Heilen mit den Händen (eBook)
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00856-4 (ISBN)
Karsten Richter ist Osteopath, Physiotherapeut und Heilpraktiker, hat ein Diplom in Osteopathie sowie einen Master of Science und ist ausgebildet in Chinesischer Medizin. Er betreibt eine Praxis für Osteopathie, Physiotherapie und Naturheilkunde in Berlin. Und er ist Dozent am Sutherland College und der Schule für Osteopathie in Berlin sowie am Littlejohn College in Hannover und dem European College in Hamburg.
Karsten Richter ist Osteopath, Physiotherapeut und Heilpraktiker, hat ein Diplom in Osteopathie sowie einen Master of Science und ist ausgebildet in Chinesischer Medizin. Er betreibt eine Praxis für Osteopathie, Physiotherapie und Naturheilkunde in Berlin. Und er ist Dozent am Sutherland College und der Schule für Osteopathie in Berlin sowie am Littlejohn College in Hannover und dem European College in Hamburg. Nataly Bleuel hat als (Wissenschafts-)Journalistin für DIE ZEIT u.a. preisgekrönte Reportagen und Bücher über Gesundheit geschrieben und arbeitet auch auf Grundlage der Narrativen Expositionstherapie in ihrer Heilpraxis für Psychotherapie in Berlin.
Am Anfang
Als ich zum ersten Mal einem Osteopathen begegnete, es war vor dreißig Jahren während meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten, dachte ich: Ist ja verrückt – was macht der Typ denn da? Der Mann, sportliche Figur und Dreitagebart, ohne weißen Kittel, hatte einen von uns Schülern vor sich auf der Liege und zeichnete ihm auf gleicher Höhe zwei Striche auf die Unterschenkel. Dann ließ er eines der Beine des Versuchspatienten länger werden und dann wieder kürzer. Man konnte es eindeutig sehen, dafür hätte man gar keine Striche gebraucht: Bein länger, Bein kürzer. Ich sah genau zu, der Osteopath benutzte nur seine Hände, keine Werkzeuge, und seine Bewegungen sahen relativ sanft aus. Ich war verblüfft: Wie funktionierte das? Konnte dieser Carsten etwa zaubern? Was sollte das sein, «Osteopathie»?
Der Mann hieß wirklich Carsten, so wie ich, nur mit C. Carsten Dittberner war eigentlich unser Orthopädielehrer und hatte die Osteopathie aus dem Westen über Belgien und Köln nach Berlin an unsere Schule gebracht. Er war ein beeindruckender Mensch, ebenso zupackend wie feinfühlig und ein bisschen anarchisch, und er schien tausend Geheimnisse zu bergen und tausendfaches Wissen. Oft schaute er uns mit einem mitleidigen Lächeln an, so als hätten wir alle von nichts eine Ahnung. Er sagte Sätze wie: Bei diesem Rückenschmerz hier im Lendenwirbelsäulenbereich müsst ihr die Blase mobilisieren. Wenn du den Rücken hier oben behandeln willst, musst du den Kopf anfassen. Und da müssen wir die Füße palpieren, wenn wir die Kopfschmerzen beseitigen wollen.
Mir erschien das zunächst völlig irre. In der Nacht, nachdem ich Carsten bei seiner Arbeit beobachtet hatte, lag ich noch lange wach und blätterte in einem Ordner, den ich mir von einer älteren Mitschülerin geschnappt hatte, wie in einem Zauberbuch. Was über diese Osteopathie zu lesen war, ging weit über das hinaus, was wir bislang über Anatomie und Physiologie gelernt hatten. Hier wurden Probleme nicht allein aus orthopädischer Sicht der Knochen und Muskeln betrachtet, sondern es wurde auch das Organsystem miteinbezogen.
