Gemmotherapie (eBook)

726 Seiten
Haug Fachbuch (Verlag)
978-3-13-245511-5 (ISBN)
2 Geschichte und Entwicklung der Gemmotherapie
Die Geschichte der Knospen als Heilmittel ist schon viele Tausend Jahre alt. Es waren v.a. die Alchemisten, die sich mit der Herstellung von Heilmitteln aus Knospen befasst haben. Ohne deren spezielle Inhaltsstoffe zu kennen, erschien es ihnen aufgrund der kraftvollen Signatur der aufbrechenden Knospen einleuchtend, dass daraus wirksame Arzneien entstehen müssen. Auch Hildegard von Bingen, die Äbtissin und Heilkundige, soll sich im Mittelalter mit Knospen von acht Bäumen und Sträuchern für Heilzwecke beschäftigt haben. Dennoch kann man bei den von Hildegard von Bingen verwendeten Knospen nicht von den Anfängen der Gemmotherapie sprechen. Denn ihre Auszüge stellte sie meist mit Weißwein her und nicht mit dem von Dr. Pol Henry ermittelten Lösungsmittelgemisch, das eine Resorption über die Mundschleimhaut ermöglicht.
Als weiterer Initiator gilt Johann Wolfgang von Goethe. In seinem Werk Die Metamorphose der Pflanzen (1798) finden sich lange Ausführungen zum Verständnis und zur Wichtigkeit von pflanzlichen Knospen, wenn auch nicht medizinischer Art.
Nach dem 2. Weltkrieg begann der belgische Arzt, Homöopath und Professor an diversen medizinischen Fakultäten Dr. Pol Henry (1918–1988) die arzneiliche Therapie aus Meristemgewebe zu entwickeln. Er verabreichte seinen Patienten Mazerate aus verschiedenen Knospen, Trieben und Wurzelspitzen, die mithilfe der Lösungsmittel Ethanol, Glyzerin und Wasser in definierter Zusammensetzung hergestellt wurden. In zahlreichen Untersuchungen konnte Henry belegen, dass das teilungsaktive embryonale pflanzliche Gewebe enorm viel Energie und Informationen für die Entwicklung des Organismus enthält. Gelangen diese Informationen in Form von Heilmitteln in den menschlichen Körper, so müsse es möglich sein – davon war Henry überzeugt –, fehlgesteuerte Information zu reparieren und zu regenerieren. Damit kann der eigentliche Heilungsprozess in Gang gesetzt werden.
1959 benannte er diese „neue“ Therapieform „Phytoembryotherapie“, da diese auf der Verwendung von embryonalem Gewebe verschiedener Bäume und Pflanzen beruhte.
1982 veröffentlichte Dr. Pol Henry sein erstes Werk über Knospen als Arzneimittel und seine Forschungsergebnisse: Phytoembryothérapie – Gemmothérapie: thérapeutique par les extraits embryonnaires végétaux – Therapie mit embryonalen pflanzlichen Extrakten. Darin beschreibt er, wie er mittels Elektrophorese (einer Labormethode, die die Auftrennung von Proteinen im Blut ermöglicht) die biochemischen Zusammenhänge der Proteinzusammensetzung im Blut von Patienten vor und nach Behandlungen mit Knospenpräparaten bestimmte und die physiologischen positiven Veränderungen auf diverse Organe beobachtete. Er war fasziniert, dass offensichtlich eine Korrelation zwischen den Erkrankungen und den biochemischen Veränderungen der Bluttests nach Gabe von Knospenextrakten bestand. Er konnte unter anderem belegen, dass der Knospenextrakt aus der Moor-Birke (Betula pubescens) die Makrophagen der Leber (Kupffer’sche Sternzellen) anregt und so eine entgiftende Wirkung zeigt. Zugleich beschäftigte er sich intensiv mit der Phytosoziologie, der Vergesellschaftung von Bäumen und Pflanzen. Für ihn war klar, dass beispielsweise das Knospenmittel aus dem Walnussbaum nicht mit anderen Knospenmittel kombiniert werden sollte. Denn der Walnussbaum vergesellschaftet sich auch nicht gerne mit anderen Pflanzen, sondern sorgt mithilfe des Wachstumshemmers Juglon in seinen Blättern, dass ihm nichts zu nahe kommt. Obgleich Henrys Vorgehen zu Beginn rein wissenschaftlich geprägt war, hat er später über Beobachtungen von Bäumen und Sträuchern einen weiteren Zugang zum heilsamen Einsatz ihrer Knospen erhalten.
Der Begriff „Gemmotherapie“ hingegen wurde von Dr. Max Tétau (1927–2012), der als Arzt, Homöopath und Universitätsprofessor in Paris lebte, geprägt. Als Vorsitzender der Société médicale de Biothérapie war er offen und interessiert an verschiedenen naturheilkundlichen Verfahren. Er lernte Dr. Pol Henry kennen, als Freund schätzen und begann wenig später, intensiv mit ihm zusammenzuarbeiten und schwerpunktmäßig die klinischen Aspekte der Knospenheilmittel zu erforschen. So entstand dann ein weiteres wichtiges Werk mit dem Titel Nouvelles cliniques de gemmothérapie – Klinische Neuigkeiten der Gemmotherapie – und etwas später dann zusammen mit Dr. Daniel ScimecaRajeunir nos tissus avec bourgeons, ein Leitfaden der Gemmotherapie für die Familienhausapotheke.
