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Der erschwerte Abschied (eBook)

Wie Pflegende mit Sterbesituationen gut umgehen können
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
175 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61666-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der erschwerte Abschied -  Iris Grabowski
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Abschiede sind selten leicht, denn sie bedeuten Trennung. Im Pflegeberuf gehören Abschiede vom Leben zum Berufsalltag. Diese würde- und liebevoll zu gestalten, ist oft eine Herausforderung. Doch wie geht man damit um wenn die Umstände zusätzlich erschwert sind? Wenn Angehörige die geliebten Menschen wegen Hygienevorschriften nicht persönlich begleiten dürfen oder persönliche Spannungen einen versöhnlichen Abschied scheinbar unmöglich machen? Die Autorin zeigt ein realistisches Bild vom Sterben. Eines, das schwierig, einsam, unversöhnt sein kann. Doch auch diesen erschwerten Abschieden müssen Pflegende und Angehörige nicht hilflos entgegentreten. Auf der Basis langjähriger Beratungserfahrung zeigt Iris Grabowski Möglichkeiten auf, wie Pflegende achtsam mit sich umgehen können, und nennt Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene und Angehörige.

Iris Grabowski, Marburg, ist Kinderkrankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe, Gestaltpädagogin und systemische Beraterin (SG). Sie gründete 2005 die Marburger Akademie für Pflege- und Sozialberufe (MAPS), ist als Dozentin und Beraterin tätig und arbeitet ehrenamtlich in einem stationären Hospiz.

Iris Grabowski, Marburg, ist Kinderkrankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe, Gestaltpädagogin und systemische Beraterin (SG). Sie gründete 2005 die Marburger Akademie für Pflege- und Sozialberufe (MAPS), ist als Dozentin und Beraterin tätig und arbeitet ehrenamtlich in einem stationären Hospiz.

2Schwierige Formen des Abschieds


2.1Worum geht es genau?

Um den Gegenstand des Buchs noch etwas genauer zu definieren, mag es hilfreich sein, zunächst das zu benennen, worum es nicht geht. Es geht in diesem Buch nicht um den Tod, obwohl seine stete Anwesenheit beunruhigen mag. Was es bedeutet, tot zu sein, können wir nicht wissen. Den Lebenden sind Aussagen über den Tod nicht möglich. Er entzieht sich, wir wissen nicht, wie es sich anfühlt, tot zu sein. Zwar betrifft uns der Tod im Wesen unserer Existenz, und doch bleibt da eine unüberwindbare Barriere, so sehr man es auch anders wünschen mag. Die Innenperspektive des Tot-Seins muss uns absolut fremd sein. Dies wird uns später noch näher beschäftigen.

Bei den erschwerten Abschieden geht es stattdessen um das Sterben, also die Zeit unmittelbar vor dem Tod, um Erfahrungen auf der Schwelle. Das Sterben ist im Gegensatz zum Tod ein unterschiedlich langer Prozess. Menschen können innerhalb von Sekunden aus dem Leben gerissen werden, können ein längeres Sterben scheinbar passiv über sich ergehen lassen oder auch um ihr Leben kämpfen. Sie können ihre Erfahrungen aufschreiben, darüber berichten. Menschen gestalten den Kontext dieses Sterbens oder begleiten es – helfend, lindernd, mitfühlend oder beobachtend. Es geht also im Weiteren um den psychosozialen Aspekt des Sterbens. Um es genau zu definieren: Es geht um die Sterbenden, deren An- und Zugehörige und um die Menschen, die diesen Sterbevorgang professionell begleiten, insbesondere um Pflegekräfte.

Seit jeher wünschen sich Menschen ein würdiges Sterben und damit einhergehend ein gutes Abschiednehmen. In der abendländischen Kultur gibt es diesen Wunsch schon lange: Jahrhundertelang galt ein „guter Tod“ als Zeichen für die Rettung der Seele und als erhebende Erfahrung für Familienangehörige und Freunde. Um dieses würdige oder, wie es Tausch und Tausch formulieren, „sanfte Sterben“ (Tausch / Tausch 1991) genauer von den erschwerten Abschieden zu unterscheiden, seien im Folgenden einige Kriterien des guten oder des idealen Abschiednehmens erläutert.

