Anpacken und Tee trinken (eBook)
224 Seiten
Junfermann (Verlag)
978-3-7495-0591-3 (ISBN)
Sarah Schöllhammer, Prof. Dr., ist Professorin für Innovation und Entrepreneurship an der Hochschule Ansbach. Wie das Neue entsteht oder verhindert wird, weiß Sarah Schöllhammer aus eigener Erfahrung: aus der angewandten Forschung und Beratung bei Fraunhofer und der Universität Stuttgart sowie als Innovationsmanagerin und Projektleiterin in der Automobilindustrie.
1. Wie Innovationen unsere Welt verändern
„Hin und wieder verwandeln sich eine neue Technologie, ein altes Problem und eine große Idee in eine Innovation.“
Dean Kamen, US-amerikanischer Unternehmer und Erfinder (*1951)
1.1 Von Weltneuheiten und Erleichterungen des Alltags
Nur sieben Brote zur Auswahl, dafür in bester handwerklicher Qualität; kein Kuchen, keine Brötchen, keine Schnäppchen. Weil es das in seiner Würzburger Heimat noch nicht gibt, eröffnet Sebastian Düll seine eigene Bäckerei, „ganz weit weg von der heutigen schnelllebigen Zeit“, wie er sagt. Sein Brot setzt sich ab vom gängigen „mehr, schneller, billiger“ der Branche und ist gerade dadurch etwas Besonderes und steht bei Brotliebhabern hoch im Kurs. Auch sonst bricht das Konzept mit den gängigen Konventionen: Geöffnet ist erst ab zehn Uhr, damit die Angestellten „lebensfreundlich“ um halb sieben mit der Arbeit beginnen können, anstatt wie üblich schon um zwei oder drei Uhr früh übermüdet in der Backstube zu stehen. Das geht, weil der Brotteig so lange ruht. Am Sonntag und Montag bleibt der Laden zu. Der verwunderten Kundschaft erklärt Sebastian Düll augenzwinkernd, die Öffnungszeiten habe er vom Vormieter des Ladens, einem Friseur, übernommen. Dabei ist das eine kreative Lösung für mehr Work-Life-Balance in Zeiten, wo Fachkräfte vielerorts Mangelware sind. Ein weiterer Vorteil: Im Schaufenster können die Kunden live beobachten, wie ihr Brot hergestellt wird und warum es den Preis wert ist.1 Obwohl zahlreiche Banken sein Konzept kritisch gesehen hatten, hat der Bäckermeister seinen Traum in die Tat umgesetzt. Nicht nur zentrale Probleme der Branche hat er erkannt, Sebastian Düll beweist auch Mut, mit Konventionen zu brechen, und schafft eine neuartige Lösung mit Mehrwert für Mitarbeitende und Kundschaft. Wenn das mal keine innovative Lösung ist! …
Welche Gedanken hast du, wenn du das Wort „Innovation“ hörst? Vielleicht denkst du an das erste Automobil, die Dampfmaschine, das Fließband, Mondraketen oder das Internet. Den Jüngeren kommt womöglich eher das erste iPhone oder ChatGPT in den Kopf. In jedem Fall revolutionäre, bahnbrechende und schillernde Neuerungen! Bei der riesigen Fülle menschlicher Erfindungen und Entdeckungen hat sicher jeder von uns persönliche Favoriten, die uns in ehrfürchtiges Staunen versetzen.
Mit der Frage, ob nun die Schrift oder doch das Flugzeug die größere Errungenschaft sei, können wir treffsicher einen Streit in der Familie oder am Stammtisch anzetteln. Obwohl es sehr schwierig ist, „Innovation“ objektiv zu bewerten, haben zwölf Experten rund um Leslie Berlin eine Liste der 50 größten Innovationen der Menschheitsgeschichte seit der Erfindung des Rads erstellt. Anhand einer Reihe von Kriterien bewerteten sie, welche Entdeckungen und Erfindungen den menschlichen Fortschritt am meisten vorangebracht und unser Leben maßgeblich verbessert haben.2 Unter den Top 10:
- Die Druckerpresse durchbrach das Wissen-ist-Macht-Monopol der Kirche, ermöglichte Bildung für alle und beschleunigte die Verbreitung neuer Ideen.
- Strom beleuchtet unsere Häuser, betreibt alle möglichen Gerätschaften – in Kliniken, Industrieproduktionen, zu Hause.
- Penicillin: Vor seiner Entdeckung konnte ein Schnitt in den Finger den Tod bedeuten. Dank des Schimmelpilzes Penicillium, dessen Gift Bakterien den Garaus macht, wurden zahlreiche gefährliche Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung behandelbar und Millionen Menschenleben gerettet.
Auf den Plätzen 11 bis 50 tummeln sich unter anderem gedrucktes Geld, Wasserklosett, Auto, Flugzeug, PC, Fernsehen und industrielle Stahlherstellung. Über die Reihenfolge der Liste können wir uns streiten. Unbestritten ist, dass es uns dank der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik besser geht als je zuvor. Aus heutiger Sicht nehmen wir viele dieser Durchbrüche als selbstverständlich hin. Machen wir uns also ab und zu bewusst, welch überragende Bedeutung die Erfindungen unserer Vorfahren für unseren heutigen Lebensstandard haben.
Ebenso deutlich wird, dass Innovation keineswegs nur ein Thema der letzten, vor allem digital geprägten Jahrzehnte ist. Wie nützlich wir Online-Dating, TikTok und App-basierte Videosprechstunden mit dem Tierarzt finden, ist dabei eine Frage des Blickwinkels. Innovation liegt auch im Auge des Betrachters.
