Athletiktraining in der Sportphysiotherapie (eBook)
280 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-242365-7 (ISBN)
© K. Oborny, Thieme |
1 Grundlagen des Athletiktrainings
1.1 Die Rolle des Athletiktrainers
Angesichts der Bedeutung einer klaren Rolle für jeden Job und insbesondere für die Arbeit mit Menschen scheint dies hier ein guter Ausgangspunkt zu sein. Natürlich wird viel über die vielfältigen Rollen geschrieben, die ein Athletiktrainer (AT) und/oder Sportphysio spielt, und folglich auch über die ebenso große Bandbreite an Wissensquellen, auf die zurückgegriffen werden muss. Viele Trainer und Physiotherapeuten haben sehr unterschiedliche Hintergründe und sind viele Ausbildungswege gegangen, und obwohl diese Vielfalt auch eine Stärke sein kann, führt sie in der interdisziplinären Kommunikation oftmals zur Konfusion. Daher ist es äußerst vorteilhaft, die Kernmerkmale zu identifizieren, die Rolle klar zu beschreiben, Wissen und evidenzbasiertes Arbeiten zu etablieren.
Viele der „Rollenspezifikationen“ sollten eindeutig vom Arbeitgeber, vom Cheftrainer oder einem anderen für die Stellenausschreibung Verantwortlichen stammen. Auch wenn die jeweilige Spezifikation mit der individuellen Philosophie des Trainers/Physios zusammenzupassen scheint, überrascht es nicht, wenn mangelnde Rollenklarheit, fehlende Selbsteinschätzung oder totale Überschätzung in jeglicher Organisation ein großes Problem darstellen, das zu allgemeiner Disharmonie und im Verlauf zu Leistungseinbußen führen kann. Diese Situation wird möglicherweise durch den Druck der Leistungsanforderungen verschlimmert und noch verkompliziert, wenn die Rolle des Athletiktrainers neu ist und von anderen Mitgliedern des Arbeitsteams weniger verstanden oder akzeptiert wird.
Das Bedürfnis nach Klarheit kann sich von der übergeordneten Strategie (was die gesamte Organisation zu erreichen versucht) über die Arbeitsmethode bis hin zu den Fragen, die sich auf den Beitrag eines Individuums beziehen, erstrecken. Auf der höheren Ebene hilft ein „Warum wir hier sind“ mehr als oft nur luftige Leitbilder, alle Beteiligten ins selbe Boot zu holen. Als Beispiel ein Athletiktrainer, der als Teil einer sportbezogenen Rehabilitationseinrichtung eingesetzt wird. Hier sollte für alle das erklärte Ziel ein Return to Activity für den Klienten sein. Aber sollten alle Beteiligten eine Verbesserung der Funktion, eine Leistungssteigerung und eine Stärkung des Vertrauens in die betroffenen Strukturen anstreben? Oder sollte das Programm funktionieren, um den Kunden körperlich und geistig in seine Komfortzone zu bringen bzw. darin zu halten? Die klare Definition und die Verbundenheit mit diesen „höheren Zielen“ werden wichtige Merkmale einer gemeinsamen Arbeit sein, wobei der Athletiktrainer einen zentralen Teil davon darstellt – daher die Notwendigkeit, dass alle am selben Strang ziehen.
Auf einer niedrigeren Ebene beziehen sich die Fragen zur Klarheit der Rollen darauf, wie der Athletiktrainer arbeitet, insbesondere wo seine Zuständigkeiten beginnen und wo sie enden. Betrachten wir z. B. die Rolle eines Athletiktrainers, der mit einer Gruppe von Leichtathleten arbeitet. Probleme können auftreten, wenn Leichtathletiktrainer und Athletiktrainer sich über den relativen Beitrag, den sie jeweils leisten sollten, nicht einig sind. Eine Situation, die auftreten kann, weil körperliche Konditionierung als fundamentales Merkmal des Beitrags des Leichtathletiktrainers angesehen wird. Ein ähnlicher Konflikt tritt auf, wenn sich der Athlet verletzt. Wenn er sich in der Rehabilitation befindet, werden dem Sportler vom Physiotherapeuten Übungen verordnet. Aber wann geht diese Verantwortung auf den Athletiktrainer über? Eine solche Diskussion ist ein gutes Beispiel für den Einstieg in die „Zone der unbequemen Debatte“, die oft notwendig ist, um die Silomentalität zu bewältigen und solide und gut verstandene Arbeitsmuster zu entwickeln – ein wichtiges Merkmal der frühzeitigen interdisziplinären Kommunikation.
