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Georgine - Der lange Weg zu mir selbst (eBook)

Meine Befreiung als trans Frau nach über 60 Jahren | Eine bewegende Lebensgeschichte, die gesellschaftlich wie politisch alle Menschen ermutigen will, das Leben zu leben, das jeder leben möchte.
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3187-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Georgine - Der lange Weg zu mir selbst -  Georgine Kellermann
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Sie machte als Georg Kellermann beim WDR Karriere, war als Korrespondent in Paris und Washington und wurde schließlich Studioleiter in Bonn, Duisburg und Essen. Und sie führte über vier Jahrzehnte ein Doppelleben, denn privat lebte Georgine Kellermann schon lange als Frau: Sie fuhr in Pumps mit dem Auto bis in die Tiefgarage und war im Büro dann wieder Georg. Das Coming-out plante sie erst für den Tag ihrer Pensionierung. Zu groß war die Angst, man würde über sie lachen und in der Branche nicht mehr ernst nehmen. 2019, auf dem Weg in die USA, hat sie von einer Minute auf die andere Schluss gemacht mit dem Versteckspiel. Sie outete sich als Frau. Als trans Frau. Seitdem kämpft sie für mehr Toleranz, Sichtbarkeit und Normalität in unserer Gesellschaft. Georgine Kellermanns Buch ist nicht nur die Geschichte ihres persönlichen und bewegenden Lebenswegs, sondern auch eine Ermutigung für alle, das Leben zu führen, das sie wirklich leben möchten.     

Georgine Kellemann, geb. 1957 in Ratingen als Georg Kellermann, schrieb bereits vor dem Abitur für die Lokalredaktion Ratingen der Rheinischen Post. 1983, kurz nach Start des WDR-Abendmagazins Aktuelle Stunde, bewarb Kellermann sich dort und wurde Regionalkorrespondentin für Duisburg und den Niederrhein. Sie wurde 1992 Redakteurin des ebenfalls gerade gestarteten ARD-Morgenmagazins und berichtete als Korrespondentin aus Washington und Paris. 1997 folgte der Umzug nach Washington, um von dort zusammen mit Claus Kleber, Tom Buhrow und Sabine Reifenberg als Korrespondenten für die ARD zu berichten. 2002 ging Kellermann für fünf Jahre als ARD-Korrespondentin nach Paris, führte dann ab 2006 das ARD-Studio in Bonn und wurde am 2. Juni 2014 Studioleiterin des WDR-Studios in Duisburg. Am 1. Juni 2019 übernahm Kellermann die Leitung des WDR-Studios in Essen.

Georgine Kellemann, geb. 1957 in Ratingen als Georg Kellermann, schrieb bereits vor dem Abitur für die Lokalredaktion Ratingen der Rheinischen Post. 1983, kurz nach Start des WDR-Abendmagazins Aktuelle Stunde, bewarb Kellermann sich dort und wurde Regionalkorrespondentin für Duisburg und den Niederrhein. Sie wurde 1992 Redakteurin des ebenfalls gerade gestarteten ARD-Morgenmagazins und berichtete als Korrespondentin aus Washington und Paris. 1997 folgte der Umzug nach Washington, um von dort zusammen mit Claus Kleber, Tom Buhrow und Sabine Reifenberg als Korrespondenten für die ARD zu berichten. 2002 ging Kellermann für fünf Jahre als ARD-Korrespondentin nach Paris, führte dann ab 2006 das ARD-Studio in Bonn und wurde am 2. Juni 2014 Studioleiterin des WDR-Studios in Duisburg. Am 1. Juni 2019 übernahm Kellermann die Leitung des WDR-Studios in Essen.

Im Spiegelbild wird die Lüge zur Wahrheit


Der Spiegel ist alt. Aber das sieht man ihm nicht sofort an. Der Rahmen, goldfarben und reich verziert. Das Spiegelglas hat keine stumpfen Stellen. Es sieht aus, als sei es erst vor Kurzem in den alten Rahmen eingefügt worden. Es ist ein Spiegel aus der Gründerzeit, der im Gutshaus Mahlsdorf im Osten Berlins hängt, besser bekannt als das Gründerzeit-Museum. Charlotte von Mahlsdorf, die das Museum aufgebaut hat, rettete den Spiegel von irgendeinem Berliner Dachboden oder aus den Trümmern eines zerstörten Hauses und fügte ihn in ihre einzigartige Sammlung von Dingen ein, die alle aus den Jahren zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg stammen.

Ich habe gerade eine Führung durch dieses wunderschöne Museum hinter mir. Monika Schulz-Pusch, die Leiterin und eine enge Freundin der inzwischen verstorbenen Charlotte von Mahlsdorf, hat mir alles gezeigt. Jetzt stehe ich allein im Salon im Erdgeschoss, durch dessen große Fenster ich in den kleinen Park des ehemaligen Gutshauses schauen kann. Monika steht vor dem Salon in der Diele. Ich höre sie telefonieren.

