Am grünen Fluss (eBook)
240 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99779-9 (ISBN)
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie unter anderem nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Österreich und Bayern, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie eine der beliebtesten Reiseschriftstellerinnen Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei Malik und National Geographic Malik erschienen mehr als zwanzig Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller »Unterwegs sein ist mein Leben«.
Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang der Isar durch Bayern und Österreich, stets auf der Suche nach intensiven Begegnungen und Naturerlebnissen. Heute ist sie die beliebteste Reiseschriftstellerin Deutschlands, dreht Dokumentarfilme, schreibt für Zeitschriften und hält Vorträge über ihre Reisen. Mit ihren persönlich geschriebenen Reiseberichten hat sie sich inzwischen eine große Fangemeinde erworben. Bei MALIK und MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC erschienen mehr als zehn Bücher von Carmen Rohrbach, darunter der Spiegel-Bestseller "Unterwegs sein ist mein Leben".
Quellensuche
Für »meinen« Fluss kann ich mir keinen passenderen Geburtsort vorstellen als das wilde Karwendelgebirge in den Alpen. In vier langen Bergketten erstreckt es sich von Ost nach West und schließt drei Täler ein.
Das Felsenreich duldet nur zeitweise Gäste: im Sommer die Bergwanderer und den Almauftrieb des Viehs, im Winter einige verwegene Skitourengeher. Die Bergketten aus lichtgrauem Kalkgestein können nur geübte Wanderer überschreiten, und der schroffe Felsaufbau mit seinen schwindelerregenden Abstürzen, Spitzen und Pfeilern ist sowieso nur etwas für die Spezialisten unter den Felskletterern. So entzieht sich das Karwendel auf natürliche Weise den Aktivitäten der Menschen und blieb bis heute eines der ursprünglichsten Gebiete der Alpen.
Quellensuche – ein aufregendes Spiel. Irgendwo in diesen Bergen entspringt die Isar, aber wo genau? Der Streit um die einzig richtige Isarquelle ist alt. Die Scharnitzer hatten im Hinterautal, in einer Gegend, die von alters her »Bei den Flüssen« heißt, eine Tafel angebracht mit der Aufschrift »Isar-Ursprung«. Das Schild war wenig später verschwunden und weiter oben im Gebirge am Halleranger, das schon zu Tirol gehört, tauchte ein neues auf: »IsarQuelle«.
Als wolle sie sich von Anfang an mit einem Geheimnis umgeben, macht es uns die Isar schwer, ihren Geburtsort genau zu bestimmen. Kann es eine spannendere Voraussetzung für meine Quellensuche geben? denke ich, als ich an einem sonnigen Tag im Juli in Scharnitz aus dem Zug steige und den Rucksack schultere. Mein Plan ist einfach: Ich will dem Flusslauf hinauf in die Berge folgen, bis dorthin, wo das Wasser erstmals ans Licht kommt.
Vom Bahnhof aus gehe ich geradewegs durch den Ort und suche meinen Fluss. Nachdem ich ein paar Straßen überquert habe, stehe ich auf einer Brücke – eine Inschrift zeigt an, dass sie in den Jahren 1963/64 erbaut wurde – und blicke hinab auf ein schnell fließendes, weiß schäumendes Gewässer, kein Bach mehr und doch noch zu schmal, um bereits ein Fluss zu sein. Trotzdem, es ist schon die Isar. Die Erwartung kribbelt in mir. Wie mag die Stelle aussehen, an der sie zum ersten Mal an die Erdoberfläche tritt?
Der kleine Ort Scharnitz liegt bald hinter mir und ich steige auf breitem Forstweg hinauf ins Gebirge. Die Isar ist von diesem Weg aus nicht sichtbar und so verlasse ich ihn, schlage mich durch den Wald, bis ich vor einer Abbruchkante stehe und in eine enge Klamm blicke. Tief unten rauscht sie, die Isar. Sie hat den Felsriegel durchbrochen. Türkisblau leuchtet sie zwischen senkrechten Wänden.
