Die Partisanen der NATO (eBook)
360 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-336-7 (ISBN)
Anhand dieser Materialien und umfangreicher CIA-Akten geben die Autoren nun einen genauen Einblick in die Aktivitäten, Personalstrukturen und Operationsszenarien der dubiosen Geheimorganisationen und fragen nach dem Funktionieren demokratischer Kontrollmechanismen.
Jahrgang 1959, Studium der Geschichte, Literatur- und Theaterwissenschaft in München, seit 1984 freier Journalist für den WDR (ZAK, Monitor), seit 2001 Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21, Autor zahlreicher TV-Dokumentationen für ARD, ZDF und ARTE, darunter »Hitlers Traum von Micky Maus - Zeichentrickfilm im III. Reich« (ARTE 1999), »Im Fadenkreuz des Staates - Der Große Lauschangriff« (mit H.-C. Schultze, ARD 2004) und »Fluchtburg Liechtenstein - Das Geldversteck der Reichen« (mit H. Klar, ZDF 2008). Parallel zu diesem Buch realisierte er gemeinsam mit Bettina Renner die ZDF/ARTE-Dokumentation »Einmal Freiheit und zurück - Die Geschichte der DDR-Rückkehrer«, die 2009 ausgestrahlt wurde.
Erich Schmidt-Eenboom: Jahrgang 1953; Studium der Pädagogik und Neueren Geschichte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg; seit 1985 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V. in Weilheim; seit 1990 Leiter des Instituts. Zahlreiche Veröffentlichungen zu nachrichtendienstlichen Themen, u.a. "BND: Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten" (2006), "Im Schatten des Dritten Reiches. Der BND und sein Agent Richard Christmann" (Ch. Links, 2011). Ulrich Stoll: Jahrgang 1959; Studium der Geschichte, Literatur- und Theaterwissenschaft in München; seit 1984 freier Journalist für den WDR (ZAK, Monitor), seit 2001 Reporter des ZDF-Magazins Frontal 21; Autor zahlreicher TV-Dokumentationen für ARD, ZDF und ARTE, darunter "Hitlers Traum von Micky Maus – Zeichentrickfilm im III. Reich" (ARTE 1999); "Im Fadenkreuz des Staates – Der Große Lauschangriff" (mit H.-C. Schultze, ARD 2004) und "Fluchtburg Liechtenstein – Das Geldversteck der Reichen" (mit H. Klar, ZDF 2008). Parallel zu diesem Buch realisierte er gemeinsam mit Bettina Renner die ZDF/ARTE-Dokumentation "Einmal Freiheit und zurück – Die Geschichte der DDR-Rückkehrer", die 2009 ausgestrahlt wurde.
Staatsgeheimnis Stay Behind
Einleitung
Am 29. Juni 1951 bog eine amerikanische Militärkolonne nahe der württembergischen Kleinstadt Schriesheim von der Landstraße ab und verschwand im Wald. Die Geschwister Marianne und Karl-Heinz Beckenbach, die im Schriesheimer Forst Heidelbeeren pflückten, wunderten sich, als ein amerikanischer Jeep, zwei Militärlastwagen und ein Tankwagen vor ihnen im Wald auftauchten. Die Soldaten machten Feuer und schlugen ein Zelt auf, als ob sie im Wald kampieren wollten. Und die Kinder belauschten sie. »Ich habe […] Geräusche gehört, Arbeitsgeräusche, Spaten und so weiter«, berichtete der heute 77-jährige Karl-Heinz Beckenbach in einem Hörfunkinterview: »Sie haben ein Loch gegraben und haben dann Kisten abgeladen, aus den LKWs und da rein. Sie haben irgendwas verbuddelt.«1
Als der damals 13-jährige Schüler, von Neugier getrieben, am Abend noch einmal in das Waldstück lief, waren die Männer verschwunden. An der Stelle, wo das Zelt gestanden hatte, entdeckte er eine zwei Meter breite Grube, die wieder zugeschaufelt und mit Zweigen getarnt worden war. Beckenbach berichtete seinem Nachbarn, dem 27-jährigen Fritz Gönnawein, von dem Fund. Der holte eine Schaufel und begann zu graben. In zwei Meter Tiefe stieß er auf handkoffergroße Blechcontainer, in denen er Pistolenmunition und »schlecht riechende Kernseife« fand. Gönnawein hatte, ohne es zu ahnen, ein Munitions- und Sprengstoffdepot der amerikanischen Stay-Behind-Organisation entdeckt, einer Schattenarmee, die im Kriegsfall als Partisanentrupp gegen die Sowjets kämpfen sollte. Doch dies sollte noch Jahrzehnte im Dunkeln bleiben.2