Zwischen zwei Fenstern, die bis zum Boden reichen, hängt der Spiegel, in dem ich mich betrachte.

Ich sehe eine Frau.Eine glückliche Frau.Ihre Augen strahlen mich an.Ich sehe mich.Wie ich wirklich bin.

Das war dreiundsechzig Jahre lang nicht so. Lange gab es diese Frau im Spiegel nur im Verborgenen. Im Privaten. Und auch dort erst, nachdem sie aus ihrem Elternhaus ausgezogen war. Bis dahin war es ein langer Weg. Da war zunächst das Unverständnis der Eltern. Geprägt vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem sie selbst groß geworden waren.

In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts war das Wort queer noch gar nicht geläufig. Damals waren sexuelle Identitäten, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprachen, etwas Abartiges, oft sogar Kriminelles. Die Zeit des Nationalsozialismus war erst seit zwanzig Jahren vorbei, und auch wenn die Gesellschaft der Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschworen hatte: Viele der schrecklichen Gesetze blieben in Kraft. Und viele der alten Nazis saßen immer noch in Schlüsselpositionen. Sie bestimmten auch nach dem Ende der Hitler-Zeit in Deutschland, was gesellschaftlich konform war und was nicht.

Homosexualität wurde seit der Kaiserzeit gesetzlich verfolgt. Den Paragrafen 175 – der sogenannte Schwulen-Paragraf – verschärften die Nationalsozialisten 1935 noch einmal. Männer, die sich liebten, landeten im Gefängnis – später in den Konzentrationslagern. Lesbischen Frauen drohte dasselbe Schicksal.

Und wie ging es trans* Personen im Dritten Reich? Es gab zwar keine expliziten Gesetze, die sie in den Fokus nahmen. Auch den Begriff »trans« gab es damals noch nicht, trans* Frauen wurden »Transvestiten« genannt. Das bedeutete aber nicht, dass sie von den Nationalsozialisten verschont blieben, schildert etwa der Historiker Bodie A. Ashton von der Universität Erfurt. Wer von der Geschlechtsnorm abwich, der konnte verfolgt und eingesperrt – manchmal auch ermordet – werden. Trans* Frauen wurden oft wie Homosexuelle behandelt.

Zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus schilderte die Medizinerin und Historikerin Livia Prüll – die sich selbst als transident bezeichnet – sehr eindrücklich, wie queere Menschen verfolgt und ermordet wurden. So galten trans* Frauen, die sich zu Männern hingezogen fühlten, als schwul. »Trans* Frauen, die keinen Sex mit Männern haben wollten, aber die sich irgendwie auffällig verhielten in der Öffentlichkeit, die sich so benahmen, dass sie als ›asozial‹ eingestuft wurden. Auch das konnte töten, konnte zur Todesfalle werden«, berichtete sie in ihrem Vortrag beim Queernet Rheinland Pfalz im Januar 2020.

Die Diskriminierung queerer Menschen ging auch nach dem Ende des Nationalsozialismus weiter. Der Schwulenparagraf blieb im Deutschland der Nachkriegszeit Gesetz. Unter dem Begriff »schwul« wurde jahrzehntelang eigentlich all das zusammengefasst, was wir heute queer nennen. Die Gemeinschaft der LGBTQI+.

In dieser verklemmten Gesellschaft wurde ich groß. Als Georg. Eigentlich war ich von der ersten Sekunde meines Lebens an Georgine. Das ahnte ich anfangs, wusste es aber nicht. Ich durfte gar nicht wissen, dass ich nicht so war, wie die gesellschaftlichen Konventionen es von einem heranwachsenden Jungen erwarteten. Ich glaube im Rückblick, dass ich mir selbst nicht erlaubte, ich zu sein, weil es damals gar nicht möglich gewesen wäre. Meine Eltern wurden nie mit Geschichten von Menschen konfrontiert, die waren wie ich.

Selbst als ich von meiner Familie in der Kleidung meiner Mutter erwischt wurde, machte sich niemand bewusst, dass in dieser Wohnung eine zweite Tochter heranwuchs. Und dass diese sich in der Hülle, in die sie hineingeboren worden war, nicht zu Hause fühlte. Wie auch? Ich mache niemandem einen Vorwurf. Wie sollten meine Eltern etwas begreifen, das doch nie zuvor ein Thema war? Was damals nicht besprochen wurde, gab es nicht.

Kindergarten, Volksschule, Hauptschule, Gymnasium – auch dort waren von der Norm abweichende sexuelle Identitäten kein Thema. Und wenn, dann als Schimpfwort. »Der ist schwul« – dieser Satz wird unter vielen Schüler:innen selbst heute noch benutzt, um Menschen abzuwerten. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war das gang und gäbe. Da wurde lauthals über Homosexuelle gelacht. Sie wurden verfolgt und bestraft.

