Das Leben der Geschlechter (eBook)
204 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-43050-8 (ISBN)
Rüdiger Peuckert lehrte als Professor für Soziologie an der Universität Osnabrück. Seine Schwerpunkte sind Sozialstrukturanalyse, Geschlechterverhältnisse, Soziale Ungleichheit, Familiensoziologie sowie Jugend- und Alterssoziologie. Mit »Familienformen im sozialen Wandel« (Springer VS, 8. Auflage 2012) liegt von ihm ein mehrfach aktualisiertes Standardwerk der Familiensoziologie vor.
Rüdiger Peuckert lehrte als Professor für Soziologie an der Universität Osnabrück. Seine Schwerpunkte sind Sozialstrukturanalyse, Geschlechterverhältnisse, Soziale Ungleichheit, Familiensoziologie sowie Jugend- und Alterssoziologie. Mit »Familienformen im sozialen Wandel« (Springer VS, 8. Auflage 2012) liegt von ihm ein mehrfach aktualisiertes Standardwerk der Familiensoziologie vor.
Inhalt 6
Einleitung: Die Soziologie als Mythenjägerin 10
Entwicklung und Vielfalt der Lebensformen 14
1Wer traut sich noch – ist die Ehe ein Auslaufmodell? 15
2Macht Heiraten glücklich oder welchen Unterschied macht es noch, ob man verheiratet oder unverheiratet zusammenlebt? 19
3 Die Angst, sich zu binden, oder ist das Zeitalter der Paare vorbei? 24
4Deutschland auf dem Weg in die Singlegesellschaft: Mythos oder Realität? 30
Beziehungsmarkt und Partnerwahl 34
5Haben Frauen und Männer auch in Zeiten der Emanzipation unterschiedliche Partnerwünsche? 35
6 Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst: Ist die Liebe schuld? 40
7Ein jüngerer Partner – ein längeres Leben? 44
8 Mythen und Fakten rund um das Onlinedating: Sind Onlinebeziehungen »normalen« Beziehungen unterlegen? 47
9Ist mate poaching immer noch tabu? 52
Fragile Beziehungen und Trennung 56
10Hätte man vor der Heirat besser auf sein Bauchgefühl hören sollen? 57
11Der Romeo-und-Julia-Effekt – Mythos oder Realität? 60
12 Erhöhen egalitäre Geschlechterarrangements das Trennungs- und Scheidungsrisiko? 62
13Sind Ehescheidungen ansteckend? 67
14 Gibt es ein ideales Heiratsalter und wie kommt es, dass eine über Jahrzehnte intakte Ehe im Alter auseinanderbricht? 70
15 Seine Scheidung – ihre Scheidung: Haben Frauen es schwerer, einen neuen Partner zu finden? 73
16Erhöhen Töchter das Scheidungsrisiko ihrer Eltern? 78
17Der rebound-Effekt: Hilft eine rasche neue Liebesbeziehung den Trennungsschmerz zu überwinden? 81
Pluralisierung des Begehrens 85
18Hat Sexualität wirklich einen so hohen Stellenwert? 86
19 Mythos Monogamie: Sind monogame Beziehungen die besseren Beziehungen? 90
20Sind Männer affärenorientierter als Frauen? 95
Frauen und Männer zwischen Rollenbildern und Alltagspraxis 99
21Hat der Feminismus die Frauen trotz aller unbestreitbaren Errungenschaften unglücklicher gemacht? 100
22Sind Männer das extremere Geschlecht? 104
23 »Spaltung der Schwesternschaft«: Werden Frauen den Männern immer ähnlicher und einander immer unähnlicher? 108
24Familienernährerinnen – Speerspitze der Emanzipation? 112
25Was tun Männer in statusniedrigen Positionen angesichts ihrer bedrohten Männlichkeit? 115
26Darf man heute überhaupt noch Hausfrau sein? 120
27 Arbeitsarmut: Wer kann von seinem Gehalt noch eine Familie ernähren? 125
Diskriminierung der Frauen – subtil, aber effektiv 129
28 Wird Frauen wegen ihres Geschlechts der Weg in Führungspositionen versperrt? 130
29Der gender pay gap: Werden Frauen bei der Bezahlung diskriminiert? 133
30 Die Liebe und das liebe Geld: Wer bestimmt über Geld und Geldverwaltung in Paarbeziehungen? 138
31 Leben in Gesundheit: Sind Frauen das »starke Geschlecht«? 141
Familienpolitik in Deutschland 146
32Das neue Elterngeld – eine einzigartige Erfolgsstory? 147
33Ist der Ausbau öffentlich geförderter Tagesbetreuung ein »Allheilmittel« für das Wohl der Kinder? 151
34Das »böse« Betreuungsgeld oder: Viel Lärm um nichts? 157
35 Keine Kitas, keine Kinder? Wer ist schuld an der niedrigen Geburtenrate in Deutschland? 162
Elternschaft und Kindschaft heute 166
36Machen Kinder glücklich(er)? 167
37Ist Kinderkriegen ansteckend? 170
