt, um sich deren Stimmen zu sichern" (Panagiotidis 2012). Anderswo ist etwa vom "Klientelismus zwischen Politik und Bauwirt-schaft" (o.N. 2012) die Rede. Und auch mit Bezug auf Deutschland werden Beispiele für Klientelismus identifiziert, so etwa eine vom FDP-Vorsitzenden vorgeschlagene Erhöhung der Pendlerpauschale oder das aus Rücksicht auf die CSU eingeführte Betreuungsgeld für Familien mit Unterdreijährigen, die diese zu Hause betreuen (Riede

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo 4 Abb.
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 140 x 215 mm
Gewicht 415 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Vergleichende Politikwissenschaften
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Bürokratie • EU • Europa • Griechenland • Griechenland; Politik/Zeitgeschichte • Irland • Irland; Politik/Zeitgeschichte • Klientel • Korruption • Macht • Parteien • Politiker • Politikwissenschaften • Politische Soziologie • Verwaltung
ISBN-10 3-593-50548-7 / 3593505487
ISBN-13 978-3-593-50548-0 / 9783593505480
Zustand Neuware
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