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The Gatekeepers (eBook)

Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
480 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30730-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

The Gatekeepers -  Dror Moreh
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»Seit Rabin tot ist, sieht Israels Zukunft düster, düster, düster aus.« Carmi Gillon, Schin-Bet-Chef 1994-1996 Zum ersten Mal überhaupt geben sechs frühere Chefs des israelischen Geheimdienstes Schin Bet Auskunft über ihr Handeln und ihre Entscheidungen - und werfen damit ein neues Licht auf die Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten. Das Buch basiert auf dem sensationellen Dokumentarfilm The Gatekeepers (deutscher Titel: Töte zuerst) und enthält eine Fülle von Material, das der Autor und Regisseur im Film nicht verwenden konnte.Dem Filmemacher Dror Moreh ist es gelungen, alle sechs noch lebenden Ex-Chefs des israelischen Geheimdienstes Schin Bet vor die Kamera zu bekommen. Und nicht nur das: Sie sprechen so schonungslos offen und (selbst-)kritisch über Folterungen, gezielte Tötungen, Bombenangriffe, all die Maßnahmen, die sie seit dem Sechstagekrieg 1967 gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten angeordnet haben. Und sie stellen im Rückblick die Frage nach der moralischen Legitimation ihrer Aktionen. Ihr Urteil fällt vernichtend aus. So sagt Avraham Schalom, Schin-Bet-Chef 1980-1986: »Was wir den Palästinensern antun, unterscheidet sich, abgesehen von der Judenvernichtung, nicht von den Nazis in Osteuropa.« Politisch besonders brisant, dass die sechs Männer, allesamt israelische Patrioten, die ständig an den jeweiligen Premierminister berichtet haben, sämtlichen israelischen Regierungen seit 1967 (mit Ausnahme der von Jitzhak Rabin) vorwerfen, die falsche Palästina-Politik betrieben zu haben und zu betreiben: »Israel kapiert nicht, dass es jeden Kampf gewinnt. Aber den Krieg verliert.« Eine »spektakuläre israelische Dokumentation« Der Spiegel

Dror Moreh, geboren 1961 in Jerusalem, ist Regisseur und Filmproduzent. Er hat eine Reihe von Dokumentarfilmen gedreht, darunter Sharon, über den früheren israelischen Premierminister, oder Urban Feel, die beide im Programm der Berlinale gezeigt wurden.

Dror Moreh, geboren 1961 in Jerusalem, ist Regisseur und Filmproduzent. Er hat eine Reihe von Dokumentarfilmen gedreht, darunter Sharon, über den früheren israelischen Premierminister, oder Urban Feel, die beide im Programm der Berlinale gezeigt wurden.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Avraham Schalom


Wien – Erst die Nazis haben mir gezeigt, dass ich Jude bin


Avraham Schalom: Es geschah an einem einzigen Tag. Ich glaube, es war der 13. März 1938. Ich war neuneinhalb Jahre alt, und die Wände meines Zimmers waren mit Landkarten gepflastert: Eisenbahnkarten, Straßenkarten, topografische Karten – das war schon damals mein Hobby. Jedes Mal, wenn die Deutschen vorrückten, schaute ich nach, woher sie kamen, warum sie kamen, wohin sie wollten. Und eines Tages gelangten ihre Truppen nach Wien. Zunächst war der Himmel voller Flugzeuge, dann marschierten Soldaten durch die Straßen. Freudige Erregung packte mich, wie das eben so ist bei einem Kind.

In der Nacht nach der Ankunft der Deutschen kam unser Dienstmädchen, das normalerweise bei uns schlief, nicht nach Hause. Als es am nächsten Morgen auftauchte, erklärte es: »Ich habe mich verlobt.« Mama fragte: »Mit wem?« Das Mädchen antwortete: »Mit einem deutschen Flieger.« Um die Wiener einzuschüchtern, hatte die deutsche Luftwaffe zunächst Dutzende Flugzeuge geschickt. Später feierten die Soldaten in den Kneipen der Stadt, und einer hat unserem Mädchen gefallen. Schließlich kam er zu uns, den Juden, und hielt um ihre Hand an. »Bitte schön, du kannst sie haben«, sagten wir, und sie bedankte sich und reiste tags darauf nach Deutschland. Nicht ihre Eltern hat sie gefragt, sondern uns – das klingt seltsam, aber so waren damals die Verhältnisse.

