Den Wind im Haar, das Meer im Blick (eBook)
240 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-95910-386-2 (ISBN)
Manuela Warda, geboren 1975 in Oldenburg, wuchs in Niedersachsen auf. Nach einer Berufsausbildung zur Schauwerbegestalterin nahm sie ein Lehramtsstudium auf und unterrichtet seit 2005 an Grund- und Gesamtschulen. Seit Sommer 2019 ist sie Lehrerin auf Hooge. Das besondere Leben und Unterrichten auf der Hallig inspirierte sie zu ihrem ersten Buch »Den Wind im Haar, das Meer im Blick«.
Manuela Warda, geboren 1975 in Oldenburg, wuchs in Niedersachsen auf. Nach einer Berufsausbildung zur Schauwerbegestalterin nahm sie ein Lehramtsstudium auf und unterrichtet seit 2005 an Grund- und Gesamtschulen. Seit Sommer 2019 ist sie Lehrerin auf Hooge. Das besondere Leben und Unterrichten auf der Hallig inspirierte sie zu ihrem ersten Buch »Den Wind im Haar, das Meer im Blick«.
»Fährst du mit mir zur Hallig?«, fragte ich meine Freundin Lene.
»Ja klar! Ist das ein Festival?«
»So was Ähnliches«, lachte ich und erzählte ihr von der Stellenausschreibung.
Als wir dann in Nordstrand auf dem Deich standen, war jegliche Begeisterung für diesen Trip bei meiner Freundin verflogen.
»Ich hab ganz furchtbar geträumt, Ela. Du darfst da nicht hingehen! Da waren Zombies, die haben dich gebissen. Du wurdest auch ein Zombie. Das war voll schrecklich!«
Wir blickten nach Lüttmoor, wie Nordstrandischmoor auch genannt wird. Um uns herum blökten Schafe. Es sah eigentlich alles recht friedlich aus. Schrittchen für Schrittchen folgte ich den Schienen der Lorenbahn, die das Eiland über den Damm mit dem Festland verbinden. Dort in der Ferne war ein Rückzugsort, fernab vom Trubel, vom Termindruck, von Stress und Hektik, von Diskussionen und Machtkämpfen. Schwer erreichbar für neugierige und fordernde Menschen. Ohne Schiff oder Lore schien mir diese Distanz unüberwindbar. Dort wollte ich hin. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich verwandeln würde, fasste ich den Entschluss, dieses Abenteuer anzugehen. Mit dieser Entscheidung war der erste Schritt getan, doch bis sie in die Tat umgesetzt wurde, mussten noch zahlreiche weitere Schritte gegangen und viele Türen geöffnet werden.
»Das gibt’s doch nicht«, murmelte ich vor mich hin. Ich saß im Lehrerzimmer der Schule, die mir und meinen Kindern für das letzte Schuljahr Asyl bot. Es war niemand sonst im Raum, und so weckte meine Entrüstung auch kein Aufsehen. Bei Recherchen im Internet fand ich die Information, dass es für die Position der Halliglehrerin überhaupt keine offizielle Stellenausschreibung gab. Ich erfuhr, dass die Anzeige, die ich entdeckt hatte, lediglich ein Hilferuf besorgter Eltern war, die sich über die sozialen Netzwerke eine rasche Lösung erhofften. Die einzige Lehrkraft vor Ort war erkrankt, und der Platz sollte so schnell wie möglich wieder besetzt werden. Wenn das so einfach wäre. In der personalen Schullandschaft unseres Landes gab es Planstellen, unbefristete und befristete Stellen, Feuerwehrlehrkräfte, Springer, Abordnungen und jede Menge Bürokratie. Erkrankte eine Lehrkraft, bedeutete das nicht zwangsläufig, dass diese Stelle frei war. Sie musste zunächst unter bestimmten Voraussetzungen vertreten werden. Ich kannte das System, aber war froh, nicht in einer Position zu sein, die in solchen Belangen Entscheidungen treffen musste. Da hätte ich wahrscheinlich weitaus mehr unruhige Nächte gehabt.
Das Für und Wider hin und her gewälzt, die Konsequenzen abgewogen. Alles gestützt auf eine Fehlinformation. Die Tür, die sich hier in ein gänzlich anderes Leben geöffnet hatte, fiel einfach wieder zu.
