Geheime Dienste (eBook)
816 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-435-7 (ISBN)
Klaus-Dietmar Henke gibt einen umfassenden Einblick in die illegalen Machenschaften der Organisation Gehlen. Dabei zeigt sich, dass deren kämpferischer Antikommunismus lediglich als Fassade für einen obrigkeitsstaatlichen Antiliberalismus diente, der sich gegen die allmähliche Demokratisierung der jungen Bundesrepublik stellte.
Klaus-Dietmar Henke, Jahrgang 1947, Zeithistoriker; 1979-1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte München, ab 1986 stv. Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; 1992-1996 Abteilungsleiter Bildung und Forschung der Gauck-Behörde in Berlin; 1997-2012 Univ.-Prof. für Zeitgeschichte in Dresden, bis 2002 zugleich Direktor des Hannah-Arendt-Institus für Totalitarismusforschung; 2007-2021 Beiratsvorsitzender der Stiftung Berliner Mauer; 2011-2022 Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND 1945-1968; zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Jahrgang 1947, Studium der Neueren Geschichte und Politikwissenschaft in München,1979 – 92 wiss. Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, 1992 – 96 Leiter der Abt. Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, 1997 – 2001 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 1997 – 2012 Professor für Zeitgeschichte an der TU Dresden, seit 2011 Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND.
Einleitung
Legitime Herrschaft geht oft mit illegitimen und illegalen Praktiken einher. Schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte moderner Demokratien zeigt, dass solche Machenschaften ubiquitär, in einem funktionierenden Gemeinwesen jedoch stets davon bedroht sind, ans Licht zu kommen. Manchmal geschieht das, während die Verantwortlichen im Amt sind, häufig erst danach, manchmal allerdings auch nie. Dann versagt selbst die »nachträgliche Machtkontrolle« der Geschichtswissenschaft (Martin Broszat).
Am geringsten ist die Chance für Aufklärung und Kontrolle dort, wo nach den Buchstaben des Gesetzes, nach allgemeiner Überzeugung oder auch nur im Selbstverständnis der Beteiligten nicht hineingeleuchtet werden sollte: bei den Geheimdiensten im Innern der Arcana Imperii. Diese sind dazu angehalten, sich illegitimer und illegaler Methoden zu bedienen, um die gewünschten Informationen zu beschaffen. Uneingeschränkte Handlungsfreiheit genießen sie trotzdem nicht. In Demokratien wie in Diktaturen unterliegen sie den Weisungen ihres Dienstherrn. Freilich lehrt die Erfahrung, dass Geheimdienste immer wieder der Kontrolle entgleiten und die Grenzen überschreiten, die ihnen gezogen sind. Mitunter wird ihnen diese Grenzüberschreitung von oben nahegelegt. Historisch einzigartig dürfte allerdings sein – in der Geschichte ist Vergleichbares jedenfalls nichts bekannt –, dass der Auslandsnachrichtendienst eines demokratischen Rechtsstaates über zwei Jahrzehnte hinweg politische Inlandsspionage betrieb.
