Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

GEHEN UND ANKOMMEN (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
283 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8990-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

GEHEN UND ANKOMMEN -  Norbert Stähr
Systemvoraussetzungen
4,99 inkl. MwSt
(CHF 4,85)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
'Und du, Tarek, bist du auch auf der Flucht?' Endlich hat sie sich getraut, ihn zu fragen. 'Sind wir nicht alle auf der Flucht?', entgegnet er ausweichend. Dabei versucht Katja doch nur herauszufinden, warum er in Berlin ist. Und wie lange er bleiben kann. Denn seit sie sich in dem anonymen Hochhauskomplex im Thälmannpark in Berlin begegnet sind, fühlt sie sich magisch zu ihm hingezogen, auch wenn sie ahnt, dass er ihr Dinge verheimlicht. Tarek ist mit seinem kleinen Sohn aus Syrien gekommen, wo seit mehreren Jahren der Bürgerkrieg tobt. Er hat ein Visum, aber das läuft ab, und die Zeit zerrinnt ihm unter den Fingern, in der er Entscheidungen treffen müsste. Nur sein Kopf ist dafür nicht frei. Ihm sitzt seine Familiengeschichte im Nacken, die Fragen aufwirft und ihn lähmt. Durch ein Tagebuch seiner Mutter erfährt er von den familiären Verwicklungen, die bis nach Berlin in die Tage des Mauerbaus zurückreichen, als die Stadt im August 1961 geteilt wurde.

Norbert Stähr wurde 1957 in Berlin geboren. Nach dem Abitur studierte er an der FU Berlin zunächst Musikwissenschaften, später Chemie und Geografie für das Lehramt. Nach dem Studienabschluss und dem Zweiten Staatsexamen übte er die Tätigkeit als Lehrer in Berlin aus. Norbert Stähr lebt in Berlin und ist Vater von drei Töchtern.

Norbert Stähr wurde 1957 in Berlin geboren. Nach dem Abitur studierte er an der FU Berlin zunächst Musikwissenschaften, später Chemie und Geografie für das Lehramt. Nach dem Studienabschluss und dem Zweiten Staatsexamen übte er die Tätigkeit als Lehrer in Berlin aus. Norbert Stähr lebt in Berlin und ist Vater von drei Töchtern.

2 Katja


Katja sitzt am Schreibtisch ihres Bürozimmers. Gedanken kommen und gehen. Sie macht auf ihrem Sessel kleine Drehbewegungen – nach links, nach rechts - und schaut gelangweilt aus dem Fenster. Der Laptop hat längst auf Pausenmodus umgeschaltet, was sie in ihrer geistigen Abwesenheit nicht wahrnimmt. In dem Moment, als die Tür lautstark aufspringt, schreckt sie hoch. Jana, ihre Chefin, steht unvermittelt im Raum. Sie könnte ruhig mal anklopfen. In Katja meldet sich innerer Protest.

„Wir müssen gleich reden, ich nehme an, du hast die Seite schon fertig?“ Was als Frage verstanden werden könnte, zeigt, wie so oft bei Jana, ihre Erwartungshaltung an, und die hängt wie eine Wolke im kleinen Büro, der sich Katja am liebsten entziehen würde.

„Ich bin sicher, du hast wieder etwas Fabelhaftes gezaubert“, ruft sie ihr zu. „Robert kommt am Nachmittag, dem müssen wir erste Ergebnisse präsentieren. Du weißt, unter welchem Erfolgsdruck der leidet. Mein Gott, heute ist alles so furchtbar schnelllebig. Ich sag’ dir, wenn der nicht bald Geld macht, geht er den Bach runter.“ Janas Augen haften jetzt auf dem schwarzen Display.

Katja schaut sie an, versucht, ihre Gedanken zu sortieren und sich wieder auf den Auftrag zu konzentrieren. Sie weiß, was davon abhängt. Ja, ja, auch die Agentur muss ihr Geld machen.

„Katja, mein Liebes, geht es dir nicht gut? Siehst total müde aus. Mach mal ’ne Pause. In einer Stunde besprechen wir alles in meinem Zimmer, okay?“ Ein gespielt mildes Lächeln huscht über Janas Gesicht, die Augenlider ein wenig gesenkt und schon ist sie wieder raus. Ist doch wie immer. Janas Auftritt gleicht einem Tusch, unangekündigt und schnell verhallt.