»Na toll«, seufzte ich und stand auf. Ich nahm den Stapel Mathearbeiten, die ich meinen Kindern zurückgeben wollte. »Dann eben nicht. Es wird sich eine andere Tür öffnen.«
Doch dass diese Tür nicht wirklich geschlossen war, zeigte sich nur wenige Tage später. Als sich der Tag zur Ruhe legte, stöberte ich vor dem Einschlafen noch einmal durch die Internetseiten, die mich in den vergangenen Tagen so sehr in ihren Bann gezogen hatten. Darunter die Seite des Bildungsministeriums Schleswig-Holsteins mit den aktuellen Stellenausschreibungen – und dort stand es, ganz offiziell und klar bezeichnet. Das Land brauchte eine Halliglehrerin. Alles wieder auf Anfang.
Als ich am darauffolgenden Tag die Nummer des Schulamtes in Schleswig-Holstein wählte, zitterte meine Hand. Ich wollte es hören, wollte sichergehen, dass sich meine Pläne nicht auf irgendwelche Fake News stützten.
»Ist dies tatsächlich eine richtige Stellenausschreibung, auf die ich mich bewerben kann?«
»In der Tat, ja. Schicken Sie Ihre Bewerbungsunterlagen online, und wenn Sie aus einem anderen Bundesland kommen, benötigen Sie außerdem die Freistellung.«
»Das wird gar nicht so einfach«, meinte eine Kollegin, der ich meine Pläne anvertraut hatte. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher und schüttelte den Kopf. »Bei dem Lehrermangel zurzeit. Überall fehlt es an Kollegen und Kolleginnen. Es gibt nicht genug Anwärter. Gerade an den Grundschulen. Ich glaub nicht, dass Niedersachsen dich dann gehen lässt.«
Ich schwieg und nippte an meinem Tee. In Gedanken formulierte ich aber bereits meine Sätze aus, mit denen ich die Dezernentin überzeugen wollte.
»Aufgrund der Schulschließung wurde mir mein Dienstort genommen, an dem ich weiß Gott sehr gern gearbeitet habe. Ein Wechsel steht mir so oder so bevor. Ich hinterlasse keine Lücke, wenn ich gehe. Diese Stelle auf der Hallig ist eine ganz besondere Gelegenheit, eine Chance auf eine ganz außergewöhnliche Arbeit. So möchte ich gern an dieser Stelle über meinen beruflichen Werdegang mitbestimmen dürfen und bitte inständig um die Freistellung, damit ich mich bewerben kann.«
Ich weiß nicht, ob meine Worte ausgereicht hatten oder ob mich die frisch im Amt sitzende Dezernentin einfach glücklich machen wollte, jedenfalls erhielt ich zwei Tage später die Freistellung und bewarb mich in Schleswig-Holstein.
Nun stand ich vor der nächsten und alles entscheidenden Tür – Ella. Während meine zwei älteren Töchter bereits ausgezogen waren, wohnte die Achtjährige bei mir. Wo ich hinging, ging auch sie hin. Doch ich wollte nicht über ihren Weg entscheiden und sie mit mir zerren, sondern gemeinsam Schritt für Schritt ins Abenteuer gehen.
Es war ein ruhiger Nachmittag. Die Hausaufgaben waren erledigt, und ich lümmelte mit Ella auf dem Sofa herum. Die Sonne schien und schickte ihre Strahlen durch die kleinen Butzen unserer Holzfenster, die das Wohnzimmer in ein wohliges Leuchten tauchten.
»Duuuu, Ella, ich habe die Möglichkeit, einen Job an einer ganz anderen Schule an einem sehr speziellen Ort zu bekommen.«
Auf meinem Handydisplay fuhr Hallig-Postschiffer-Legende Fiede Nissen mit der Lore nach Langeneß, Ringelgänse weideten auf den grünen Flächen, und das Meer spülte ans Land. Ella warf einen kurzen Blick darauf. Sie schaute mich an. Ich sah keine Angst in ihren Augen, aber auch kein Interesse. Sie sah mich einfach nur ruhig an, und ich glaube, dass sie in meinen Augen viel mehr wahrnahm, als es für ein achtjähriges Mädchen üblich ist.
