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Schüler im Autismus-Spektrum -  Nicole Schuster

Schüler im Autismus-Spektrum (eBook)

Eine Innen- und Außenansicht mit praktischen Tipps für Lehrer, Psychologen und Eltern
eBook Download: EPUB
2024 | 6. Auflage
154 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-044149-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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(CHF 25,35)
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Die Inklusion von Schülerinnen und Schülern im Autismus-Spektrum ist eine Herausforderung. Viele der Kinder leiden unter Lernproblemen, lassen sich kaum sozial eingliedern und weigern sich, Anweisungen zu befolgen. Wie sollen Lehrkräfte mit dem oft unberechenbaren Verhalten umgehen? Wie können sie die Kinder und Jugendlichen fachlich am besten fördern? Auch Eltern haben Fragen: Welche Unterstützungen gibt es? Hilft eine Schulbegleitung? Die Autorin betrachtet sowohl die Rahmenbedingungen an Schulen als auch die Innenwelt autistischer Schülerinnen und Schüler. Mit praxisorientierten Tipps gibt sie Lehrerinnen und Lehrern Anleitungen an die Hand, wie sie schwierige Situationen des Schulalltags meistern können. Die Lektüre hilft, das Schulkind mit Autismus besser zu verstehen. Die Autorin hat ihr Standardwerk überarbeitet und dabei aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse berücksichtigt.

Dr. rer. nat. Nicole Schuster, Apothekerin und Medizinjournalistin, klärt über das Autismus-Spektrum auf und setzt sich für ein vorurteilfreies Miteinander ein.

Dr. rer. nat. Nicole Schuster, Apothekerin und Medizinjournalistin, klärt über das Autismus-Spektrum auf und setzt sich für ein vorurteilfreies Miteinander ein.

2 Was ist Autismus?


2.1 Kurzer historischer Abriss


Der schweizerische Psychiater Eugen Bleuler (1857 – 1939) befasste sich mit der Schizophrenie. 1911 prägte er den Begriff »Autismus«. Bleuler verstand darunter kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern schlicht eine der Erscheinungen der Schizophrenie, die er unter »sekundären Symptomen« einordnete. Für ihn drückte sich Autismus in dem egozentrischen und rein auf sich selbst fixierten Denken und Verhalten schizophrener Menschen aus.

Autismus als die Entwicklungsstörung, die wir heute darunter verstehen, wurde in dieser Form erst zur Zeit des Zweiten Weltkriegs beschrieben. Der österreichisch-amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner erwähnte 1938 Kinder, die im Bereich der Wahrnehmung, der Entwicklung sowie des sozialen und kommunikativen Verhaltens Störungen aufwiesen. 1943 diagnostizierte er bei elf Kindern eine »autistische Störung des affektiven Kontakts«. Später wurde dieser Kanner-Autismus auch als frühkindlicher Autismus bezeichnet.

Zu etwa derselben Zeit machte der Wiener Kinderarzt Hans Asperger völlig unabhängig von Kanner die gleiche Entdeckung. Er beschäftigte sich dabei mit Jungen. Im Gegensatz zu den Patienten von Kanner wiesen Aspergers Jungen alle eine entwickelte Sprache auf, die zu einem der Merkmale des sog. Asperger-Syndroms wurde.

Einige Menschen sehen in verschiedenen berühmten, bereits verstorbenen Persönlichkeiten Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Zu diesem Kreis zählen unter anderem Größen wie Albert Einstein, Isaac Newton und Wolfgang Amadeus Mozart. Genies sind unter den autistischen Menschen wie unter allen anderen Menschen jedoch die Ausnahme und nicht die Regel. Wichtig ist zu beachten, dass Autismus Erfolg nicht entgegenstehen muss. Und das wiederum ist eine große Herausforderung an die Schule: Autistische Schüler weisen oftmals große Potenziale auf. Diese zu erkennen und angemessen zu fördern, ist jedoch oft schwer, manchmal sogar unmöglich.

2.2 Vergleich Asperger- und Kanner-Autismus,
Begriff »Autismus-Spektrum«


»Er ist ein politischer Autist«, »Der benimmt sich wie ein Autist« – diese und andere zeitweise höchst beliebten Redewendungen zeigen, wie wenig die Gesellschaft als Ganzes vom Autismus weiß. Gleichwohl ist der Begriff »Autist« bei vielen Menschen häufig im Munde.

Das so oft anzutreffende Halb- und Unwissen erklärt sich unter anderem sicherlich daraus, dass die verschiedenen Formen und Diagnosemöglichkeiten für eine sog. »Störung aus dem Autismus-Spektrum« selbst für Experten zunehmend schwer zu durchschauen sind. Wer ist Autist und wer nicht? Die Grenzen scheinen zu verschwimmen, mit dem Resultat, dass die Zahl der mit der »Modediagnose« Autismus versehenen Menschen weiter ansteigt. Autist ist dann längst nicht nur jemand, der starke Einschränkungen gemäß den einstigen Kanner-Kriterien erfüllt. Als Autist fühlt sich oft auch schon der angesprochen, der nur ein bisschen »anders« als die Allgemeinheit ist. Auch diese Menschen erhalten oft eine Autismus-Diagnose, sodass heute von einer großen, überaus heterogenen Gruppe von Menschen im Autismus-Spektrum ausgegangen werden kann.

Sinnvoll ist es daher, zunächst einmal zu den Wurzeln des Krankheitsbildes Autismus zurückzugehen. Der österreichisch-amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner und der österreichische Kinderarzt Hans Asperger haben für die jeweils nach ihnen benannten Störungen die wichtigsten Merkmale beschrieben.

