Duale Reihe Neurologie (eBook)
616 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-241096-1 (ISBN)
1 Anamnese
1.1 Überblick
Definition
Anamnese (griechisch: „Erinnerung“) ist die Vorgeschichte der Krankheiten nach den Angaben des Patienten. Die Schilderung aktueller Beschwerden und Symptome, früherer und familiärer Erkrankungen muss durch eine Fremdanamnese ergänzt werden – v. a. wenn eine Störung der Vigilanz (Aufmerksamkeit, Wachheit) und eine Amnesie (Erinnerungslücke) bestehen. Die biografische Anamnese dient der Beschreibung einer Situation, in der sich Krankheitssymptome entwickeln.
Epidemiologie: Die häufigsten Symptome neurologischer Krankheiten sind Kopfschmerzen, Schwindel und epileptische Anfälle.
Epidemiologie: Von diagnostischem Nutzen ist die Kenntnis epidemiologischer Daten über die Verbreitung neurologischer Erkrankungen. Zu den am häufigsten geklagten Beschwerden und Symptomen gehören Kopfschmerzen, Schwindel und epileptische Anfälle. Je nach Land und Untersucher kommen Kopfschmerzen bei 10 – 20 % der Einwohner vor. Jeder zehnte Mensch, der einen Arzt konsultiert, leidet unter Schwindel. Epileptische Anfälle treten bei ca. 5 – 10 % aller Menschen mindestens einmal im Leben auf.
Die Prävalenz gibt die Krankheitshäufigkeit an, d. h. die Zahl der Personen, die zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Krankheit leiden. Die Inzidenz ist die Zahl jährlicher Neuerkrankungen (s. ▶ Abb. 1.1 und ▶ Abb. 1.2).
Statistisch exakte Angaben zur Krankheitshäufigkeit und zu den Neuerkrankungen vermitteln die auf eine bestimmte Population und einen festgelegten Zeitpunkt bzw. Zeitraum bezogenen Prävalenz- und Inzidenz-Raten. Zum Beispiel ist die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt) der Hirninfarkte und -blutungen mit 2000 – 2500/100 000 Einwohner dreimal höher als die Prävalenz der Epilepsien ( ▶ Abb. 1.1). Die Inzidenz-Rate (Zahl der jährlichen Neuerkrankungen) ist aber bei den Hirninfarkten und -blutungen mit 160 – 220/100 000 Einwohner vier bis fünfmal höher als bei den Epilepsien mit 46/100 000 Einwohner ( ▶ Abb. 1.2).
Prävalenz und Altersgipfel einiger neurologischer Krankheiten
Abb. 1.1 Ein Großteil der Epilepsien manifestiert sich vor dem 20. Lebensjahr, die Multiple Sklerose (MS) hauptsächlich in der 3. und 4. Dekade. Parkinson-Syndrome treten vorwiegend im höheren Lebensalter auf.
Jährliche Inzidenz häufiger neurologischer Krankheiten
(bezogen auf 100 000 Einwohner)
Abb. 1.2 Am häufigsten sind paroxysmal auftretende Krankheiten und Syndrome (Migräne, Vertigo, Epilepsie, Sykopen), traumatische Läsionen des peripheren und zentralen Nervensystems, gefolgt von atrophischen Prozessen (Demenzen) und Durchblutungsstörungen des Gehirns. Ein Teil dieser Krankheiten und der ebenfalls sehr häufigen radikulären Syndrome wird primär auch von anderen Fachdisziplinen behandelt. Demgegenüber ist Multiple Sklerose selten.
Merke
Wesentlich ist die Unterscheidung von Prävalenz (Krankheitshäufigkeit an einem Stichtag) und Inzidenz (Zahl jährlicher Neuerkrankungen und Erkrankungsrisiko), jeweils bezogen auf 100 000 Einwohner.
Ferner sind die Altersverteilung der Krankheiten und die Sterblichkeitsrate zu berücksichtigen.
Da sich die Prävalenz aus der Inzidenz und der Krankheitsdauer zusammensetzt, ergibt sich die Differenz zwischen Prävalenz und Inzidenz aus unterschiedlichen Manifestations- und Sterblichkeitsraten.
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Epilepsien manifestieren sich mit einem Altersgipfel in der 1. und 2. Dekade (bis 20. Lebensjahr) und einem zweiten Anstieg (jenseits des 65. Lebensjahrs). Die Inzidenz der Hirninfarkte und -blutungen steigt ab 7. Dekade (bei einem mittleren Erkrankungsalter von 73 Jahren) steil an.
