Praxis des Bobath-Konzepts (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-151973-3 (ISBN)
Michaela Friedhoff, Daniela Schieberle: Bobath-Konzept in der Praxis 1
Vorwort 8
Vorwort zur 3., umfassend überarbeiteten Auflage 11
Geleitwort 12
Geleitwort zur 3. Auflage 13
Inhaltsverzeichnis 14
Teil I Grundlagen des Bobath-Konzepts 20
1 Einführung 21
1.1 Geschichte und Entwicklung des Konzepts 21
1.1.1 Das Bobath-Konzept in der Diskussion 22
1.1.2 Integration des Bobath-Konzepts ins tägliche Leben 23
1.2 Das Bobath-Konzept heute 23
2 Fundamente (Prinzipien) des Bobath-Konzepts 25
2.1 Aktivierung des Patienten (in Orientierung an normalen Bewegungsabläufen) 25
2.2 Förderung der Haltungskontrolle (zur Normalisierung des Muskeltonus) 25
2.3 Förderung der Körperwahrnehmung 27
2.4 Orientierung an normalen Bewegungsabläufen 27
2.4.1 Normaler Muskeltonus und Abweichungen 28
Grundtonus und Abweichungen 28
2.4.2 Einflussfaktoren auf den Muskeltonus 28
Allgemeine Faktoren 29
Spezifische Faktoren 29
3 Neurophysiologische Grundlagen 35
3.1 Lernen 35
3.1.1 Physiologische Grundlagen 35
3.1.2 Lernfähigkeiten 36
3.1.3 Einflussfaktoren für Lernen 37
3.1.4 Lernen nach einer Hirnschädigung 39
3.1.5 Physiologie des Gehirns: Motorische und sensorische Bereiche 40
Hirnversorgende Gefäße 40
Neurologische Symptome, die sich aus einer Durchblutungsstörung der großen Hauptarterien des Gehirns ergeben können 41
3.2 Sensomotorische Systeme 43
3.2.1 Sensorische Systeme 46
3.2.2 Wechselseitige Beeinflussung von Motorik und Sensorik 46
Propriozeption 46
Sensomotorischer Kreislauf 47
3.3 Motorik und motorische Systeme 48
3.3.1 Agonist und Antagonist 48
3.3.2 Tonische und phasische Muskulatur 49
Axoplasmatischer Fluss 50
3.3.3 Kompensation und Assoziierte Reaktionen nach einer zentralen Schädigung 52
Ursachen und Entstehung 52
Aufgaben der Neuropflege 54
Teil II Pflegetherapeutisches Handeln nach zentralen Schädigungen 56
4 Neuropsychologische Störungen 57
4.1 Einführung 57
4.1.1 Grundlagen der Wahrnehmung und weiteren Verarbeitung 57
4.1.2 Grundlagen neuropsychologischer Störungen 58
4.2 Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen 60
4.2.1 Grundlagen der Aufmerksamkeit und Konzentration 60
Kapazitäten der Aufmerksamkeit 60
Komponenten der Aufmerksamkeit 61
4.2.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 62
Pflege bei Störungen des Wachheitsgrades und der Aufmerksamkeitsdauer 62
Pflege bei Störungen der selektiven Aufmerksamkeit 64
Pflege bei Störungen der geteilten Aufmerksamkeit 65
4.3 Apraxie 66
4.3.1 Formen der Apraxie 66
4.3.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 67
4.4 Perseveration 67
4.4.1 Pflegetherapeutische Maßnahmen 67
4.5 Agnosie 68
4.5.1 Formen der Agnosie 68
4.5.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 68
4.6 Neglect 68
4.6.1 Formen des Neglect-Syndroms 68
Neglect bezogen auf den eigenen Körper (Body Neglect) 69
Neglect bezogen auf den Greifraum 69
Neglect bezogen auf den fernen Außenraum 69
4.6.2 Modalitäten des Neglect-Syndroms 70
Visueller Neglect 70
Motorischer Neglect 71
Somatosensorischer Neglect 71
Akustischer Neglect 71
Neglect in der mentalen Repräsentation 72
Begleiterkrankungen 73
4.6.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen 73
Voraussetzungen für die Körperpflege 74
Voraussetzungen für ein Anziehtraining 75
Gestaltung der Bewegungsübergänge 76
4.7 Räumliche Störungen 76
4.7.1 Fehleinschätzungen relativ zum eigenen Körper 76
4.7.2 Fehleinschätzungen der Distanz zwischen zwei Körpern 76
