Das System der Grundregulation (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-244340-2 (ISBN)
2 Die Leukozytolyse
Pischinger (1983):
„Die Frage nach dem Schicksal der Leukozyten beschäftigt die Hämatologie schon längere Zeit, vor allem seit Undritz 1942 in Ausstrichen nativen Blutes gesunder Menschen und Tiere Leukozyten beschrieb, die er als Abbauzellen deutete. Diese sind von unterschiedlicher Größe (7 bis 24 Mikron). Das Zytoplasma ist einheitlich basophil, nur manchmal mit einem oxyphilen Hof um den Zellkern versehen. Der Kern ist vollständig strukturlos, wie pyknotisch meist dunkel gefärbt. Gelegentlich sieht man eine Kernfragmentation. Solche Abbauzellen gibt es für alle im Blut vorhandenen Leukozytenarten. Sie kommen allerdings sehr selten vor. Koch, Heilmeyer, Laves und andere äußern sich analog (Literatur bei Pischinger 1957).
Spätere Autoren setzten die Blutproben vor Herstellen des Ausstriches der Einwirkung von Hypotonie in vitro aus (Achard, Mauriac, Sampson, Storti, Schröder und Mitarbeiter u. a.). Dabei traten verschiedene progrediente Auflösungsformen von Leukozyten auf. Es handelt sich also bei diesen Methoden um echte Resistenzprüfungen für die Zellen. H. J. Schröder bringt nicht nur die einschlägige Literatur, sondern auch eine große Zahl eigener Untersuchungen über die Beeinflußbarkeit der Leukozytenresistenz durch physikalische, chemische, pharmakologische und klinische Faktoren. Durch die Hypotonie werden je nach Anfälligkeit Quellungsformen verschiedenen Grades und Ausmaßes erzeugt.
1957 habe ich in einer ausführlichen Arbeit über das Schicksal der Leukozyten im Blut gezeigt, daß man auch ohne Vorbelastung der Blutprobe in vitro Auflösungsformen in Ausstrichen findet, die jenen bei Hypotoniebelastung entstehenden in jeder Hinsicht, das ist nach Form und relativer Zahl weitgehend gleichen. Ich glaube jedoch nicht, daß solche Zellreste mit den Abbauzellen nach Undritz identifiziert werden dürfen.
Das folgende Kapitel befaßt sich weniger mit der Erscheinung der Leukozytolyse an sich, sondern mit dem Problem, ob und welche Zusammenhänge zwischen Leukozytenabbau im Blut und den Grundregulationen des Organismus bestehen: also ob der Vorgang als Zelle-Milieu-Reaktion angesehen werden kann.
In der schon erwähnten Arbeit über das Schicksal der Leukozyten konnte ich zeigen, daß im Ohrlöffel des Kaninchens die absoluten Zahlen der Leukozyten des Blutes von der Arterie zur Vene um durchschnittlich 17% (Irrtumswahrscheinlichkeit P weniger als 0,001) abnehmen. Die Aufklärung dafür brachte die genaue Analyse gewöhnlicher, allerdings unter besonderen Kautelen hergestellter Ausstriche von Kapillarblut. Ich fand Zerfallsprodukte aller Leukozytenarten in allen Stadien, die jenen Formen gleichen, die Schröder nach hypotoner Beeinträchtigung beschreibt: von nackten Kernen bis zu netz- und fladenförmigen Produkten, die ihre Herkunft aus Zellkernen nur noch dadurch dokumentieren, daß sie eine positive Feulgen-Reaktion geben, also aus Kernsubstanz bestehen. Ich kann somit nicht zweifeln, daß im Blut ein ständiger Verbrauch von weißen Blutzellen stattfindet. Das Ausmaß der „Leukolyse“, wie ich den Vorgang genannt habe, soll nun untersucht werden. Vorher muß aber die spezielle Ausstrichtechnik beschrieben werden, die das Entstehen exogener Artefakte, etwa durch Quetschung vermeidet.
