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Spionage unter Freunden (eBook)

Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
384 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-395-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spionage unter Freunden - Erich Schmidt-Eenboom, Christoph Franceschini, Thomas Wegener Friis
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Im Zusammenhang mit dem NSA-Abhörskandal in den USA wurde auch die Spionage des BND gegen Verbündete und internationale Organisationen ein politisches Thema. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich damit ein Bundestagsuntersuchungsausschuss. Was genau war geschehen?
Drei ausgewiesene Geheimdienstexperten analysieren das Verhältnis des BND zu seinen wichtigsten Partnern im Westen über sechs Jahrzehnte hinweg. Sie behandeln das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation am Beispiel der Nachbarländer Österreich, Schweiz und Frankreich genauso wie die konfliktreichen Beziehungen mit Großbritannien, Italien und den skandinavischen Ländern sowie den USA.
Die Autoren stützen sich auf Akten der Organisation Gehlen und des BND, auf freigegebene Akten ausländischer Nachrichtendienste sowie auf Materialien und Nachlässe einst einflussreicher Agenten.

Christoph Franceschini: Jahrgang 1964, Studium der Geschichte und Philosophie an der Universität Innsbruck; freier Journalist, Buchautor und Filmemacher; 2005 Auszeichnung mit dem renommierten Claus-Gatterer-Preis des Österreichischen Journalistenclubs für sozial engagierten Journalismus. Erich Schmidt-Eenboom: Jahrgang 1953; Studium der Pädagogik und Neueren Geschichte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg; seit 1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V. in Weilheim; seit 1990 Leiter des Instituts. Zahlreiche Veröffentlichungen zu nachrichtendienstlichen Themen, u.a. "BND: Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten" (2006), "Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann" (Ch. Links, 2011). Thomas Wegener Friis: Jahrgang 1975, Associate Professor für Zeitgeschichte der Süddänischen Universität; Regional Editor für Nord- und Zentraleuropa der Zeitschrift "Intelligence, Security and Public Affairs"; Forschungsaufhalte in Deutschland, Israel und Polen; Verfasser zahlreicher Bücher und Artikel zu den Themen Internationale Beziehungen und Nachrichtendienste.

Nachwehen des NSA-Skandals: Auch der BND spioniert gegen Freunde – Vorwort


Seit Edward Snowden im Juni 2013 Zuflucht in Hongkong gesucht hat und zunächst fand, werden wir nahezu täglich mit immer neuen Enthüllungen konfrontiert, die tiefe Einblicke in das Potenzial und die Programme, in die Technik und das Ausspähungsvolumen der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) und zum Teil auch in ähnliche Strukturen und Praktiken ihres britischen Pendants Government Communications Headquarters (GCHQ) geben.

Die Weltöffentlichkeit erfuhr, dass die NSA – gestützt auf einen Jahresetat von etwa 10 Milliarden US-Dollar mit einem 100 000-Mann-Heer von Datendieben – ihrem Anspruch, jede Telekommunikation auf dem Globus vollständig zu erfassen, zu durchsieben, zu analysieren und wesentliche Teile sehr langfristig zu speichern, in wachsendem Maß gerecht wird.1 Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) stecke mit dem Hauptangreifer auf die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre der Deutschen sowie auf die ökonomischen und regierungsseitigen Betriebsgeheimnisse der Bundesrepublik nebst ihren europäischen Partnern unter einer Decke, blies der Whistleblower aus dem Moskauer Exil anschließend heraus.2

Bei der medialen und parlamentarischen Aufklärung des NSA-Skandals, die durch die Enthüllungen von Snowden zunächst eine Vielzahl von Gesetzesverstößen des BND bei seiner Zusammenarbeit mit der NSA und nachrichtendienstliche Angriffe der angelsächsischen Verbündeten auf den deutschen NATO-Partner zutage gefördert hat, gab es 2015 eine Wendung, die zahlreiche Fachleute aus den Medien und erst recht das breite Publikum überraschte: Der BND geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, weil auch er systematisch befreundete Staaten und internationale Organisationen ausgespäht hatte. Skandalisiert wurden die Ausforschung der Türkei, für die es zahlreiche gute Gründe gibt, oder Lauschangriffe auf das österreichische und belgische Innenministerium, das britische Verteidigungsministerium, europäische Unternehmen wie Eurocopter im französischen Marignane oder eine EADS-Dependance in Warschau, aber auch Banken wie die HSBC, Telekommunikationsunternehmen wie British Telecommunications, ein Flugzentrum der US-Raumfahrtbehörde NASA und eine Abteilung der U. S. Air Force. Im Visier des BND standen auch die Botschaften nahezu aller europäischer Staaten in Berlin sowie zahlreicher Konsulate in der Bundesrepublik.