Ein weiterer wichtiger Mann für die Gemmotherapie ist Dr. Fernando Piterà (*1953). Ursprünglich aus Tschechien, studierte er Medizin mit Schwerpunkt Chirurgie an der Universität in Genua und wurde Professor an der Universität Mailand für Medizin und Chirurgie. Offen für Naturheilkunde engagierte er sich im Bereich der Homöopathie, der Phytotherapie und wenig später auch der Gemmotherapie. Als Mitglied der Fakultät für Homöopathie in Großbritannien und der Asociatia Romana de Gemoterapie si Homeopatie (ARGH), der rumänischen Gesellschaft für Gemmotherapie und Homöopathie, hielt er v.a. in Italien, aber auch im Ausland Seminare und veröffentlichte um die 300 Publikationen zu diversen naturheilkundlichen Themen.
1994 publizierte Dr. Fernando Piterà das bisher ausführlichste Werk über die Gemmotherapie, das Compendio di gemmoterapia clinica. Darin findet man erstmalig den Begriff der Meristemtherapie, der Behandlung mit pflanzlichen undifferenzierten Zellen. Piterà beschreibt auf über 800 Seiten exzellente klinische Erläuterungen über den Einsatz von Knospen. Dieses Buch ist in italienischer Sprache geschrieben und seit vielen Jahren vergriffen. Umso erfreulicher ist es, dass 2018 das Werk in die französische Sprache übersetzt wurde und unter dem Titel Précis de Gemmothérapie – Kompendium der Gemmotherapie erhältlich ist. Seinem Namen wird das Werk mehr als gerecht: auf 900 Seiten findet man geballte Informationen und 67 Monografien zu verschiedenen Knospen und Triebspitzen.
Ein weiterer Wegbereiter der Gemmotherapie ist Dr. Frank Ledoux, der 1982 an der Universität in Lille promovierte und sich dann in diversen naturheilkundlichen Therapieformen wie Homöopathie, Akupunktur, Phytotherapie und Aromatherapie fortbildete. Heute ist er Präsident und Dozent der Schule für Naturheilkunde, der Groupe de Recherche d’Etude et d’Application Thérapeutique (G.R.E.A.T.), sowie Dozent an verschiedenen anderen Ausbildungsstätten in Frankreich und Belgien. An der G.R.E.A.T. lernte er deren Begründer, den 2009 verstorbenen Dr. Gérard Guéniot, kennen und schätzen. Guéniot war aufgrund seiner Erfahrungen in der Arztpraxis ein überzeugter Anhänger der Gemmotherapie.
Mithilfe der Aufzeichnungen von Dr. Guéniot und seiner eigenen klinischen Erfahrung schrieb Dr. Ledoux 2012 das Buch La phytoembryothérapie – L’embryon de la gemmothérapie. Er ist in seiner Arztpraxis in Frankreich tätig und macht die Gemmotherapie mit seinen vielen Vorträgen im französischsprachigen Raum – auch im Internet – einem breiteren Publikum zugänglich.
Auch Philippe Andrianne gehört an dieser Stelle erwähnt. Er studierte botanische Wissenschaften an der Universität Liège (Lüttich) in Belgien. Danach arbeitete er einige Jahre in der naturheilkundlichen pharmazeutischen Industrie, die sich auf die Fertigung von Homöopathika spezialisierte. Dort war Andrianne zuständig für die Ernte und Weiterverarbeitung der pflanzlichen Ausgangsstoffe. Später gründete er seine eigene Firma, die sich um die Herstellung von Baumheilmitteln, insbesondere aus Knospen kümmerte. In dieser Zeit entstanden seine zwei wertvollen Werke: 2002 La Gemmothérapie – Médecine des bourgeons und 2011 Traité de gemmothérapie – la thérapeutiques par les borgeons.
Später gründete er zusammen mit anderen Begeisterten der Knospentherapie in Belgien zuerst die Firma Herbalgem. Aus dieser Firma trat er aus und begann einen neuen Hersteller namens Alphagem zu beraten, mit dem Ziel, die Ideen Pol Henrys und v.a. die korrekte Herstellung der gemmotherapeutischen Präparate zu schützen. Als Naturheilpraktiker mit eigener Praxis ist er zudem auch Mitglied der beratenden Kommission der pflanzlichen Arzneimittel des belgischen Gesundheitsministeriums und Präsident der A.I.G (Association Internationale de Gemmothérapie).
Seitdem die Herstellung von Gemmotherapeutika im November 2011 als sogenannte Glyzerinmazerate Einlass ins Europäische Arzneibuch gefunden hat und damit rechtlich in allen europäischen Ländern solche Präparate auch als Arzneimittel hergestellt und vertrieben werden können, hat die Gemmotherapie einen weiteren Entwicklungsschub erhalten. Aufgrund der immer strengeren, aufwändigeren und damit massiv verteuernden Regularien der Arzneibehörden werden viele Gemmomittel nun rechtlich als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Eine Problemlösung, die nicht nur Gutes bringt. Denn von Nahrungsergänzungsmitteln ist weder die Herstellung noch deren Qualität definiert. Und da der Begriff „Gemmotherapie“ nicht geschützt ist, kann alles, was aus Knospen hergestellt wird, rein theoretisch als Gemmotherapie verkauft werden, egal ob die Herstellung mit dem von Dr. Pol Henry erforschten Lösungsmittelgemisch erfolgt oder eben auch nicht. Das macht das Ganze für den Patienten, der auf die versprochene Wirkung vertraut, immer undurchsichtiger und damit...
Erscheint lt. Verlag | 15.1.2025 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Schlagworte | Bäume • Baumheilkunde • Baumknospen • Gemmo • Heilpflanzen • Heilpflanzenkunde • Heilpraktiker • Knospen • Knospenmedizin • Pflanzenheilkunde • Pflanzenknospen • phytotherapeutisches Repertoire • Phytotherapie • Schösslinge • vegetabile Embryonalgewebe |
ISBN-10 | 3-13-245511-3 / 3132455113 |
ISBN-13 | 978-3-13-245511-5 / 9783132455115 |
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