Die Rede ist vom Bundesnachrichtendienst (BND) und seinem Vorläufer, der Organisation Gehlen (Org). Deren illegale Machenschaften in der Bundesrepublik fallen ausgerechnet in jene Schlüsseljahre, als eine erfolgreiche Demokratiebegründung »nahezu ausgeschlossen«1 erschien, als schier erdrückende moralische und materielle Hypotheken und eine Vergangenheit überwunden werden mussten, zu deren Signum die Schreckensherrschaft geheimer Dienste gehört hatte. Die innenpolitische Ausforschung durch die 1946 von der U. S. Army ins Leben gerufenen Organisation Gehlen, die zehn Jahre später Bundesbehörde wurde, begann in enger Anlehnung an die Ton angebenden katholisch-konservativen Kräfte parallel zu den ersten demokratischen Gehversuchen in Westdeutschland und setzte sich über das Ende der Ära Adenauer 1963 hinaus bis zum Ausscheiden Reinhard Gehlens 1968 fort. Sie hatte nichts mit dem zeittypischen Streben nach innerer und äußerer Sicherheit2 zu tun und sie erfolgte in einer solchen Breite, dass wir es bei dem Apparat des ehemaligen Chefs der für die Feindlagebeurteilung im Krieg gegen die Sowjetunion zuständigen Generalstabsabteilung »Fremde Heere Ost«3 im Grunde nicht mit einem, sondern mit zwei geheimen Nachrichtendiensten zu tun haben: mit einem regulären des üblichen Aufgabenprofils eines Auslandsnachrichtendienstes und einem irregulären mit innenpolitischer Stoßrichtung.4
Institutionalisierte Illegalität bedarf eines entschlossenen Organisationswillens, der sich kristallisieren, artikulieren und behaupten muss. Dem frühen BND blieb solche Mühewaltung erspart, weil die innenpolitische Informationsbeschaffung zu Freund und Feind erwünscht und angeordnet war. Spiritus Rector der verdeckten innenpolitischen Offensive ist Reinhard Gehlen selbst gewesen,5 welcher der grauen Eminenz an der Seite des Bundeskanzlers, Hans Globke, in einer nachgerade symbiotisch anmutenden Kooperationsbeziehung verbunden war. Diese Ausforschung und Einflussnahme, die von der in Pullach bei München residierenden Führungsgruppe organisiert und mit dem Allzweck-Argument »Spionageabwehr« gerechtfertigt bzw. getarnt wurde, speiste sich zwar auch aus einem ungebrochenen, lediglich seiner rassistischen Komponente entkleideten Antikommunismus, doch die in diesem Buch ausgeleuchteten Machenschaften zielten gar nicht gegen den real existierenden Kommunismus sowjetischer Prägung mit seinen Vorfeldorganisationen und »fünften Kolonnen« im Innern.
Worum es tatsächlich ging, war die illegale Ausforschung der demokratischen Milieus der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Parteien, Vereine und Verbände, um die verdeckte »Aufklärung« unbescholtener Bürger, Rivalen und »Feinde«, die manches gewesen sein mögen – nur keine Verfassungsfeinde. Kurz: Gehlens Mitarbeiter, Zuträger, Einflussagenten und V-Leute richteten ihre illegalen Aktivitäten von Anfang an gegen alles, was nicht in ihr Weltbild passte, durchaus auch gegen Menschen, die ihnen aus irgendwelchen, weder justiziablen noch offengelegten Gründen missliebig waren; nicht zuletzt gegen alle, die nicht mit dem politischen Kurs von Bundeskanzler Adenauer einverstanden waren. Gerhard Sälter hat von der Selbstermächtigung des Gehlen-Dienstes gesprochen, sich für »politische Sauberkeit zuständig zu machen«.6
Der jedes reale Maß missachtende, selbstblendende Antikommunismus, der hier am Werke war, ist in Wahrheit das Feigenblatt eines militanten Antiliberalismus gewesen. Unter militärischem Denkhorizont blieben in dem abgeschirmten, bald auf einige Tausend Mann angewachsenen demokratiefernen Männerverbund etatistische und autoritär-konservative Staats- und Gesellschaftsvorstellungen besonders lange virulent. So entschieden die Männer des zehn Jahre lang amerikanisch finanzierten Spionageapparats die West- und Amerikabindung befürworteten und förderten, so fern standen sie dem Demokratisierungsprogramm, das die Vereinigten Staaten in Deutschland zu ihrer Leitidee gemacht hatten, erst recht jeglicher Form von Amerikanisierung und »Westernisierung«.7
In diesem Band, wie in dem Folgeband, soll die erstmals vorgenommene umfassende Bestandsaufnahme zweifelsfrei nachweisbarer Sachverhalte immer auch mit der Beschreibung und Analyse der hier nur angedeuteten Paradoxien, Verschränkungen und Widersprüche, vor allem des in heutiger Perspektive kaum glaublichen, staatlich organisierten und fortgesetzten Verstoßes gegen Recht, Gesetz und menschlichen Anstand einhergehen. Es leidet keinen Zweifel, dass die Kanzlerschaft Konrad Adenauers in schwere See geraten wäre, wenn schon damals die Chance bestanden hätte, hinter die nachrichtendienstlichen Kulissen zu blicken.