Von den dem BND von den Amerikanern angeblich untergejubelten Selektoren wurden 40 000 im Laufe der Jahre ausgesondert. 68,7 Prozent dieser Suchbegriffe richteten sich gegen Regierungseinrichtungen von EU-Partnern, weitere gegen deutsche Unternehmen.3

Von 2009 an hörte der BND die Hohe Vertreterin der Europäischen Union (EU) für Außen- und Sicherheitspolitik und gleichzeitig deren Vizepräsidentin Catherine Ashton ab. 2013 sollte das Handy von US-Außenminister John Kerry in die Zielerfassungsliste aufgenommen werden. Der Lauschangriff scheiterte nur, weil ein BND-Mitarbeiter die Ländervorwahl der USA mit der eines afrikanischen Staats verwechselt hatte. Kerrys Kommunikation konnte dennoch über die Überwachung der Anschlüsse des US-Außenministeriums zum Teil erfasst werden.4

Der Bundesregierung schlug eine Welle der (gespielten) Empörung aus europäischen Nachbarstaaten entgegen. Als ruchbar wurde, dass der BND die Online-Kommunikation in Belgien in großem Umfang ausgespäht hatte, leitete die belgische Regierung Untersuchungen ein, und ihr Telekommunikationsminister Alexander De Croo verwies im Mai 2015 süffisant auf die Empörung der Bundeskanzlerin anlässlich der Überwachung ihres Handys durch die NSA.5 Bis Ende 2013 hatten BND und NSA gemeinsam auch französische Politiker wie den Außenminister Laurent Fabius überwacht. Am Rande des europäisch-afrikanischen Gipfeltreffens auf Malta im November 2015 forderte Frankreichs Präsident François Hollande von Angela Merkel öffentlich eine vollständige Aufklärung der Affäre. Die Kanzlerin beschwichtigte damit, dass es sich um eine »indirekte Maßnahme« gehandelt habe, bei der Personen im Visier standen, die sich an Fabius gewandt hatten.6

Wer sich da 2015 die Augen rieb und helle Empörung über die BND-Spionage gegen politisch verbündete Staaten bekundete, war mit der nachrichtendienstlichen Fachliteratur nur wenig vertraut. Aus Dokumenten, die der ehemalige leitende BND-Mitarbeiter Hans Langemann (LÜCKRATH) Anfang der 1980er-Jahre über einen Mittelsmann in die Medienlandschaft streute, ging bereits hervor, dass Pullach nicht auf die Staaten des Warschauer Vertrags allein fixiert war, sondern sich den geheimdienstlichen Rundumblick auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Westaufklärung in dieser Operation EVA, die hier noch breiten Raum einnehmen wird, entsprang nicht den Eigenmächtigkeiten einzelner BND-Statthalter und war ebenso wenig ein der Regierung in Bonn verschwiegenes Hausprodukt Reinhard Gehlens, sondern Ausfluss der Auftragssteuerung durch das Bundeskanzleramt.

Im Vorfeld der am 21. Oktober 2016 vom Bundestag verabschiedeten Novelle zum BND-Gesetz hatte sich die Hoffnung breitgemacht, dass in Zukunft nicht nur europäische, sondern alle ausländischen Bürger, Politiker und Institutionen von Ausspähungen des BND verschont bleiben würden. In einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages Ende September 2016 hatte Matthias Bäcker vom Karlsruher Institut für Technologie sogar die Auffassung vertreten, es sei verfassungswidrig, wenn Ausländer gegenüber Bundesbürgern schlechter gestellt und gegen Abhörmaßnahmen weniger geschützt seien.7