Kanner nannte in seinen Ausführungen zwei Grund- und vier Sekundärsymptome:

Grundmerkmale:

  • Erstes Auftreten in der frühesten Säuglingsentwicklung

  • Verzögerungen in der Sprachentwicklung

Sekundärmerkmale:

  • Positive Einstellung zu Gegenständen

  • Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten

  • Motorische Auffälligkeiten

  • Die Unfähigkeit, zu Menschen normale Beziehungen aufzunehmen

Autisten, die diese Kernsymptome aufweisen, bezeichnen Mediziner heute als Kanner-Autisten bzw. als Menschen mit frühkindlichem Autismus. Diese Betroffenen benötigen häufig ihr ganzes Leben lang Unterstützung, oft schon bei einfachen, alltäglichen Tätigkeiten wie dem Zähneputzen. Die Gruppe der Kanner-Autisten erscheint als eine verhältnismäßig kleine Subgruppe im autistischen Spektrum und macht nur etwa 0,13 – 0,22 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Hans Asperger stellte bei der von ihm beschriebenen »autistischen Psychopathie«, welche ab dem dritten Lebensjahr auftritt, folgende Symptome fest:

  • Hemmungen im emotional-affektiven Bereich

  • Tendenz zur Abkapselung und Selbstisolierung

  • Frühe Fähigkeiten im sprachschöpferischen Bereich, gleichzeitig aber Störungen in der Sprache als Kommunikationsmittel

  • Abweichen des Denkens vom praktischen Handeln

  • Motorische Stereotypien

  • Durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz

  • Probleme im Trieb- und Gefühlsleben

1994 definierte die 10. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) den Kanner-Autismus (oder auch frühkindlichem Autismus), das Asperger-Syndrom und den atypischen Autismus als Störungen aus dem Autismus-Spektrum.

Tab. 2.1:Übersicht über die Symptome bei verschiedenen Autismus-Typen (nach ICD-10-GM Version 2023)

Frühkindlicher
Autismus

Asperger-Syndrom

Atypischer Autismus

Synonyme

Autistische Störung,

Frühkindliche
Psychose,

Infantiler Autismus,

Kanner-Syndrom

Autistische Psychopathie,

Schizoide Störung des Kindesalters

Atypische kindliche Psychose,

Intelligenzminderung mit autistischen Zügen

Auftreten erster Symptome

Vor dem 3. Lebensjahr

Möglicherweise erst nach dem 3. Lebensjahr

Abnorme Funktionen in den
Bereichen

Soziale Interaktion, Kommunikation, eingeschränktes stereotyp repetitives Verhalten

Soziale Interaktion, eingeschränktes stereotyp repetitives Verhalten

Diagnostische Kriterien möglicherweise nicht in allen Bereichen erfüllt

Entwicklung

Abnorme oder beeinträchtigte Entwicklung

Fehlende allgemeine Entwicklungsverzögerung bzw. fehlender Entwicklungsrückstand der Sprache und der kognitiven Entwicklung

Sehr häufig bei schwer retardierten bzw. unter einer schweren rezeptiven Störung der Sprachentwicklung leidenden Patienten

Weitere Symptome

Unspezifische Probleme wie Phobien, Schlaf- und Essstörungen, Wutausbrüche und (autodestruktive) Aggression

Auffallende Ungeschicklichkeit

Charakteristische Abweichungen auf anderen Gebieten vorliegend

Seit Januar 2022 ist international die 11. Revision ICD-11 gültig. Diese Klassifikation fasst alle Ausprägungen des Autismus unter der Diagnose »Autismus-Spektrum-Störung« (ASS) und auf Englisch »autism spectrum disorder« (ASD) zusammen. Damit trägt die Wissenschaft der Erkenntnis Rechnung, dass die zuvor unterschiedenen Subtypen in der Praxis oft schwer unterscheidbar sind. In Deutschland kann das aktualisierte Kodiersystem bereits angewendet werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt den aktuellen Stand der Übersetzung auf seiner Website zur Verfügung.1

2.3 Wie häufig ist Autismus?


Es gibt nach wie vor wenige valide Daten zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen. Autismus Deutschland e. V. beruft sich auf Untersuchungen in Europa, den USA und Kanada und gibt darauf basierend an, dass etwa 6 bis 7 von 1.000 Personen an einer Störung aus dem Autismus-Spektrum leiden. Der Anteil der Jungen/Männer erweist sich in den meisten Untersuchungen als höher als der Anteil der Mädchen/Frauen. Schätzungen zufolge beträgt das Verhältnis männlich–weiblich etwa 2:1 bis 3:1.

Untersuchungen zeigen eine Steigung der Prävalenz in den letzten Jahrzehnten an. Ob diese Zunahme allein auf eine bessere und frühere Diagnostik zurückzuführen ist oder ob tatsächlich mehr Menschen betroffen sind, ist unklar.

Ärzte können eine Autismus-Spektrum-Störung an keinem objektiven Marker – etwa an...

Erscheint lt. Verlag 31.7.2024
Illustrationen Daphne Großmann
Vorwort Sven Bölte, Rüdiger Kißgen
Zusatzinfo 3 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie
Schlagworte Alltagsbewältigung • Autismus • autistische Kinder • Autistische Menschen • Inklusion • Innenwelt autistischer Schüler • Schulpädagogik
ISBN-10 3-17-044149-3 / 3170441493
ISBN-13 978-3-17-044149-1 / 9783170441491
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