Tröstliche Tropen
Albert Schweitzer war eine Kultfigur, ein ethischer Popstar der jungen Bundesrepublik. Tausende Schulkinder schrieben Briefe an den »Urwalddoktor«, hunderte Straßen wurden nach ihm benannt. Sein legendäres Spital »Lambarene« in Afrika avancierte zum symbolisch aufgeladenen Ort eines Heilungsgeschehens. Exemplarisch zeigt sich gerade am Mythos von »Lambarene« eine Suche nach der Bewältigung untilgbarer Schuld, entstanden durch die Shoah.Caroline Fetscher beleuchtet diesen zentralen Aspekt der Großgruppenpsyche der Bundesdeutschen nach 1945 (Teil I). Im Kontrast dazu erkundet die Autorin das reale, zeithistorische Lambaréné in Äquatorialafrika (Teil II). Erst die postkoloniale Perspektive offenbart vollends die Kluft zwischen Fiktion und Faktizität. Deutlich wird die enorme Dynamik der Projektionen auf ein imaginäres Afrika.
Teil I: Das fiktive LambareneProlog»Wir sind Deutsche und kein Kolonial-Volk«1949: Drei Festakte, drei KontinenteEinleitungAlbert Schweitzer, Lambarene und die Deutschen nach 1945: Genese und Gebrauch einer kollektiven ErzählungBiografischesDas PhänomenEine »absolute Person der Zeitgeschichte«Rezeptionsreste und NeuansätzeQuellenfülle, Rezeptionsdaten, Namenspate»Ein guter Arzt« für die DeutschenLambarene als »Sehnsuchtsort«Im Land der mentalen TrümmerMaterial und MethodeFrühe KritikStudienaufbau1 Transatlantische AllianzenAlbert Schweitzer auf dem Goethe-Festival in Aspen/Colorado, 1949Gesucht: Ein guter DeutscherPläne für das Aspener Goethe-BicentennialGefeiert: »A good German«Von Afrika nach AspenSchweitzers Ankunft in den amerikanischen MedienHelene Schweitzers RolleAspens Schweitzer und Schweitzers GoetheSchweitzers Goethe-RedeDunkle Mächte, dämonische MenschenIkonografie einer Tafelrunde2 Kolonisierte DeutscheRessentiments und Dilemmata im ethischen NotstandsgebietSchicksalsuhr und Stunde NullDeutsche DilemmataTrizonesier: Drangsalierte EingeboreneDer Fragebogen, 1951Alltag in AbwehrLeiden am eigenen Los: Draußen vor der Tür(Re-)Agieren nach 1945Instanzenlücke und Remoralisierung3 »Ein Goethemensch feiert Goethe«Von Afrika über Aspen nach Deutschland 1949: Eine ParallelaktionWeimar, Schweitzer und Lambarene nach 1949Die Spur des Aspener Schweitzer wird manifester»Wallfahrt zu Goethe«Goethe-Rekonstruktion mit und an Schweitzer: Stationen einer ParallelaktionGoethe und Schweitzer als AufbauhelferVon Lambarene nach WeimarGoethe und Schweitzer in Frankfurt am Main, 1949Schweitzers Selbstparallelisierung mit GoetheDie Vaterlücke4.1 Westdeutschlands tropischer ArztromanEtappen metaphorischer Transformation des Narrativs »Lambarene« beim erwachsenen Publikum nach 1945Anrufung des großen DoktorsLambarene wird neu erfundenRückkehr aus dem UrwaldDer im »Dritten Reich« vermeintlich verbotene DenkerLambarene als Hintergrund-SzenarioHagiografie und DeutungshoheitAuf dem Weg zur wirkmächtigen ÜberhöhungFrühe Lambarene-ZeitzeugenDer Urwalddoktor von Lambarene, 1947Das Spital im Urwald, 1948Amerikanische Pilger beim Dschungel-Heiligen, 1948Albert Schweitzer als Mensch und als Denker, 1949Rudolf Grabs und Emil Lind: Publizistische WegbereiterMenschenfreund in Lambarene, 19504.2 »Ziele eines edlen Menschentums«Von Bildbänden bis Massenpresse: Das populäre »Lambarene« der 1950er Jahre konstituiert sich»Psychologisch schwer leidendes Gebiet«: Schweitzer und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1951Der »Menschenfreund«: Albert Schweitzer und Du, 1954/55Hybride Bilderwelten in der bundesdeutschen Massenpresse, 1954/55Das Genie der Menschlichkeit »baut Lambarene«, 1955-19571960 »entwächst dem Urwaldchaos eine Ordnungswelt«4.3 Lambarene - reloaded and decodedUnterwegs in semantischen Kammern der Nachkriegs-Tropen: Ein Deutungskatalog als Schlüsselbund zur Lambarene-SymptomatikDas Lambarene-Narrativ: Leitmotive und KernmerkmaleEin politisierter, allerdings zu frommer Urwalddoktor: Der DDR-SchweitzerEine neue und politische Arzt-Ikone in den Tropen: Che Guevara4.4 »Kleine Mulatten mit weißen Seelen«Eine wohltägige Initiative der Nachkriegsjahre: Das »Dr. Albert Schweitzer-Kinderheim« in Wermelskirchen5.1 »Jedes Lebewesen sucht bei Ihnen im Urwald Schutz«Ein moralisches Angebot: Kinder und Jugendliche schreiben an Albert Schweitzer in LambareneKinder- und Jugendbriefe als QuellenArchivfundePublizierte KinderbriefeJugend ohne JugendSchweitzer als Namenspate von SchulenImaginierte Reziprozität, erhoffte ErlösungLehrer und Schulen in den NachkriegsjahrenBedrohliche Eltern und Dilemmata der Nachkriegskinder5.2 Der »Oganga«Albert Schweitzer und »Lambarene« als Stoff für junge NachkriegsleserEine Vorgeschichte: »Wir feiern in Afrika den Geburtstag des Führers«»Afrika« im deutschen Kinder- und JugendbuchEin Pelikan macht KarriereEin Hamburger Junge im Urwald, 1952Entlastende Autorität: Der weiße Oganga, 1954Mütterlicher Vater der Waisen, 1954Ein Mann der guten Tat und Herr Ojembo, 1955An den Ufern des Ogowe mit dem Ojembo der DDR, 1956Kompensatorische Subtexte der Kinder- und JugendbücherLambarene und Serengeti: Die Causa Grzimek5.3 Georges OyémboFacetten einer afrikanischen Biografie hinter der Fiktion des »Ojembo aus Lambarene«Schweitzers Ojembo, der Urwaldschulmeister»Ojembo« lebt fiktiv weiter»Ojembo« und OyémboLe Maître OyémboTeil II: Das zeithistorische Lambaréné6.1 Robert Hamill NassauLambaréné, Insel im Strom des Kolonialismus: Zur Geschichte eines »geschichtslosen« Ortes in Äquatorialafrika, 1874-1899Im tropischen NiemandslandEine Kleinstadt im RegenwaldGründung einer MissionsstationNassaus GabunNguva und das gefährliche Theater am FlussLambaréné im WandelVon Amerikas Ostküste an den OgoweAdolinanongo, Anhöhe vor der Insel LambarénéFrankreichs Interesse an Gabun erwacht»Ära Kângwe«Die erste Missionsstation am OgoweFrühgeschichte der Kolonisierung GabunsDoppelcharakter der MissionAus Kângwe wird AndendeDe Brazza erneut auf dem OgoweAlleinerzieher am ÄquatorEine tropische Patchworkfamilie1885: Reverend Good übernimmt KângweEnde der amerikanischen Missionen am OgowePariser Emissäre inspizieren den OgoweAufstände am OgoweDer Skandal um Nassau und Anyentyuwe6.2 Félix OmbaghoLambaréné, Insel im Strom des Kolonialismus: Zur Geschichte eines »geschichtslosen« Ortes in Äquatorialafrika, 1892-1917Variationen einer Eingebung1915: Ehrfurcht vor dem LebenDie Französisierung von LambarénéFélix Ombagho aus IgenjaEin französischer Lehrer: Charles BonzonEine Korrespondenz Lambaréné-Paris: Élie Allégret und André GideDie Pariser MissionsgesellschaftAllégrets und Teisserès reisen mit Ombagho durch die Region»La crise douloureuse«Ombaghos Blick auf die Expedition von Allégret und TeisserèsMissionsschulen und KolonialapparatBriefe aus »Französisch-Kongo«Als Internatsschüler in der SchweizAuslöschung der Familie Lantz