4.7.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen 77
4.8 Pusher-Symptomatik 77
4.8.1 Kennzeichen der Pusher-Symptomatik 77
4.8.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 79
Körperpflege 79
Anziehtraining 80
Bewegungsübergänge im Bett 81
Transfer Bett 81
Rollstuhl 81
Sitz im Rollstuhl/Stuhl 82
4.9 Aphasie 83
4.9.1 Formen der Aphasie 85
Einteilung der Aphasieformen 85
4.9.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 86
4.10 Dysexekutives Syndrom 88
4.10.1 Pflegetherapeutische Maßnahmen 89
5 Auswirkungen zentraler Schädigungen auf Schulter und Hand 90
5.1 Anatomische Zusammenhänge des Schultergelenks 90
5.1.1 Knöcherne Faktoren der Stabilität 90
5.1.2 Muskuläre Faktoren der Stabilität 92
5.1.3 Stabilisierende Bänder 92
5.2 Entwicklung einer schmerzhaften Schulter 92
5.2.1 Subluxation 92
5.2.2 Schulterschmerzen 94
5.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen 96
5.3.1 Handling in Rückenlage 96
Bei hypotonen Anteilen 96
Bei hypertonen Anteilen 96
5.3.2 Handling beim Drehen auf die Seite 97
Drehen auf die mehr betroffene Seite 98
Drehen auf die weniger betroffene Seite 99
5.3.3 Handling in Seitenlage 99
Positionierung auf der mehr betroffenen Seite 99
Positionierung auf der weniger betroffenen Seite 100
5.3.4 Handling im Sitz 101
Bei hypotonen Anteilen 101
Bei hypertonen Anteilen 101
5.3.5 Voraussetzungen für Armhandling 101
Begleiten und Führen des Arms 101
5.3.6 Armhandling beim An- und Auskleiden 102
5.3.7 Handling im Stand 104
5.3.8 Handling beim Transfer 104
5.3.9 Weitere prophylaktische Maßnahmen 104
5.4 Handsyndrom 105
5.4.1 Verlaufsstadien 105
5.4.2 Ursachen 106
5.4.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen 106
6 Auswirkungen zentraler Schädigungen auf die Hüfte 108
6.1 Anatomische Zusammenhänge 108
6.2 Ursachen einer schmerzhaften Hüfte 108
6.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen 109
6.3.1 In der Rückenlage 109
6.3.2 Beim Bewegen des Beins 109
6.3.3 Beim Drehen auf die Seite 111
6.3.4 In Seitenlage mehr betroffene Seite 111
6.3.5 Beim Sitzen im Stuhl/Rollstuhl 112
6.3.6 Beim Gehen 112
Teil III Bausteine des Bobath-Konzepts in der praktischen Anwendung 114
7 Bausteine für das Handling 115
7.1 Einführung 115
7.1.1 Basisregeln der Bausteine 115
7.1.2 Übersicht der Bausteine 119
7.2 Bewegen im Bett 119
7.2.1 A-Lagerung 121
Teilaktive Patienten 124
Schwer betroffene Patienten 124
7.2.2 Positionieren in Rückenlage 124
Teilaktive und schwer betroffene Patienten 124
Besonderheiten 126
7.2.3 Aufstellen der Beine in Rückenlage 127
Teilaktive und schwer betroffene Patienten 127
Besonderheiten 129
7.2.4 Becken anheben und zur Seite bewegen 130
Teilaktive Patienten 130
Schwer betroffene Patienten 131
Besonderheiten 132
7.2.5 Oberkörper zur Seite versetzen 132
Teilaktive Patienten 132
Schwer betroffene Patienten 133
Besonderheiten 133
7.2.6 Drehen auf die mehr betroffene Seite 133
Teilaktive Patienten 134
Schwer betroffene Patienten 135
7.2.7 Positionieren auf der mehr betroffenen Seite 136
Teilaktive Patienten 136
Schwer betroffene Patienten 140
Besonderheiten 140
7.2.8 Drehen auf den Rücken 141
Teilaktive Patienten 141
Schwer betroffene Patienten 143
7.2.9 Drehen und Positionieren auf die weniger betroffene Seite 143
Teilaktive Patienten 143
Schwer betroffene Patienten 146
Besonderheiten 146
7.2.10 135-Grad-Lage 148
7.2.11 Hochbewegen im Bett 149
Teilaktive Patienten 152
Schwer betroffene Patienten 153
Besonderheiten 153
7.3 Sitzen im Bett 154