Schließlich zuckte sie mit den Achseln und meinte: »Wenn du da gern hinmöchtest, komme ich natürlich mit. Aber meine Kuscheldecke kommt auch mit.«
Damit war für sie die Entscheidung gefällt, die nächste Tür geöffnet.
»Glaubst du wirklich, dass sie in ihrem Alter überhaupt überblicken kann, was das bedeutet?« Ihre große Schwester sprach aus, was auch mir durch den Kopf ging. Würde ich Ella aus ihrem sicheren Leben reißen? Sie war in keinem Verein, ihre engste Freundin war vor Jahren nach Berlin gezogen, eine weitere zog in diesen Tagen nach Süddeutschland. Die Schule langweilte sie, die vielen Kinder und die Lautstärke nervten. Was nahm ich ihr weg?
»Na, dann wird das aber schwierig mit jedem zweiten Wochenende. Das ist ja viel zu weit«, sagte ihr Vater. Wir gingen seit Jahren getrennte Wege.
Vielleicht würde uns der Abstand guttun, vielleicht auch nicht. Ob er für unsere Tochter gut war, konnte ich noch nicht sagen.
»Was wird aus dem Haus? Wer kümmert sich drum?«, fragte er.
»Ein guter Freund wohnt hier, solang wir weg sind, und kümmert sich um alles.«
»Wie lange bleibt ihr da?«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Mehrfach hatte das Leben mich gelehrt, dass Pläne durchkreuzt werden und es meist anders kam, als man dachte. Wie lange sollte unser Abenteuer dauern? Was, wenn es nicht klappen sollte? Wenn Ella krank vor Heimweh würde? Wenn ich die Aufgaben nicht würde bewältigen können? Plötzlich alle Altersklassen gleichzeitig in allen Fächern zu unterrichten – wie sollte ich das allein schaffen? Wann würde ich Ella als einzige Lehrerin nicht mehr genügen? Und was wäre, wenn es perfekt würde?
»Erst mal ein oder zwei Jahre, würde ich sagen. Dann schauen wir mal, wie es mit Ella und der Schule geht. Vielleicht auch länger, vielleicht auch gar nicht. Das Bewerbungsgespräch steht ja noch aus.«
Die nächste Tür, die ich zu durchschreiten hatte, war die des Schulamtes in Husum, wo man mich zum Bewerbungsgespräch erwartete.
Lene und ich glitten über die Autobahn. Ich achtete peinlich genau darauf, ausreichend Abstand zu den Fahrzeugen vor mir zu halten. Lene hasste schnelle Fahrten auf der Autobahn. Im Normalfall bremste sie vehement im Beifahrerfußraum mit und klammerte sich am Haltegriff fest. Doch aufgrund meiner umsichtigen Fahrweise war sie diesmal sehr entspannt. Vermutlich auch, weil ihre Gedanken ganz woanders waren. Die Zombies geisterten noch in ihrem Kopf herum. Morgen würde mein Bewerbungsgespräch stattfinden. Bis dahin genossen wir unseren Wochenendtrip, richteten uns in der Pension ein, fuhren spazieren, tranken Roséwein und lachten über das Leben.
Am nächsten Tag regnete es. Mit schnellen Schritten hastete ich zum Schulamt, während Lene im Auto auf mich wartete. Offensichtlich war ich nicht die einzige Bewerberin, denn vor mir verließ eine junge Frau das Büro, das ich nun betrat. Es war ein angenehmes Gespräch, positiv, gut strukturiert und interessant. Ich ging mit einem guten Gefühl. Eine Frage nahm ich mit ins Auto zu Lene. Die Scheiben waren beschlagen.
»Was würden Sie als Ihre Schwäche bezeichnen?«
Diese Frage fand ich schwierig. Nicht weil ich meine Schwächen nicht...
Erscheint lt. Verlag | 6.8.2022 |
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Reihe/Serie | Sehnsuchtsorte |
Sehnsuchtsorte | Sehnsuchtsorte |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Deutschland |
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ISBN-10 | 3-95910-386-7 / 3959103867 |
ISBN-13 | 978-3-95910-386-2 / 9783959103862 |
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