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China nach Mao (eBook)

Der Aufstieg zur Supermacht
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
464 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12183-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

China nach Mao -  Frank Dikötter
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»Ein revolutionäres Buch« Sunday Times Frank Dikötter, der »Historiker des modernen Chinas«, hat das künftige Standardwerk zum Aufstieg Chinas zu der Supermacht des 21. Jahrhunderts vorgelegt. Eine mutige, facettenreiche Darstellung Chinas, das seine inneren Schwächen mit einer expansiven Wirtschafts- und Außenpolitik und aggressiven Maßnahmen in und außerhalb der Volksrepublik überdeckt. Frank Dikötter zeichnet den Weg Chinas zur Wirtschafts- und Weltmacht nach. Es handelt sich in der gesamten Geschichte um einen einzigartigen Aufstieg mit dem Ziel, der mächtigste und einflussreichste Staat der Welt zu werden. China aber ist ein Drache, der größer scheint, als er ist und weltweit Respekt erhalten will und daher nicht selten mit den Ängste vor seiner Größe spielt. Das Kernstück des Buchesbilden die Jahre des fulminanten Aufstiegs seit 1976, eine herausragende Darstellung, wie sie in den kommenden Jahren unter XI Jinping nicht mehr möglich sein wird, weil China zum Überwachungsstaat mutiert ist. China möchte sich abschotten, um seine Mängel zu kaschieren, dennoch autark werden und die Fäden der künftigen Welt- und Machtpolitik den USA aus den Händen nehmen. Dikötter stellt gleichhzeitig Stärken und Schwächen Chinas heraus - eine schonungslose Warnung vor der chinesischen Machtpolitik. Die eigentliche Weltmacht des 21. Jahrhunderts ist viel gefährlicher als bekannt, weil China seine Schwächen bewusst verschleiert. Ein Buch, das man heute lesen muss, um morgen nicht ähnliche Schrecken erleben zu müssen, wie derzeit mit Russland. »Der Historiker von China« Spectator »Ein pulsierender Bericht, der deutlich macht, wie wichtig es ist, unter die Oberfläche zu blicken, wenn es um irgendeine Periode oder Region in der Geschichte geht - aber vor allem um China.« Peter Frankopan,  Times Literary Supplement

Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch »Maos Großer Hunger« erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.

Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch »Maos Großer Hunger« erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.

Vorwort


Im Sommer 1985, als der Film Zurück in die Zukunft des Regisseurs Robert Zemeckis der größte Kassenschlager des Jahres wurde, machte ich mich als Student der Genfer Universität auf, um in China Mandarin zu studieren. Das chinesische Außenministerium teilte mich der Nankai-Universität in Tianjin zu, einer großen Küstenmetropole in der Nähe von Peking mit einer Bevölkerung von fünf Millionen (heute ist die Stadt drei Mal so groß). Ich flog nach Hongkong, wo ich die Grenze überschritt. Dann nahm ich mir eine Woche Zeit für die Bahnreise nach Norden und schloss unterwegs Freundschaften. Ein Freund erinnerte sich nicht an meinen Nachnamen und schickte mir später eine Postkarte, adressiert an »Frank aus Holland, Tianjin, China«. Das Postamt hatte keinerlei Schwierigkeiten, mich aufzutreiben, denn es gab in der ganzen Stadt nur achtzig Ausländer, darunter sieben Holländer und einen Frank.

Wie alle großen Städte in China hatte auch Tianjin ein Netz breiter Boulevards, die mit Hilfe sowjetischer Experten in den 1950er Jahren angelegt worden waren. Stau war ein Fremdwort: In dieser Nation von über einer Milliarde Menschen gab es nicht einmal zwanzigtausend private Fahrzeuge. Aber getrennt von den Bussen, den Lastwagen und dem einen oder anderen Auto, traten Scharen von Pendlern auf eigens ausgewiesenen Seitenstreifen gemächlich in die Pedale. Da sie schon beim ersten Morgengrauen aufstanden und noch vor Sonnenuntergang wieder heimfuhren, herrschte in der Stadt ab 21 Uhr eine Grabesstille. Manchmal hatte ich alle sechs Spuren für mich, wobei die Straßenlaternen mein Fahrrad nur schwach beleuchteten.

