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Freunderlwirtschaft (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
416 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-7558-1049-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Freunderlwirtschaft -  Petra Hartlieb
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Es ist Kommissarin Alma Oberkoflers erste Woche in Wien, und schon hat sie einen toten Politiker am Hals. Max Langwieser: jung, konservativ, aufstrebend, Minister und bester Freund des Kanzlers, hat sich den Schädel an seinem Designerglastisch aufgeschlagen. Der Fall sorgt für einiges Aufsehen und bereitet Alma Kopfschmerzen. Denn von der einzigen potenziellen Zeugin, seiner Verlobten Jessica, fehlt jede Spur. Die sitzt derweil in ihrem roten MINI-Cabriolet und weiß nur eins: Sie muss weg, weg, weg. Wie ihr Leben innerhalb weniger Tage derart dramatisch den Bach runtergehen konnte, weiß sie dagegen nicht. Warum sie in ihrer Panik Max' Laptop eingesteckt hat, könnte sie im Nachhinein auch nicht mehr so genau sagen. Zum Glück hat sie oft genug Tatort geschaut, um zu wissen, wie man eine Zeit lang untertaucht. Vielleicht kommt sie ja doch noch lebend aus der Nummer raus. Unbestechlich gut: Petra Hartlieb blickt tief in die politische Seele Österreichs.

PETRA HARTLIEB wurde 1967 in München geboren und ist in Oberösterreich aufgewachsen. Sie studierte Psychologie und Geschichte und arbeitete danach als Pressereferentin und Literaturkritikerin in Wien und Hamburg. 2004 übernahm sie eine Wiener Traditionsbuchhandlung. Davon erzählen ihre Bestseller >Meine wundervolle Buchhandlung< und >Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung<. Bei DuMont erschienen außerdem >Wenn es Frühling wird in Wien<, >Sommer in Wien< und >Herbst in Wien<.

Die einzige Überlebende

Juni 1992, Linz

Alma wurde gegen neun Uhr wach, lag in ihrem Bett und horchte in die Stille, die über dem Haus lag. Kein Geräusch war zu hören, kein Klappern des Geschirrs, kein lautes Mozart-Violinkonzert, mit dem der Vater am Wochenende versuchte, die Töchter aus dem Bett zu scheuchen. Kein Geruch nach Kaffee und Toast, und als nach einer Viertelstunde noch immer niemand zum Frühstück rief, stellte Alma sich vor, ein schreckliches Unglück wäre über die Menschheit hereingebrochen, und sie wäre die einzige Überlebende auf Erden. Oder aber ihre Familie wäre entführt worden, und aus irgendeinem Grund hätte man sie vergessen, und sie konnte nun tun und lassen, was sie wollte, obwohl sie erst zwölf Jahre alt war. Alma liebte solche Tagträume. Was würde sie tun, wenn sie völlig ungestört wäre? Zunächst würde sie zwei Weißbrotscheiben dick mit Nougatcreme bestreichen und sich damit vor den Fernseher setzen. Keiner würde sich über Krümel oder Schokoflecken auf dem Sofa beschweren, ihr Vater würde keinen Vortrag über Karies halten, und sie könnte stundenlang im Schlafanzug vor der Glotze sitzen. Aber nein, das war kindisch, wäre sie wirklich die einzig Überlebende, würde sie sich selbstverständlich aufmachen, die Welt zu retten oder zumindest Spuren von Leben zu finden.

Aber was, wenn nur ihre Eltern weg wären? Dann würde sie wohl in ein Heim kommen oder zu Opa und Oma nach Tirol, obwohl die wahrscheinlich viel zu alt wären, um ein Kind aufzuziehen. Ihre eigenen Eltern waren ja schon ziemlich alt!

Vielleicht könnte sie dann mit Maria hier wohnen, die große Schwester war ja fast schon volljährig. War das erlaubt? Nun stand Alma doch auf, ging über den schmalen Flur ins Zimmer ihrer Schwester. Obwohl Maria ihr vor einem Jahr strikt verboten hatte, ohne anzuklopfen einzutreten, öffnete Alma leise die Tür. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, und die Sonne knallte durch das Fenster in ein perfekt aufgeräumtes Zimmer, leerer Schreibtisch, kein Kleiderhaufen auf dem Teppich. Auf dem Bett lag die faltenlose Tagesdecke, die Kuscheltiere saßen in einer ordentlichen Reihe am Kopfende und schienen Alma anzusehen. Hier hatte heute Nacht niemand geschlafen.