Bereits Gehlens Zeitgenossen hegten früh den Verdacht, sein Apparat betreibe als Instrument des Bundeskanzleramts und damit des Regierungschefs selbst innenpolitische »Aufklärung«. Deutsche wie ausländische Medien versuchten Genaueres herauszufinden, kamen immer wieder auf das Thema zurück, doch letztlich nicht über Mutmaßungen hinaus. Nach dem Ausscheiden des ersten BND-Präsidenten und dem Amtsantritt der sozialliberalen Bundesregierung unter Willy Brandt Ende der sechziger Jahre trugen diverse Publikationen immer neue Indizien für die innenpolitischen Machenschaften des Bundesnachrichtendienstes zusammen, besonders spektakulär 1971 die Spiegel-Serie »Pullach intern«, die auch als Buch erschien.8 Darin war bereits von der »unheiligen Allianz zwischen Geheimdienst und Staatspartei« die Rede.9
Parlamentarische Debatten nahmen diesen Verdacht ebenfalls wiederholt auf. Der Guillaume-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages ging 1974 mit besonderem Nachdruck der Frage nach, in welchem Ausmaß Gehlens Agenten die Bundesrepublik unterwandert und »innenpolitische Aufklärung« betrieben haben könnten. In geheimen Sitzungen wurden dabei eine Reihe ehemaliger BND-Mitarbeiter und Reinhard Gehlen selbst einvernommen, der solche Vorwürfe immer entrüstet bestritt. Der Abschlussbericht von Februar 1975 kam dann zu dem Ergebnis, dem ersten BND-Präsidenten könne nicht nachgewiesen werden, sein Wissen politisch missbraucht zu haben, er habe allerdings »nicht genügend darauf hingewirkt, jede Art von innenpolitischer Aufklärung zu unterbinden«. Es sei für das Ansehen des Dienstes verhängnisvoll, »dass Beschaffer des BND ihre Aufgaben nicht nur in der Auslandsaufklärung für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in der Vermittlung von Sondererkenntnissen für ihren Präsidenten sahen«.
Das Minderheitsvotum der CDU/CSU-Fraktion stellte fest, dass »ein innenpolitischer Missbrauch des BND durch die Bundesregierung ernsthafter Weise nicht behauptet« werden könne. Es sei aber nicht auszuschließen, dass »in einer so großen Behörde in Einzelfällen auftragswidrige innenpolitische Aufklärung stattgefunden« habe; es sei weltfremd anzunehmen, dass gar keine »Fehler« gemacht worden seien.10 Man sieht, die Parlamentarier waren nicht in der Lage, den Dschungel des Geheimen zu lichten und sich ein annähernd zutreffendes Bild von dem Ausmaß der politischen Inlandsspionage zu machen; zudem verfügten nicht alle Abgeordnete über gleich starken Aufklärungseifer.
Thomas Walde war in seinem Standardwerk über die Nachrichtendienste im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland schon weiter gewesen. Vier Jahrzehnte vor Öffnung des BND-Archivs für die Forschung schrieb er, Pullach habe, »besonders dazu angehalten vom früheren Kanzler Adenauer und seinem Staatssekretär Globke, zum Zwecke innenpolitischer Ausspähung ein dichtes Beziehungs- und Kontaktnetz von V-Leuten, freien und gelegentlichen Mitarbeitern und Informanten in fast allen Bereichen des politischen, ökonomischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in der Bundesrepublik zusammengezogen. Diese missbräuchliche, durch kein Gesetz gedeckte und durch die Organisationsgewalt der Bundesregierung nicht hinreichend...
Erscheint lt. Verlag | 22.10.2018 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Schlagworte | Alois Hundhammer • Antikommunismus • CIA • Der Spiegel • Eugen Kogon • Friedrich Wilhelm Heinz • Gerhard Graf von Schwerin • Hans Globke • Hans Ritter von Lex • Institut für Zeitgeschichte • James H. Critchfield • Konrad Adenauer • Nauheimer Kreis • NWDR • Otto John • Pullach • Reinhard Gehlen • Sonderverbindungen • Strategischer Dienst • Unterwanderung • Werner Naumann |
ISBN-10 | 3-86284-435-8 / 3862844358 |
ISBN-13 | 978-3-86284-435-7 / 9783862844357 |
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