Weisheit des ungesicherten Lebens (eBook)
176 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42140-6 (ISBN)
Alan Watts (1915-1973) war ein weltberühmter Religionsphilosoph und Autor von über 25 Büchern. Der anglikanische Theologe war fünf Jahre Priester in der Episkopalkirche in den USA, bis eine außereheliche Affäre seine Ehe wie seine Priesterkarriere beendete. Daraufhin widmete er sich mit wachsender Intensität den östlichen Weisheitstraditionen, vor allem dem Zen und dem Taoismus. Er ist eine der markanten Persönlichkeiten, die die östlichen Weisheitslehren in den 60er und 70er Jahren in der westlichen Welt bekannt gemacht haben.
Alan Watts (1915-1973) war ein weltberühmter Religionsphilosoph und Autor von über 25 Büchern. Der anglikanische Theologe war fünf Jahre Priester in der Episkopalkirche in den USA, bis eine außereheliche Affäre seine Ehe wie seine Priesterkarriere beendete. Daraufhin widmete er sich mit wachsender Intensität den östlichen Weisheitstraditionen, vor allem dem Zen und dem Taoismus. Er ist eine der markanten Persönlichkeiten, die die östlichen Weisheitslehren in den 60er und 70er Jahren in der westlichen Welt bekannt gemacht haben.
Das Zeitalter der Angst
Dem äußeren Schein nach ist unser Leben ein Lichtfunke zwischen einem ewigen Dunkel und dem nächsten. Doch liegt zwischen diesen zwei Nächten nicht ein wolkenloser Tag; denn je mehr Freude wir empfinden können, desto verwundbarer sind wir – und ob entrückt oder gegenwärtig, immer ist der Schmerz mit uns. Wir haben uns daran gewöhnt, dieses unser Dasein lohnend zu machen durch unsere Annahme, dass es über den äußeren Schein hinaus etwas gibt – dass wir für eine Zukunft leben, die über dies Dasein hinausgeht. Denn die äußere Erscheinungsform offenbart keinen Sinn. Wenn das Leben in Schmerz, Unvollkommenheit und Nichts endet, scheint es eine grausame, nutzlose Erfahrung für Wesen, die geboren sind, zu denken, zu schaffen und zu lieben. Der Mensch, als ein Geschöpf der Vernunft, wünscht, dass auch sein Leben einen vernünftigen Sinn hat, und findet es schwer, zu glauben, dass es einen solchen habe, solange es nicht über das hinausgeht, was er sieht – es sei denn, es gäbe eine ewige Ordnung und ein ewiges Leben hinter dieser ungewissen und vergänglichen Erfahrung von Leben und Tod.
Vielleicht wird man mir verübeln, wenn ich scheinbar frivol nüchterne Tatsachen einführend zur Sprache bringe; aber das Problem, aus dem augenscheinlichen Chaos der Erfahrung einen Sinn zu machen, erinnert mich an meinen kindhaften Wunsch, jemandem ein Postpaket mit Wasser zu senden. Der Empfänger löst die Schnur, und die Sintflut ergießt sich in seinen Schoß. Aber das Spiel würde nie gelingen, da es aufreizenderweise unmöglich ist, ein Pfund Wasser in Papier zu wickeln und zu verschnüren. Es gibt Papierarten, die zwar nicht wasserdurchlässig sind, jedoch besteht die Schwierigkeit darin, das Wasser in eine brauchbare Form zu bringen und so verschnüren zu können, dass das Paket nicht aufgeht.
Je mehr man sich mit den vorgenommenen Versuchen, Probleme der Politik und Wirtschaft, der Kunst, Philosophie und Religion zu lösen, beschäftigt, desto mehr bekommt man den Eindruck, dass ungewöhnlich begabte Leute ihren ganzen Scharfsinn in der unmöglichen und unlösbaren Aufgabe erschöpfen, das Wasser des Lebens in saubere und dauerhafte Pakete bringen zu wollen.
Es gibt viele Gründe, warum gerade dieses einem heutzutage lebenden Menschen besonders einleuchtend sein müsste. Wir wissen so viel über Geschichte, über all die Pakete, die gepackt wurden und prompt und folgerichtig auseinanderfielen. Wir wissen so viele Einzelheiten über die Probleme des Lebens, dass sie sich nicht mehr auf einen einfachen Nenner bringen lassen und noch verwickelter und ungeformter denn je erscheinen. Darüber hinaus haben sowohl Wissenschaft wie Industrie Tempo und Intensität so stark erhöht, dass unsere Pakete mit jedem Tag schneller und schneller auseinanderzufallen drohen.