Ich hatte als Kind häufig sehr große Angst, dass ich früh sterben könnte. Angst vor einer schrecklichen Krankheit. Diese wurde manchmal so übermächtig, dass sie mir den Hals zuschnürte. Panik ergriff mich, die ich nur schwer in den Griff bekam. Mit der Zeit entwickelte ich aber eine Art Abwehrmechanismus. Wenn die ersten Gedanken an den Tod kamen, aktivierte ich diesen. Ich verbot mir einfach, daran zu denken. Und mit der Zeit kam mein Denken gar nicht mehr so nah an die Panik heran, dass sie sich bemerkbar machen konnte. Ich glaube heute, dass mir dieser Abwehrmechanismus half, auch mit meinem wahren Ich umzugehen. Den Wunsch, endlich die zu werden, die ich eigentlich war, unterdrückte ich mit meiner ganzen Kraft. Der Wunsch war immer da. Das wusste ich. Ich durfte ihm nur keinen Raum geben. Dann konnte Georg mit seiner Rolle ganz gut leben.

Auch wenn trans* Menschen in meiner Kindheit und Jugend noch im Verborgenen lebten, machten die ersten Geschichten von Menschen die Runde, die es in ihrer Hülle nicht mehr aushielten, die ihre Seele auch nach außen kehren wollten. Aber die wurden damals noch als »Paradiesvögel« angesehen, deren Geschichten mit Vergnügen vor allem von billigen Magazinen und der Boulevardpresse ausgeweidet wurden. Sie galten als halbseidene Lebensentwürfe, die niemand so richtig ernst nahm. Und wenn man im Rheinland mit dem Satz »Jeder Jeck ist anders« Toleranz meinte, dann hieß das noch lange nicht, dass man mit jemandem, der anders war, näher zu tun haben wollte.

Anfang der Siebzigerjahre spürte ich immer deutlicher, dass auch ich in der falschen Hülle lebte. Die geschlechtsangleichenden Operationen wurden damals noch fälschlich als »Geschlechtsumwandlungen« bezeichnet. Den Begriff Geschlechtsangleichung kannte man noch nicht. Heute ist das korrigiert – auch, dass nicht nur die biologischen Merkmale einen Menschen ausmachen. Die Wissenschaft ist sich in großen Teilen längst einig, dass das Geschlecht vor allem im Gehirn zu Hause ist, und es nicht nur »Mann« und »Frau« gibt: Die beiden sind die Pole, und dazwischen gibt es eine lange Kette verschiedenster Identitäten. Jeder Mensch entscheidet selbst, wo er sich sieht. Wer ich bin, das weiß ich selbst am besten. Ich wäre froh gewesen, wenn die Gesellschaft in meiner Jugend schon so weit gewesen wäre.

Die ersten Bücher zu diesem Thema fand ich damals in den Regalen der Büchereien. Ich verschlang sie und besorgte mir chirurgische Fachzeitschriften, in denen die Operationen rund um die Geschlechtsangleichung beschrieben wurden. Ich sah darin eine Chance auch für mich. Ich war gerade einmal 20 Jahre alt und hatte das ganze Leben noch vor mir. Die Hülle mit der Seele in Einklang zu bringen, das war in dieser Zeit mein dringendstes Bedürfnis. Bis heute werde ich immer wieder gefragt, ob ich das noch angehen möchte, mir eine Operation vorstellen könnte. Die Antwort darauf fällt mir immer noch nicht leicht. Wenn ich mit dem Finger schnippen könnte, dann wäre alles von jetzt auf gleich anders. Dann wäre ich auch äußerlich die, die ich im Innersten bin. Niemand würde mir meine Vergangenheit mehr ansehen. In meinen Träumen habe ich das immer und immer wieder erlebt. Nur Träume ersetzen leider keine Skalpelle. Ich bin dem Ende meines Lebens näher als dem Anfang und habe grundsätzlich Angst vor chirurgischen Eingriffen, weil ich mich frage, was alles schiefgehen könnte. Daher werde ich mich nicht mehr einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen. Diese Antwort fällt mir sehr schwer, weil ich mir natürlich etwas anderes wünsche. Aber ich glaube, dass diese Entscheidung für mich die richtige ist. Diese ist auch unabhängig davon, dass das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren entschieden hat, dass für die Personenstandsänderung geschlechtsangleichende Maßnahmen nicht...

Erscheint lt. Verlag 30.5.2024
Zusatzinfo Bildteil, autobiografische Auswahl
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Schlagworte Coming out • Gender • Geschlechtergerechtigkeit • Gleichberechtigung • Journalist • LGBTQ • Männerrolle • outen • Toleranz • Trans • Trans Frau • WDR
ISBN-10 3-8437-3187-X / 384373187X
ISBN-13 978-3-8437-3187-4 / 9783843731874
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