Soziale Arbeit in der klinischen Epileptologie (eBook)
216 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041781-6 (ISBN)
Ingrid Coban ist Diplom-Sozialarbeiterin, Sozialpädagogin sowie Klinische Sozialarbeiterin M.A. und langjährig in der Sozialen Beratung für Menschen mit einer Epilepsie tätig, von 2007 bis 2024 als Leiterin der Sozialtherapeutischen Dienste am Epilepsie-Zentrum Bethel des Krankenhauses Mara in Bielefeld.
Ingrid Coban ist Diplom-Sozialarbeiterin, Sozialpädagogin sowie Klinische Sozialarbeiterin M.A. und langjährig in der Sozialen Beratung für Menschen mit einer Epilepsie tätig, von 2007 bis 2024 als Leiterin der Sozialtherapeutischen Dienste am Epilepsie-Zentrum Bethel des Krankenhauses Mara in Bielefeld.
2 Eltern und Elternteile mit einer Epilepsie
Ingrid Coban und Nadine Reisch
Für Eltern und Elternteile mit einer Epilepsie ergeben sich eine Reihe von Fragen, die mit dem Kinderwunsch starten. Es geht dabei aber nicht nur um die beste Medikation und deren ärztliche Kontrolle, um die Frage der Geburtsform oder ob Stillen für den Säugling schädlich ist. Es geht ebenfalls um die Unterstützung der Eltern, der Elternteile, Bezugspersonen und – wie bei anderen Themen auch – um ein anfallsbezogenes Risikobewusstsein und um eine Risikominimierung. Beginnend mit Fragen rund um Unterstützung während der Schwangerschaft und dem Leben mit dem Kind zu Hause stehen in diesem Kapitel Themen zur Unterstützung und Entlastung im Vordergrund.
Bei den Begriffen Eltern und Elternteilen sind alle Personen gemeint, die elterliche Verantwortung übernommen haben, unabhängig von der leiblichen Elternschaft.
Fallbeispiel
Frau Y. war zum Zeitpunkt des stationären Aufenthaltes 28 Jahre alt, verheiratet und im vierten Monat mit ihrem ersten Kind schwanger. Im 15. Lebensjahr wurde die Diagnose einer fokalen Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit bilateral tonisch-klonischen Anfällen gestellt. Nach 8-jähriger Anfallsfreiheit traten mit 26 Jahren erneut tonisch-klonische Anfälle auf, ungefähr fünf Anfälle im Jahr ohne tageszeitliche Bindung. Frau Y. berichtete zu ihrer Lebenssituation, sie sei von Beruf Reiseverkehrskauffrau und teilschichtig berufstätig, aufgrund der Anfallssituation allerdings seit einigen Wochen arbeitsunfähig. Inzwischen beziehe sie Krankengeld. Seit der Schwangerschaft versuche sie, mögliche Gefahrenquellen zu vermeiden und sei ungern allein zu Hause. Insgesamt sei sie sehr unsicher, wie sie Schwangerschaft, Geburt und Kinderbetreuung bewältigen könne, sie wolle aber möglichst wenig auf die Hilfe anderer Personen angewiesen sein.
In stationärer und weiterer ambulanter Behandlung wurde in engmaschiger neurologischer und gynäkologischer Zusammenarbeit die Medikation angepasst. Dadurch verbesserte sich die Anfallssituation im Verlauf der Schwangerschaft. Mit dem Sozialdienst wurden mögliche Hilfen für Frau Y. besprochen und Risiken entsprechend des Alters und der Mobilität des Kindes thematisiert. Schwerpunkt war eine persönliche Unterstützung für Frau Y., ebenso wie alltagspraktische Hilfen für eine Risikoverhütung oder -minderung.
Noch in der Schwangerschaft nahm Frau Y. zur ergänzenden Vorsorge und zur Geburtsvorbereitung Kontakt zu einer Hebamme auf, die vor allem in den letzten Wochen der Schwangerschaft unterstützte und ansprechbar war. Zudem erhielt Frau Y. nach Bewilligung der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV) eine Haushaltshilfe bei Schwangerschaft und Entbindung. Diese wurde zunächst über einen Pflegedienst organisiert und nach der Entbindung für weitere vier Wochen von einer Nachbarin übernommen.
Die Hebammenhilfe wurde nach der Geburt mit zunächst täglichen Besuchen und intensivierter Betreuung und dann abnehmender Kontaktdichte über die ersten zwölf Wochen nach der Geburt hinaus bewilligt. Der Partner von Frau Y. nahm die ersten drei Monate nach der Geburt Elternzeit und konnte durchgehend unterstützen, dies betraf auch das nächtliche Füttern des Kindes mit abgepumpter Muttermilch, um Frau Y. lange Schlafphasen zu ermöglichen.
Durch diese zunächst häufigen und dann allmählich weniger werdenden personellen Hilfen konnte sich eine Routine in der Versorgung des Kindes einstellen und die Behandlungsstabilität von Frau Y. beurteilt werden. Auf nachbarschaftliche Hilfe konnte Frau Y. weiterhin bauen: Ein Notrufsystem mit Sturzmelder wurde installiert, mit ihrer Nachbarin als Kontaktperson.
Gut zu wissen
Zu Komplikationen in Schwangerschaften kommt es selten
Schwangerschaften verlaufen bei Frauen mit Epilepsie in der Regel ohne Komplikationen. Eine fachärztliche Beratung zu Kinderwunsch und in der Schwangerschaft im Vorfeld und eine engmaschige neurologische und gynäkologische Begleitung in der Schwangerschaft ist zu empfehlen (Müffelmann 2021). Gerade zu den Fehlbildungsrisiken verschiedener anfallssuppressiver Medikamente (ASM) kann immer differenzierter beraten werden, nicht zuletzt durch EURAP (European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy), einer im Jahr 1999 initiierten prospektiven Beobachtungsstudie zu Schwangerschaften unter anfallssuprimierender Medikation (ASM) (DGfE 2023).