Am besten macht man die Ausstriche mit der Kante eines 26 mm breiten Objektträgers. Die Kante ist besonders zugerichtet: Der mittlere Bereich wird mit einem Polierpapier (auf ebener Unterlage aufgeklebt) in einer Breite von 18-20 mm soweit angeschliffen, daß ein Spalt von etwa mm entsteht, wenn die ausstreichende Kante mit den unbeschliffenen Rändern dem Ausstrichträger aufliegt. Es wird bei einem Winkel zwischen beiden Gläsern von 25-30° der nicht zu große Bluttropfen mit mäßiger Geschwindigkeit nachgezogen. Rasches Arbeiten nach Entnahme des Bluttropfens bis zum Ausstreichen ist nötig, damit eine Ansammlung der Leukozyten an den Rändern des Blutfilmes vermieden wird. Natürlich soll das Blut nicht über die Ränder der eingeschliffenen Kehlung hinaustreten. In den so hergestellten Präparaten sollen die Erythrozyten in einfacher Schicht und die Leukozyten (annähernd) gleichmäßig verteilt sein.
Die üblichen Ausstrichapparate sind für diese Zwecke ungeeignet:
- wegen des zu großen Winkels von 45° wird der Ausstrich zu dick und
- braucht es zu lange, bis der Tropfen ausgestrichen wird, weshalb die Hauptmasse der Leukozyten an den Rändern liegt;
- kann die vor der Quetschung schützende Kehlung an den ausstreichenden Gläschen schlecht angebracht werden.
Die mechanische Belastung der Zellen ist beim nachgezogenen Bluttropfen lediglich die Viskosität des Blutplasmas. So gewonnene Präparate habe ich in der schon erwähnten Arbeit „über das Schicksal der Leukozyten“ analysiert und beschrieben, und zwar aus differenten Kreislaufgebieten. In allen derartigen Ausstrichen finden sich Lysisformen von Leukozyten. Ihre Zahl wechselt je nach dem Körperbereich, aus dem die Blutprobe stammt und dem Zustand der untersuchten Person.
Nach Beobachtungen Kellners (persönliche Mitteilung) über das Verhalten von Leukozyten bei Zusatz von Vitamin C in vitro, erfolgt die Destruktion der Zellen zunächst unmerklich, dann aber plötzlich. Man sieht in Blutausstrichen von Kleintieren (Meerschweinchen, Ratte, Maus) blaßgefärbte, wie gequollen erscheinende Leukozyten, zweifellos erste morphologische Zeichen einer beginnenden Lysis, die sich auch im Dunkelfeld schon erkennen lassen. Es kann sich bei allen diesen Erscheinungen keinesfalls um reine Artefakte handeln. Übrigens habe ich seinerzeit (1942) betont, daß auch der „Artefakt“, kritisch beurteilt, eine biologische Aussage machen kann. Wenn im Ausstrich z. B. eine feulgenpositive Lysisform dicht neben einem gänzlich intakten Lymphozyten liegt, so heißt dies, daß sich beide, weil sie derselben mechanischen Belastung ausgesetzt waren, in verschiedenen Zuständen befunden haben müssen.
Es erschien sinnvoll und angezeigt, die Lysisformen von Leukozyten in die Differenzierung des Blutbildes einzubeziehen, um das Ausmaß der Leukolyse zu erfassen. Bei anscheinend Gesunden finden sich im Blut aus der Fingerbeere 5-7 % Lysisformen. Bei 5000 Absolutzahl an Leukozyten entfallen circa 300 Lysisformen pro mm3, das heißt bei Annahme einer gleichmäßigen Verteilung im Körper und 5 l Blut sind zu jedem Zeitpunkt 1-2 Mrd. Leukozyten in Auflösung begriffen. Wieviel im Augenblick tatsächlich völlig verschwinden, läßt sich auf direktem Wege nicht ermitteln. Denn man weiß nicht, wie lange es vom Beginn des Lysisprozesses bis zum gänzlichen Verschwinden der Zelle dauert. Allerdings kann man aus der Zuflußmenge von Lymphozyten unter der Annahme, daß diese nur durch Lysis aus dem Blut verschwinden, errechnen, wieviel in der Zeiteinheit aufgelöst werden. Bei 25 % Lymphozyten und 5000 Gesamtleukozyten gibt es im mm3 1250 Lymphozyten, im Gesamtblut von 5 l 1.250.000.000 x 5 = 6.250.000.000 = 6,25 x 109 also rund 6 Milliarden Lymphozyten. Nach den Angaben der Literatur – ich selbst habe es nicht untersucht – soll rund das 6fache zufließen, ergeben sich also 36 Milliarden Lymphzellen. 30 Milliarden müssen demnach aus dem Blut verschwinden, damit deren Zahl konstant bleibt: 30 Mrd. pro 24 Std., das sind 1,25 Mrd. pro Stunde oder rund 20 Mio. pro Minute, oder ca. 0,3 Millionen pro Sekunde. Diese Zahl gilt für die Lymphozyten allein. Für die gesamten Leukozyten, die verschwinden, müssen dann bei den angenommenen 25 % an Lymphzellen das Vierfache, also 1,2 Millionen pro Sekunde geschätzt werden. Bedenkt man nun, daß im Ausstrich nur die Vorstadien, das sind die bereits anfälligen Elemente, erfaßt werden, so erscheint das Verhältnis 1-2 Mrd. in Auflösung begriffener zu 1,2 Mio. pro Sekunde tatsächlich verschwundener Zellen nicht unwahrscheinlich.
Die beschriebenen Tatsachen werden heutzutage in der theoretischen wie klinischen Medizin wenig beachtet.
Es ergibt sich zunächst die Frage, welche Bedeutung diese Erscheinungen und Vorgänge für den Organismus haben. Möglicherweise dienen sie einer Erhaltung der Blutbeschaffenheit. Man braucht nur zu bedenken, daß beim Zerfall der Leukozyten Eiweiß, Aminosäureprodukte, Polysaccharide, Lipide, Nukleinsäuren, alle Arten von Gewebefermenten, dazu physikochemische wie oxydoreduktive und grenzflächenaktive Komplexe frei werden (Pischinger 1957). Das UV-Spektrogramm methanolischer Extrakte aus Leukozyten, übrigens auch von Fibroblasten, zeigt z. B. eine spezifische Farbbande im gleichen Wellenbereich wie unser Monozytenfaktor aus dem Blut. So kann es nicht überraschen, wenn die schon früher berichteten Versuche G. Kellners zeigen, daß und wie die Stoffe der zur Auflösung gelangenden Fibroblasten das Milieu zu beeinflussen vermögen. Das gleiche muß für die Leukozyten gelten. Es handelt sich in beiden Fällen, bei den Leukozyten wie bei den Fibroblasten, um nicht degenerierende Elemente, also nicht um jene Formen mit pyknotischem Kern, mit denen man die Mauserung der Leukozyten erklären will (Laves, Biermann).
Systematische Zählungen der Zerfallsformen in Ausstrichen vieler Personen in verschiedenen Zuständen lehren, daß die relativen und absoluten Zahlen pro mm3 im peripheren (Fingerbeeren-) Blut beträchtlich schwanken. Es muß die nächste Aufgabe sein, diese Schwankungen nach Ursache und Bedeutung aufzuklären. Zunächst muß aber noch einiges über meine Zähltechnik nachgetragen werden: Der Genauigkeit wegen habe ich Blut stets bis zur Marke 1,0 der Mischpipette aufgezogen (Verd. 1:10) und alle 9 Millimeterquadrate...
Erscheint lt. Verlag | 4.8.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Schlagworte | Akupunktur • Ausleitung • Biologische Medizin • Entzündungen • Ernährung • Extrazelluläre Matrix • Heilverfahren • Homöopathie • Komplementärmedizin • Komplementärmedizinische Verfahren • Körperabwehr • Naturheilverfahren • Regulationsmedizin • Regulationstherapie • Störungen der Grundregulation • Zelle-Milieu-System |
ISBN-10 | 3-13-244340-9 / 3132443409 |
ISBN-13 | 978-3-13-244340-2 / 9783132443402 |
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