Zu einem idealen Abschied gehört möglichst wenig Leiden. Das Sterben soll schmerzfrei oder zumindest schmerzarm sein. Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Hospizbewegung, der Palliative Care und Palliativmedizin sagte dazu, dass Morphium und Nächstenliebe die wichtigsten Instrumente in der Sterbebegleitung seien (Luyken 2003).

Seitdem ist die Schmerzbekämpfung ein zentrales Anliegen der Palliativmedizin und -pflege. Nach Angaben der deutschen Krebshilfe erreicht man mithilfe der heutigen Möglichkeiten der Schmerztherapie bei Krebskranken bei jedem Betroffenen eine Schmerzlinderung und bei 85 bis 90 Prozent der Patienten sogar eine weitgehende Schmerzfreiheit (Deutsche Krebshilfe o. J.). Allerdings kann das Versprechen eines schmerzfreien oder schmerzarmen Todes nicht immer eingelöst werden.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für ein ideales Abschiednehmen ist das Einverständnis von beiden Seiten. Sowohl der oder die Sterbende als auch die begleitenden Angehörigen finden ein „Ja“ zu dem Sterben. Dieses Einverständnis ist umso leichter, wenn das Sterben am Ende eines langen, erfüllten Lebens stattfindet. Viele gleichaltrige Freunde und Angehörige sind bereits verstorben, die eigene Hinfälligkeit nimmt zu, und es reift ein tiefes Einverständnis, manchmal geradezu eine Todessehnsucht heran als Voraussetzung eines idealen Abschiednehmens. Dieses Einverständnis kann durchaus auch bei jüngeren sterbenskranken Menschen entstehen, nachdem sie eine unterschiedlich lange Zeit gehadert haben. Ein noch recht junger Gast im Hospiz sagte zu mir, dass er alles erledigt habe. Er sei bereit zu sterben und genieße nun jeden Augenblick des Lebens. Mehr noch, diese absolute Konzentration auf die Gegenwärtigkeit empfinde er als eine große Befreiung und Glück.

Allerdings wird nicht immer dieses Einverständnis von beiden Seiten geteilt. Oftmals sind es die Angehörigen und Freunde, denen das Loslassen schwerfällt. Das ist verständlich, da sie es doch sind, die ohne den geliebten Menschen weiterleben und viel Trauerarbeit bewältigen müssen. Und so wird es auch im Folgenden viel um Formen des erschwerten Abschieds gehen, bei dem vor allem die Hinterbliebenen leiden.

Ein weiteres Kriterium für ein ideales Abschiednehmen ist in zweifacher Hinsicht selbstredend, soll der Vollständigkeit halber jedoch auch genannt werden. Zum einen muss eine emotionale Verbundenheit bestanden haben, damit es überhaupt zu einem Abschiednehmen kommen kann. Insbesondere familiäre Beziehungen können eine lange konflikthafte Geschichte haben, geprägt von unguten Abhängigkeiten oder gegenseitigen Verletzungen. Wenn das eine Beziehung bestimmt, dann ist die emotionale Voraussetzung für einen guten Abschied nicht gegeben.

Zum anderen muss grundsätzlich eine Möglichkeit des Abschiednehmens bestehen. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass dieses Abschiednehmen einhergeht mit Gesprächen über das Leben und die gemeinsame Beziehung. Letzte wichtige Worte des geistig präsenten Sterbenden trösten die Angehörigen und bedeuten ein über den Tod des geliebten Menschen hinausreichendes unvergessliches Erbe. Dieses Abschiednehmen braucht idealerweise einen würdigen Rahmen, der in seiner Ausgestaltung kulturell bedingt sehr unterschiedlich sein wird. So ist es in den westeuropäischen Kulturen üblich, sich im engen Familien- und Freundeskreis eher ruhig von Sterbenden zu verabschieden, während in orientalisch geprägten Kulturen viele Menschen laut wehklagend Abschied nehmen.

Allerdings geschieht es eher selten, dass Menschen in dieser Würde sterben. Die Wirklichkeit besteht leider nur allzu oft aus Ereignissen, in deren Verlauf sich krankheitsbedingt die Persönlichkeit des Sterbenden immer mehr verändert, bisweilen gar auflöst.

Im Weiteren werden exemplarisch verschiedene Formen des schwierigen Abschieds beschrieben. Keinesfalls will ich ein Schreckensgemälde qualvollen Sterbens und verzweifelter Hinterbliebener aufzeichnen, vielmehr möchte ich ein realistischeres Bild der Wirklichkeit wiedergeben, um dadurch überhöhte Erwartungen und daraus resultierende Enttäuschungen für Pflegende und Angehörige zu verhindern.