7.3.1 Stabiler Sitz im Bett 154
Besonderheiten 155
7.3.2 Asymmetrischer Sitz im Bett 157
7.3.3 Aufsetzen auf die Bettkante 157
Teilaktive Patienten 159
Schwer betroffene Patienten 160
Besonderheiten 160
7.4 Tiefer Transfer 162
7.4.1 Normaler Bewegungsablauf beim Transfer 162
Seitenauswahl 164
Vorbereitung zum Transfer 165
7.4.2 Transfer in den Stuhl/Rollstuhl 166
Teilaktive Patienten 166
Schwer betroffene Patienten 168
7.4.3 Transfer zur Toilette 169
7.4.4 Transfer ins Auto 169
7.4.5 Besonderheiten 169
7.5 Sitzen 171
7.5.1 Voraussetzungen für das Sitzen 172
Beschaffenheit des Rollstuhls/Stuhls 172
Ausrichtung des Beckens 173
Stellung der Schlüsselpunkte zueinander 173
Aufrechter und angelehnter Sitz 173
Schwer betroffene Patienten 174
Besonderheiten 175
7.6 Aufstehen und Stehen 177
7.6.1 Hilfestellung von vorne 177
7.6.2 Hilfestellung von der Seite 178
Besonderheiten 179
7.7 Einige Schritte gehen und Transfer über den Stand 179
7.7.1 Einige Schritte gehen 180
Voraussetzungen zum Gehen 180
Unterstützung beim Gehen 181
Allgemeine Überlegungen zur Hilfsmittelversorgung 182
7.7.2 Transfer über den Stand 184
Unterstützung beim Transfer über den Stand 184
7.8 Hineinlegen ins Bett 184
7.8.1 Unterstützung von vorne 184
7.8.2 Unterstützung von der Seite 184
7.8.3 Unterstützung bei schwer betroffenen Patienten 184
7.8.4 Besonderheiten 186
7.9 Besondere Aspekte in der Akutphase 186
7.9.1 Integration des Bobath- Konzepts beim NIHSS 188
7.9.2 Handling unter besonderen Aspekten 194
Becken anheben, auch bei adipösen Patienten 194
Aufsetzen und Transfer in den Stuhl bei Adipositas und Monitoring 196
7.9.3 Beziehen eines Bettes 199
7.9.4 Katheterisieren 200
7.10 Verbesserung der Haltungskontrolle durch Anlegen eines Rumpfwickels 201
7.10.1 Anlegen eines Rumpfwickels 202
7.11 Patienten auf einen Untersuchungstisch bewegen 205
8 Integration der Bausteine in die AEDLs 207
8.1 Waschen und Kleiden 207
8.1.1 Voraussetzungen 208
8.1.2 Pflegeziele 208
8.1.3 Allgemeine Kriterien 208
8.1.4 Waschen und Kleiden im Bett 210
Im stabilen Sitz im Bett 210
In Rückenlage 214
In A-Lagerung 214
In Seitenlagerung 216
8.1.5 Waschen und Kleiden vor dem Waschbecken 219
Sitzend vor dem Waschbecken 219
Auf einem hohen Hocker sitzend am Waschbecken 224
Stehend vor demWaschbecken 225
Fazit 227
8.1.6 Duschen und Baden 227
Duschen 227
Baden 227
8.1.7 Spezielle Pflege bei Sensibilitätsstörungen 227
8.1.8 Spezielle Mundpflege bei hirngeschädigten Patienten 229
Ziele der Mundpflege 230
Allgemeine Mundpflege 230
Spezielle Mundpflege 231
Besonderheiten bei hirngeschädigten Patienten 232
8.2 Essen und Trinken 236
8.2.1 Störungen der Sensibilität und des Schluckreflexes 236
8.2.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen 236
Einbeziehung der Angehörigen 237
8.3 Ausscheiden 237
8.3.1 Harninkontinenz 237
Physiologie der Miktion 237
Pflege hirngeschädigter Patienten mit Harninkontinenz 238
Diskussionsaspekte 243
8.3.2 Stuhlinkontinenz 243
Physiologie der Stuhlentleerung 244
Pflege hirngeschädigter Patienten mit Stuhlinkontinenz 244
Diskussionsaspekte 247
8.4 Atmen 247
8.4.1 Spezielle Pflege von Patienten mit Trachealkanülen 248
Grundlagen 248
Auswahl der Kanüle 251
Wechsel der Kanüle und Pflege des Stomas 253
Besonderheiten 254
8.5 Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 256
9 Fallbeispiele 258
9.1 Fallbeispiel 1 258
9.1.1 Pflegerische Befundung und Maßnahmen zwei Tage nach der Aufnahme 258
Kommunikation 259
Bewegung 259
Körperpflege 260
Ernährung 262