In den nächsten Wochen lernte ich die Methoden der Osteopathie immer besser kennen. Carsten schien mir viel genauer hinzuschauen, als ich es bei meinen Ausbildern bisher erlebt hatte. Er zeigte uns beispielsweise bei einer Untersuchung an einem Patienten, dass im Hüftbereich der Hüftkopf in einer Pfanne sitzt und dass diese von einer knorpeligen Lippe umgeben ist, die ihn noch fester umschließt. Er erklärte weiter, dass das Ganze in eine Gelenkkapsel eingepackt ist wie in einen Ballon und dass sich dort Bänder ausdifferenzieren, die Bewegungen freigeben oder einschränken können, und zwar anhand unterschiedlicher Bandverläufe, die dann auch neurologisch und arteriell versorgt werden. Er zeigte uns muskuläre Zusammenhänge zum Hüftbeuger und Hüftstrecker – und zur Niere. Die nämlich müsse auf diesem Hüftbeuger, dem Psoasmuskel, entlanggleiten bei der Atmung; das bedeutet, sie bewegt sich bei jedem Atemzug drei Zentimeter hoch und wieder runter. Wenn die Niere das in ihrem faszialen Strumpf, so nenne ich das jetzt mal, nicht kann, weil es in diesem Gebiet vielleicht mal kleine Reizungen gab und infolgedessen Verklebungen existieren zwischen dem Beuger und der Niere, dann gibt es – gleich sind wir bei der Ursache dieser Hüftschmerzen – eine Dauerspannung dieses Psoasmuskels. Und ebendiesen versucht ein Osteopath wie Carsten zu dekontrahieren. Also durch Dehnungsübungen zu entspannen.
Wir begannen also zu begreifen, dass alles irgendwie zusammenhängt. Und ich fand alles daran faszinierend, weil dieser Ansatz so sehr auf Details achtete. Weil Osteopathen so wahnsinnig genau untersuchten, nur mit Einsatz des Kopfes und der Hände, immer weiter, nach Ursachen für die SCHMERZEN forschend und tastend, geradezu detektivisch. Und dann aber auch sofort behandelten, auch wieder bloß mit ihren Händen, mit Wissen und Gefühl.
Zu jener Zeit befand ich mich selbst noch ziemlich auf der Suche. Anfang der Neunziger begann ich meine Ausbildung, die damals noch Krankengymnastik hieß, als würde man dabei in erster Linie in einer Turnhalle herumhüpfen. Nach der Schule und dem Zivildienst in einem Altenheim hatte ich in Bielefeld in einer Gerberei gearbeitet. Danach reiste ich nach Indien und dann für ein halbes Jahr nach China. Das war im Jahr 1989, und ich kam nach Peking, als die Menschen gerade auf dem Tiananmen-Platz demonstrierten. China hatte mich immer angezogen, da wollte ich hin, seit ich als kleiner Junge zum ersten Mal Kung Fu gesehen hatte. Natürlich fand ich die Kampfkunst toll, aber noch mehr begeisterten mich schon damals die Weisheiten des alten Meisters. Sätze wie: «Das beste Schwert ist eines, das in der Scheide bleibt.» Es bedeutet, dass der beste Krieger einer ist, der nicht kämpfen muss – sondern kraft seiner Haltung, Weisheit, Kommunikation und seines umsichtigen Handelns Gewalt vermeiden kann. Das gefiel mir, und durch diese amerikanische Serie, nach einem Drehbuch von Bruce Lee, wurde damals auch bei vielen anderen das Interesse des Westens an der Philosophie aus dem Fernen Osten geweckt.
Ein wenig später begann ich mit Yoga. Das kommt zwar aus Indien, berührte mich aber ebenso stark wie Kung Fu. Ich war darauf gekommen, als ich ein Buch aus dem Regal eines älteren Freundes zog. Es hieß Yoga für den Menschen von heute und war von 1968, mittlerweile ist es ein Klassiker. Darin fand ich ein Kapitel über den Atem, in dem zu lesen war, dass der Atem uns Kraft und Richtung geben kann. Diese Atemübungen kamen zwar praktisch rüber, schienen aber mehr Tiefe zu haben als unsere klassischen Sportübungen. Es klingt verrückt, aber mir wurde beim Lesen dieses Atem-Kapitels als Jugendlicher mit einem Schlag klar, dass ich durch solche Techniken mein Leben viel mehr selbst in die Hand nehmen konnte, dass ich nicht Opfer meiner nicht ganz einfachen Lebensumstände sein musste.
Und so landete ich schließlich in der Volkshochschule Wilhelmshaven, das war im Jahr 1986. Ein Kinderarzt hatte dort am Schwarzen Brett Kurse in «Zen-Meditation» angeboten. Von so etwas hatte ich bereits in einem Buch gelesen, das auf mich in einigen Passagen ziemlich durchgeknallt gewirkt hatte. Es hieß Der Meister, die Mönche und ich und handelte von einer Deutschen und ihrem Weg zum Buddhismus und zur Meditation. Interessant fand ich das Thema allerdings schon, und deshalb spazierte ich in Wilhelmshaven, wohin ich nach dem Zivildienst gezogen war, zu diesem Volkshochschulkurs, ging bei der ersten Sitzung direkt auf den Meister zu und fragte ihn: Wie lang dauert’s denn, bis ich erleuchtet bin? Ich meinte das ernst, ich war 18. Er brach in lautes Lachen aus. Das war natürlich nicht schön. Aber ich ließ mich nicht abhalten und praktiziere seither ZEN, eine sehr körperliche Form der Meditation.