Was leicht übersehen wird: Spektakuläre Weltneuheiten erhalten viel Aufmerksamkeit, sind aber relativ selten. Auch kleine sinnvolle Verbesserungen machen das Leben leichter. Wer möchte schon in einem Auto mit dem Stand von 1886 herumfahren? Mangels Federung würden wir durchgerüttelt, ohne Navigationssystem würden wir uns ständig verfahren und könnten ohne Scheibenwischer durch die verschmierte Scheibe kaum etwas sehen. Sollten wir gegen einen Baum fahren, wäre das Verletzungsrisiko wenigstens auch ohne Airbag überschaubar, dank der Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h. Auch kleine Innovationen und die schrittweise Verbesserung des Bestehenden dürfen wir also schätzen. Ein weiterer Grund, kleine Fortschritte nicht gering zu schätzen: Serien kleiner Erkenntnisschritte sind die Basis, ohne die große Durchbrüche gar nicht möglich wären.
Was neuen Nutzen bringt, muss nicht immer das Produkt selbst sein. Die entscheidende Veränderung passiert im Hintergrund, das ist auch bei Prozessinnovationen so: Dank Henry Fords Fließbandfertigung wurde die Autoherstellung schneller, günstiger und in Massen möglich, sodass er nicht nur die Preise, sondern auch die Arbeitszeit senken konnte. Zuvor ein unerreichbarer Traum, konnten sich Fabrikarbeiter fortan ein Auto leisten und gewannen sogar mehr Freizeit, um damit Ausflüge zu machen.3
Technische Neuerungen ziehen häufig gesellschaftliche Veränderungen nach sich. Sozialinnovationen zielen sogar direkt darauf ab, gesellschaftliche Probleme zu lösen und Mehrwert für viele zu schaffen.4 Wer krank wird oder den Job verliert, wird finanziell unterstützt, statt den Boden unter den Füßen zu verlieren. Der Erfindung der Sozialversicherung sei Dank, die hierzulande mittlerweile selbstverständlich ist. Weitere Sozialinnovationen sind Mikrokredite für Arme, kostenlose Online-Unis für alle und organisationale Verbesserungen wie agile Methoden, Firmen ohne Chef oder eben Bäcker, die tagsüber backen.
Die Bandbreite neuer und nützlicher Lösungen ist riesig und zeugt vom schier grenzenlosen menschlichen Erfindergeist. Ob naturwissenschaftliche Entdeckungen, technische Erfindungen oder gesellschaftliche Fortschritte – Innovationen lösen Probleme, machen das Leben besser und eröffnen neue Möglichkeiten. Wie genau, dazu mehr in den folgenden Abschnitten.
Zum Nachdenken und Ausprobieren
Was sind deine Top-Drei-Innovationen der Weltgeschichte?
Welche Entdeckung oder Erfindung beeindruckt dich am meisten?
Bei welchen davon kennst du die Hintergründe ihrer Entstehung?
1.1.1 Bekanntes neu kombinieren
„Wir sind gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns zu Hilfe kommt und uns emporhebt.“
Bernhard von Chartres, französischer Philosoph (12. Jahrhundert)
Innovation wird oft voller Ehrfurcht als etwas nie Dagewesenes gesehen, irgendwie magisch, plötzlich entstanden durch göttliche Eingebung oder den Geistesblitz eines kreativen Genies. Das mit der Erleuchtung mag eine gute Story abgeben, ist aber von der Realität ziemlich weit entfernt.5 Die Entstehung des Neuen gleicht vielmehr einer recht chaotischen Reise voller Unwägbarkeiten und Risiken. Deren Initiatoren sind selten kreative Genies und dennoch bewundernswerte Vorbilder. Sich neue und bessere Lösungen auszudenken und umzusetzen ist eine zutiefst menschliche Fähigkeit. Kreativ sein können wir alle, es muss ja nicht immer eine Weltneuheit sein.
Für den Urvater des Innovationsbegriffs, den österreichisch-amerikanischen Ökonomen Joseph Schumpeter, waren Innovationen neuartige Kombinationen verschiedener Elemente, die es schon vorher gegeben hatte, also gar nicht so neu waren.6 Die ersten Automobile waren im Grunde klassische Kutschen, aufgerüstet durch einen Motor. Heute entsteht Agri-Photovoltaik, wo landwirtschaftliche Acker- und Nutzflächen nicht nur zum Anbau von Getreide, Obst und Gemüse, sondern mit Solaranalagen überdacht zusätzlich zur Erzeugung von Strom genutzt werden. Smartphones sind im Grunde Handys mit Internetverbindung und Touchdisplay. Noch grundlegender gesehen wären sie nicht möglich ohne die vorherige Erfindung von Plastik, Strom, Batteriespeicher, Ladetechnik, menschlicher Sprache, Programmiersprache, Signalübertragung und vielem mehr.
Statt aus einer punktuellen großen Erleuchtung entstehen Innovationen meist aus vielen kleinen Erkenntnissen zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Erfinder, die sich über die Zeit ansammeln, entmystifiziert Scott Berkun, Dozent für Kreatives Denken an der Universität Washington: „Jede größere Innovation oder Erkenntnis kann auf diese Weise betrachtet werden: Es ist einfach das letzte Teil eines komplexen Puzzles, das an seinen Platz gesetzt wird.“7 Mit dem wesentlichen...
Erscheint lt. Verlag | 7.11.2024 |
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Verlagsort | Paderborn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Schlagworte | Angst vor Neuem • Buddhismus • Entwicklung • Gelassenheit • Innovationen • KI • Kreativität • Künstliche Intelligenz • Lebensgestaltung • Mut • Persönliches Wachstum • Positive Psychologie • Wertewandel • Zukunftsgestaltung |
ISBN-10 | 3-7495-0591-8 / 3749505918 |
ISBN-13 | 978-3-7495-0591-3 / 9783749505913 |
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