Ausscheidung 262
Für Sicherheit sorgen 263
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 263
9.1.2 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach vier Wochen 263
Kommunikation 263
Bewegung 264
Körperpflege 265
Ernährung 266
Ausscheidung 267
Für Sicherheit sorgen 267
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 267
9.1.3 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach fünf Monaten 268
Bewegung 268
Körperpflege 269
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 270
9.2 Fallbeispiel 2 270
9.2.1 Pflegerische Befundung und Maßnahmen zwei Tage nach der Aufnahme 270
Vitalparameter 271
Kommunikation 271
Bewegung 271
Körperpflege 273
Ausscheidung 273
Für Sicherheit sorgen 274
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 274
9.2.2 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach sechs Monaten 274
Vitalparameter 274
Kommunikation 275
Bewegung 275
Körperpflege 276
Ausscheidung 276
Für Sicherheit sorgen 276
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 276
9.2.3 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach 10 Monaten 276
Kommunikation 277
Bewegung 277
Körperpflege 278
Ausscheidung 278
Für Sicherheit sorgen 278
Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen 278
Teil IV Anhang 280
10 Literaturverzeichnis 281
Sachverzeichnis 283
1 Einführung
Zitat
Es muss dem Patienten Freude machen, dass er wieder etwas kann.
Dieses Zitat von Berta Bobath hat seit der Entwicklung des Bobath-Konzepts bis zum heutigen Tag nicht an Bedeutung verloren! Das von Berta Bobath und ihrem Mann Karel entwickelte Bobath-Konzept betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit und reduziert ihn nicht auf seine Defizite. Berta Bobath war ihr Leben lang fasziniert von den Menschen und ihren Bewegungen. Als Therapeutin gelang es ihr, den Patienten während der Behandlung so überzeugend mit einzubeziehen, dass er ungeahnte Fähigkeiten entwickeln konnte.
„Schau zuerst den Patienten an, was er in seinem Alltag kann, erst dann registriere seine Defizite und beginne die Behandlung damit, herauszufinden, warum der Bewegungsablauf gestört ist.“ Dieser Grundgedanke stellt für alle an der Förderung des Patienten beteiligten Menschen eine hohe Herausforderung dar. Eine veränderte Umgebung, eine andere Ausgangsposition, der geistige, seelische und körperliche Zustand sind nur einige wenige Faktoren, warum die Behandlung und pflegerische Unterstützung sich an die wechselnden und individuellen Bedürfnisse täglich anpassen muss. Das Ziel wird dabei nicht aus den Augen verloren. Hieraus erklärt sich, warum Berta und Karel Bobath ihr therapeutisches Vorgehen als Konzept und nicht als feststehende Methode verstanden haben.
1.1 Geschichte und Entwicklung des Konzepts
Berta Bobath, geb. Busse, wurde am 5.Dezember 1907 in Berlin geboren. Ihr Elternhaus war jüdischer Abstammung, worin ihre spätere Emigration nach London begründet ist. Schon früh entdeckte sie ihr Interesse an Musik, Tanz und Gymnastik. Ihre Eltern bezahlten ihre ersten Gymnastikstunden und erlaubten den späteren Besuch der Anna-Herrmann-Schule in Berlin. Diese Schule lehnte den damals üblichen Drill und die im Sportunterricht praktizierten mechanischen Bewegungsübungen ab. Durch das Wahrnehmen eines Zusammenhangs zwischen Körper, Seele und Geist wurde der Individualismus betont. Der Ausdruckstanz fand seinen Einzug. Atmung und Bewegung wurden in Verbindung gebracht und der Zusammenhang zwischen Atmung und Stimme wurde erforscht.