Ein weiteres Buch, das mich in jener Zeit tief beeindruckte, waren die Fall-Geschichten des Neurologen Oliver Sacks. In Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, erzählt Sacks so mitfühlend und zugleich unterhaltsam von seinen vielen Patienten und Fällen, dass ich sein komplexes Fach auch als Laie zu verstehen beginnen konnte.
In gewisser Weise habe ich mich also schon zu Jugendzeiten für Medizin interessiert, für den Menschen und seine Gesundheit. Wie funktioniert unser Körper? Wie geht es dem Geist darin? Was bedeutet Bewegung? Was macht uns krank, was hält uns gesund? Ich sog alles auf, was mir begegnete: Kung Fu, Yoga, Aikido, Qi Gong, chinesische Medizin, unsere klassischen, westlichen Heilmethoden und ihre entsprechenden Philosophien – und schließlich die Osteopathie.
Viele Leute hierzulande glauben, die Osteopathie käme aus Asien. Dabei ist sie sozusagen aus den USA nach Europa eingewandert, aber dazu später mehr. Ich selbst kam jedoch tatsächlich über China zunächst zur Physiotherapie, auch weil ich auf meinen Reisen dort so viele nette Physiotherapeuten kennengelernt hatte. Aus Wissensdurst und vielleicht auch aus einem Gefühl von Ohnmacht heraus war ich fest entschlossen, dieses Handwerk ebenfalls zu erlernen. Denn ich kann mich noch gut an die Angst erinnern, die ich als kleiner Junge empfand, als ich einige Male im Krankenhaus liegen musste, einmal drei Wochen lang mit einem fixierten, gebrochenen Arm. Dieses Gefühl der Ahnungslosigkeit. Von Kontrollverlust. Von der Verunsicherung durch eine undurchsichtige Medizin-Maschinerie, in die man hineingezogen wird und in der man nicht alles sofort versteht: Was machen die hier mit mir? Warum erklären sie mir denn nichts? Wie komme ich hier schnell wieder raus?
Als Patient fühlt man sich oft mit seinen Fragen allein gelassen. Mir ist das Gespräch auf Augenhöhe wichtig, als Patient und als Osteopath. Ich will etwas über das Leben erfahren, ganz besonders von meinen Patientinnen und Patienten. Und ich möchte ihnen Wissen über ihren Körper vermitteln und ein Gefühl dafür. Denn Wissen ist Selbstermächtigung, und ein mündiger Patient kann auch zu seiner Gesundheit beitragen.
Entgegen meinen ersten Gedanken, als ich Carsten bei seiner Arbeit zusah, ist Osteopathie keineswegs Zauberei, und es liegt ihr auch kein fremdes Glaubenssystem zugrunde, sondern ein humanistisches Körper- und Menschenbild. Trotzdem hört man immer wieder von Menschen, die zwar Hilfe bei der Osteopathie suchen, aber eigentlich gar nicht wissen, was da gemacht wird. Kürzlich erzählte mein Nachbar von seiner Stammtischrunde, in der es oft um die Zipperlein geht, die man so hat. Rücken, Schulter, Knie. Einer der Anwesenden sagte, seine Frau habe ihn zum Osteopathen...
Erscheint lt. Verlag | 23.3.2021 |
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Zusatzinfo | Mit 8 1-farb. Grafiken u. 2 s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Alternative Heilverfahren |
Schlagworte | Alternativmedizin • Faszien • ganzheitliche Medizin • Ganzheitsmedizin • Gesundheit • Gesundheitliche Beschwerden • Komplementärmedizin • Krankheit • Osteopathie • Osteopathische Medizin • Rückenprobleme • Rückenschmerzen • Selbstheilung • Selbstheilungskräfte • Verspannungen |
ISBN-10 | 3-644-00856-6 / 3644008566 |
ISBN-13 | 978-3-644-00856-4 / 9783644008564 |
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