Kaum ist Jana weg, lässt sich Katja wieder in ihren Sessel sinken. Sie fühlt sich heute merkwürdig aufgekratzt, nur leider fehlt es ihr dabei an Spannkraft für diesen Auftrag. Sie mag auch Robert nicht sonderlich gern. Statt sich auf das Projekt zu konzentrieren, fällt ihr schon wieder Beatrice ein, ihre beste Freundin, über die sie sich neulich geärgert hat. „Katja, mit 34 Jahren bist du auch nicht mehr die Jüngste. Ich frage mich manchmal, wo du eigentlich hinwillst? Findest du nicht auch, dein Leben plätschert zu sehr vor sich hin?“ Aus unerklärlichen Gründen fühlt sich Beatrice in letzter Zeit berufen, ihr die Augen zu öffnen. Mit solchen Sprüchen gibt sie ihr unmissverständlich zu verstehen, dass Katja ihr Potenzial nicht ausschöpft, dass sie mehr aus sich machen könnte. Das sieht Katja meist anders. Der Job läuft gut und ansonsten ist alles offen. Für das Ansonsten hat sie kein klares Konzept, aber das wird sich in ihrem Leben auch noch finden. Im Grunde ist es Beatrice, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in seichtem Fahrwasser treibt. Wenn irgendetwas dahinplätschert, dann ist es das Leben von Beatrice.

Katja versucht, sich krampfhaft wieder auf die Arbeit am Laptop zu konzentrieren. Nur Beatrice will ihr nicht aus dem Kopf. Keine Frage, ihre Freundin hat sich in letzter Zeit verändert, neigt zu einer Härte, der sich Katja nur schwer erwehren kann.


Beatrice und Katja lernten sich an einer Fachhochschule für Grafikdesign kennen. Beide saßen zufällig während einer Einführungsveranstaltung im Hörsaal nebeneinander und waren sich auf Anhieb sympathisch. Binnen kurzer Zeit entwickelte sich aus dieser Begegnung eine enge Freundschaft. Schnell waren sie ein erfolgreiches Team, das sich ideal ergänzte. So war Beatrice im Durchdenken theoretischer Probleme brillant. Sie konnte sich darin stundenlang verbeißen, bis sie zu einer geeigneten Lösung fand. Katja hingegen war die praxisorientierte, kreative Handwerkerin, die schnell die zu absolvierenden Semesterarbeiten in die Tat umsetzte und zum krönenden Abschluss brachte. Für wenige Monate waren beide sogar in ein gemeinsames WG-Projekt geschlittert, das aber kläglich scheiterte. Wenn sie heute darüber reden, lachen sie inzwischen und haken es als jugendliche Verirrung ab.

Schon seit ihrem Studienabschluss arbeitet Katja als Webdesignerin in einer PR-Agentur, die im Friedrichshain sitzt. Es ist einer der Berliner Bezirke, wo im Moment noch vieles geht. Anders bei Katja. Heute ist nicht ihr Tag. Sie schaut schon wieder aus dem Bürofenster, hängt ihren Gedanken nach und blickt dabei auf saniertes, rotes Backsteingemäuer, das sich mit neuer Glasarchitektur in Harmonie ergänzen soll. Die Agentur hat ein paar Räume in einem denkmalgeschützten Altbau des ehemaligen Berliner Städtischen Central-Vieh- und Schlachthofs gemietet. Als sich vor einigen Jahren Schlachtbetrieb und umliegendes Wohnen nicht mehr vertrugen, wurde das Gelände kurzerhand zur Bebauung in ein Wohnstadtquartier mit Gewerbe freigegeben. Die alten Straßennamen, Viehtrift, Zur Börse und Waage, erinnern an diese Zeit.

