In der Hölle tanzen (eBook)
480 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-25425-4 (ISBN)
Das btb-Hardcover ist unter dem Titel »Ich bin hier, und alles ist jetzt« erschienen.
Dr. Edith Eva Eger ist Psychologin und Therapeutin mit einer Praxis in La Jolla, Kalifornien. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf posttraumatischen Belastungsstörungen. Eger unterrichtet an der University of California, San Diego und ist national und international eine gefragte Rednerin. Sie ist Mutter, Großmutter und Urgroßmutter und lebt in La Jolla.
Vorwort
VON PHILIP ZIMBARDO, PHD
An einem Tag im Frühling bestieg Dr. Edith Eva Eger auf Einladung des Chefpsychiaters der U.S. Marine einen fensterlosen Kampfjet, der sie auf eines der weltgrößten Kriegsschiffe, den vor der kalifornischen Küste liegenden Flugzeugträger USS Nimitz brachte. Der Jet stieß auf eine winzige, nicht einmal zweihundert Meter lange Rollbahn hinunter und landete mit einem Ruck, als sein Fanghaken das Bremsseil erfasste, das verhindert, dass der Jet ins Meer schlittert. Dr. Eger, die einzige Frau auf dem Schiff, wurde zu ihrer Kajüte in der Kabine des Kapitäns begleitet. Was war ihre Mission? Sie war gekommen, um fünftausend jungen Marinesoldaten zu zeigen, wie sie mit den Widrigkeiten, dem Trauma und dem Chaos in Kriegen umgehen.
Bei zahllosen Gelegenheiten war Dr. Eger die klinische Expertin, die hinzugezogen wurde, um Soldaten, darunter auch Sondereinsatzkräfte, zu behandeln, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung und traumatischen Hirnverletzungen leiden. Wie konnte es sein, dass diese sanfte Großmutter so vielen Militärangehörigen half, Heilung von der seelischen Brutalität des Krieges zu finden?
Bevor ich Dr. Eger persönlich traf, rief ich sie an und lud sie ein, einen Gastvortrag in meinem Psychology of Mind Control-Seminar in Stanford zu halten. Angesichts ihres fortgeschrittenen Alters und ihres Akzents hatte ich sie mir als eine Babuschka der alten Welt mit unter dem Kinn gebundenem Kopftuch vorgestellt. Als sie zu meinen Studenten sprach, spürte auch ich ihre heilenden Kräfte. Mit ihrem strahlenden Lächeln, den funkelnden Ohrringen, dem glänzenden, goldblonden Haar, von Kopf bis Fuß in Chanel gekleidet (wie ich später von meiner Frau erfuhr), stand sie auf dem Podium und erzählte von den schrecklichen und grauenhaften Erinnerungen an ihren Überlebenskampf in den Nazi-Todeslagern mit Humor, mit ihrer optimistischen und quirligen Art und mit einer Präsenz und Wärme, die ich nur als reines Licht beschreiben kann.
In Dr. Egers Leben gab es unendlich viele dunkle Phasen. Sie wurde in Auschwitz interniert, als sie noch ein Teenager war. Trotz Folter, Hunger und der ständig drohenden Gefahr der Vernichtung bewahrte sie sich ihre mentale und spirituelle Freiheit. Sie zerbrach nicht an dem Grauen, das sie erlebte; sie ging daraus vielmehr ermutigt und gestärkt hervor. Ihre Weisheit gründet tief in diesen schrecklichsten Episoden ihres Lebens.
Sie kann anderen helfen, Heilung zu finden, denn sie selbst hat den Weg von Trauma zu Triumph zurückgelegt. Sie hat entdeckt, wie sie ihre Erfahrungen mit der menschlichen Grausamkeit nutzen kann, um vielen anderen Menschen Kraft zu geben – angefangen bei Armeeangehörigen, wie jenen an Bord der USS Nimitz, über Paare, die darum kämpfen, ihre Vertrautheit wiederzuerlangen, und jene, die vernachlässigt oder misshandelt wurden, bis hin zu jenen, die an Sucht oder Krankheit leiden. Von jenen, die geliebte Menschen verloren haben, bis hin zu jenen, die die Hoffnung verloren haben. Und uns alle, die wir an den alltäglichen Enttäuschungen und Herausforderungen des Lebens leiden, ermutigt ihre Botschaft, selbst Entscheidungen zu treffen, um uns von unseren Qualen zu befreien – um unser eigenes inneres Licht zu finden.