Ein Raunen schwingt durch die Luft – der Wind hält Zwiesprache mit den Blättern. Auf Moospolstern malen Sonnenstrahlen goldene Kringel, es riecht nach moderndem Holz und nach Pilzen. Im Schatten des Waldes gedeiht blauer Schwalbenwurzenzian und dort, zwischen braunem Laub, lockt mich eine rote Blüte. Ich knie mich nieder und staune: ein wildes Alpenveilchen! Blumenläden quellen über von gezüchteten Alpenveilchen, und wohl niemand denkt bei seinem Namen daran, dass es ursprünglich aus den Alpen und anderen Hochgebirgen stammt, niemand schätzt es als besonders wertvoll ein. Weil diese zarte Blütenpflanze aber wild und frei hier im Gebirgswald wächst, ist sie für mich wie ein kleines Wunder und ein gutes Omen gleich zu Beginn meiner Isarwanderung.
Am fließenden Wasser dem Ursprung entgegenzugehen ist einfacher gesagt als getan. Nach wenigen Kilometern entstehen Zweifel, denn von links schnellen Wassermassen in die Felsenklamm und vereinigen sich mit der Isar. Es sind nun zwei Quellbäche. Welchem soll ich folgen? Mittels Wanderkarte klärt sich das Problem: Es ist der Karwendelbach.
Zwei Kilometer später wieder ein wild schäumendes Wasser, diesmal von rechts, der Gleirschbach. Wäre ich in einem unerschlossenen Gebiet, müsste ich den drei Quellbächen folgen und sie vermessen, um den längsten und damit die Quelle meines Flusses festzustellen. Aber Kartografen und Hydrologen haben diese Arbeit längst vollbracht. Trotzdem bleibt die Suche nach der Isarquelle für mich reizvoll.
Bisher habe ich von oben in die Schlucht hinabgeblickt. Mehr als fünf Kilometer lang ist dieser Felsriegel, den die Isar zerteilt hat, beharrlich wie nur Wasser es vermag. Am Ende der letzten Eiszeit vor 11000 Jahren war es endlich so weit – die Isar hatte den Fels bezwungen und sich ihren Durchgang frei gespült, gewissermaßen war es ihre Geburt.
Dann weitet sich die Schlucht zu einem Talgrund, dem Hinterautal, und ich kann am Ufer entlangwandern. Glockenblumen nicken mit hellblauen Blüten im Wind, als wollten sie mit unhörbarem Klingen in das murmelnde Wasser einstimmen. Zart sehen diese Pflanzen aus, aber ihre unterirdischen Ausläufer sind zäh und verankern das lockere Geröll.
Ungehindert kann die Isar in der weiten Ebene ihren Lauf wählen. Sie breitet sich aus, teilt sich in immer neue Rinnsale, sammelt sich wieder zu einem munter springenden Gebirgsbach, der seine kalkweißen Kiesel über das Tal verstreut.
Das kristallklare Wasser ist hier noch keineswegs isargrün, sondern eisblau und beißend kalt. Dennoch macht es mir Vergnügen, barfuß hindurch zu waten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rette ich mich auf eine Kiesfläche und genieße es, wie sich meine Beine vom Kälteschock erholen. Doch kaum sind sie warm, verlockt es mich wieder, in das eisige Nass zu steigen. Es ist aber nicht nur die Kälte, die mich fasziniert, sondern auch die ungestüme Kraft der jungen Isar. Obwohl mir das Wasser nur bis zu den Waden reicht, brandet es wütend an, droht mich umzuwerfen und mit sich zu reißen.
Sonnenstrahlen zeichnen ein netzartiges, sich dauernd veränderndes Muster auf den steinigen Untergrund. Ich kann mir kaum vorstellen, dass in diesem eiskalten und nährstoffarmen Wasser Tiere existieren können. Neugierig wälze ich einige Steine zur Seite und werde tatsächlich fündig. Seltsame Wesen hocken in den Mulden oder haften an Steinen: die Körper platt gedrückt, die Köpfe glupschäugig, pinselartige Ausstülpungen beidseits des Hinterleibs und drei gespreizte Schwanzborsten. Nur wenige Millimeter messen diese urigen Tiere. Wären sie größer, würden sie furchterregenden Monstern gleichen.
Es sind die Larven von Eintagsfliegen. Ihre Jugend verbringen sie oft über Jahre hinweg bei niedrigen Temperaturen im reißenden Wasser. Als fertiges Insekt leben sie nur Stunden, tanzen als Wolke über dem Wasser, suchen und finden einen Paarungspartner.
Quer über der Isar liegen modernde Baumstämme, Naturbrücken für Marder, Füchse und andere Wildtiere. Auch ich balanciere ohne Mühe von einem Ufer zum anderen, schlage mich durch ein Dickicht und folge einem weiteren Zufluss bis zu einem Sumpf. Ich lausche den blubbernden Geräuschen und sehe Wasser, das sich seinen Weg ans Licht bahnt.