2.2Das lange, quälende Sterben

Immer wieder sagen Menschen, dass sie keine Angst vor dem Tod, wohl aber vor dem Sterben haben. Das Sterben ängstigt, weil man das körperliche und geistige Leiden auf sich zukommen sieht. Diese Angst hat seit jeher die Medizin beflügelt und zu gewaltigen Fortschritten in der Bekämpfung von Krankheiten und Schmerzen geführt. Das eindrucksvolle technologische Können der Medizin hat zu einer radikalen Veränderung des Sterbens geführt. Qualvoll und teils auch langsam wird vor allem noch dort gestorben, wo diese Medizin armutsbedingt bisher keinen Einzug halten konnte. Im Kontext der Corona-Pandemie mussten allerdings auch wieder Menschen langsam und qualvoll in den Ländern sterben, in denen aufgrund der hohen Zahl der Todkranken die medizinische Hilfe nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung stand, zum Beispiel in der ersten Welle in Italien oder im Frühjahr 2021 in Indien.

In den reichen Ländern des Westens hingegen haben die Möglichkeiten der Medizin das Sterben dramatisch verändert. Der Wunsch nach einer Maximaltherapie trotz infauster Prognose, der Wunsch der Angehörigen, alle therapeutischen Möglichkeiten auszuschöpfen, vielleicht auch der Erfolgsdruck der behandelnden Ärzte führen oftmals zu einem verlängerten Sterben.

Medikamente und Operationstechniken können das Leben um etliche Jahre verlängern, wie die stetig steigende durchschnittliche Lebenserwartung beweist. Allerdings verlängert sich dadurch auch die Zeit der Gebrechlichkeit und Hilfsbedürftigkeit und damit die Zeit, in der Menschen mit dem eigenen Sterben konfrontiert werden. Auch dort, wo die Sterbephase noch nicht begonnen hat, leben viele Menschen bereits im subjektiv empfundenen Bewusstsein, das Leben laufe unerbittlich auf ein Ende zu, das in Sicht gekommen ist. Das Nachlassen der Kräfte bis hin zur völligen physischen und psychischen Erschöpfung führt zu einer schmerzhaft erlebten Hilfsbedürftigkeit. Alle Selbstständigkeit, die den Betroffenen wichtig und wertvoll war, ist abhandengekommen, und dieser Verlust ist eine Quelle des Leidens. Oder, wie Joachim Fuchsberger sein Buch über das Alter betitelte: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ (Fuchsberger 2014).

Ist dann der Mensch in die unmittelbare Sterbephase eingetreten, verzögert die Medikalisierung auch diese Phase. Das verlängert das Leiden für die Sterbenden und deren Begleitpersonen. Nicht selten können sich die Sterbenden nicht mehr äußern oder sind sogar nicht mehr bei Bewusstsein. Auf der Schwelle zum Tod trennt eine undurchdringliche Wand die Sterbenden von den Lebenden. Die Angehörigen und Pflegekräfte können nicht wissen, wie es dem Sterbenden ergeht. Man möchte so gerne alles tun, um das Leiden zu lindern, weiß aber nicht, was als Linderung oder Trost empfunden wird. Nach Informationen gierend, wird der Sterbende genau beobachtet. Der geöffnete Mund, das rasselnde Atmen werden als Ausdruck quälenden Leids interpretiert, und die Sterbebegleitenden sind im hohen Maße angespannt. Dauert diese Sterbephase Tage oder gar Wochen, so wird dieses Leid geradezu als unerträglich empfunden. „Wann ist meine Mutter endlich erlöst? Ich kann dieses Leiden nicht mehr länger mit ansehen“, sagte mir weinend eine Angehörige. Auch auf den Intensivstationen erleben Angehörige und medizinisches Personal oftmals ein hinausgezögertes und...

Erscheint lt. Verlag 5.9.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
Schlagworte Achtsamkeit • Ehrenamtliche in der Sterbebegleitung • Kommunikation mit Sterbenden • Komplizierte Trauer • Moralischer Stress • Palliative Care • Selbstpflege in der Sterbebegleitung • Sterbebegleitung • Suizid • Therapiebuch • Trösten
ISBN-10 3-497-61666-4 / 3497616664
ISBN-13 978-3-497-61666-4 / 9783497616664
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