Berta Busse fühlte sich besonders zu Mary Wigman (Begründerin des Ausdrucktanzes) hingezogen, ein Tanz mit und in die Schwerkraft. Die Zusammenarbeit mit Elsa Gindler (Lehrerin an der Anna-Hermann-Schule) hatte auch einen großen Einfluss auf Berta Busse. Sie „unterrichtete keine festen Übungen, sondern forderte ihre Schülerinnen auf, die Beziehung zwischen Haltung, Bewegung, Geist und Seele herauszufinden. Sie erkannte die Bedeutung von Fühlen und Empfinden.“ (aus Biewald, 2004).
Diese Gesichtspunkte finden sich bis heute im Bobath-Konzept wieder. Auch Berta Busse unterrichtete ab 1926 an der Anna-Hermann-Schule, bis sie diese aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1933 verlassen musste. Die Emigration nach London folgte 1938.
Karel Bobath wurde 1905 in Berlin geboren. Er war auch jüdischen Glaubens mit ungarisch-tschechischer Abstammung. Er lernte Berta Busse im Alter von 16 Jahren im Sportverein kennen. Sie besuchte ihn oft in seinem sehr musikalischen Elternhaus. Karel studierte Medizin und war 1933 gezwungen, in die Tschechoslowakei zu fliehen. In Deutschland war ihm die Approbation und Promotion aberkannt worden, sodass er diese Prüfungen erneut ablegen musste. 1939 floh er nach England, wo er Berta Busse wieder traf. Sie heirateten 1941 in London.
Berta Bobath behandelte Patienten mit pflegerischer Gymnastik in verschiedenen Krankenhäusern. Ihre Behandlungen schlossen das bewusste Gefühl für Bewegung (das Spüren und die Kontrolle), die Persönlichkeit des Menschen und eine ganzheitliche Sichtweise mit ein. Sie behandelte Kinder und Erwachsene. 1950 bestand sie ihren Abschluss zur Physiotherapeutin. Sie beschäftigte sich mit den Fragestellungen: Wie geht Bewegung leicht? Wie kann ich andere Menschen in ihrer individuellen Bewegung begleiten?
Berta Bobath hat empirisch (also rein auf Erfahrung beruhend) festgestellt, dass sich „Spastik“ beeinflussen lässt. Sie hat sich nicht mit dem bestehenden Zustand bei einem Patienten nach einer Schussverletzung des Kopfes mit nachfolgender Hemiparese zufrieden gegeben. Sie hat dafür gesorgt, dass die betroffene Seite mit einbezogen wurde und nicht unmittelbar nach dem Ereignis kompensatorisch geübt und behandelt wurde. Dieses publizierte Berta Bobath zu einer Zeit, wo die Erkenntnisse über Neuroplastizität noch nicht vorlagen und eine Erklärung ermöglicht hätten. Ihre empirischen Aussagen wurden erst Jahre später durch neue Erkenntnisse untermauert.
Neurowissenschaftlich ging man Anfang der 30er Jahre davon aus, dass das zentrale Nervensystem hierarchisch aufgebaut ist. Der Kortex des Großhirns steuert alle untergeordneten Zentren wie das Zwischenhirn, das Mittelhirn, das Stammhirn und das Kleinhirn. Gibt es also eine Störung im Kortex, so erhalten die „unteren“ Zentren keine Befehle mehr und können aus diesem Grund nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen. Aus diesen Vorstellungen heraus haben sich Gedanken und therapeutische Ansätze entwickelt. Spastik wurde als Reflex gesehen und entsprechend waren reflexhemmende Lagerungen und Behandlungen Interventionen, die dem zu entgegnen versuchten. Aus dieser Zeit heraus haben sich die Lagerungen in „reflexhemmenden“ Positionen entwickelt, die nicht nur während der Therapiezeit, sondern auch in Ruhezeiten ihre Anwendung fanden.
