Intensivtraining körperliche Untersuchung und Diagnostik für Heilpraktiker (eBook)
296 Seiten
Haug Fachbuch (Verlag)
978-3-13-242882-9 (ISBN)
1 Klinische Untersuchung in der Praxis
1.1 Bedeutung der körperlichen Untersuchung
Die klinische Untersuchung eines Patienten ist – neben der Anamnese – die wichtigste Säule der Befundung in der Heilpraktikerpraxis.
Einige Untersuchungen, Funktionstests u.Ä. sind sehr einfach durchzuführen, andere aber auch aufwendiger – etwa, weil sich der Patient entkleiden muss oder bestimmte Bewegungsabfolgen überprüft werden müssen. Im ärztlichen Alltag steht hierfür häufig keine oder zu wenig Zeit zur Verfügung. Zudem werden in der Arztpraxis oder im Krankenhaus nicht selten eher Geräte zur Diagnostik eingesetzt, die zwar teilweise hervorragende Erkenntnisse ermöglichen, die „Handarbeit“ jedoch immer mehr in den Hintergrund drängen. Angesichts dessen kommt es nicht selten vor, dass Patienten nach einem Besuch beim Heilpraktiker freudig und erstaunt berichten, dass sie erstmals „richtig“ untersucht und berührt wurden und ihnen Zeit gewidmet wurde. Dadurch entstehen Vertrauen und Anerkennung, was – neben der Diagnostik – eine wichtige Qualität der klinischen Untersuchung darstellt.
Gleichwohl ist die klinische Untersuchung nicht in jedem Fall notwendig, zielführend oder effektiv – z.B. bei psychiatrischen oder einigen endokrinen Erkrankungen oder wenn nur bildgebende Verfahren aufschlussreich sind (z.B. bei bestimmten Tumoren) oder wenig effektive Untersuchungen in ihrer Bedeutung hinter einem Laborbefund zurückstehen (z.B. bei Nierenversagen).
Es ist auch möglich, dass bei bestimmten Verdachtsdiagnosen eine körperliche Befundung nicht möglich oder kaum zielführend ist – z.B. dann, wenn das betreffende Organ einer Untersuchung durch den Heilpraktiker nicht zugänglich ist (beispielsweise die Speiseröhre).
Bei Notfällen kann die Zeit für eine gründliche Untersuchung fehlen, und es ist eher ein schneller und effektiver Check angezeigt.
Probleme bei der körperlichen Untersuchung. In der Theorie sind die meisten klinischen Tests und Untersuchungsmethoden relativ einfach und gut durchführbar. In der Praxis kann sich die Durchführung jedoch schwieriger darstellen, wie folgende Beispiele illustrieren:
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Bei einem adipösen Patienten können Sie wegen des Fettgewebes nur schwer Auskultations-, Perkussions- oder Palpationsbefunde ermitteln.
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Bei einem ungelenken oder statisch unsicheren Patienten gelingen Bewegungsabläufe, die Sie überprüfen möchten, nicht.
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Ein Patient mit ausgeprägtem Schamgefühl verweigert die Untersuchung oder die Mitarbeit.
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Schmerzen des Patienten schränken z.B. das Palpieren oder Bewegungsabfolgen ein.
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Es liegen Kontraindikationen vor, die eine körperliche Untersuchung einschränken oder verbieten (z.B. Blutungsneigung, osteolytische Prozesse, infektiöse Effloreszenzen). Diese müssen Sie in einer vorangestellten Anamnese ermitteln.
Erwarten Sie deshalb nie zu viel. Es kann sein, dass anstelle Ihrer „handwerklichen Diagnostik“ doch bildgebende Verfahren, Laborbefunde etc. eher zum Ziel führen.
1.2 Der Weg zur Diagnose
Zur Diagnostik stehen Ihnen neben der körperlichen Untersuchung verschiedene „Handwerkszeuge“ zur Verfügung. Hierzu gehören die
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Blickdiagnostik/Inspektion (Kap. ▶ 1.2.2),
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Anamnese (Kap. ▶ 1.2.3) und
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Labordiagnostik (Kap. ▶ 1.2.4).
Diese werden im Folgenden eingehend erläutert.
1.2.1 Vorbereitung auf die Begegnung mit dem Patienten und Erstkontakt
Bevor Sie eine Anamnese und/oder eine Untersuchung mit und am Patienten beginnen, sollten Sie sich vorbereiten: Sehen Sie sich möglicherweise bereits vorliegende Informationen an und halten Sie diese bereit. Das können die telefonische Beschwerdedarstellung, Befunde aus vorangegangenen Behandlungen, Labordaten etc. sein.
Empfangen Sie den Patienten möglichst selbst an der Tür und begrüßen Sie ihn persönlich und mit einem Händedruck, während Sie sich vorstellen, sofern Sie einander noch nicht kennen sollten.