Das ist es, woraus uns das Gefühl erwächst, dass wir in einer Zeit ungewöhnlicher Unsicherheit leben. In den letzten hundert Jahren sind so viele fundierte Überlieferungen zusammengebrochen, Überlieferungen im familiären und sozialen Leben, in Regierungsformen, in wirtschaftlicher Hinsicht und im religiösen Glauben. Im Laufe der Jahre scheinen die Felsen immer weniger zu werden, an die wir uns klammern können – weniger auch die Dinge, die wir als absolut richtig, wahr und allzeit gültig betrachten können.
Für einige ist dies eine willkommene Loslösung von Bindungen moralischer, sozialer und geistiger Dogmen. Für andere wiederum eine gefährliche und abschreckende Abwendung von Vernunft und gesundem Geist, geeignet, menschliches Leben in ein hoffnungsloses Chaos zu stürzen.
Den meisten hat vielleicht das Gefühl der Befreiung eine kurze Erleichterung gegeben, dem tiefste Angst folgte. Denn wenn alles relativ ist, wenn das Leben ein reißender Strom, ohne Ordnung und Ziel ist, in dessen Fluten absolut nichts beständig ist, außer dem ewigen Wechsel, dann erscheint es wie etwas, in dem es keine Zukunft und dadurch keine Hoffnung gibt.
Die Menschen scheinen nur glücklich zu sein, wenn sie auf eine Zukunft hinblicken können – sei dies ein »angenehmes Morgen« oder ein ewiges Leben über das Grab hinaus. Aus zahlreichen Gründen fällt es mehr und mehr Leuten schwer, an das zweite zu glauben; jedoch sind jene, die an das erste glauben, im Nachteil, denn wenn die »angenehme« Zeit kommt, ist es schwer, diese auszukosten, wenn nicht die Aussicht besteht, dass sie sich fortsetzt. Hängt Glücklichsein immer von etwas ab, das in der Zukunft erwartet wird, dann jagen wir nach einem Irrlicht, das so lange unserem Zugriff entweicht, bis die Zukunft und wir selbst im Abgrund des Todes verschwinden.
Tatsächlich ist unser Zeitalter nicht unsicherer als andere zuvor. Armut, Krankheit, Krieg, Wechsel und Tod sind nichts Neues. Auch in den besten Zeiten war »Sicherheit« nie mehr als vorübergehend und scheinbar. Jedoch war es möglich, die Unsicherheit des menschlichen Lebens dadurch erträglich zu machen, dass man an jene unwandelbaren Dinge außerhalb der Reichweite allen Unheils glaubte – an Gott, an die unsterbliche menschliche Seele und an die Herrschaft ewiger Gesetze im Weltall.
Heutzutage sind solche Überzeugungen selten, selbst in religiös gesinnten Kreisen. Es gibt kaum eine gesellschaftliche Ebene, sogar nur wenige Einzelpersönlichkeiten, die – von neuzeitlicher Erziehung berührt – nicht Spuren der Saat des Zweifels in sich tragen. Es ist nur allzu augenscheinlich, dass im letzten Jahrhundert die Autorität der Wissenschaft im Denken des Volkes den Platz der Autorität der Religion eingenommen hat und dass Skeptizismus, zumindest in Fragen des Glaubens, allgemeiner geworden ist als Gläubigkeit.
Zum Verfall des Glaubens ist es durch ehrlichen Zweifel, durch sorgfältiges und furchtloses Denken geistig hochstehender Wissenschaftler und Philosophen gekommen. Ihr Eifer und ihre Ehrfurcht für Tatsachen drängte sie, das Leben so zu sehen, zu verstehen und ihm so ins Auge zu blicken, wie es ist, ohne beschönigendes Denken. Doch trotz allem, was sie taten, um die Lebensbedingungen zu verbessern, scheint ihr Bild des Weltalls dem Einzelnen letztlich keine Hoffnung zu lassen. Der Preis ihrer Zauberkunststücke im Diesseits ist das Verschwinden eines Jenseits, und man ist geneigt, die alte Frage zu stellen: »Was hilft es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?« Logik, Intelligenz und Verstand sind befriedigt, aber das Herz verhungert. Denn das Herz hat fühlen gelernt, dass wir für die Zukunft leben. Die Wissenschaft mag uns langsam und ungewiss eine bessere Zukunft bringen – für einige Jahre. Aber dann wird das Ende kommen – für jeden von uns. Alles wird enden. Wie lange es sich auch hinausschiebt – alles Zusammengefügte muss zerfallen.