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Die Mortalität errechnet sich aus Zahl der Todesfälle pro Jahr im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Bei den Epilepsien beträgt die Mortalität 1 – 2/100 000, die der zerebrovaskulären Erkrankungen hingegen 72/100 000 Einwohner und ist damit etwa fünfzigmal höher.
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Die Letalität, d. h. das Verhältnis der an einer Krankheit Gestorbenen zu den daran Erkrankten, steigt z.B. bei den Durchblutungsstörungen des Gehirns mit zunehmendem Lebensalter überdurchschnittlich an (Letalität = Mortalität : Inzidenz ).
Symptomatologie: Symptome sind anamnestisch und diagnostisch auffällige Krankheitsmerkmale.
Symptomatologie: Ein Symptom ist ein anamnestisch und diagnostisch auffälliges Krankheitsmerkmal. Im angloamerikanischen Sprachraum werden „symptoms“ (Beschwerden) von „signs“ (Krankheitszeichen) unterschieden. Es ist in jedem Fall sinnvoll, subjektive Angaben möglichst wörtlich zu dokumentieren und sie im Anschluss an die neurologische Untersuchung auf die erhobenen Befunde zu beziehen.
Die Anamnese ergibt Hinweise auf Art, Ort und Manifestationszeitpunkt der Symptome. Mehrere charakteristische Symptome bilden ein neurologisches Syndrom (Symptomenkomplex).
Anamnestisch ergeben sich wichtige Hinweise auf die Art und Lokalisation der Krankheitsmerkmale sowie auf deren Manifestationszeitpunkt (Erkrankungsalter, biografische Situation, tageszeitliche Bindung). Einzelne Phänomene wie Schmerzen oder Parästhesien (Missempfindungen) gestatten in keinem Fall eine neurologische Diagnose. Erst wenn die Qualität der Leit- und Begleitsymptome bestimmt worden ist, kann ein Syndrom (Symptomenkomplex) definiert werden: Syndrome beschreiben Krankheitsbilder mit mehreren charakteristischen Symptomen.
Jede Diagnose setzt eine phänomenologische Differenzierung und ätiologische Einordnung der Symptome voraus.
Vom Symptom zum Syndrom und zur Diagnose gelangt der Untersucher, wenn er die Beschwerdeangaben und Krankheitserscheinungen klinisch-phänomenologisch differenzieren und ätiologisch einordnen kann. Im Folgenden soll dies am Beispiel einiger Schmerz- und Anfalls-Syndrome dargelegt werden.
1.2 Schmerzanamnese
Je nachdem ob die Schmerzempfindung erhöht, herabgesetzt oder völlig aufgehoben ist, spricht man von Hyperalgesie, Hypalgesie oder Analgesie. Eine Schmerzauslösung durch nicht schmerzhafte Reize wird als Allodynie bezeichnet.
Akute Schmerzen sind Warnsignale. Die Anamnese berücksichtigt Qualität, Intensität, Lokalisation und Ausstrahlung, Beginn, auslösende und lindernde Faktoren, Frequenz, tageszeitliche Bindung, Dauer und Intervalle der Schmerzen. Je nachdem ob die Schmerzempfindung erhöht, herabgesetzt oder völlig aufgehoben ist, spricht man von Hyperalgesie, Hypalgesie oder Analgesie. Wenn eine Schmerzempfindung durch einen normalerweise nicht schmerzhaften Stimulus, z. B. eine wiederholte leichte Berührung, hervorgerufen wird, handelt es sich um eine Allodynie.
5 % der Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerzen. Anamnestisch sind biografische Daten zu erheben, die eine Änderung der Beschwerden verständlich machen. Zum subjektiven biografischen Kalender s. S. ▶ Link
5 % der Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerz-Syndromen mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten. Die Anamnese schließt die Veränderung einzelner Schmerzparameter ein, z. B. Übergang von einem intermittierenden in einen Dauerschmerz oder Schmerzausbreitung über die Innervationsgrenzen hinaus. Zum komplexen regionalen Schmerz-Syndrom (CRPS) siehe S. ▶ Link. Schmerzen können auch...
Erscheint lt. Verlag | 17.8.2016 |
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Reihe/Serie | Duale Reihe | Duale Reihe |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Neurologie |
Medizin / Pharmazie ► Studium | |
Schlagworte | Muskelerkrankungen • Muskelkrankheiten • Nervenkrankheiten • Nervensystem • Neurologie • neurologisch • reflexe |
ISBN-10 | 3-13-241096-9 / 3132410969 |
ISBN-13 | 978-3-13-241096-1 / 9783132410961 |
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Größe: 27,7 MB
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