Durchgesetzt haben sich jedoch die Hardliner, denn das neue Gesetz zur Auslands-Fernmeldeaufklärung gewährt dem BND größere Spielräume beim Ausspähen von EU-Institutionen, EU-Mitgliedsstaaten und Unionsbürgern, sofern es der Gefahrenabwehr dient oder »wenn dabei ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten gesammelt werden sollen, die von besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik sind […] Das Besondere an dieser Regelung ist, dass nunmehr gesetzlich abgesichert ist, was vor einiger Zeit noch bestritten wurde – dass nämlich auch der BND unter Umständen ›Freunde ausspähen‹ muss«,8 analysierte eine Studie der vom Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Oktober 2016. Wirtschaftsspionage wird dem BND explizit untersagt, aber die Grenzen zur Wirtschaftsaufklärung bleiben fließend.

Dass die seit Jahrzehnten ausgeübte Spionage unter Freunden, auch die vom BND ausgehende, durch die neue Gesetzeslage – wenigstens zum Teil und über Gummiparagrafen abgedeckt – nun nur legalisiert wurde, ist auch ein Nachweis, den dieses Buch erbringen wird.

In der Tradition Reinhard Gehlens, der sich als Vorreiter bilateraler Zusammenarbeit mit westlichen Nachrichtendiensten gesehen hatte, machte der BND-Vizepräsident Paul Münstermann 1989 den ersten Vorschlag für einen gemeinsamen (west-)europäischen Nachrichtendienst. Kurz nachdem Ernst Uhrlau zum Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt von Gerhard Schröder ernannt worden war, sprach er sich Ende November 1998 für eine engere Zusammenarbeit der europäischen Nachrichtendienste aus, die durch den weiteren europäischen Integrationsprozess anders verzahnt werden müsse. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, nach den islamistischen Attentaten in Madrid und London ist es zum Mantra führender Nachrichtendienstler und Sicherheitspolitiker geworden, dass es eine weit intensivere Kooperation der Dienste bis hin zur Schaffung eines EU-Nachrichtendienstes geben müsse. Nach den Bombenanschlägen in Brüssel 2016 forderten so der Generalbundesanwalt Peter Frank und der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka ein europäisches Terrorabwehrzentrum, und Innenminister Thomas de Maizière verlangte die Verknüpfung von verschiedenen Datentöpfen in Europa.9

Herausgekommen ist bisher nur ein wenig funktionierendes »Intelligence Sharing« beim External Action Service der Europäischen Union. Dessen Koordinator ist seit 2015 der vormalige BND-Spitzenbeamte Gerhard Conrad. Er war zuvor Resident des BND in London und damit Kontaktmann zu den hartleibigsten Nationalisten in der intelligence community der NATO-Staaten. Geradezu revolutionär kooperativ hatte sich hingegen der französische Dienst 2015 verhalten. Nach Aussagen des Technikchefs der Direction générale de la Sécurité extérieure (DGSE) Bernard Barbier gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde hegte sein Dienst auf Spitzenebene Pläne zur Fusion von BND und DGSE, um den US-Diensten Paroli bieten zu können. Ausgebremst worden – so Barbier – seien diese Überlegungen jedoch von französischen Politikern.10

Nationalstaatliches Denken hatte nicht zum ersten Mal das Schritthalten nachrichtendienstlichen Handelns mit den politischen und selbst militärischen Integrationsbemühungen vereitelt. Insofern ist dieses Buch auch ein Stück Ursachenforschung für die teils schleppenden, teils fehlschlagenden Bemühungen um einen supranationalen Nachrichtendienst auf EU-Ebene. Den tieferen Grund für den Geheimdienstauftrag, gerade politisch verbundenen Mitspielern in die Karten zu gucken, nannte Christopher J. Murphy, Dozent für Geheimdienststudien an der britischen Universität von Salford. Er betonte, dass es natürlich keine internationalen...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2017
Reihe/Serie Politik & Zeitgeschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte BND • Bundesnachrichtendienst • Geheimdienst • NATO • NSA-Skandal • Organisation Gehlen • Spionage • Westaufklärung
ISBN-10 3-86284-395-5 / 3862843955
ISBN-13 978-3-86284-395-4 / 9783862843954
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