Anlässlich der Hundertjahrfeier der Nankai-Universität kehrte ich im Oktober 2019 zurück. Tianjin schien nun völlig verändert, die Skyline war von strahlenden Wolkenkratzern hell erleuchtet, das Stadtbild erstreckte sich weit, mit einer scheinbar endlosen Ansammlung von Apartmenthäusern und Bürogebäuden, teils fertiggestellt, teils noch im Bau. Wo man auch stand, bei klarem Himmel konnte man das Tianjin Finance Centre fast sechshundert Meter hoch in den Himmel aufragen sehen, dessen Glas wie eine gigantische Kristallnadel im Sonnenlicht glitzerte. Doch der Schein kann trügen. Meine ehemaligen Lehrer und deren Nachfolger lebten immer noch in den gleichen schäbigen Betonblöcken, deren Balkone mit Topfpflanzen vollgestellt waren; die Flure waren immer noch mit ramponierten Fahrrädern überfüllt, die für Fahrten auf dem Campus genutzt wurden. Es gab allerdings einen Unterschied, wurde mir gesagt: Die Kinder der meisten Professoren waren inzwischen in den Vereinigten Staaten.1

Vor nicht allzu langer Zeit hatte die Volksrepublik China offiziell den vierzigsten Jahrestag der »Reform- und Öffnungspolitik« gefeiert, wie man das von Deng Xiaoping im Dezember 1978 eingeleitete Programm der Wirtschaftsreformen nannte. Der rapide Wandel eines isolierten Landes, das noch unter dem Chaos der Kulturrevolution litt, zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft wird durchweg als ein Wunder gepriesen. Der Untertitel eines akademischen Sammelbandes – How the Miracle Was Created – fasst die vorherrschende Auffassung zusammen. Einigen Experten bereitet offenbar weniger Kopfzerbrechen, ob man wirklich von einem Wunder sprechen kann, sondern ob es möglicherweise nun am Ende angelangt ist.

Aber woher wollten die Experten das wissen? Seit meinem Einzug in das Wohnheim vor 35 Jahren beobachtete ich, dass unzählige ausländische Studierende viel Zeit mit Spekulationen darüber verbrachten, was in Peking vor sich ging. Einige davon wurden zu China-Beobachtern. Ihre Methode schauten sie sich bei den Kreml-Beobachtern ab: In Ermangelung verlässlicher Informationen zogen sie notgedrungen die abstrusesten Rückschlüsse auf Indizien bezüglich Zhongnanhai, dem Hauptquartier der Partei unmittelbar neben der Verbotenen Stadt in Peking. Dazu gingen sie von der Position aus, die die jeweiligen Parteiführer auf der Tribüne bei Paraden auf dem Tiananmen-Platz (Platz des Himmlischen Friedens) einnahmen, oder vom Layout der Berichte in der Volkszeitung Renmin Ribao oder auch von der Häufigkeit bestimmter Wendungen im Rundfunk. Ich war skeptisch und zog es vor, die Vergangenheit zu erforschen.

Ich bin immer noch skeptisch. Entgegen den Annahmen, die man nach vierzig Jahren »Reform und Öffnung« erwarten sollte, unterscheidet sich die Situation heute gar nicht so sehr von früher. Vor einigen Jahren bezeichnete Li Keqiang, der seit März 2013 amtierende Ministerpräsident Chinas, die Zahlen für die Inlandsproduktion als »von Menschen gemacht und deshalb unzuverlässig«. Experten wissen das natürlich und finden Wege, das zu umgehen. Es gibt beispielsweise einen »Li-Keqiang-Index«, den der Regierungschef selbst benutzt, um die Wirtschaftsleistung zu überwachen, indem er den Gesamtstromverbrauch untersucht. Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass wir sehr wenig wissen. Wie der China-Beobachter James Palmer unlängst meinte: »Kein Mensch weiß irgendetwas über China: einschließlich der chinesischen Regierung.«[1] Selbst das kleinste Puzzleteilchen an Information ist unzuverlässig, unvollständig oder verzerrt. Wir kennen nicht die wahre Größe der chinesischen Volkswirtschaft, weil keine lokale Verwaltung jemals korrekte Zahlen meldet, und wir kennen nicht das genaue Ausmaß fauler Kredite, weil die Banken diese verheimlichen. Jeder gute Forscher hat ständig das Paradox von Sokrates im Kopf: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber mit Blick auf China wissen wir nicht einmal, was wir nicht wissen.