und Schweitzers Ruf in die TropenIm Dschungel revolutionärer Utopie: Maurice RobertOmbagho im Elsass und in Paris»Wäre ich weiß, würde man so nicht mit mir umgehen«Zeitenwende am OgoweOmbagho verlässt die Region, »Le docteur« landet in LambarénéVom Missionar zum Ethnologen: Maurice LeenhardtOmbaghos späte KarriereDie memorierte Landkarte als soziale Matrix7.1 Albert Schweitzers AfrikaDer Weg des Urwalddoktors nach Lambaréné: Anmerkungen zur zeithistorischen Realität von Tat und Ort»Ich kann das Wort Congo nicht mehr hören, ohne zu erzittern«Antichambrieren in der Pariser Mission1913-1917: Schweitzers erste Jahre vor Ort»Die armen Neger vor den weißen Raubtieren schützen«Administrative Ordnung im DschungelInterimsphase und zweite AusreiseAb 1924: Zweite Lambaréné-Phase und Helferkolonnen im HalbdunkelDas Hospital von Lambaréné im kolonialen KontextTiere im Urwald-WaisenhausAdenauer, Apartheid und Schweitzer7.2 Lambaréné und der Zweite WeltkriegJüdische und politisch verfolgte Hospitalmitarbeiter, Charles de Gaulles »bataille de Lambaréné« und Albert Schweitzer zwischen den FrontenSchweitzers SchweigenHelene SchweitzerVictor NessmannLadislas GoldschmidRösli Näf und Emma OttRoger Le ForestierHeinz Eduard BarraschAnna WildikannRichard FriedmannWarum schwieg Schweitzer?Der Zweite Weltkrieg in Lambaréné»Wie im Frieden lebend«: Das befreite Gabun1940: »Ich beschliesse, den Operationstisch kugelsicher zu machen«1941: »Wie viel Trost hat mir dieser Spruch gebracht!«1942: »Viel Bach auswendig gelernt«1943/44: »Welche Freude, das Spital wieder zu leiten«1945: Stunde Null in Lambaréné7.3 Afrikas Albert SchweitzerAfrikanische Rezeption, eine Feldforschung in Lambaréné und »La danse de Gaulle«Spurensuche in GabunFeldinterviews in LambarénéSchweitzer als magischer ElefantJoseph N'Dolo und der Aufstand für BildungPorträts, Parallelzauber und das Schweitzer-Museum von Lambaréné»La danse de Gaulle« in Lambaréné8 Die KernfrageDer Friedensnobelpreisträger konfrontiert die Atommächte - und verblasstOslo, 1954: Schweitzers Worte zu Krieg, Frieden und VertreibungNachbeben von OsloAtomfrage und aufkeimende KritikSchweitzer wird im Radio aktivAdenauer in SorgeLautloser AbschiedSchweitzers Ende und ein Objekt am HimmelEpilogAlbert Schweitzer und Lambarene: Ein Palimpsest der bundesdeutschen NachkriegsgesellschaftDer alte Mann und die MehrheitPlädoyer für ein Verfahren der DefragmentierungParadebeispiel moderner MythenbildungHeinz Rühmann als Missionar in ZentralafrikaMoralische ReferenzgrößeAnhangLiteraturArchiveAbbildungenDank
Erscheinungsdatum | 31.10.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Psyche und Gesellschaft |
Mitarbeit |
Herausgeber (Serie): Johann August Schülein, Hans-Jürgen Wirth |
Verlagsort | Gießen |
Sprache | deutsch |
Maße | 148 x 210 mm |
Gewicht | 1210 g |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Sozialpsychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Albert Schweitzer • Geschichte • Geschichtsverständnis • Großgruppenpsychologie • Lambarene • Mediengeschichte • Metapher • Nachkriegsgeschichte • Postkoloniale Geschichte • Schuld • Soziale Traumdeutung • Sozialpsychologie • Symbole • Täterkollektiv • Traumabewältigung • Verdrängung |
ISBN-10 | 3-8379-2994-9 / 3837929949 |
ISBN-13 | 978-3-8379-2994-2 / 9783837929942 |
Zustand | Neuware |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich