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Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
512 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-407-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik - Agilolf Keßelring
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Diente die 1946 von der US Army geschaffene Organisation Gehlen wirklich nur der Spionage gegen den Osten? Die von US-amerikanischen Geheimdiensten geführte Vorläuferorganisation des BND bildete zugleich eine Art Ersatz-Generalstab für die geplante Aufstellung einer bundesdeutschen Armee - wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dabei erfolgte auch die politische Einbindung von Wehrmachtsveteranen.
Agilolf Keßelring zeigt anhand erstmals zugänglicher Akten aus dem BND-Archiv die Entstehungsgeschichte der Bundeswehr in einem neuen Licht.
(Band 6 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)


Jahrgang 1972, Oberstleutnant der Reserve, Studium der Geschichte, Sozialwissenschaften und des Völkerrechts in Hamburg und den USA, wiss. Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, 2007 Promotion, wiss. Mitarbeiter an der finnischen Nationalen Verteidigungsuniversität, anschließend an der Universität Helsinki, 2012-2015 wiss. Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des Bundesnachrichtendienstes, seit 2016 freier Militärhistoriker in Finnland.

Agilolf Keßelring, Jahrgang 1972, Oberstleutnant der Reserve, Studium der Geschichte, Sozialwissenschaften und des Völkerrechts in Hamburg und den USA; wiss. Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam; 2007 Promotion; wiss. Mitarbeiter an der finnischen Nationalen Verteidigungsuniversität, anschließend an der Universität Helsinki; 2012–2015 wiss. Mitarbeiter der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes; seit 2016 freier Militärhistoriker in Finnland.

Einleitung


1. Thema und Fragestellung: Die Neuformierung des deutschen Militärs durch den Gehlendienst


»Was ZIPPER [Organisation Gehlen] created by UTILITY [Gehlen] primarily as a life raft for the floundering German General Staff or was it created as the nucleus of a GIS [German Intelligence Service] which secondarily served as a temporary haven for the most vital elements of the German military?«1 Diese Frage stellte James Critchfield, der für die Organisation Gehlen zuständige CIA-Offizier, als die Bundesrepublik Deutschland am 5. Mai 1955 der NATO beitrat und mit dem Aufbau westdeutscher Streitkräfte begann.

Für die Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (UHK) ist die Klärung dieser Frage von herausragender Bedeutung gewesen. Es war bislang nur wenig darüber bekannt, welche Rolle jene ehemaligen Wehrmachtsoffiziere spielten, die im Auftrag der CIA eine nachrichtendienstliche Hilfsorganisation aufgezogen hatten, als ab 1948 die öffentliche Diskussion über eine mögliche Remilitarisierung in Westdeutschland begann. Der mit dem Projekt der UHK erstmals möglich gewordene unbeschränkte Zugang zu den Akten des BND und des Bundeskanzleramts hat es ermöglicht, eine der geheimsten Operationen in der Frühgeschichte der Bundesrepublik aufzudecken. Sie ist für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen und hat Aufbau sowie Struktur des späteren Bundesnachrichtendienstes entscheidend geprägt.

Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Neuformierung des westdeutschen Militärs nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und fragt nicht nur nach der Rolle des Gehlendienstes als »ein Rettungsboot« für den deutschen Generalstab sowie als Kern eines späteren deutschen Nachrichtendienstes. Sie nimmt darüber hinaus die Frage nach persönlichen Kontinuitäten und Netzwerken von der Wehrmacht über die Organisation Gehlen und das Amt Blank bis in die Bundeswehr hinein in den Blick. Das führt zu der neuen Fragestellung, ob die spätere westdeutsche Wiederbewaffnung maßgeblich aus dem Gehlendienst heraus konzipiert, geplant und einschließlich grundlegender sicherheitspolitischer, strategischer und operativer Weichenstellungen organisiert worden ist.

Dabei muss berücksichtigt werden, was es bedeutete, wenn sich der von den Alliierten verbotene »Generalstab« im Zuge einer Geheimoperation neu formierte, und »wes Geistes Kind« die für zehn Jahre in ziviler Kleidung und Deckung agierenden Männer gewesen sind. Schlüsselpersonen waren dabei insbesondere ehemalige Offiziere aus der Abteilung Fremde Heere Ost des Generalstabs des Heeres sowie die für die Feindlagebeurteilung zuständigen Ic-Offiziere in den Oberkommandos der Ostfront und die Offiziere der Abteilung Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht. Hinzu kamen hochrangige Offiziere aus anderen Bereichen. Sie bildeten zusammen einen Kern der Organisation Gehlen. Ehemalige Angehörige der NS-Sicherheits- und Verfolgungsbehörden kamen hinzu.

Das »Gepäck« an Erfahrungen und Mentalitäten, das sie aus dem Krieg mitbrachten, erfordert in der Analyse eine fachkundige und präzise Beschreibung ihrer Zuständigkeiten und Unterstellungen, nicht zuletzt auch der komplexen und widersprüchlichen Haltung zum militärischen Widerstand. Die Männer gehörten zu wichtigen Netzwerken, die sich im Laufe von Karrieren und Begegnungen gebildet hatten und nach Kriegsende eine entscheidende Rolle bei der Neuformierung des Militärs und seiner Führungselite spielten. Die Angabe der jeweiligen militärischen Dienstgrade ist für die Einordnung und das zeitgenössische Ansehen der einzelnen Personen unverzichtbar, auch wenn es manchem Leser störend erscheinen mag. Um die Lektüre zu erleichtern, wird im Fließtext auf die nach 1945 formal korrekte Hinzufügung »außer Diensten« verzichtet. Bis zur Wiedereinführung aktiver Verwendungen galt der Zusatz »a. D.« für alle ehemaligen Berufssoldaten.

Es ist zu berücksichtigen, dass die Geheimoperation zur Wiederaufstellung eines deutschen Generalstabs unter äußerst widrigen Umständen stattfand. Der alte Generalstab war von den Siegermächten zerschlagen und verboten worden. Seine überlebenden Angehörigen mussten anfangs damit rechnen, wegen der Zugehörigkeit zur alten militärischen Funktionselite und gegebenenfalls wegen persönlicher Verantwortung für begangene Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt zu werden. Mochten auch viele zögern, sich der amerikanischen Besatzungsmacht unter ungewissen Perspektiven und Bedingungen zur Verfügung zu stellen, sahen andere die Chance, bei einer künftigen Remilitarisierung im deutschen – und persönlichen Interesse – gestaltend mitzuwirken. Sie wurden als Spezialisten gebraucht, um in den westlichen Besatzungsgebieten die schwachen alliierten Kräfte gegen die sowjetische Bedrohung möglicherweise durch deutsche kriegserfahrene Kontingente zu verstärken. Wenn aus dem Untergang des Deutschen Reiches wieder einmal ein souveräner deutscher Staat entstehen würde, konnten diese Männer der ersten Stunde darauf hoffen, verantwortliche Positionen in einer künftigen deutschen Armee einnehmen zu können. Die anfangs konspirativen, dann ab 1950 durch die Bundesregierung legitimierten Bestrebungen dieser zumeist hochrangigen ehemaligen Berufsoffiziere sind vor dem Hintergrund einer gleichzeitig ablaufenden internationalen und nationalen Debatte um die Verbrechen des Nationalsozialismus sowie die Verstrickung der Wehrmacht in Hitlers rassenideologischen Vernichtungskrieg zu sehen, die hier nur angedeutet werden kann. Das gilt auch für die parallele und zeitlich vorlaufende Remilitarisierung, die von sowjetischer Seite im eigenen ostdeutschen Besatzungsgebiet betrieben worden ist.