Alma dachte an den heftigen Streit, den Mutti gestern Nachmittag mit Maria gehabt hatte. Wieder einmal ging es um die Pflichten im Haushalt, um Sauberkeit und Ordnung und darum, dass Maria sich ihren Abend in die Haare würde schmieren können, wenn ihr Zimmer in so einem Zustand war. Danach hatte ihre große Schwester wütend und dadurch anscheinend höchst effizient ihr Reich in einen Top-Zustand versetzt. Hatte aufgeräumt und gesaugt, das Bett frisch bezogen und es mit der Tagesdecke bedeckt. Nicht mal eine Stunde hatte sie dafür gebraucht, und als sie fertig gewesen war, hatte sie sich an den oberen Treppenabsatz gestellt und gebrüllt: »Oberbefehlshaber Sturmbannführer, fertig zur Zimmerabnahme!«

Die Mutter war seufzend die Stiegen raufgegangen und hatte einen Blick durch die Tür geworfen. »Na siehst du, Maria. Geht doch«, hatte sie gemurmelt. »Um Mitternacht bist du daheim. Verstanden?«

»Jawohl, Herr Sturmbannführer! Ich wiederhole: Mitternacht.«

Alma wusste bisher nicht, dass es die Gesichtsfarbe »grau« gab. In ihrem großen Buntstiftkasten gab es einige Schattierungen rosa und eine Farbe, die war mit »Hautfarben« beschriftet. In der Straßenbahn sah man auch öfter Menschen mit dunkler Hautfarbe, und als sie kleiner gewesen war, hatte sie sie angestarrt, bis die Mutter ihr einen unsanften Stoß gab.

Nun saß Dorit Oberkofler mit grauem Gesicht am Küchentisch. Sie trug einen Bademantel über ihrem Nachthemd, obwohl es im Haus warm war. Ihre Hände lagen nebeneinander auf der Tischplatte, und als sie Alma bemerkte, riss sie den Kopf herum und sprang auf: »Weißt du was? Hat sie dir erzählt, wo sie hingegangen ist?«

»Wer?«

»Na, deine Schwester!«

»Ja, sie wollte zu Sabine. Videos schauen. Warum? Was ist denn los?«

»Sie ist nicht da.« Die Mutter stieß den Satz hervor, und es lag so viel Angst in ihrer Stimme, dass Alma augenblicklich zu weinen begann. »Wie, sie ist nicht da? Hat sie bei Sabine übernachtet?«

»Da ist sie nicht! Vati hat schon angerufen.« Die Mutter hatte Alma bei den Schultern gepackt und schüttelte sie. »Wenn du was weißt … du musst es uns sagen!«

»Aber ich weiß nichts. Wo ist denn Vati?«

»Im Wohnzimmer. Am Telefon. Er ruft alle Freundinnen an.«

Vom Rest des Tages wusste Alma nicht mehr viel. Es war wie ein Traum, immer wenn sie versuchte, sich genauer zu erinnern, verschwamm alles. Sie saß mit den Eltern im Wohnzimmer, ihr Vater hatte die gesamte Klassenliste abtelefoniert, niemand wusste, wo Maria steckte oder am Abend gewesen war.

Ihre beste Freundin Sabine hatte unter heftigem Weinen gestanden, dass sie gar nicht bei ihr gewesen sei, es auch gar nicht vorgehabt habe. Sie habe nur als Alibi herhalten sollen.

»Und du weißt nicht, wohin sie wollte?« Der Vater sprach leise, die Kiefer fest zusammengepresst, eine Haarsträhne hing ihm ins verschwitzte Gesicht. Alma beobachtete ihn, seine leise Stimme war unheimlich, und sie wünschte, er würde ins Telefon brüllen wie sonst auch, wenn er wütend war.

Stattdessen warf er das Telefon auf die Kommode, strich sich die Haare aus der Stirn und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Hans! Was ist? Was sagt die Sabine?« Die Mutter legte den Arm um seine Schulter, eine Geste des Trostes, dabei war ihr Gesicht ebenfalls vor Angst verzerrt.

»Sabine sagt was von einem Freund. Einen, den sie nicht kennt. Und Maria wollte mit ihm auf ein Feuerwehrfest, irgendwo außerhalb.«

»Was machen wir jetzt?«

»Wir rufen die Polizei.«

Der Vater saß kerzengerade auf dem Sofa, die Mutter hatte sich im großen Lesesessel mit untergeschlagenen Beinen zusammengefaltet, und Alma hatte das Gefühl zu ersticken. Niemand sagte ein Wort. Alma beobachtete die Staubpartikel, die im Sonnenlicht durchs Wohnzimmer schwebten, und ihr fiel auf, dass die Blätter des großen Gummibaums von einer grauen Schicht bedeckt waren. Von draußen drangen die Stimmen der Nachbarskinder hinein, sie warfen einen Ball gegen das Garagentor und zählten dabei laut mit. Die Eltern, die sich sonst immer über den Lärm der Kinder beschwerten, schienen es nicht wahrzunehmen. Niemand hob den Kopf, als Alma aufstand, um in ihr Zimmer zu gehen.