Wir wohnten in der Wiener Innenstadt, und mein Vater war Teilhaber einer Textilfabrik in Deutschland. Meine Eltern interessierten sich weder für Politik noch für Religion. Daher hatte ich noch nie Hebräisch gehört und wusste nicht einmal, dass man Hebräisch von rechts nach links schreibt. Oft war mir gar nicht bewusst, dass ich Jude bin. Als ich in der ersten Klasse war, kam ein Priester an die Schule, um Religion zu unterrichten. Ausgerechnet mich rief er auf, aus der Bibel vorzulesen, und als ich fertig war, lobte er mich. Zu Hause prahlte ich damit. Meine Mutter sagte kein Wort, ging zu meinem Lehrer und erklärte ihm, dass ich mit diesen Dingen nichts zu tun hätte. Der Lehrer nahm mich sofort aus dem Religionsunterricht, doch teilte er mich nicht den jüdischen Kindern zu. Davon gab es zehn, und alle waren in der jüdischen Kultusgemeinde gemeldet. Meine Familie gehörte keiner Gemeinde an, und bis heute frage ich mich, warum. Außer mir mussten noch zwei evangelische Kinder draußen warten, wenn die Klasse Religion hatte. Es waren Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, und während die anderen lernten, spielten wir auf dem Pausenhof Ball. Alle Kinder beneideten uns.

Als Hitler nach dem Einmarsch der Deutschen seine berühmte Wiener Rede hielt, in der er die Vereinigung Österreichs mit Deutschland beschwor, saß ich mit Freunden auf der Terrasse ebenjenes Hotels. Was er sagte, war nicht genial, aber verrückt genug, um alle in Aufruhr zu versetzen. Ich saß da, und oben auf dem Balkon redete Hitler, und die brüllende Masse schwang Fähnchen und streckte die Arme in die Höhe. Aber für ein Kind hatte sein Auftritt nichts Historisches. Als ich nach Hause kam und Mama davon erzählte, fragte sie verwundert: »Du hast Hitler gesehen? Hattest du keine Angst? Was hast du an solch einem Ort zu suchen?« Anfangs taten die Deutschen den Juden noch nichts – im Gegensatz zu den Österreichern, die plötzlich frech wurden.

Am Morgen nach der Kristallnacht schickte mich meine Mutter zur Schule. Alle Juden wussten, dass man an diesem Tag lieber zu Hause bleiben sollte. Aber Mama sagte: »Was soll der Unsinn? Selbstverständlich gehst du zum Unterricht!« Ich weiß nicht, ob sich meine Eltern wegen der deutschen Invasion Gedanken machten. Wenn ja, verbargen sie es vor mir. Meine Erziehung war durch und durch deutsch, nicht wie bei einer jiddischen Mame. Es gab Dinge, die mich nichts angingen und über die meine Eltern in meinem Beisein nicht redeten. Sie hatten Prinzipien, und aus diesem Grund schickte mich meine Mutter auch am Morgen nach dem Pogrom in die Schule.

Ich war der einzige Jude im Klassenzimmer und musste Schläge einstecken, bis mich der Lehrer aus den Fängen meiner Kameraden befreite. Ich wurde so heftig gegen einen Heizkörper geschleudert, dass ich die nächsten beiden Wochen das Bett hüten musste. Der Vater des Anführers war Polizist. Nach dem Krieg suchte ich seinen Namen im Wiener Telefonbuch. Er hieß Hubert Leitner.

Wie kommt es, dass Sie sich an den Namen erinnern?

Weil er der Gemeinste von allen war. Ein miserabler Schüler mit einem Idioten von Vater. Auch in Österreich waren Polizisten nicht die hellsten Zeitgenossen. Hubert schrie am lautesten, aber er wagte nicht zuzuschlagen. Er hetzte die anderen gegen mich auf. Als ich nach 14 Tagen wieder zu Kräften kam, ließ mich meine Mutter nicht mehr zur Schule gehen. Zu groß war ihre Angst.

Ich hatte einen Verwandten, der die Schule gerade beendete. Er war zehn Jahre älter als ich. Eines Tages war er verschwunden. Seine Mutter rief bei uns an, und Mama beruhigte sie und sagte: »Mach dir keine Sorgen.« Sechs Wochen später kam der junge Mann völlig zerschunden nach Hause. Er war grün und blau geschlagen, seine Augen waren blutunterlaufen, und er stammelte wirres Zeug – er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Was ihm in Buchenwald widerfahren war, konnte oder wollte er nicht erzählen. Zu jener Zeit wurden junge Juden ins Konzentrationslager verschleppt, doch statt sie umzubringen, schickte man sie nach einer Weile zurück, damit sie ihren Angehörigen einen Schrecken einjagten. Die Deutschen wollten, dass die Juden auswanderten, aber die Juden konnten sich nicht dazu entschließen.

