Die Leiche im Keller: Ein Wiener DDR-Krimi (eBook)
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-4182-9 (ISBN)
Unter dem Pseudonym Hubert Anders hat sich der Autor als Verfasser von zeitgeschichtlichen und historischen Romanen einen Namen gemacht. Mit dem vorliegenden Band debütiert er auf dem Gebiet des Kriminalromans.
Der Auftrag
Ein Leichenfund
Wien-Zentrum, Gegenwart, ein Junitag
Die schwere, verzierte Eingangstür des Palais von Eckstein lässt sich nur mit einem gewissen Kraftaufwand öffnen. Das Knarren der alten Scharniere hallt durch die Eingangshalle, die in kühles Dämmerlicht getaucht ist. Die Luft im Haus ist kühl, fast klamm, als ob die alten Mauern die Kälte des frühen Morgens noch lange festhalten. Kein freundlicher Ort, denke ich, während ich eintrete. Nicht, dass ich solche Orte nicht erwarten würde.
Lena von Eckstein wartet am Fuß der breiten Marmortreppe auf mich. Ihr Blick ist aufmerksam, als ich näher komme, doch ihre Haltung bleibt distanziert. Kühle Eleganz. Ihr blondes Haar liegt perfekt, ihre grünen Augen sind ruhig, aber wachsam. Sie wirkt, als hätte sie den Morgen lange vorbereitet, damit sie keinen Raum für Überraschungen lässt.
„Frau Richter, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie so schnell kommen konnten“, sagt sie, ohne den Blick von mir zu nehmen. Die Stimme passt zu ihrem Auftreten: kühl, kontrolliert, keine Emotionen, die sich in den Ton einschleichen.
„Es klang nach einem Fall, der meine Aufmerksamkeit verdient“, erwidere ich. Ich halte die Augen auf sie gerichtet, versuche, mehr hinter dem zu sehen, was sie sagt. Ihr Auftreten passt zu dem Haus. Alt, herrschaftlich, repräsentativ – aber hinter all dem könnte sich alles Mögliche verbergen.
„Ich hoffe, dass dem so ist.“ Sie lächelt kurz, ein flüchtiges, knappes Lächeln, das mehr Routine als echte Freundlichkeit zeigt. „Kommen Sie, ich möchte Ihnen den Fundort zeigen.“
Lena dreht sich um, und ich folge ihr die breite Treppe hinab in den Keller. Die Schritte hallen dumpf auf dem kalten Marmor, und mit jedem Schritt wird die Luft kühler. Unten im Keller herrscht eine Feuchtigkeit, die sich in die Haut frisst. Irgendetwas an diesem Ort macht mich aufmerksamer, als es ein einfacher Leichenfund tun sollte.
Die Wände sind feucht, stellenweise schimmelt der Putz. Der Boden ist uneben und feucht, als würde das Haus selbst langsam verfallen. Lena bleibt vor einer massiven Holztür stehen, die von einem bronzenen Knauf gehalten wird. Sie dreht den Knauf und öffnet die Tür mit einem schweren Ruck. Ein dumpfer, modriger Geruch schlägt mir entgegen.
Der Raum dahinter ist klein, das Licht kommt von einer einsamen Glühbirne, die von der Decke hängt. „Hier hat man sie gefunden“, sagt Lena und deutet auf den Boden in der Mitte des Raums. „Die Bauarbeiter stießen auf den Leichnam, als sie den Keller für die Einleitung der Fernwärme vorbereiteten. Die Polizei war schnell zur Stelle, aber sie haben den Fall rasch abgeschlossen.“
Ich gehe in die Hocke und betrachte den Boden. Der Beton ist rau, stellenweise noch feucht, obwohl die Arbeiten längst abgeschlossen sind. Im Hintergrund streben offensichtlich neue, rot eingepackte Rohre aufwärts. Es ist nichts mehr zu sehen, was auf die Leiche hinweist. Ich frage mich, warum man den Fall so schnell abschließen wollte.
„Ungewöhnlich“, sage ich, während ich mich langsam aufrichte. „Dass die Polizei das so schnell als erledigt ansieht.“
Lena nickt knapp. „Ja, das fand ich auch. Es ging alles sehr schnell. Vielleicht, weil der Todeszeitpunkt so lange zurückliegt. Der Autopsiebericht sprach von den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.“ Ich blicke Lena an, für sie ist das genauso historische Vergangenheit wie für mich.
Ihre Antwort ist sachlich, neutral, als würde sie nur die offensichtlichen Fakten wiederholen. Aber sie wirkt zu beherrscht. Zu wenig überrascht, zu wenig besorgt. „Haben Sie irgendwelche Unterlagen oder Hinweise, die den Fall vertiefen könnten?“, frage ich sie, während ich sie direkt ansehe.
„Nein“, sagt sie. Das Lächeln, das jetzt kurz ihre Lippen umspielt, ist zu glatt, als dass ich es ernst nehmen könnte.
Ich gehe noch einmal gedanklich durch, was ich gesehen habe. Lena sagt, die Polizei hätte den Fall „rasch abgeschlossen“, aber irgendwas an dieser Geschichte passt nicht. Rasch abgeschlossen ist selten eine gute Nachricht. Es bedeutet meistens, dass jemand nicht weiter graben will.
„Kommen Sie, wir gehen wieder nach oben“, sagt Lena. Ihre Stimme ist jetzt fast beiläufig, als wolle sie den Keller so schnell wie möglich hinter sich lassen. Sie wendet sich um, und wir verlassen den Raum.