Auf der letzten, niedrigsten Ebene wird Rollenklarheit oft durch klares Verständnis ausgedrückt, was genau jeder Einzelne bietet. Für den Athletiktrainer mag das zunächst ziemlich offensichtlich erscheinen: die „Athleten stärker und fitter machen!“. Es ist leider nicht so einfach, besonders wenn man in einem Umfeld mit hoher Rechenschaftspflicht wie einem professionellen Sportverein oder einem modernen Institut arbeitet, das sich auf Rehabilitation von Sportlern spezialisiert hat. In einem multidisziplinären Umfeld können die sportlichen Leiter, Manager etc. verlangen, dass jeder in seinem Aufgabenbereich/seiner Rolle auch seinen entsprechenden Beitrag nachweisen kann. In diesem Fall wird der Athletiktrainer eher auf Leistungsdaten zu spezifischen Übungen als auf den Erfolg des Teams ausgerichtet. Der Erfolg sollte aber der einzige Indikator sein! Einfach ausgedrückt: Wenn ich die Wirksamkeit meiner Arbeit nur auf der Grundlage des mich betreffenden Anteils zeigen muss, wird auf die entsprechenden Leistungsdaten (Tests) zwangsläufig unverhältnismäßig viel Gewicht gelegt, wodurch andere Bereiche, die zur Leistungsentwicklung beitragen, an Bedeutung verlieren; z.B. steigert sich ein Hand- oder Fußballspieler zwar in der Kniebeuge, scheint aber im Spiel langsamer zu werden. Diese Situation wird noch verschlimmert, wenn der Athletiktrainer nun unermüdlich daran arbeitet, verbesserte Leistungsdaten (Kniebeuge 1RM) zu demonstrieren, anstatt sich um andere leistungslimitierende Faktoren zu kümmern. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Wunsch, etwas beizutragen, nicht nur systemisch ist, sondern auch ein (gewöhnlich) positives menschliches Merkmal. Infolgedessen möchten Athletiktrainer, genau wie jeder andere, das Gefühl haben, dass sie einen Teil zum Sieg beigetragen haben. Wenn die Rollen nicht klar definiert und verstanden werden, kann dies leider dazu führen, dass jeder im interdisziplinären Team seinen Teil zur falschen Zeit in falschem Maße und am falschen Ort absolvieren möchte. Eine Überlastung der Sportler ist unter solchen Umständen fast unvermeidlich, und viele jüngere Athleten oder Teams könnten schon unter einer Überdosis gut gemeinter „Hilfe“ gelitten haben!
Es kann helfen, drei Stufen der Expertise eines Athletiktrainers zu unterscheiden, um die Rolle, den Aufgabenbereich und die Bedeutung im interdisziplinären Team zu erkennen:
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Anfänger
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Fortgeschrittener
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Experte
Anfänger Ein Anfänger kann ein gewisses Maß an Erfahrung als Sportler haben, bringt wahrscheinlich Bildung in einem relevanten akademischen Bereich mit und besitzt vorzugsweise eine entsprechende Zertifizierung und einige Erfahrung, z.B. durch ein Praktikum o.ä. in einer Sportorganisation. Unabhängig vom Hintergrund kennt der Anfänger die grundlegenden Anforderungen des Jobs. Obwohl das formale Bildungsprogramm umfangreich sein kann, argumentierte ▶ [3], dass die praktischen Erfahrungen während der Ausbildung von Studenten für den Berufseinstieg oft nicht weit genug gehen. In einigen Fällen werden relevante Universitätskurse nur auf Wahlbasis angeboten, was zu Mängeln in einigen Wissensgebieten oder in praktischen Fertigkeiten führen kann. Zum Beispiel könnten angehende Athletiktrainer während ihrer Ausbildung nur mit Athleten aus einer bestimmten Sportart gearbeitet haben, obwohl Grundkenntnisse in vielen Sportarten für die Berufsvorbereitung wünschenswerter sind. Folglich müsste diese wichtige multiple Sportvorbereitung vom Athletiktrainer in den ersten Jahren der Arbeit im Beruf erworben werden – die Anfangsphase der Expertise.
Um auf die nächste Stufe der Expertise zu gelangen, sollte der Anfänger auf seinen noch eingeschränkten Kompetenzen und praktischen Erfahrungen auf verschiedene Arten aufbauen. Erstens sollten die Trainer in diesem Beruf auf dem neuesten Stand bleiben, indem sie in ihrer Arbeit mit der neuesten Literatur über Trainingstechniken und -modalitäten Schritt halten und die aktuelle Forschung kritisch verfolgen ( ▶ [3]). Zweitens ist die Anleitung durch erfahrenere und kompetentere Fachleute für die berufliche Entwicklung eine wichtige Komponente ( ▶ [1]). Zum Beispiel sollten Trainer, die noch Anfänger sind, solide Coachingpraktiken entwickeln, die es ihnen ermöglichen, effektiv zu kommunizieren und das Verhalten ihrer Athleten zu beeinflussen ( ▶ [3]).
Um dies zu erreichen, würden Mentoren und/oder erfahrene Athletiktrainer durch häufiges Beobachten, korrigierende Rückmeldungen und das Erarbeiten gezielter Praktiken helfen, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Durch ein solch zielgerichtetes Üben verbessert der Anfänger seine Coachingfähigkeiten und entwickelt möglicherweise eine persönliche Coachingphilosophie ( ▶ [1]), die den Praktiker durch die nächsten Phasen der Expertenentwicklung führen können. In einigen Kontexten, wie z. B. in Sportarten wie dem Profifußball, in denen sich viele selbst profilieren und positionieren, könnte es jedoch problematisch sein, einen Mentor zu finden. Darüber hinaus fehlen möglicherweise Kollegen, ehemalige Professoren oder Pädagogen, die ausreichend unterstützen und beim Schaffen einer bewussten Praxis helfen könnten.
Fortgeschrittener Auf der fortgeschrittenen Ebene haben Athletiktrainer ihre persönlichen Coachingphilosophien, die es ihnen ermöglichen, ihr Wissen so einzusetzen, dass sie optimale Ergebnisse für ihre Athleten erzielen ( ▶ [1]). Kompetente ATs verstehen...
Erscheint lt. Verlag | 18.11.2020 |
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Reihe/Serie | Physiofachbuch | Physiofachbuch |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Gesundheitsfachberufe |
Schlagworte | Ausdauer • Hochleistungssport • Leitsungssportler • Maximalkraft • Monitoring • reaktivkraft • Schnelligkeit • Training • Übungen • Warm-up |
ISBN-10 | 3-13-242365-3 / 3132423653 |
ISBN-13 | 978-3-13-242365-7 / 9783132423657 |
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