38Freiwillig kinderlose Frauen und Männer in der öffentlichen Wahrnehmung – ein Beispiel von Doppelmoral? 174
39Sind späte Eltern die besseren Eltern? 178
40Wie ähnlich sind sich Geschwister? 181
41 »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«: Sind Erstgeborene erfolgreicher als später Geborene? 184
42 Befindet sich Deutschland auf dem Weg in die Ein-Kind-Gesellschaft? 187
43Junge oder Mädchen? Gibt es noch das Wunschkind? 189
44Die Regenbogenfamilie – eine ganz »normale« Familienform? 193
Anstelle eines Schlussworts: Zur saisonalen Geburtenhäufigkeit und einigen weiteren Absonderlichkeiten rund um das Geburtengeschehen 199
Einleitung: Die Soziologie als Mythenjägerin
Geschlechter- und Familienmythen sind weitverbreitete, wissenschaftlich nicht fundierte Meinungen, Überzeugungen und Glaubensinhalte, die im Alltagsleben unhinterfragt als Tatsachen angesehen werden. Norbert Elias spricht in diesem Sinne von der 'Soziologie als Mythenjägerin' (Elias 2013). Das Wort Mythos stammt aus dem Griechischen und hat eine Vielzahl von Bedeutungen. Hier wird der Begriff im modernen Sinn als falsche Behauptung, Überzeugung, Glauben oder Ideal verstanden. Mythen als 'Daumenregeln' wirken im Alltagshandeln entlastend, können aber auch verhängnisvolle Folgen haben.
Treibende Kraft hinter dem Wandel von Partnerschaft, Ehe und Familie ist, wie in diesem Buch gezeigt wird, die veränderte Rolle der Frau. Junge Frauen befinden sich heute in einer widersprüchlichen Situation, denn den typischen einheitlichen weiblichen Lebensentwurf gibt es nicht mehr. Frauen betonen heute einerseits verstärkt ihre Freiheit und Unabhängigkeit, können sich aber andererseits nicht völlig von den traditionellen Rollenvorstellungen lösen. Ihr Leben ist durch Inkonsistenzen und Ambivalenzen geprägt. Doch auch die Männer sind von diesem Wandel betroffen. Wie sie angesichts ihrer bedrohten Männlichkeit reagieren, ist ebenfalls ein Thema, das in diesem Band immer wieder aufgegriffen wird.
Die Studie konfrontiert in 44 Beiträgen weitverbreitete Alltagsmythen aus den Bereichen Paarbeziehungen, Familie und Geschlechterverhältnisse mit den Ergebnissen nationaler und internationaler empirischer Studien. Befindet sich Deutschland tatsächlich auf dem Weg in die Singlegesellschaft? Sind Hausfrauen eine unzufriedene, bemitleidenswerte und aussterbende Spezies, wie immer wieder zu hören ist? Hat der Feminismus die Frauen trotz aller unbestreitbaren Errungenschaften insgesamt unglücklicher gemacht? Ist die Regenbogenfamilie (gleichgeschlechtliche Familien; lesbische/schwule Elternschaft) eine ganz 'normale' Familienform? Fördern Kinder tatsächlich die Lebenszufriedenheit ihrer Eltern und was hat die Liebe damit zu tun, dass Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinanderdriften?
Fast ausnahmslos handelt es sich um Studien, die auf umfangreichem Datenmaterial beruhen. Beiträge wie 'Was bleibt von mir als Mann? Trotz Gleichberechtigung und partnerschaftlicher Beziehung: Wenn SIE mehr verdient als ER, kann das eine Liebe ruinieren' (FAS vom 26.01.2014), in denen anhand von (in diesem Fall nur drei) Einzelfällen Probleme von Männern in statusniedrigen Positionen angesichts ihrer bedrohten Männlichkeit erörtert werden, können bestenfalls für die Thematik sensibilisieren, lassen aber keine generalisierenden Aussagen zu.
Aber auch umfangreiche Datensätze, die für sich Repräsentativität beanspruchen, müssen kritisch hinterfragt werden, denn die Voraussetzungen einer Zufallsstichprobe sind so gut wie nie erfüllt. Die Ergebnisse können nur dann repräsentativ für eine bestimmte Grundgesamtheit - wie die erwachsene Bevölkerung Deutschlands - sein, wenn jeder die gleiche Chance hat, in die Stichprobe aufgenommen zu werden, und die Fragen nach bestem Wissen beantwortet. Die Selbstselektion verzerrt besonders die Angaben aus den inflationären Onlineumfragen, da hier allein die Kunden der Onlinepartnerbörsen befragt werden, die sich a priori systematisch von der Gesamtheit der Bundesbürger unterscheiden.
