Jerry Cotton Sonder-Edition 250 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7169-6 (ISBN)
Mancher glaubte schon, Phil und ich wären auf die Erfolge unseres Kollegen Sam Worth neidisch. Das war natürlich glatter Unsinn. Im Gegenteil, bei unserem nächsten Fall wählten wir ihn sogar zum Partner. Gemeinsam erlebten wir unvorstellbare Abenteuer. Wir beide - und der G-man des Jahres!
1
Die fünfte Kugel schlug zwei Handbreit über meinem Kopf ein und sprengte einen dicken Brocken Mörtel aus der Mauer.
Ich ließ mich auf die Knie fallen. Dreimal hatte Ralph Carp beim Stellungswechsel auf mich geschossen. Ich entschloss mich zu einer Pause. Man soll sein Glück nicht strapazieren.
»Jerry!«, rief Phil. Er kauerte halb links in einem Ladeneingang, der zu neunzig Prozent aus Glas bestand, und konnte sich nicht rühren.
»Alles okay!«, antwortete ich.
Der abgesprengte Mörtelbrocken lag vor meinen Füßen. Ich hob ihn auf und wog ihn in der Hand.
Zum Teufel, womit feuerte Carp? Mit Panzergranaten?
Der sechste Schuss dröhnte durch das Einkaufscenter. Über Phil ging ein Wolkenbruch von Glassplittern nieder, und er konnte nicht einmal wagen sich zu schütteln.
Von der Empore, die mit Blumenkästen und Schalen geschmückt war, feuerte Sam Worth, Freund und Kollege beim FBI in New York seit sechzehn Monaten.
Carp antwortete, und damit stand fest, dass er nicht einen Revolver, sondern eine Pistole mit schwerer Munition benutzte. Denn unter der siebten Kugel zerplatzte eine Schale voll Geranien wie unter dem Hieb eines Vorschlaghammers.
Ich richtete mich auf. »Mach Schluss, Carp!«
Ich konnte ihn sehen. Wie Phil hatte er einen Ladeneingang als Deckung gewählt. In diesem Eingang standen zwei Warenregale, hinter denen Carp kauerte. Aber die gläserne Eingangstür spiegelte seine Gestalt.
Wieder schoss Sam. Er setzte die Kugel so genau vor Carps Füße, dass der Gangster hektisch und unkontrolliert reagierte. Mit seiner achten Kugel traf er nichts, nicht einmal einen Blumentopf.
Noch bevor der Schuss verhallt war, sprang Sam von der Empore.
Mir blieb die Luft weg, denn Sam raste wie ein angreifender Stier auf Carps Deckung zu, geradeaus und ohne einen Haken zu schlagen. Mindestens vierzig Yards musste er schaffen, und das bei voller Beleuchtung! Denn in allen Schaufenstern des Centers waren die Lampen eingeschaltet, und es funkelten die Neonröhren.
Irgendwer schrie. Ich weiß nicht, ob es Carps, Sam oder ich selbst war. Dann sah ich, wie der Gangster den Arm vorwarf. Die schwarze Pistole in seiner Hand war genau auf Sams Gesicht gerichtet. Sam schlug zu.
Die schwarze Pistole wirbelte in weitem Bogen durch die Luft, knallte auf den gefliesten Boden und rutschte sechs, sieben Yards weit wie auf Eis.
Sam zog Carp zwischen den Regalen raus und legte ihn mit einem trockenen Haken flach.
Als Phil und ich den Eingang erreichten, hatte Sam die Gelenke des Gangsters schon mit Handschellen geschmückt.
»Erledigt«, sagte er und rieb die Hände gegeneinander. »Pfui Teufel, ich habe in sein Haar gefasst. Der Typ benutzt Pomade, als wäre er Travolta. Wer hat eine Zigarette? Mein Päckchen liegt noch auf der Empore.«
Phil lieferte die Zigaretten, ich das Feuer.
»Du warst leichtsinnig, Sam.«
»Unsinn, Jerry. Er hatte achtmal geschossen. Seine Kanone musste leer sein.«
»Es gibt Pistolen mit zehn, zwölf, fünfzehn Kugeln im Magazin.«
Sam lachte, und Sams Lachen wirkt ansteckend. Er war ein dunkler, sogar etwas finster aussehender Typ mit starken Brauen und dichtem schwarzen Haar. Aber wenn er lachte, dann blitzten seine kräftigen weißen Zähne auf, seine graublauen Augen funkelten, und er verbreitete gute Laune, gewürzt mit einer Prise Leichtsinn.
Ich habe eine Menge Frauen gesehen, die bei Sams Lachen den Atemrhythmus wechselten.
»Carp ist ein kleiner Gauner«, sagte er. »Kleine Gauner sind nicht mit Superkanonen bewaffnet. Ich hatte genug davon, mit ihm den großen Krieg zu spielen. Außerdem habe ich eine Verabredung, zu der ich pünktlich sein muss, denn die Frau ist so hübsch, dass sie niemals auch nur eine Minute wartet.«
Phil holte die Waffe.
»Ein 45er Kaliber. Für einen kleinen Gauner, wie du ihn nennst, Sam, immerhin eine ziemlich dicke Kanone.« Er schob die Arretierung zurück und ließ das Magazin aus dem Griff gleiten.
»O verdammt«, stöhnte Sam.
Das Magazin war randvoll.
Acht massige Kugeln und jede mit einer Ladung, die das Projektil durch Eichenbohlen zu jagen vermochte.
»Anscheinend warst du näher daran, deine Verabredung zu versäumen, als du geglaubt hast«, sagte ich.