Unmittelbar gegenüber dem Nordtor der Nankai-Universität, auf der anderen Seite einer verstopften, achtspurigen Durchgangsstraße, beherbergt ein großes, höhlenartiges Gebäude, das von jungen Soldaten bewacht wird, das Stadtarchiv von Tianjin. Während meiner Zeit als Student wäre der Zutritt undenkbar gewesen. Aber im Jahr 1996 wurde das Gesetz, das den Zugang zu Archiven regelte, geändert und immer mehr frei gegebene Quellen wurden schrittweise Historikern zugänglich gemacht, die ein Empfehlungsschreiben vorweisen konnten. Auch wenn die sensibelsten Informationen immer noch sicher in den Archivgewölben verwahrt blieben, wurde es immerhin zum ersten Mal Forschern gestattet, tief in die Finsternis der Mao-Ära einzutauchen.

Ein ganzes Jahrzehnt lang studierte ich Tausende von Parteiunterlagen, reiste kreuz und quer durch das Land, vom subtropischen Guangdong bis in das arme und trockene Gansu, eine Provinz in der Nähe der mongolischen Wüsten. In gelben Aktenordnern fanden sich, von Hand geschrieben oder sauber abgetippt, geheime Protokolle hoher Parteiversammlungen, Ermittlungen in Fällen des Massenmordes, Geständnisse von Parteiführern, die für den Hungertod von Millionen Dorfbewohnern verantwortlich waren, Berichte über den Widerstand auf dem Land, vertrauliche Meinungsumfragen, Beschwerdebriefe einfacher Bürger und vieles mehr. Ich schrieb drei englischsprachige Bücher, die sogenannte »People’s Trilogy«, über das Schicksal der einfachen Menschen unter Mao.

Der Zeitpunkt war günstig. Nach Xi Jinpings Aufstieg an die Macht im November 2012 wurden die Archive wieder eins nach dem anderen geschlossen. Ganze Stapel von Quellen zu »Maos Großem Hunger« und zur Kulturrevolution wurden seither wieder zur Verschlusssache erklärt. Aber paradoxerweise waren die letzten Jahre eine gute Phase für die Erforschung der Jahrzehnte der »Reform und Öffnung«. Denn jahrelang hatte man dem chinesischen Volk, einschließlich jedem Archivar, eingebläut, dass sich nach 1978 nichts Geringeres als ein Wirtschaftswunder ereignete, ein Wunder, das ausländischen Kapitalisten den Atem verschlug. Die Mao-Ära wird von einer finsteren Wolke verhüllt, doch diese löst sich in dem Moment auf, wo von »Wirtschaftsreform« die Rede ist. Inzwischen können wir, zum ersten Mal, tatsächlich die von der Kommunistischen Partei hinterlassenen Quellen nutzen, um die Geschichte der Partei seit 1976 zu untersuchen.

Jeder demokratische Staat verfügt über eine Flut an Bestimmungen und Regeln, die festlegen, welche...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2023
Übersetzer Norbert Juraschitz, Helmut Dierlamm
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Regional- / Landesgeschichte
Naturwissenschaften Geowissenschaften Geografie / Kartografie
Schlagworte Afrikanisch-chinesische Beziehungen • Asien • Ballungsgebiete und Städte • China und der Westen • China und Russland • China von Maos Tod bis 1981 • China vs USA • Deng Xiaoping • Ein Land • Entwicklung zur Weltmacht (21. Jahrhundert) • Expansive Außenpolitik • Geschichte Asiens • Große Sprung (1958-1961) • Hongkong • Kommunismus • Kulturrevolution • Maoismus • Mao Zedong • Mao-Zedong-Ära (1949–1976) • Minderheiten • Neue Bücher Herbst 2023 • Neuerscheinung 2023 • Neuerscheinung Sachbuch • Nordkorea • Reform und Öffnung (1976/1980 bis 1999) • Reform- und Öffnungspolitik • Schanghai • Tibet • Totalitarismus • Tschu-Enlai • Uiguren • Urbanisierung • Volksgruppen • Volkswirtschaft • Welthandel • Xi Jinping • Xi Jinping und Wladimir Putin • Zeitalter der Extreme • Zwei Systeme
ISBN-10 3-608-12183-8 / 3608121838
ISBN-13 978-3-608-12183-4 / 9783608121834
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