EMDR für Heilpraktiker (eBook)
192 Seiten
Haug (Verlag)
978-3-13-241377-1 (ISBN)
4 Entwicklung des EMDR
EMDR wurde als Methode in den Jahren 1987–1991 von Dr. Francine Shapiro entwickelt. Das Kernelement dieser Methode ist die sog. „bilaterale Stimulation“, die allerdings so alt ist wie die Menschheit selbst. So ist Laufen oder Gehen nichts anderes als taktile (körperliche) bilaterale Stimulation. In Kap. ▶ 4.2 zur Geschichte der bilateralen Stimulation wird deutlich, dass sie untrennbar sowohl mit der menschlichen Geschichte als auch mit modernen Heilverfahren verknüpft ist. Das wirklich Herausragende, was Shapiro geschaffen hat, ist zum einen die Verknüpfung der bilateralen Stimulation und der damit verbundenen Wirkprinzipien mit einer komplexen und gut strukturierten Arbeitsweise und zum anderen die Überprüfung der Wirksamkeit dieser Methode mit anderen wirksamen und etablierten Therapieverfahren. Dazu gehört nicht nur ein gewisses Maß an Genialität, sondern auch eine gehörige Portion Überzeugung und Mut, EMDR dieser Evaluierung auszusetzen.
4.1 Entwicklung der Methode durch Francine Shapiro
Zu eigentlich jeder guten amerikanischen Methode gehört auch eine Vorgeschichte ihrer Entstehung, und so ist es auch beim EMDR. Dr. Shapiro bemerkte bei einem Spaziergang im Park, dass Ängste und stark belastende Gedanken, die sie aufgrund einer bei ihr diagnostizierten Krebserkrankung hatte, ohne eine im Moment auszumachende Ursache verschwanden und auch nicht wieder auftraten. Dieser Zufall inspirierte sie zu weiteren Nachforschungen und sie versuchte herauszufinden, was an diesem Spaziergang anders war als sonst. Sie erkannte, dass es die Bewegungen ihrer Augen waren, zu denen sie durch die speziellen Lichtverhältnisse verleitet worden war. Das warf bei ihr die Frage auf, ob die Bewegung der Augen ursächlich für die Stimmungsverbesserung und das Schwinden der negativen Gedanken war.
Aus der ursprünglich zufälligen Augenbewegung entwickelte Dr. Shapiro das Konzept gezielter Augenbewegungen und erprobte es zunächst an Freunden, Bekannten und Kollegen. Nach dem erfolgreichen Einsatz in diesem Personenkreis führte sie die bilaterale Stimulation bei den ersten Klienten mit gleichermaßen guten Ergebnissen durch. Danach erfolgten eingehende Studien mit Personen – insbesondere Kriegsveteranen und Missbrauchsopfer –, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) litten.
Seit dieser Zeit finden fortwährend intensive Bemühungen statt, EMDR zu evaluieren und die Wirkungsweise dieser Methode wissenschaftlich zu untermauern. Mittlerweile konnten mithilfe dieser Studien, die auch längere Zeiträume umfassen, die hohe Effektivität und die nachhaltige Wirkung von EMDR nachgewiesen werden, sodass EMDR inzwischen weltweit als Behandlungsmethode anerkannt ist.
In Deutschland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Bedingungen die Kosten von EMDR bei der Indikation „PTBS bei Erwachsenen“. Eine Kostenübernahme für „PTBS bei Kindern“ erfolgt bislang nicht. Vermutlich werden aber in den nächsten Jahren die erforderlichen Studien erbracht, die eine Kostenübernahme ermöglichen. Ähnliches gilt für den Einsatz von EMDR in der Schmerzbehandlung.
Auch wenn eine Übernahme der Kosten von EMDR bei gesetzlich Krankenversicherten für Heilpraktiker weniger relevant ist, besteht durchaus die Möglichkeit, dass Privatkassen ihre Leistungskataloge bei nachgewiesener hoher Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von EMDR anpassen und die Kosten übernehmen werden. Die fortlaufenden Studien zum EMDR sind auch diesbezüglich von großem Nutzen.
4.2 Zur Geschichte der bilateralen Stimulation
Wie bereits eingangs des Kapitels erwähnt, ist die bilaterale Stimulation ein Prinzip, das untrennbar mit der menschlichen Entwicklungsgeschichte verbunden ist. So finden wir die bilaterale Stimulation in alten schamanistischen Techniken wieder. Gleichermaßen scheint sie auch ein wichtiges Prinzip der grundsätzlichen Verarbeitung von Belastungen im Sinne der Psychohygiene des Menschen in allen Jahrtausenden gewesen zu sein. Das Interessante ist, dass wir in der heutigen, modernen Zeit die Möglichkeit haben, diese Wirkungsweise nach wissenschaftlichen Kriterien zu erforschen und zu begründen.