Zu dieser Zeit hatte mein Vater in Deutschland zu tun. Als er es dort nicht mehr aushielt, telefonierte er mit Mama. Ich erinnere mich, das sie zu ihm sagte: »Komm nicht! Es ist nicht gut hier.« Damals begann er, sich umzuschauen, wohin er uns bringen konnte. Eines Tages hatten Polizisten vor unserer Tür gestanden und uns mitgeteilt, dass wir die Wohnung binnen 14 Tagen verlassen müssten. Wir wussten nicht, wohin wir gehen sollten. Zunächst zogen wir in eine Pension, die nur noch Juden beherbergen durfte, und ich besuchte eine Judenschule. Erst die Nazis haben mich gelehrt, Jude zu sein.

Was den Menschen am meisten erniedrigt, sind nicht Schläge, sondern die Verachtung, mit der man ihm überall begegnet. Beim Fleischer oder beim Arzt sahen alle auf dich herab. Wenn irgendwo eine Schlange war, musstest du jeden vorlassen. Leute, die nach dir kamen, reihten sich wie selbstverständlich vor dir ein. Es sind diese kleinen Dinge, die an einem nagen. Man sah Juden, die gezwungen wurden, den Bürgersteig oder die Straße vor ihrem Laden zu schrubben. An ihrem Schaufenster prangte die Aufschrift »Juden«. Und im Café stand: »Für Hunde und Juden ist der Zutritt verboten!« Ständig und überall warst du der Untermensch. Das erinnert mich an die Situation hier in Israel.

Es ist anders und doch gleich. Die Araber werden wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Und ich spreche nicht von den Arabern in den besetzten Gebieten, sondern von den israelischen Arabern, einem Viertel unserer Bevölkerung! Araber in Israel zu sein, ist nicht dasselbe wie Katholik in England, obwohl beide einer Minderheit angehören. Wenn ich wählen müsste, wollte ich nicht israelischer Araber sein, ebenso wenig wie Jude in Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg. Beides lässt sich nur schwer vergleichen, aber es gibt Gemeinsamkeiten. Und ich konnte Österreich noch verlassen, ehe die Probleme wirklich begannen …

Im März 1939 sind wir nach Italien gegangen. Währenddessen trieb mein Vater mithilfe eines Freundes in Tel Aviv Geld auf für das, was man damals »Zertifikat« nannte, also das britische Einreisevisum für Palästina. Als er im August das ersehnte Dokument erhielt, kam er nach Italien und holte uns. Unser Schiff lief in Haifa ein, als in Europa der Zweite Weltkrieg begann. Es war der erste September 1939.

Papa hatte für uns ein Zimmer in der Ben-Jehuda-Straße gemietet. Tel Aviv war wie ein fremder Kontinent. Ich verstand kein Wort, doch meine Eltern sagten: »Sprache hin oder her – erst mal gehst du zur Schule.« Sie schickten mich ins Schalwa-Gymnasium im Norden der Stadt. Es hieß, dass alle deutschen Kinder dorthin gingen. Und tatsächlich hatte ich im Schalwa-Gymnasium einige Mitschüler, die ein Gemisch aus Hebräisch und Deutsch sprachen, aber mit ihnen freundete ich mich nicht an. Lieber paukte ich Abend für Abend mit meiner Nachhilfelehrerin. Es dauerte ein Jahr, bis ich endlich Hebräisch zu sprechen begann. Denn wenn du in Israel einen Fehler machst, fallen alle über dich her. In Englisch war ich ein guter Schüler, während meine Kameraden kein Gefühl für die Sprache entwickelten. Das Gleiche galt für Erdkunde und Mathematik. Wo man kein Hebräisch brauchte, bekam ich gute Noten. Doch am Ende der fünften Klasse war es so weit: Eines Tages machte ich den Mund auf, als ich mit den anderen Völkerball spielen wollte. Von da an sprach ich Hebräisch ohne Hemmungen.

Ich akklimatisierte mich schnell, und als meine Eltern am Ende des Krieges nach Österreich zurückkehren wollten, weigerte ich mich. Ich hatte bereits Wurzeln geschlagen und sagte: »Wenn ihr zurückgehen wollt, geht! Ich komme nicht mit.« Da sagte Mama: »Wenn er hier bleiben will, bleibe ich auch«, und Papa musste sich fügen. Es ist meine Schuld, dass er Österreich niemals wiedersah. Mein Vater sprach bis zu seinem Tod kein Hebräisch. Er konnte es weder lesen noch...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bericht • Besatzung • Besatzungspolitik • Chef • Dokumentarfilm • Dokumentation • Dror Moreh • Film-Dokumentation • Geheimdienst • Geheimdienst-Chef • Interviews • Israel • israelischer Geheimdienst • Israel-Palästina-Politik • Kampf • Konflikt • Krieg • Moral • Naher Osten • Nahost-Konflikt • Palästina • Politik • Schin Bet • The Gatekeepers • The Gatekeepers - Töte zuerst • Töte zuerst
ISBN-10 3-462-30730-4 / 3462307304
ISBN-13 978-3-462-30730-6 / 9783462307306
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