Der Salon ist in warmes, gedämpftes Licht getaucht, ein fast überwältigender Kontrast zum kalten Keller, aus dem wir gerade gekommen sind. Doch Lena bleibt unberührt, ihre kühle Ausstrahlung unverändert. Sie deutet auf das Sofa, setzt sich mir gegenüber und betrachtet für einen Moment ihre eigenen Hände, bevor sich unsere Blicke wieder treffen.
„Was erwarten Sie von mir?“, frage ich sie und lehne mich im Sessel zurück. „Der Fall ist alt, Spuren sind kaum vorhanden.“
Lena atmet tief ein, dann erwidert sie leise: „Ich habe Sie ausgewählt, weil ich gehört habe, dass Sie schwierige Fälle lösen. Ich brauche Ihre Diskretion.“
Ich nicke und überlege, ob ich noch einmal nach dem Grund für ihre Eile fragen sollte. Doch ihr Blick verrät mir, dass ich nicht viel mehr herausbekommen werde. Noch nicht.
„Bevor ich gehe, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, dass mein Honorar unabhängig von einem Erfolg fällig wird“, sage ich. Lena zögert keine Sekunde und nickt. „Das ist selbstverständlich.“
Bevor ich mich zum Gehen wende, bemerke ich, wie sie eine CD-ROM von einem Sideboard nimmt. „Ich habe es geschafft, an die Polizeibilder des Leichenfundes zu kommen. Ich dachte, das könnte Ihnen helfen.“
Ich nehme die CD-ROM entgegen und nicke. „Das wird sicher nützlich sein.“
Lena steht auf und begleitet mich zur Tür. „Ich zähle auf Sie, Frau Richter“, sagt sie und wirft mir einen letzten Blick zu, bevor ich das Palais verlasse.
Ein ehemaliger Kollege
später
Die Stille in meiner Wohnung lastet drückend auf mir. Es ist wie immer ganz am Anfang eines neuen Falles: Da ist diese Unruhe, bevor ich den ersten konkreten Ansatzpunkt gefunden habe. Die CD-ROM mit den Polizeibildern muss ich erst umkopieren lassen, mein letztes Laufwerk ist defekt. Ich erwarte mir davon aber ohnehin nicht viel. Die Leiche wird mir nicht erzählen, was die Ermittler vielleicht schon herausgefunden haben.
Die Ermittler. Mein Handy liegt vor mir auf dem Tisch. Der Name, den ich schon so oft gewählt habe, schwebt in meinem Kopf. Markus.
Ich atme tief durch, dann tippe ich seine Nummer ein. Zweimal klingelt es, bevor er abhebt.
„Verena“, sagt er, mit einem Ton, der Überraschung nicht ganz verbergen kann. „Das ist ja eine Freude.“
„Markus“, antworte ich, bemüht, meine Stimme neutral zu halten. „Ich hoffe, ich störe nicht.“
„Kommt darauf an.“ Ich höre, wie er sich in seinem Stuhl zurücklehnt. „Worum geht’s?“
„Es geht um den Fall Palais Eckstein“, sage ich, ohne Umschweife. „Die Leiche im Keller.“
Er bleibt einen Moment still, dann höre ich nur seinen leisen Atem am anderen Ende der Leitung. „Palais Eckstein, ja?“ Seine Stimme klingt jetzt kühler, distanzierter. „Was interessiert dich daran, Verena?“
„Ich habe einen Auftrag bekommen. Lena von Eckstein will, dass ich herausfinde, wer die Leiche ist.“ Meine Stimme klingt ruhiger, als ich mich fühle. „Die Polizei hat den Fall abgeschlossen, aber sie glaubt, dass mehr dahintersteckt.“
„Verena“, sagte er, während sich seine Stimme senkte, als hätte er sich gerade einen schweren Mantel umgelegt. „Ich weiß nicht, ob ich dir dabei helfen kann.“
„Markus, bitte.“ Ich höre selbst den dringlichen Ton in meiner Stimme. „Es geht nur um ein paar Hinweise. Wir waren doch mal Freunde, oder?“
„Freunde“, wiederholt er mit einem leichten, bitteren Lachen. „Ja, wir waren mal Freunde. Lass uns das nachmittags besprechen. Ich habe um fünf Zeit. In meinem Büro.“
„Danke, Markus.“ Meine Stimme klingt jetzt erschöpft. „Bis dann.“
*
Endlich dreiviertel fünf. Markus’ Büro liegt im zweiten Stock eines tristen Verwaltungsgebäudes. Die Wände sind in einem faden Grau gestrichen, und der Geruch von altem Papier und kaltem Kaffee hängt in der Luft wie eine unangenehme Erinnerung. Ich klopfe an die Tür, und als ich eintrete, sehe ich ihn hinter seinem Schreibtisch sitzen, der mit Aktenstapeln und einer halb vollen Kaffeetasse überladen ist.
„Verena“, begrüßt er mich, ohne aufzustehen. Seine Augen mustern mich kurz, dann zeigt er auf den Stuhl vor ihm. „Setz dich.“ Markus hat sich kaum verändert. Er ist groß und schlank, sein Uniformhemd ist bis zum dritten Knopf geöffnet, über dem dunklen Teint seines freundlichen Gesichts steht ein Bürstenhaarschnitt,...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2024 |
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Reihe/Serie | Verena Richter |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Kalter Krieg • Leipzig • Ost-West-Konflikt • Schmuggel • Stasi |
ISBN-10 | 3-7693-4182-1 / 3769341821 |
ISBN-13 | 978-3-7693-4182-9 / 9783769341829 |
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