Jetzt wäre es Zeit für ein ergreifendes Gefühl – denn ich befinde mich am offiziellen Isar-Ursprung »Bei den Flüssen«. Aber war da nicht noch dieses andere Schild mit der Aufschrift »Isar-Quelle«, einige Kilometer weiter oben im Gebirge, beim Halleranger?
Ich denke mir, »meine« Isar ist eben von Anfang an etwas Besonderes. Mit nur einer Quelle gibt sie sich nicht zufrieden. Wen stört es da, dass dieses zweite Quellwasser oben am Halleranger zunächst Lafatscherbach heißt?
»Was! Alles zu Fuß von Scharnitz? Bist du denn narrisch, den ganzen langweiligen Weg bis rauf zur Hallerangeralm zu gehen?«
Verständnislose Blicke mustern mich. Einer der knallbunt gekleideten Biker fragt mitfühlend: »Hast du denn kein Fahrrad?«
Die Radtouristen werden nachdenklich, als sie von meinem Plan hören.
»Das wär mal was – von der Quelle zur Mündung. Gar nicht dumm!«, meint einer mit pinkfarbener Latexhose.
»Wir sind dabei, aber nur mit dem Bike!«, rufen die anderen im Chor. Dann greifen sie sich ihre dick bereiften Räder und schieben sie den steilen Pfad zur Kastenalm hinab. Wegen der lockeren Steinblöcke trauen sie sich nun doch nicht zu fahren.
Von Scharnitz zum Halleranger sind es 25 Kilometer und 800 Höhenmeter. Fünf Stunden Gehzeit wird in der Tourenbeschreibung dafür angesetzt. Zur Kastenalm, 550 Meter weiter unten, ist der 20 Kilometer lange Weg so gut befahrbar, dass ich zu Fuß als Exot belächelt werde. Ich würde aber nicht tauschen wollen. Mit dem Fahrrad ist man zu schnell und fährt an allem vorbei, da hätte ich nicht das Alpenveilchen entdeckt, nicht in die wilde Schlucht hinabgeblickt, nicht den einströmenden Karwendel- und Gleirschbach gesehen, wäre nicht durch eisiges Wasser gewatet und hätte nicht Eintagsfliegenlarven gesucht. Nur zu Fuß hat man die passende Geschwindigkeit, dass sich die Sinne öffnen und die Gedanken frei schwingen können.
Umgeben ist die Hallerangeralm von lichtgrauen Felsgipfeln: Lafatscher, Speckkar, Bettelwurf, Gamskar heißen sie. Ein sanft rieselnder Wiesenbach zieht in zahlreichen Windungen leise plätschernd den Hang hinab – die Isar, alias Lafatscherbach. Die Spannung wächst: Wo mag der Bach entspringen?
Wenige Minuten von der Berggaststätte Hallerangeralm entfernt, verkündet ein Holzschild: »Isar-Quelle«. Aber wie enttäuschend! Trotz der schriftlichen Ankündigung ist das Bachbett trocken, die Kiesel bleichen in der Sonne. Am Ufer wuchert Latschengestrüpp.
Erst hundert Meter almabwärts drückt Wasser zwischen Gräsern nach oben und speist den Wiesenbach. Das Bild will so gar nicht mit meiner Erwartung übereinstimmen. Deshalb steige ich im trockenen Bachbett weiter hinauf. Zunächst führt es mich in Richtung Überschalljoch und zielt dann nach einer scharfen Kehre zur Gamskarspitze.
Der Anstieg in der glatten Bachrinne wird zur Klettertour. Bedrohlich ragen riesige Kalkwände vor mir auf. Überhängender...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Reisen ► Reiseberichte ► Deutschland |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Schlagworte | Abenteuer • alleine reisen • allein reisen • allein reisen ab 50 • allein reisen ab 60 • allein reisen Frau • Auf sich gestellt • Bayern • Berge • Buch • Bücher • Donau • Einsamkeit • Fahrrad • Fluss • Isar • mit Zelt • Mündung • Natur • Quelle • Reise • Reisebericht • Reisebeschreibung • Schlauchboot • Ski • Solo • Wälder • Wandern • weit wandern • Weitwandern • Wildnis • Zu Fuß |
ISBN-10 | 3-492-99779-1 / 3492997791 |
ISBN-13 | 978-3-492-99779-9 / 9783492997799 |
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