Insgesamt soll für einen kritischen Umgang mit Zahlen sensibilisiert werden. Zahlen, die auf den ersten Blick verlässlich erscheinen, können trotzdem täuschen. Medien und Wissenschaftler, die in die Medien wollen, ziehen generell große Unterschiede kleinen Zahlen vor. Was schließen wir daraus, wenn wir hören, dass der Anteil der unverheiratet zusammenlebenden Paare - der nichtehelichen Lebensgemeinschaften - an allen Lebensformen in nur 14 Jahren (zwischen 1992 und 2006) um fast 60 Prozent zugenommen hat? Auf den ersten Blick ein sensationelles Ergebnis, das bei näherem Hinsehen aber deutlich relativiert wird. Denn relative Risiken dramatisieren. Tatsächlich hat sich der Anteil nichtehelicher Lebensgemeinschaften lediglich von sieben Prozent auf elf Prozent erhöht. Die Behauptung, dass die Ehe immer häufiger durch alternative Lebensformen ersetzt wird, ist also prinzipiell richtig, in dieser Form aber irreführend.
Besonders problematisch bei der Interpretation empirischer Daten ist der gängige Schluss von der Gleichzeitigkeit der beobachteten Phänomene (einer Korrelation) auf einen Kausalzusammenhang: Das eine ist die Ursache, das andere die Wirkung. Was hat man von einem Untersuchungsergebnis wie 'Verheiratete sind glücklicher als Ledige' zu halten? Kann man aus einer entsprechenden Korrelation ohne Weiteres schließen, dass Heiraten glücklicher macht? Dies ist möglicherweise schon deshalb ein Trugschluss, weil mehrfach nachgewiesen wurde, dass glückliche Menschen häufiger heiraten als unglückliche Menschen. Aus diesem Grund wird, wenn immer möglich, bei der Überprüfung von Alltagsmythen auf Längsschnittstudien zurückgegriffen, in denen die Erhebung zu mehreren Zeitpunkten mit derselben Stichprobe durchgeführt wurde. Das Glück wird also mindestens zweimal - einmal vor und einmal nach der Eheschließung - erhoben, sodass Rückschlüsse auf eine Kausalität möglich sind.
In dem Buch werden weitverbreitete populäre Vorstellungen aus den Bereichen Paarbeziehung, Familie, Geschlechterverhältnis und Sexualität mit den Ergebnissen nationaler und internationaler empirischer Studien konfrontiert. Dabei zeigt sich, dass einige Vorstellungen zutreffen, dass es sich aber in den weitaus meisten Fällen um Alltagsmythen handelt, das heißt um Stereotype und Klischees, die mit der empirischen Realität nicht kompatibel sind. Nicht auszuschließen ist, dass einige Alltagsmythen einst zutreffend gewesen und erst später zu Mythen geworden sind. So hat sich die Doppelmoral 'Frauen, die freiwillig auf Kinder verzichten, werden stärker stigmatisiert als freiwillig kinderlose Männer' inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt: Bewusst kinderlose Männer werden, zumindest von Frauen, stärker diskriminiert als bewusst kinderlose Frauen. Auch der noch vor einigen Jahrzehnten zutreffende Eindruck, dass Ehepaare mit Töchtern sich häufiger scheiden lassen als Ehepaare mit Söhnen, gilt inzwischen als durch die Forschung widerlegt.
Mythen können sich dysfunktional auf das gesellschaftliche Zusammenleben auswirken. So kann die irreführende Vorstellung, dass Frauen allein aufgrund direkter Diskriminierungen ihrer Arbeitgeber im Schnitt ein Fünftel weniger verdienen als Männer, zur Folge haben, dass auf diese Weise die wahren Ursachen für die schlechtere Bezahlung (unterschiedliche Berufswahl und Berufs- und Familienbiografie) verschleiert werden. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Die weitverbreitete und als Mythos entlarvte Vorstellung, dass eine rasche neue Liebesbeziehung nach einer Trennung oder Scheidung den Trennungsschmerz noch steigert (rebound-Effekt), wirkt sich eher nachteilig auf das Wohlbefinden aus.
Der Band ist in erster Linie an Studierende der Soziologie und ihrer Nachbardisziplinen (Psychologie, Politologie, Erziehungswissenschaften, Ökonomie u.a.) adressiert, richtet sich aber auch an ein breiteres Fachpublikum und an allgemein an sozialwissenschaftlichen Fragen Interessierte.
Erscheint lt. Verlag | 2.4.2015 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Schlagworte | Familie • Familienverhältnisse • Frauen • Geschlecht • Geschlechterbeziehung • Geschlechterverhältnis • Liebe • Männer • Paarbeziehung • Paartnerschaft |
ISBN-10 | 3-593-43050-9 / 3593430509 |
ISBN-13 | 978-3-593-43050-8 / 9783593430508 |
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Größe: 2,2 MB
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