Als sie ihre Vorlesung beendet hatte, sprangen sämtliche meiner dreihundert Studenten zu einer spontanen Standing Ovation von ihren Sitzen. Danach stürmten mindestens hundert junge Männer und Frauen die kleine Bühne und reihten sich ein, um dieser außergewöhnlichen Frau zu danken und sie zu umarmen. In den vielen Jahrzehnten, die ich nun schon lehre, habe ich noch nie eine so begeisterte Studentengruppe erlebt wie an jenem Tag.
In den zwanzig Jahren, die Edie und ich nun schon zusammen arbeiten und reisen, habe ich gelernt, diese Reaktion von jedem Publikum auf der Welt zu erwarten, vor dem sie spricht. Das gilt für den »runden Tisch für Helden«, dem Hero Round Table in Flint, Michigan, wo wir vor einer Gruppe junger Menschen in einer Stadt sprachen, die mit großer Armut, fünfzig Prozent Arbeitslosigkeit und wachsenden Rassenkonflikten kämpft. Und das gilt auch für Budapest, die Stadt, in der viele von Edies Verwandten ums Leben gekommen sind und wo sie vor Hunderten Menschen sprach und versuchte, auf einer schwer belasteten Vergangenheit wieder aufzubauen. Ich habe es immer wieder erlebt: In Edies Anwesenheit werden die Menschen verwandelt.
Im vorliegenden Buch verwebt Dr. Eger die Geschichten über die Verwandlung ihrer Patienten mit ihrer eigenen, unvergessenen Geschichte als Auschwitz-Überlebende. Während die Geschichte ihres Überlebens genauso packend und dramatisch ist wie alle Berichte, die dazu schon geschrieben wurden, ist es nicht nur ihre Geschichte, die meine Leidenschaft geweckt hat, dieses Buch in der Welt bekannt zu machen. Es ist die Tatsache, dass Edie ihre Erfahrungen dazu benutzt, so vielen Menschen dabei zu helfen, wirkliche Freiheit zu entdecken. Und deshalb ist ihr Buch viel mehr als eine weitere Erinnerung an die Shoah, so wichtig solche Dokumente für die Vergangenheitsbewältigung auch sind. Ihr Ziel ist nichts Geringeres, als uns allen zu helfen, aus den Kerkern unserer eigenen Köpfe auszubrechen. Auf die eine oder andere Art sind wir alle mental gefangen, und Edies Mission ist es, uns zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass wir genauso, wie wir als unsere eigenen Kerkermeister agieren, auch unsere eigenen Befreier sein können.
Wenn Edie jungen Zuhörern vorgestellt wird, nennen die Leute sie oft »die Anne Frank, die nicht gestorben ist«, denn Edie und Anne waren etwa im gleichen Alter und kamen aus ähnlichen Verhältnissen, als sie in die Lager deportiert wurden. Beide junge Frauen bewahrten ihre Unschuld und ihr Mitgefühl, die sie trotz der Grausamkeit und der Verfolgung, die sie erleben mussten, an das grundsätzlich Gute im Menschen glauben ließen. Natürlich hatte Anne Frank, als sie ihr Tagebuch schrieb, das unsägliche Elend in den Lagern noch vor sich, und das macht Edies Erkenntnisse als Überlebende und als Klinikerin (sowie als Urgroßmutter!) besonders bewegend und fesselnd.
Dr. Egers Buch enthüllt sowohl die dunkelste Seite des Bösen als auch die unbeugsame Stärke des menschlichen Geistes im Angesicht des Bösen. Aber es macht auch noch etwas anderes. Am besten lässt sich Edies Buch vielleicht mit einer anderen Erinnerung an die Shoah vergleichen: Mit Viktor Frankls brillantem Klassiker …trotzdem Ja zum Leben sagen. Dr. Eger teilt Frankls Profundität und sein tiefes Wissen über Humanität, fügt dem aber noch die Wärme und Vertrautheit einer langjährigen Klinikärztin hinzu. Viktor Frankl stellt die Psychologie von Gefangenen vor, die mit ihm in Auschwitz waren. Dr. Eger bringt uns die Psychologie der Freiheit nahe.