An die Einnahme der ASM während der Geburt denken
In Bezug auf die Geburt sind bestimmte Aspekte zu überlegen, wie:
• Soll die Geburt in einem geburtshilflichen Zentrum mit angeschlossener Neonatologie und Neurologie erfolgen?
• Ist in Abhängigkeit von Anfallsform und -frequenz eine Sectio (Kaiserschnitt) ratsam?
• Wie wird bei einer möglicherweisen längeren Entbindungsphase und damit verbundenem Schlafentzug vorgegangen?
• Ist sichergestellt, dass die Gabe der ASM in der gesamten Entbindungsphase zuverlässig realisiert werden kann?
Persönliche Einstellungen und Befürchtungen spielen eine Rolle und sollten aktiv im Schwangerschafts- und Behandlungsverlauf thematisiert werden (Müffelmann 2021; Tomson et al. 2019).
Schon bei Kinderwunsch: Beratung zu Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
Beratung zu allen Aspekten rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und der weiteren Betreuung und Erziehung des Kindes ist von besonderer Bedeutung: Nicht immer entspricht die subjektive Informiertheit von Menschen mit einer Epilepsie den objektivierbaren Tatsachen (May et al. 2009). So nehmen etwa ⅓ der befragten Frauen mit einer Epilepsie an, dass während der Schwangerschaft die Medikamente abgesetzt oder zumindest reduziert werden sollten (Mann et al. 2022).
2.1 Schwangerschaft und Unterstützungsbedarf
Ziel ist eine Schwangerschaft mit bestmöglicher Anfallskontrolle, vor allem ohne (nächtliche) tonisch-klonische Anfälle (Müffelmann 2021). Die Daten von EURAP weisen seit dem Jahr 2006 darauf hin, dass die Anfallssituation bei ungefähr ⅔ der Frauen in der Schwangerschaft stabil bleibt: Frauen, die neun Monate vor Konzeption anfallsfrei waren, bleiben dies wahrscheinlich auch in der Schwangerschaft (Tomson et al. 2019; Müffelmann 2021).
Wenn aber in der Schwangerschaft oder nach der Geburt des Kindes erneut oder weiterhin Anfälle auftreten, können neben der intensivierten fachärztlichen – und gegebenenfalls stationären – Behandlung besondere Hilfen für Mutter und Familie angezeigt sein.
2.1.1 Haushaltshilfe bei Schwangerschaft und Entbindung
Eine Haushaltshilfe bei Schwangerschaft und Entbindung finanziert die GKV
Die Rechtsgrundlage für Haushaltshilfe bei Schwangerschaft und Entbindung ist in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verankert: § 24h SGB V i. V. m. § 11 (1) Ziff. 1 und § 38 (4) SGB V (SGB V 2024).
Privat Krankenversicherte müssen die Regelungen bei ihrer PKV erfragen
Zuständig ist die Krankenversicherung (KV), bei der die Schwangere versichert ist. Bei privaten Krankenversicherungen (PKV) gilt die Haushaltshilfe bei Schwangerschaft und Entbindung meist nicht als Regelleistung, sondern muss als Zusatzleistung mitversichert werden.
Die medizinische Notwendigkeit muss aus der ärztlichen Behandlung heraus bescheinigt werden. Dies kann bei einer hohen Anfallsfrequenz, bei erheblichen Schwangerschaftsbeschwerden, einer Risikoschwangerschaft und ärztlich angewiesener körperlicher Schonung (Bettruhe) oder bei einer verzögerten Genesung nach der Entbindung der Fall sein. Mit der Antragstellung wird der Hilfebedarf ermittelt und die KV bewilligt eine gewisse Stundenzahl pro Tag an Unterstützung. Voraussetzung ist, dass keine andere im Haushalt lebende Person die Haushaltsführung übernehmen kann, z. B. das andere Elternteil.
Zu den typischen Tätigkeiten einer Haushaltshilfe gehört Einkaufen, Essenszubereitung, Wohnungsreinigung, Kleiderpflege, Abholen der Kinder von Kindergarten oder Schule, Beaufsichtigung der Kinder etc.
Eine Zuzahlung ist nicht erforderlich
Zu den Besonderheiten der Haushaltshilfe bei Schwangerschaft oder Entbindung gehört, dass keine Zuzahlung geleistet werden muss und es keine zeitliche Beschränkung gibt, solange die Hilfe medizinisch notwendig ist und verordnet wird.
Wer kann eine Haushaltshilfe sein?
• Eine professionelle Hilfe eines Pflegediensts, der haushaltsnahe Dienstleistungen anbietet. Der Pflegedienst rechnet direkt mit der KV ab.
• Eine selbst beschaffte Haushaltshilfe aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft. Die Stunden der Hilfeleistung werden...
Erscheint lt. Verlag | 30.10.2024 |
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Co-Autor | Lisa-Marie Feldmann, Friederike Hamann, Nadine Reisch |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Neurologie |
Schlagworte | Behinderung • chronische Epilepsien • Chronische Krankheit • Lebensqualität • Sozialarbeit |
ISBN-10 | 3-17-041781-9 / 3170417819 |
ISBN-13 | 978-3-17-041781-6 / 9783170417816 |
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