Dann endlich begann die Suche nach Maria. Zunächst eher zögerlich, die Polizei war davon überzeugt, dass sie abgehauen war und spätestens in ein paar Tagen wieder vor der Tür stehen würde. Doch Alma spürte, dass das nicht stimmte. Nie würde ihre große Schwester verschwinden, ohne ihr Bescheid zu sagen. Und warum auch? In zwei Wochen war die Matura vorbei, Maria wurde im August achtzehn, und dann konnte sie tun, was sie wollte. Warum sollte sie jetzt weglaufen?

»Ich kann nicht in die Schule gehen«, sagte Alma, als ihre Mutter am Montag um sieben Uhr früh die Vorhänge aufzog. Maria war seit sechsunddreißig Stunden verschwunden.

»Bist du krank?« Die Mutter legte Alma die Hand auf die Stirn. »Fieber hast du jedenfalls keines.« Als Alma sich zur Wand drehte und die Decke über den Kopf zog, verließ die Mutter das Zimmer, ohne auf einem Schulbesuch zu bestehen.

In dieser Position verbrachte die Zwölfjährige den Großteil der nächsten Tage und verfolgte die Ereignisse zu Hause wie durch eine Nebelwand. Die Eltern telefonierten sich immer wieder durch Marias gesamten Freundeskreis, doch niemand wusste etwas über den ominösen Freund, von dem Sabine erzählt hatte. Der Vater kopierte Zettel mit Marias Foto und hängte sie mithilfe der Nachbarn im gesamten Viertel auf, und als in den Lokalnachrichten ein Aufruf nach Hinweisen aus der Bevölkerung gesendet wurde, saß Alma zwischen den Eltern auf dem Sofa vor dem Fernseher. Der Mutter rannen die Tränen übers Gesicht, und der Vater presste seine Kiefer so fest zusammen, dass man es knirschen hörte, nur Alma saß unbeweglich zwischen ihnen und fühlte sich wie gelähmt.

In den nächsten Tagen herrschte im Hause Oberkofler hektische Betriebsamkeit. Polizisten gingen aus und ein, der Vater fuhr mit dem Auto immer wieder die Umgebung ab, während die Mutter das Telefon bewachte.

Alma lag die meiste Zeit in ihrem Bett und döste vor sich hin. Niemals zuvor hatte der Vater erlaubt, dass seine Töchter tagsüber im Bett lagen, doch nun war alles anders, die Eltern schienen ihre zweite Tochter komplett vergessen zu haben.

Eines Nachmittags klopfte es zaghaft an ihre Zimmertür, die Mutter schob den Kopf durch den Spalt. »Alma?«

»Was ist?« Alma tat, als würde sie mit irgendetwas auf dem Schreibtisch beschäftigt sein, in Wirklichkeit hatte sie einfach nur aus dem Fenster gestarrt.

»Da ist jemand, der dich sprechen will.« Sie öffnete die Tür, trat zur Seite und ließ die Frau eintreten.

»Ich bin Chefinspektor Susanne Kramer. Darf ich reinkommen?« Und zu Almas Mutter gewandt sagte sie: »Ich würde gerne kurz allein mit Ihrer Tochter sprechen.«

Frau Oberkofler zog die Tür von außen zu, und Alma stand vom Stuhl auf, setzte sich aufs Bett.

»Haben Sie meine Schwester gefunden?« Sie umschlang die Knie mit ihren Armen.

»Nein, leider. Deshalb wollte ich mit dir reden.«

Die Frau trug helle, weite Jeans und ein gestreiftes T-Shirt, die blonden Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten. Sie sah nicht aus wie eine Polizistin, eher so, wie Alma sich eine Schwedin vorstellte, ein Model aus dem Ikea-Katalog.

»Glaubst du, dass Maria weggelaufen ist?« Susanne Kramer hatte sich zu ihr auf die Bettkante gesetzt,...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Reisen Reiseführer Europa
Schlagworte aktuelle Lage • FPÖ • Ibiza • Korruption • Krimi Österreich • Krimi Wien • kurz • ÖsterreichKrimi • ÖVP • politisch • Sebastian • Skandal • Spannung • Wahl • Wien
ISBN-10 3-7558-1049-2 / 3755810492
ISBN-13 978-3-7558-1049-0 / 9783755810490
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