Im Rahmen meiner eigenen Arbeit habe ich mich ausführlich mit den psychologischen Grundlagen negativer Arten gesellschaftlicher Einflussnahme beschäftigt. Ich wollte die Mechanismen verstehen, aufgrund derer wir uns anpassen und gehorchen und selbst dann in Situationen ausharren, wenn wir Frieden und Gerechtigkeit nur erlangen können, wenn wir einen anderen Weg wählen: wenn wir heldenhaft handeln. Edie hat mir geholfen zu erkennen, dass Heldentum nicht nur das Vorrecht derjenigen ist, die außerordentliche Taten vollbringen oder impulsiv Risiken auf sich nehmen, um sich selbst oder andere zu beschützen – obgleich Edie beides getan hat. Heldentum ist vielmehr eine Geisteshaltung oder ein Akkumulieren unserer persönlichen und sozialen Gewohnheiten. Es ist eine Art zu sein. Und es ist eine besondere Art, uns zu sehen. Um ein Held zu sein, ist es notwendig, an wichtigen Kreuzungspunkten unseres Lebens aktiv den Versuch zu unternehmen, Ungerechtigkeiten zu thematisieren oder einen positiven Wandel auf der Welt herbeizuführen. Um ein Held zu sein, bedarf es großen, moralischen Mutes. Und in jedem von uns wohnt ein Held, der nur darauf wartet, in Aktion zu treten. Wir sind alle »Helden in Ausbildung«. Unsere Ausbildung zum Helden ist das Leben, sind die täglichen Begebenheiten, die es uns ermöglichen, das zu tun, was einen Helden ausmacht: täglich gute Taten vollbringen; Mitgefühl ausstrahlen, was mit Selbstmitgefühl beginnt; das Beste aus anderen und aus uns herausholen; Liebe bewahren, auch in unseren schwierigsten Beziehungen; die Kraft unserer mentalen Freiheit loben und ausüben. Edie ist eine Heldin – und noch mehr als das, denn sie lehrt jeden von uns, zu wachsen und sinnvolle und anhaltende Veränderungen in uns selbst zu bewirken, in unseren Beziehungen und in unserer Welt.
Vor zwei Jahren reisten Edie und ich zusammen nach Budapest, in die Stadt, in der ihre Schwester lebte, als die Nazis begannen, ungarische Juden zusammenzutreiben. Wir besuchten eine jüdische Synagoge, deren Innenhof ein Denkmal für den Holocaust ist, an den Wänden Fotos aus der Zeit vor, während und nach dem Krieg. Wir besuchten das Denkmal »Schuhe am Donauufer« zum Gedenken an die Menschen – darunter auch Familienmitglieder von Edie –, die im Zweiten Weltkrieg von den Militaristen der faschistischen Pfeilkreuzler ermordet wurden: Man hat sie gezwungen, sich ans Ufer zu stellen und die Schuhe auszuziehen. Dann wurden sie erschossen, ihre Körper fielen ins Wasser und wurden von der Strömung davongetragen. Die Vergangenheit war fühlbar an diesem Ort.
Im Lauf des Tages wurde Edie immer stiller. Ich fragte mich, ob es nach dieser emotionalen Reise, die mit Sicherheit schmerzliche Erinnerungen heraufbeschworen hatte, für sie schwierig sein würde, am selben Abend vor sechshundert Zuhörern zu sprechen. Aber als sie auf die Bühne kam, leitete sie ihren Vortrag nicht...
Erscheint lt. Verlag | 14.10.2019 |
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Übersetzer | Liselotte Prugger |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Ich bin hier, und alles ist jetzt |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität | |
Schlagworte | Biografie • Biographien • Budapest • Du entscheidest selbst • eBooks • Geschichte • Glücklich leben • Holocaust • Holocaust-Überlebende • Konzentrationslager • Mengele • Psychologie • Resilienz • Traumatherapie |
ISBN-10 | 3-641-25425-6 / 3641254256 |
ISBN-13 | 978-3-641-25425-4 / 9783641254254 |
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