Urologie essentials (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-241320-7 (ISBN)
1 Urologische Diagnostik
1.1 Leitsymptome
S. Sevinc
Im Rahmen seiner alltäglichen praktischen Arbeit wird der Urologe mit sowohl einfachen als auch hochkomplexen Beschwerdebildern konfrontiert. Zur Entschlüsselung dieser Symptomenkomplexe bedarf es einiger Erfahrung, um über die geeignete Untersuchungsschiene die richtige Diagnose herauszufinden und schlussendlich ein Optimum an Behandlungserfolg zu erreichen.
Das folgende Kapitel soll dabei helfen Symptome richtig einzuschätzen und die im Hintergrund ablaufenden differenzialdiagnostischen Überlegungen vereinfachen. Der zu behandelnde Patient wird es dem Arzt danken, wenn trotz der geforderten Zeitökonomie ordentliche und effektive Medizin betrieben wird.
Ausgehend von den 3 Leitsymptomen
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Harntransport- und Miktionsstörungen (im weitesten Sinn),
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Blutungen und
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Schmerzen
kann der Urologe, abhängig von seiner Erfahrung, sinnvolle Untersuchungsschritte zur Diagnosefindung einleiten.
1.1.1 Harntransport- und Miktionsstörungen
Bei normaler Nierenfunktion ist davon auszugehen, dass die Nieren in einer Stunde etwa 50–100ml Urin produzieren. Dies entspricht einer Menge von etwa 1–2l/d. Bei Schwankungen der produzierten Urinmengen – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung – muss es nicht zwangsläufig zu Beschwerden kommen. Mit anderen Worten, ein eventuell ernstzunehmender Krankheitsprozess könnte möglicherweise klinisch inapparent bleiben, mit verheerenden Folgen für den Patienten im Verlauf.
Die veränderten Urinvolumina sollten erfragt, am besten gemessen werden (z.B. 24-h-Sammelurin). Sie werden folgendermaßen definiert:
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Anurie <100ml/24h
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Oligurie <500ml/24h
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Polyurie >4000ml/24h
Die Anurie bzw. Oligurie sind Ausdruck eines Nierenversagens, wobei pathogenetisch ein prärenales, (intra-)renales und postrenales Nierenversagen unterschieden werden:
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prärenales Nierenversagen:
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zirkulatorisch ischämisch (80%), „Schockniere“ durch Volumenmangel
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toxisch exogen bzw. endogen (ca. 20%), z.B. Medikamente, Röntgenkontrastmittel
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renales Nierenversagen:
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entzündliche Nephropathien, z.B. Glomerulonephritis, Abstoßung nach Transplantation
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vaskuläre Nephropathien, z.B. Eklampsie, Vaskulitis, Nierenarterienembolien
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Tubulopathien, z.B. Plasmozytom, Hyperurikämie
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hämolytisch-urämisches Syndrom bakteriell verursacht (EHEC)
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postrenales Nierenversagen:
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supravesikale Obstruktion
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vesikale Obstruktion
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infravesikale Obstruktion
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Der produzierte Urin muss über die Harnleiter via Harnblase und Harnröhre nach außen transportiert werden. Auf jeder Stufe kann es zu einer mechanischen Obstruktion (sowohl extrinsisch als auch intrinsisch) mit konsekutivem Harnaufstau und damit einem „postrenalen“ Nierenversagen kommen ( ▶ Abb. 1.1).
Ursachen eines postrenalen Nierenversagens.
Abb. 1.1
(Quelle: Conzelmann L. Pathologich veränderte Urinproduktion. In: Thüroff JW, Hrsg. Urologische Differenzialdiagnose. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2007: 243)
Die Polyurie ist ein Phänomen, das der Urologe nach Entlastung einer obstruktiven Uropathie unbedingt beachten muss, weil es kompensatorisch zu einer inadäquat vermehrten Flüssigkeitsausscheidung von bis zu 10l/d kommen kann. Es gilt unter diesen Umständen das meist entstehende Flüssigkeitsdefizit mittels adäquater Volumensubstitution und penibler Flüssigkeitsbilanzierung (anfangs stündlich!) auszugleichen. Begleitend kann es zu Elektrolytverschiebungen/-entgleisungen kommen, die überwacht und ggf. substituiert oder korrigiert werden müssen.
1.1.2 Miktionsstörungen
Die Dysurie (erschwertes Urinlassen) und Algurie (schmerzhaftes Urinlassen) sind häufig Ausdruck einer Urolithiasis oder einer Harnwegsinfektion. Genauso verhält es sich mit der Strangurie (schmerzhafter Harndrang mit Ablassen von inadäquaten oder zu geringen Urinmengen). Bei der Strangurie sollte in jedem Fall an maligne Prozesse oder eine interstitielle Zystitis gedacht werden. Die Pollakisurie (häufiges, jedoch schmerzloses Wasserlassen in kleinen Portionen) ist assoziiert mit einer benignen Prostatahyperplasie, genauso wie die Nykturie (Unterbrechung des Nachtschlafes zum Wasserlassen).
Ein Leitsymptom, das als Spätsymptom oder besser als Komplikation eines benignen Prostatasyndroms angesehen werden sollte, ist der akute Harnverhalt, bei dem trotz voller Harnblase kein Miktionsvorgang vonstatten geht. Die Harninkontinenz ist als ein sehr komplexes Phänomen aufzufassen und bedarf einer ausführlichen Untersuchung (Sonografie, Miktionsprotokoll, Uroflowmetrie, Beckenboden-EMG, Urodynamik usw.) Bei den Phänomenen wie Fäkalurie (Vermischung des Urins mit Stuhlgang), Pneumaturie (gleichzeitiges Abgehen von Luft) und Chylurie (gleichzeitiges Abgehen von Lymphe) sollte man an eine vesikoenterale Fistel denken, die nach Abklärung des Befunds meist ein interdisziplinäres Vorgehen verlangt ( ▶ Tab. 1.1 ). Weitere differenzialdiagnostische Überlegungen sind in ▶ Tab. 1.2 zusammengefasst.
Tab. 1.1 Miktionsstörungen. Begriff | Beschreibung |
Dysurie | erschwertes Wasserlassen |
Algurie | schmerzhaftes Wasserlasen |
Strangurie | schmerzhafter Harndrang |
Pollakisurie | häufiges Wasserlasen mit kleinen Urinportionen |
Nykturie | nächtliches Wasserlassen |
Palmurie | gespaltener, fächerförmiger Harnstrahl |
Pneumaturie | Luftbeimengung im Urin |
Fäkalurie | Stuhlbeimengung im Urin |
Chylurie | Lymphbeimengung im Urin |
Symptom | Differenzialdiagnostische Überlegungen |
Makrohämaturie |
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Erscheint lt. Verlag | 21.9.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Urologie |
Schlagworte | Facharzt für Urologie • Facharztprüfung Urologie • OP-Techniken • Therapiestandard • Urologische Operationen • Weiterbildung |
ISBN-10 | 3-13-241320-8 / 3132413208 |
ISBN-13 | 978-3-13-241320-7 / 9783132413207 |
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Größe: 39,3 MB
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