Wenige Wochen später bemerkte der Bahnwärter Sepp Scheurer an der Strecke zwischen Bamberg und Hof eine Kolonne von etwa zehn Militärfahrzeugen, die kurz vor dem Bahnübergang, an dem Scheurer seinen Posten hatte, in den Wald bei Marktschorgast fuhren. Als Scheurer sich dem Waldstück näherte, wurde er durch US-Soldaten am Weitergehen gehindert. In einiger Entfernung konnte er aber etwa 25 Soldaten erkennen, die Zelte aufschlugen und das Waldstück zu vermessen begannen. In der kommenden Nacht verschwand der Militärkonvoi. Sepp Scheurer berichtete dem Bauern Hans Kolb, dem Besitzer des Waldstücks, von seinen Beobachtungen. Kolb fand dort aber nur ein zugeschüttetes Loch von zwei mal zwei Metern Größe vor: »Ich dachte mir, die haben da eine Latrine gehabt und (die) dann wieder zugeschmissen.«3
An einem sonnigen Sonntag Anfang Oktober suchten die Arbeiter Hans Heissinger und Michael Feulner mit Kolbs Erlaubnis in dessen Waldstück nach Feldspat, einem Mineral, das zur Porzellanherstellung benötigt wird. Neben einem kleinen Weiher, etwa 100 Meter vom Bahndamm und wenige hundert Meter von einer Autobahnbrücke entfernt, stießen die Männer beim Graben auf ein Dutzend Metallkisten. Die Männer brachen die Container auf. In einem fanden sie Schokolade, Kekse und Zigaretten, in einem anderen Verbandszeug, Spritzen und Penicillin. Eine weitere Metallbox enthielt gelbe, in Ölpapier eingewickelte Stangen. Feulner und Heissinger hielten sie erst für Seife und versuchten erfolglos, sie im Weiher zum Schäumen zu bringen. Dann zündeten sie eine Stange an, die mit hellblau zischender Flamme abbrannte. Als Feulner den Aufdruck »Danger! Explosives!« entdeckte, ließen sie von der gelben »Seife« ab. Beim Öffnen der nächsten Kisten wurde den Männern, zu denen inzwischen auch der Bahnwärter Sepp Scheurer und der Anwohner Linhardt Hoffmann gestoßen waren, noch mulmiger: Sie fanden Tausende Schuss Munition, Pistolen und Maschinenpistolen – eine »vollständige Ausrüstung für eine Partisanenarmee«, wie Feulner feststellte – nagelneu und wasserdicht verpackt. Die TNT-Stangen waren offenbar in dem Erdversteck abgelegt worden, um die Autobahnbrücke oder die Bahngleise in der Nähe zu sprengen.4
Nachdem sie ihren Fund der Kulmbacher Polizei gemeldet hatten, gerieten Kolb, Heissinger und Feulner zunächst selbst in Verdacht, das Waffenversteck angelegt zu haben. Heissingers und Feulners Wohnungen wurden durchsucht. Die Ermittler fanden bei Feulner Flugblätter und Zeitungen aus der Sowjetischen Besatzungszone – Feulner war Mitglied der damals noch nicht verbotenen westdeutschen KPD. Mitentdecker Hoffmann war »bestürzt, dass man das auf die andere Seite ziehen wollte«, also das Depot kommunistischen Guerillatruppen zuordnete.5
Doch die Ermittlungen der bayerischen Polizei wurden sehr rasch durch das U.S. Army Criminal Investigation Command (CID) gestoppt. Die Fahnder der Besatzungsmacht interessierten sich nicht sonderlich für die Verdächtigen, denn sie wussten es besser. Es ging nur noch darum, die Partisanenausrüstung verschwinden zu lassen. Elmar Feulner war damals als Sechsjähriger Augenzeuge des Abtransports der Waffenkisten: »Plötzlich waren Amerikaner da, amerikanische Armeepolizei und Kripo. Die haben dann alles abgesperrt und haben niemanden mehr hergelassen.«6
Auch in Schriesheim rollte das CID an, nachdem Fritz Gönnawein der örtlichen Polizei den Waffenfund gemeldet hatte. Wie in Marktschorgast wurde das Waldstück abgesperrt und das Depotmaterial – 21 Kisten mit TNT-Sprengstoff – auf US-Militärlastwagen abtransportiert. Als der Spiegel im November 1951 bei der Besatzungsmacht nachfragte, ob zwischen den Depots in Marktschorgast und Schriesheim eine Verbindung bestehe, verneinte das US-Hauptquartier in Heidelberg die Vermutung der Reporter. Auch das CID warf Nebelkerzen: »Wir wissen nicht, woher das Zeug stammt. Es ist auch nicht gesagt, dass Leute in amerikanischer Uniform immer amerikanische Soldaten sein müssen.«7
Nach dem Abtransport der Kisten wurde es still um die spektakulären Sprengstoff- und Waffenfunde von Schriesheim und Marktschorgast. Die Regionalpresse in Franken veröffentlichte lediglich knappe 30 Zeilen, in denen von einem geheimen Waffenlager »in einer Feldscheune« die Rede war, mit dem sich deutsche und amerikanische Polizei- und Sicherheitsbehörden jetzt befassten: »Eine klare Spur zu den Kreisen, von denen das geheime Arsenal errichtet wurde, scheint bis jetzt noch nicht gefunden worden zu sein. Es konnte auch noch nicht festgestellt werden, ob bereits Verhaftungen erfolgt sind.«8