Diese Form der Behandlung war von Berta Bobath nie gelehrt und schon gar nicht gewollt. Der Wissenstand zu diesem Zeitpunkt bezog sich auf Reflexhemmung, aber niemals auf eine starre Methode, Menschen in eine Position zu bringen und sie dort zu halten. Sie hat immer Wert darauf gelegt, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen und ihn in die Therapie mit einzubeziehen.
Die Neurowissenschaft hat sich in den folgenden Jahren schnell weiterentwickelt und so kamen mit neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge des Gehirns auch neue therapeutische Ansätze dazu. Das Gehirn als kommunizierendes System (Systemmodell) zu verstehen, eröffnete vollkommen neue Herangehensweisen und ermöglichte mehr Behandlungsansätze. Dennoch blieben und bleibt das Grundkonzept des Bobath-Konzepts bestehen. Muskeltonus, insbesondere Haltungstonus lässt sich beeinflussen und über die Kenntnisse der normalen Bewegung lassen sich Handlungsabläufe durch eine Förderung der Körperwahrnehmung wieder erlernen.
Berta Bobath eröffnete gemeinsam mit ihrem Mann 1951 ein Zentrum für Kinder mit zentralen Bewegungsstörungen. Dort behandelten sie Kinder mit zum Teil sehr schweren Behinderungen. Sie schaffte es, die hohen Tonusverhältnisse zu verändern, sodass diese Kinder von ihren Eltern leichter gepflegt werden konnten oder sie z. B. durch einen verbesserten Sitz aktiver am Leben teilnehmen konnten. Berta Bobath bildete zusätzlich Physiotherapeuten in ihrem Konzept aus. Ihr erster Ausbildungsgang startete mit sechs Therapeuten.
Während der Fortbildungen und Vorträge, die Karel und Berta Bobath in den folgenden Jahren beinahe weltweit hielten, wurde an Berta Bobath immer wieder die gleiche Frage gerichtet: „Woran erkennen Sie, ob das, was Sie tun, das Richtige ist?“ Darauf antwortete sie: „Ob das, was Sie tun, das Richtige für den Patienten ist, zeigt die Reaktion des Patienten auf das, was Sie tun.“
Schon zu diesem Zeitpunkt stand die Reaktion des Patienten, die Antwort des Individuums mit all seinen biografischen Daten im Vordergrund. Fast spielerisch hat Berta Bobath Menschen in Bewegung gebracht.
1.1.1 Das Bobath-Konzept in der Diskussion
Die Förderung der mehr betroffenen Seite stand so sehr im Vordergrund, dass einige Schüler von Berta Bobath daraus leider Dogmen erschufen. Es gab Verbote, der Patient durfte sich nicht mit der besseren Seite helfen oder wurde in seinem Bewegungsdrang gebremst, weil er noch kompensatorische Komponenten aufwies.
Diese Fehlinterpretationen hängen dem Konzept noch heute negativ an. Von Kritikern werden alte Beispiele herangezogen, statt...
Erscheint lt. Verlag | 16.7.2014 |
---|---|
Reihe/Serie | Pflegepraxis | Pflegepraxis |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Pflege |
Schlagworte | AEDL • AEDL activities an experiences of daily life • Aktivierende Pflege • Aktivitäten des täglichen Lebens • Anpassung des Umfeldes • An- und Auskleiden • Ausscheidungen • Bewegungsablauf • Bobath • Bobath-Konzept • Erkrankung Zentrales Nervensystem • Examinierte Pflege • examinierte Pflegende • Friedhoff • Halbseitenlähmung • handling • Hemiplegie • Hirnschädigung • Kommunikation • Körperpflege • Krankenpflege • Lagerung • Lehrbuch • Michaela Friedhoff • Mobilität • Muskeltonus • Nahrungsaufnahme • neurologische Störungen • Neuropsychologische Störungen • Pflege • Pflegehandlungen • Praxis des Bobath-Konzepts • Rehabilitation • rehabiltation • Schlaganfall • Soziale Integration • Therapie • Transfer • zentrales Nervensystem |
ISBN-10 | 3-13-151973-8 / 3131519738 |
ISBN-13 | 978-3-13-151973-3 / 9783131519733 |
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