4.2.1 Archaische Erkenntnisse
Wenn wir uns auf sehr frühe Zeiten der menschlichen Existenz zurückbesinnen, waren die Menschen damals darauf angewiesen, ohne spezielle psychotherapeutische Interventionen mit belastenden und traumatischen Erlebnissen zurechtzukommen. Wenn sich beispielsweise einige Männer zur damaligen Zeit zur Jagd oder zu Beutezügen aufgemacht haben, war das ein extrem gefährliches Unterfangen. Nie war garantiert, dass ein paar Tage später wieder alle Männer der Gruppe zurückkehren würden, weil auf dieser Expedition der eine oder andere sein Leben lassen musste. So liegt die Vermutung nahe, dass das Laufen und Zurücklegen langer Wegstrecken den Überlebenden dabei geholfen haben könnte, mit diesen Verlusten umzugehen und das Erlebte zu verarbeiten. Wenn sie dann ihre Dorfgemeinschaft wieder erreicht hatten, wurde in der Regel getanzt, getrommelt und gerasselt. Und auch dies ist nichts anderes als taktile und auditive bilaterale Stimulation.
Nicht umsonst dürfte es sich über Jahrtausende hinweg gehalten haben, dass Soldaten ausdauernd marschieren. Bei der Vielzahl traumatischer Erlebnisse, denen sie ausgesetzt sind, könnte diese Form taktiler bilateraler Stimulation eine wichtige Rolle bei deren Verarbeitung spielen.
Sogar in alten christlichen Ritualen hat sich die auditive bilaterale Stimulation fortgeschrieben. In heute eher selten praktizierten wechselseitigen Choralgesängen sitzen Frauen und Männer getrennt im Kirchengestühl und stimmen wechselseitig ihre Gesänge an. Wer das selbst einmal erlebt hat, kann die tiefe Wirkung dieser Form der bilateralen Stimulation nachvollziehen.
Darüber hinaus existieren interessante evolutionsgeschichtliche Hypothesen. So gibt es die Annahme, dass die Menschheit, solange sie als Laufvolk unterwegs war, grundsätzlich recht friedlich eingestellt war. Von dem Zeitpunkt an, an dem der Mensch das Pferd als Transportmittel und insbesondere als Waffe einsetzte, veränderte sich die Menschheitsgeschichte. Reitervölker waren in der Lage, schnell, effektiv und aggressiv gegen andere Völker vorzugehen und neues Land zu erobern, womit ein neues Kapitel in der Menschheitsgeschichte begann.
Bemerkenswert ist, dass wir auch heute noch – wenn auch sehr selten – auf unterschiedlichen Kontinenten dieser Welt auf Laufvölker treffen können, z.B. die ursprünglichen Aborigines in Australien. Diese Laufvölker verfügen einerseits über Fähigkeiten, die uns schon lange abhandengekommen sind, wie das Wahrnehmen von Wild oder auch das mentale Kommunizieren über große Distanzen hinweg. Andererseits kennen diese Völker kein persönliches Eigentum. Erzähle ich einem Aborigine, dass das Land, auf dem ich wohne, mir gehört, wird er entweder ein amüsiertes Lächeln oder völliges Unverständnis für mich bereithalten. Wenn wir berücksichtigen, dass – damals wie heute – ein Großteil der Konflikte um das Thema persönliches Eigentum kreist, lässt sich erahnen, wie friedlich es sein könnte, wenn dieses Thema keine Rolle spielte. Es gäbe vermutlich deutlich weniger Konflikte und Kriege, und auch über das Klima und die Umwelt müssten wir uns weniger Sorgen machen. Interessant ist hierzu das Buch von Thom Hartmann ▶ [13] Nimm Dein Problem und geh los!
4.2.2 Mesmerismus
Der Erste, der gezielt die bilaterale Stimulation in der Heilbehandlung einsetzte, war Mitte des 18. Jahrhunderts Franz Anton Mesmer. Mesmer arbeitete sowohl mit einzelnen Patienten wie auch auf Massenveranstaltungen.
Offizielles Wirkprinzip seiner Arbeit war das sog. „Mesmer’sche Fluidum“ bzw. der „animalische Magnetismus“. Durch Streichungen mit seinen Händen oder mit aufgeladenen Eisenstäben im Bereich der Aura seiner Patienten „übertrug“ er diesem Wirkprinzip zufolge seine heilenden Energien. Inwieweit dabei ein Placebo-Effekt eine Rolle gespielt haben kann, mag dahingestellt sein, denn Mesmer wurde als unglaublich charismatischer Mensch beschrieben. Und ob er wirklich heilende Energien übertragen hat, lässt sich heute nicht mehr nachweisen.
Eines aber scheint im Kontext des EMDR von besonderer Bedeutung zu sein: Im späten Alter vertraute Mesmer seinem Biografen James Wyckoff an, dass er in der Einzelarbeit mit Patienten gezielte Winkbewegungen vor deren Augen vornahm und er...
Erscheint lt. Verlag | 10.6.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Naturheilkunde |
Schlagworte | Angststörung • Brainlog • Depression • Eye Movement Desensitization • Heilpraktiker • Kognition • Mentaltraining • Posttraumatische Belastungsstörung • Psychotherapie • PTBS • Ressourcenarbeit • Trauma |
ISBN-10 | 3-13-241377-1 / 3132413771 |
ISBN-13 | 978-3-13-241377-1 / 9783132413771 |
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