1.2.2 Blickdiagnostik/Inspektion
Die Blickdiagnostik wird – das sei anfangs wertend betont – in ihrer Bedeutung für die Praxis vielfach deutlich unterschätzt. In den Vorbereitungen auf die Prüfung, dem Unterricht an Schulen oder der Lehrliteratur fristet sie leider oft nur ein „Mauerblümchendasein“, in der Praxis ist die Patientenschau so selbstverständlich und situationsimmanent, dass der Transfer in die Theorie der Prüfung häufig schwerfällt. Daher heißt es an dieser Stelle, ihr ein besonderes Augenmerk zu widmen.
Wenn ein Patient die Praxis betritt, so können Sie bereits ungemein viele Aspekte wahrnehmen, bevor Sie mit der ersten Untersuchung, einschließlich einer gezielten Inspektion, beginnen oder bevor Sie die erste Anamnesefrage stellen.
Die Blickdiagnose umfasst nicht allein die Betrachtung einzelner körperlicher Merkmale, z.B. die Inspektion der Haut und ihrer Anhangsgebilde wie Haare oder Fingernägel. Vielmehr schließen wir beim Blick auf den Patienten zahlreiche weitere Aspekte der Inspektion (oft unbewusst) mit ein: seine Präsenz und Orientierung, seine Körperhaltung und das Gangbild, die Schlüssigkeit zwischen seinem äußeren Bild und seiner Selbstdarstellung, seine Stimme und seine Sprache – obgleich wir diese nicht sehen, sondern hören. Insofern könnten wir den Begriff der Blickdiagnose erweitern und eher von der Wahrnehmung oder von der Diagnose der Erscheinung des Patienten sprechen.
1.2.2.1 Distanzbefund
Im Distanzbefund erhalten Sie bereits Anhaltspunkte zu folgenden Aspekten:
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Gangbild und Haltung: Gangbild ( ▶ Tab. 1.4 ) und Körperhaltung ( ▶ Tab. 1.3 ) des hereinkommenden Patienten können u.U. wichtige Hinweise bieten, die wir beim sitzenden Menschen nicht wahrnehmen (z.B. Gangstörungen wie Ataxie oder Fußheberschwäche, Schonhaltung). Achten Sie auch auf ein evtl. auftretendes Zittern (Tremor; Kap. ▶ 3.9.3).
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Vitalität: Bereits aus dem oberflächlich betrachteten Gesichtsausdruck und der Bewegungsart eines Patenten lassen sich teilweise Einschränkungen des Allgemeinzustands ablesen. Wir können wahrnehmen, ob seine Vitalität und sein Erscheinungsbild altersgemäß ausgeprägt sind ( ▶ Tab. 1.1 , ▶ Tab. 1.2 , ▶ Tab. 1.3 ).
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Orientierung: Wirkt der Patient wach (Vigilanz) und orientiert, verhält er sich der Umgebung und dem Therapeuten gegenüber zu- oder eher abgewandt?
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Äußeres Erscheinungsbild: Jenseits jeglicher Qualitäts- und Geschmacksfragen kann auch die Kleidung eines Patienten Aufschluss geben ( ▶ Tab. 1.1 ): Ist er nachlässig oder sorgfältig gekleidet, vermittelt die Kleidung einen in sich schlüssigen Eindruck und passt sie zu den Rahmenbedingungen (z.B. der Witterung), kaschiert sie möglicherweise körperliche Merkmale?
Inspektionsaspekt | Beispiele für mögliche Befunde |
Allgemeinzustand, Vitalität, Orientierung, Vigilanz | geschwächt, dynamisch, altersgemäß, verwirrt, unsicher, aufgeregt |
Größe, Gewicht | (nicht) proportioniert, über- oder untergewichtig |
Gangbild und Körperhaltung | ataktisch, hemiplegisch, paraplegisch, trippelnd, gebeugt, starr/rigide, Schonhaltungen, agitiert, Tremor, Fußheberschwäche („Storchengang“) |
Erscheinungsbild | (un)gepflegt, angemessen gekleidet, kaschierende Kleidung |
Ausdruck des Patienten | Beispiele für wichtige Differenzialdiagnosen |
Vigilanzstörung (verminderte Wachheit, Aufmerksamkeit und Orientierung) | ... |
Erscheint lt. Verlag | 24.3.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Schlagworte | Anamnese • Befundinterpretationen • Blickdiagnose • Diagnose • Diagnostik • Körperliche Untersuchungstechniken • Leitsymtpome • Patientenanamnese • Untersuchungstechniken |
ISBN-10 | 3-13-242882-5 / 3132428825 |
ISBN-13 | 978-3-13-242882-9 / 9783132428829 |
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