Trotz einiger gegenteiliger Meinungen ist dies immer noch die grundsätzliche Ansicht der Wissenschaft. In literarischen und religiösen Kreisen wird jetzt häufig angenommen, dass der Konflikt zwischen Wissenschaft und Glauben der Vergangenheit angehört. Einige Wissenschaftler versuchen sich sogar einzureden, dass mit der Aufgabe des rohen atomistischen Materialismus durch die moderne Physik die Hauptursache dieses Konfliktes beseitigt wurde.
Aber das ist durchaus nicht der Fall. In den meisten unserer großen Bildungskreise sind diejenigen, die es sich zur Aufgabe machen, die Vielfalt der Wissenschaft und ihrer Methoden zu studieren, weiter denn je von dem entfernt, was sie unter einem religiösen Gesichtspunkt verstehen.
Die Erkenntnisse der Kernphysik und der Relativitätslehre haben tatsächlich mit dem alten Materialismus ein Ende gemacht; jetzt aber geben sie uns das Bild eines Weltalls, in dem fast noch weniger Raum ist für Ideen mit irgendwelchem absoluten Ziel oder Plan.
Der moderne Wissenschaftler ist nicht etwa so naiv, Gott zu leugnen, weil dieser sich nicht mit einem Teleskop finden oder die Seele sich nicht durch ein Skalpell freilegen lässt. Er hat lediglich festgestellt, dass die Idee eines Gottes von der Logik her unnötig ist. Er zweifelt sogar, dass sie irgendeine Bedeutung habe. Er will nichts auf andere als rein logische Weise erklärt haben.
Er argumentiert, dass die Behauptung, alles Geschehen unterliege der Vorsehung und der Kontrolle Gottes, tatsächlich nicht mehr bedeute, als wenn man nichts sagt. Zu behaupten, dass alles von Gott erschaffen und regiert sei, hieße nichts anderes, als zu sagen: »Alles liegt bei ihm«, was wiederum gar nichts bedeutet. Diese Meinung hilft uns nicht, irgendwelche beweisbaren Vorhersagen machen zu können, und ist daher vom wissenschaftlichen Standpunkt aus von keinerlei Wert. Wissenschaftler mögen in dieser Hinsicht recht oder unrecht haben. Es ist nicht unsere Aufgabe, diesen Punkt zu diskutieren. Wir müssen nur feststellen, dass solcher Skeptizismus von ungeheurem Einfluss und tonangebend für die Stimmung des Zeitalters ist.
Was die Wissenschaft alles in allem sagt, ist dies: Wir wissen nicht – und aller Wahrscheinlichkeit nach können wir auch nie wissen –, ob Gott existiert oder nicht. Nichts, was wir wissen, lässt darauf schließen, dass er existiert, und alle Argumente, die behaupten, seine Existenz beweisen zu können, erweisen sich ohne logischen Rückhalt. Tatsächlich lässt sich aber auch nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt, doch die Last dieses Beweises liegt bei denen, die solche Behauptungen aufstellen. Wenn du an Gott glaubst – so sagt der Wissenschaftler –, so musst du das gänzlich gefühlsmäßig, ohne logische oder tatsächliche Grundlage tun. Praktisch gesprochen ist dieses Atheismus; theoretisch ist es einfach Agnostizismus.
Denn...
Erscheint lt. Verlag | 26.2.2014 |
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Reihe/Serie | O. W. Barth-Bibliothek der Spiritualität |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung | |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Östliche Weisheit / Alte Kulturen | |
Schlagworte | achtsamkeit buch • Achtsam leben • alan watts • alan watts bücher • alan watts deutsch • Asiatische Weisheit • Asiatische Weisheiten • bücher die dein leben verändern • Bücher Spiritualität • buch persönlichkeitsentwicklung • buddhistische Weisheit • buddhistische Weisheiten • buddhistische weisheiten buch • Daoismus • Erfüllung • Fernöstliche Weisheiten • Gesellschaftskritik • Gesellschaftskritische Bücher • Laotse • Laotse Weisheiten • Lebensführung • Lebensweisheiten • lebensweisheiten bücher • östliche Weisheitslehren • Persönliche Entwicklung • Persönliche Weiterentwicklung • Persönlichkeitsentwicklung • Persönlichkeitsentwicklung buch • philosophie bücher • philosophische Bücher • Religion und Gesellschaft • Sachbuch Philosophie • Spiritualität • spirituelle Bücher • Taoismus • tiefgründige bücher über das leben • Weisheit • Weisheiten Buch • Weisheitsbücher • Weisheitslehre • Zen • Zen Buddhismus • Zen-Buddhismus |
ISBN-10 | 3-426-42140-2 / 3426421402 |
ISBN-13 | 978-3-426-42140-6 / 9783426421406 |
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Größe: 534 KB
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