Wir fanden das leere Magazin zwischen den Regalen. Carp musste die Magazine unmittelbar vor dem Zusammenstoß mit Sam gewechselt haben.
»Sieht aus, als hätte ich eine Unmenge Glück gehabt.« Er schüttelte den Kopf und ließ sich von Phil eine zweite Zigarette geben, die er an der Glut der ersten entzündete.
Zitterten seine Finger? War die zweite Zigarette Symptom eines nachträglichen Schocks? Sam rauchte ohnedies nahezu pausenlos. Jedes Zimmer verwandelte er in eine Räucherkammer. Aus seinem Zigarettenkonsum ließ sich nichts herauslesen. Er lachte schon wieder.
»Vielleicht sollte ich am nächsten Wochenende nach Las Vegas fliegen und den Gehaltsscheck in ein Spielchen investieren.«
Carp bewegte sich. Er stöhnte, drehte den Kopf nach links und rechts, schlug die Augen auf und starrte uns dumm und stumpf an.
Sam Worth beugte sich zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.
»Du bist auf meiner Liste bereits die Nummer dreißig, mein Junge«, sagte er.
Der Anblick der drei Männer schüchterte Tony Carp ein. Fünf Schritte vor dem Tisch blieb er stehen und fuhr sich nervös durch das lange Haar, das schwarz war wie das seines Bruders.
Die Männer setzten ihr Gespräch fort, als hätten sie ihn nicht bemerkt.
Carp erhielt von dem Bodyguard einen Stoß in den Rücken. Wütend fuhr er herum. »Mach das nicht noch einmal!«
Über das grobe Schlägergesicht breitete sich ein Grinsen. »Was wäre, wenn ich dich noch einmal zurechtschubste, du Hühnchen? Willst du mir drohen?«
Carp fuhr mit der Handkante scharf über seine Kehle. Der Bodyguard lachte verächtlich.
Plötzlich wurde Carp bewusst, dass das Gespräch verstummt war. Er drehte sich um.
Sie sahen ihn an. Unter ihren Blicken fühlte sich Carp, als stünde er im weißen Licht starker Scheinwerfer. Er schwitzte und rieb die feuchten Handflächen an den Jeans.
»Dein Name?«, fragte einer der Männer. Er hatte ein braunes, knochiges Gesicht und trug das graue Haar kurz geschnitten.
»Tony Carp.«
»Arbeitest du für uns, Carp?«
»Ich nicht, aber mein Bruder Ralph.«
Der Grauhaarige wandte sich nach links, wo neben ihm ein dicklicher Südländer saß. Ein Mann mit einem feisten Cäsarenkopf auf runden Schultern, vorgewölbten braunen Augen unter dichten Brauen und spärlichen Haarsträhnen, die er sorgfältig auf dem kahlen Schädel flachgebürstet trug.
»Kennen wir Ralph Carp?«, fragte der Grauhaarige.
»Ein mieser Gauner dritter Klasse. Einbrüche, zwei, drei Überfälle auf Tankstellen und eine Menge schmutzige Sachen mit Mädchen. Ein Kerl, der sich nicht im Zaum halten kann.«
»Ralph wurde von den Schnüfflern gefasst«, sagte Tony Carp hastig. »Er hat sich gewehrt und versucht, sich den Weg freizuschießen. Sie können ihn wegen Mordversuch vor Gericht bringen.«
»Was geht uns das an?«, fragte der Grauhaarige.
Carp räusperte sich. »Das Syndikat paukt alle Leute raus, die bei einer Arbeit für das Syndikat in Schwierigkeiten geraten.«
Der dritte Mann, der rechts neben dem Grauhaarigen saß, beugte sich vor. Er war der einzige, dessen Name Carp kannte. Er hieß Gus Zasky. Bevor er zu einem der Bosse des Team-Syndikats aufgestiegen war, hatte er eine Gang auf der East Side kommandiert. Zasky galt als rücksichtslos und brutal. Sein rotes Säufergesicht unter dem dichten Filz roter Haarstoppeln und die hellen, fast farblosen Augen hatten den Bewohnern der East Side schon Furcht eingejagt, als Tony Carp noch als Halbstarker an den Straßenecken herumlungerte.
»Das Stinktier von deinem Bruder hat nicht für das Syndikat gearbeitet!«, brüllte Zasky.
Carp zog den Kopf zwischen die Schultern.
»Mister Z-zasky, entschuldigen Sie ...«, stotterte er, »aber Ralph selbst sagte mir, dass er von dem Syndikat einen Job ...«
»Wann hat er von einem Job für das Syndikat geredet?«, fragte der Grauhaarige.
»Am Abend vor seinem Zusammenstoß mit den Schnüfflern. Daher glaubte ich, er wäre bei einem Auftrag für das Syndikat gefasst worden, besonders auch, weil die Schnüffler G-men waren. G-men jagen nicht einen Mann, der einige Einbrüche begangen hat, sondern ...«
Wieder wurde er unterbrochen.
»Warte draußen! Wir werden dich hereinrufen, wenn wir uns über deinen Bruder informiert haben.« Der Bodyguard tippte Tony Carp auf die Schulter und wies auf die Tür.
Carp stolperte aus dem Zimmer in den Vorraum, in dem er vor seiner Begegnung mit den Bossen des Syndikats gewartet hatte. Er ließ sich in einen zerschlissenen Sessel sinken, zündete sich eine Zigarette an und bemühte sich, seine Gedanken zu...
Erscheint lt. Verlag | 7.12.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-7169-7 / 3751771697 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7169-6 / 9783751771696 |
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Größe: 789 KB
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