Die bisherigen Forschungen zur Frühgeschichte der Bundeswehr und der westdeutschen Sicherheitspolitik haben sich weitgehend auf die im Bundesarchiv-Militärarchiv erhaltenen Akten der Bundeswehr und die Erinnerungen der führenden militärischen Protagonisten verlassen müssen.2 Die Bezüge zur Gehlen-Organisation bzw. ihre Betätigung im Dienste der Amerikaner sind darin nahezu vollständig verschleiert worden. Durch die inzwischen erfolgten Freigaben von Quellen der CIA über ihre Beziehungen zum Gehlendienst wird jetzt ein gewisser Einblick in die Interessen der amerikanischen Besatzungsmacht und die durch sie geleistete Steuerung möglich.3

Als Anfang der 1970er-Jahre das Standardwerk der Spiegel-Journalisten Heinz Höhne und Hermann Zolling über die Geschichte des BND erschien, waren bereits einige Verbindungen des Gehlendienstes zur Remilitarisierung bekannt geworden. Doch mangelte es an Belegen, und der Dienst versäumte es nicht, auf die weitere Diskussion Einfluss zu nehmen. Pullach hielt eisern an der Gründungslegende fest, die Reinhard Gehlen, der erste Präsident des BND, mit seinen zeitgleich erschienenen Memoiren vorgegeben hatte. Demnach hatte seine damalige Organisation seit 1946 einen deutschen Nachrichtendienst aufgezogen, der in Absprache mit den Amerikanern die militärische Lage im Ostblock aufklärte und beurteilte. Die Vorbereitungen zur Aufstellung eigener Truppen seien seit 1950 über das Amt Blank in Bonn gelaufen. Gehlen gab an, dass er sich lediglich eingeschaltet habe, um ein einheitliches militärisches Nachrichtenwesen zu schaffen, was ihm schließlich gelungen sei.4

Die Geheimhaltung der Gesamtoperation blieb gewahrt, auch gegenüber dem Gegner im Kalten Krieg. Zwar prangerte die DDR-Propaganda die westdeutsche Remilitarisierung als Machwerk des ehemaligen deutschen Generalstabs an, aber die besondere Rolle Gehlens und seiner Organisation wurde verkannt und auf den Spionagebereich reduziert.5 Erst Georg Meyer kam nach einem eng begrenzten Zugang zu Dokumenten des BND-Archivs in den 1980er-Jahren zu etwas anderen Erkenntnissen. Doch auch ihm fehlten ausreichende wissenschaftliche Belege, und so blieben seine Einschätzungen vage.6 »Im Bewußtsein seines Eigenwertes sah Gehlen sich und seine Organisation nie als Instrument, sondern als Faktor, nicht beschränkt auf die nachrichtendienstliche Aufgabe.«7 Diese allgemeine Aussage bleibt zwar nach wie vor gültig. Doch heute erst kann aktengestützt festgestellt werden, was sich dahinter konkret verbirgt.

Enttäuschend war die in den 1990er-Jahren viel beachtete, aus CIA-Akten gearbeitete Studie von Mary Allen Reese. Sie ging hauptsächlich auf die Problematik politisch belasteter ehemaliger Nationalsozialisten in der Organisation Gehlen ein. Die amerikanische Beteiligung an der Wiederbewaffnung Westdeutschlands via Organisation Gehlen wurde hingegen kaum erwähnt.8 Wohl als Gegenreaktion auf Reeses Buch entstanden die Memoiren von James Critchfield, denn er war von Reese mit der NS-Problematik in Verbindung gebracht worden. In sein 2003 erschienenes Buch hatten offensichtlich amerikanische Behörden stark eingegriffen.9

Critchfields Arbeit betont, wie die zeitgleich entstandenen Arbeiten Georg Meyers, den Faktor Zufall bei den Verbindungen von CIA, Organisation Gehlen und Bundeswehr. Zur Zeit des 50-jährigen Jubiläums des BND etablierte sich unter Betonung der deutsch-amerikanischen Freundschaft somit die Interpretation, die Organisation Gehlen habe eine Art Personalpool (life boats-These) für die spätere Bundeswehr gebildet.10 Dies wurde jedoch – entsprechend...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2017
Reihe/Serie Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Schlagworte BND • Bundesnachrichtendienst • Bundesrepublik • Bundeswehr • CIA • Geheimdienst • Kalter Krieg • Militär • Organisation Gehlen • Reinhard Gehlen • Remilitarisierung • Spionage • Stay Behind • Wehrmacht • Wiederbewaffnung • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-86284-407-2 / 3862844072
ISBN-13 978-3-86284-407-4 / 9783862844074
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