Die vom US-Geheimdienst CIA in Westdeutschland aufgebauten Stay-Behind-Netzwerke standen Anfang der 1950er Jahre mehrfach kurz vor der Enttarnung. Im September 1952, ein Jahr nach den Depotfunden von Waldschorgast und Schriesheim, flog die aus ehemaligen SS-Männern gebildete Terrororganisation Technischer Dienst des Bundes Deutscher Jugend (BDJ-TD) auf, eine von mehreren US-geführten Schattenarmeen. Der BDJ-TD hatte Listen unliebsamer westdeutscher Politiker angelegt, die er im Kriegsfall »kaltstellen« wollte. Die Adenauer-Regierung behinderte die Aufklärung dieses Skandals und ließ zu, dass sich die ehemaligen SS-Männer der Verhaftung entziehen konnten. Und die US-amerikanischen Stellen in Deutschland ließen Beweismittel verschwinden.
Aber auch 1981 stellte der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann viel zu rasch Ermittlungsverfahren ein, die sich mit dem Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest und der möglichen Beteiligung eines Rechtsextremisten aus Niedersachsen befasst hatten. Damals war erneut ein gigantisches Waffenlager entdeckt worden, das den Ausrüstungsdepots von Stay-Behind-Truppen ähnelte. Angelegt hatte es – angeblich ganz allein – der Rechtsextremist Heinz Lembke aus Uelzen. 9-Millimeter-Pistolen, Panzerfäuste samt Munition und 156 Kilogramm Sprengstoff fanden sich in mehreren Dutzend Erddepots. Jahre später, nach der Aufdeckung der Stay-Behind-Netze in Europa aufgrund von Ermittlungen in Italien, kamen Spekulationen in der Öffentlichkeit auf, ob Lembke die Waffen und den Sprengstoff für die NATO-Partisanentruppe angelegt hatte.9 Lembke konnte dazu nicht mehr befragt werden, er erhängte sich nach der Festnahme in seiner Zelle.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) – der deutsche Auslandsgeheimdienst – hat nach jahrzehntelangem Schweigen rund 20 Aktenbände der von ihm geführten Stay-Behind-Organisation aus vier Jahrzehnten freigegeben und den Autoren dieses Buches Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der BND-Partisanentruppe ermöglicht. Den Bundestagsabgeordneten hatte die Regierung Kohl Ende 1990 noch erklärt, man habe keine Akten aus der Gründungsphase der Schattenarmee gefunden. Erst jetzt, fast ein Vierteljahrhundert später, lässt die Bundesregierung einen ersten Blick auch auf bislang angeblich verschollene Akten zu.
Sie geben einen Einblick in die Denkwelten des Kalten Krieges. Der BND unter seinem Präsidenten Reinhard Gehlen hatte Bedrohungsszenarien entworfen, die die illegalen Aktivitäten der BND-Partisanentruppe rechtfertigen sollten – bis hin zum Putsch gegen gewählte Politiker.
Das Bild, das sich anhand dieser Dokumente zeichnen lässt, bleibt aufgrund der geringen Dokumentenzahl unvollständig, doch es ist das erste Mal seit 1990, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst überhaupt Auskunft über seine Partisanentruppe gibt. Damals, nach der Enttarnung der Partnerorganisation GLADIO in Italien im Herbst 1990, hatte der BND sich nur knapp zur anstehenden Auflösung der Stay-Behind-Organisation gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) geäußert; journalistische Anfragen wurden jahrelang negativ beschieden. 1990, in den Wirren...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2016 |
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Reihe/Serie | Politik & Zeitgeschichte |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | August Zinn • Bund Deutscher Jugend BDJ • Bundesnachrichtendienst BND • Bundesrepublik Deutschland BRD • Bundeswehr • CIA • Deutsche Demokratische Republik DDR • Egon Lüth • Erhard Peters • Gerhard Wessel • Hans Otto • James Critchfield • Kalter Krieg • Konrad Adenauer • NATO • Organisation Gehlen • Reinhard Gehlen • Technischer Dienst TD • West-Berlin |
ISBN-10 | 3-86284-336-X / 386284336X |
ISBN-13 | 978-3-86284-336-7 / 9783862843367 |
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