Wenn Katja abends auf dem Rückweg mit ihrem Rad durch diese neue Siedlung fährt, vorbei an den engen Reihenhäusern und teuren Stadtvillen, dann geht ein komisches Ziehen durch ihre Bauchgegend. Einige Häuser haben sogar kleine Gärten vor der Tür, manchmal spielen Kinder darin. Dabei ist es gar nicht lange her, da wurden hier jedes Jahr hunderttausende Rinder, Schweine und Lämmer in Hallen zusammengetrieben und geschlachtet. Stattdessen soll sich jetzt urbane Vielfalt entwickeln - als ob Tod und Leben so einfach austauschbar wären. Für Katja passt das nicht zusammen, sie versteht diesen Hype nicht, zumal so viel Blut dranhängt. Aber wen interessiert schon die Geschichte? Stadtplaner und Spekulanten haben ihre eigenen Visionen, und Katja ist natürlich klar, dass Letztere die Gewinnmaximierung im Kopf haben. Im Grunde ist es nur wieder eins dieser typischen Weißen Neubauviertel in den Innenstadtbezirken, wo alles so geleckt und steril daherkommt, oft als moderne Wertanlage teuer verkauft. Da ist nichts gewachsen und lebendig.

Anders ist es mit den noch immer angesagten, ursprünglichen Kiezen vom Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Katja sieht über die letzten Jahre die Veränderungen in diesen beiden Bezirken, die vielen neuen Galerien, Agenturen und die unzähligen Kneipen und Cafés, die entstehen. Natürlich sind einige schon zum Tode verurteilt, bevor sie überhaupt eröffnen. Dafür ist hier alles im Fluss, in schnellem Wandel. Sie nimmt den Puls wahr, der durch diese Kieze geht. Das ist ihre Welt. Aber am Ende ist sie nur eine Beobachterin der Szene, die vieles mitnimmt, ohne selbst zu kreieren. Wenn sie diese Gedanken an sich heranlässt, ärgert sie sich manchmal. Dabei hätte sie sogar Ideen.

In Katjas Agentur gehen Designer ein und aus, die sich vor ihren eigenen Visionen kaum retten können. Jana nennt sie etwas spöttisch Kreativbolzen. Die haben unglaubliche Ideen, von denen aber der potenzielle Kundenkreis bisher nichts ahnt. Oft bewegen sie sich zwischen Genie und Untergang, und vor dem drohenden Desaster ist Katja ihre Rettung. Sie schneidert Webseiten, die einfach sehr gut sind, ins Schwarze treffen, und ihre Klienten in die Öffentlichkeit bringen. Letztlich ermöglicht sie deren Erfolge. Da passiert es schon mal, dass sie kurzzeitig zur besten Freundin avanciert. Manchmal, in solchen Momenten, wird ihr der Wert ihrer Arbeit bewusst. Dann sieht Katja, in welch hohem Maße sie ihr Talent an andere verschleudert und selbst im Hintergrund bleibt. Erst neulich kam ihr dieser Gedanke. Ein Superkunde war von ihrer Arbeit so angetan, dass er sofort einen Langzeitvertrag mit der Agentur aushandelte. Aber was war für sie dabei herausgesprungen? Da fiel ihr Beatrice ein, und dass sie wahrscheinlich recht hat, mit ihrer für Katja unbequemen Wahrheit – „Du machst zu wenig aus dir“!

Manchmal, in solch klaren Momenten, überlegt sie, ihre eigene Agentur zu gründen. Der Web-Markt würde es hergeben. Dazu müsste sie nur ein kleines Startkapital aufnehmen, um ein Büro einzurichten. Die Kosten ließen sich minimieren, indem sie sich in eine Bürogemeinschaft einmieten würde. Es braucht ja nicht viel. Nur ein bisschen Mut. Und wenn sie dann alles durchkalkuliert hat, fällt die Euphorie von ihr ab. Das Risiko, die Verschuldung, wenn die Kunden ausbleiben? - lieber nicht.

Beatrice findet übrigens auch, dass Katjas Kleidung unter Niveau rangiert. Es stünde ihr gut, sich etwas mehr Luxus zu gönnen, so schlecht verdient sie ja nicht. Ihre Freundin ist gleichzeitig ihre engagierteste Kritikerin. Katja hält Beatrice zugute, dass sie für sie nur das Beste will. Trotzdem, wenn Beatrice diese Themen zur Tagesordnung macht, wird Katja die Luft dünn und sie stellt lieber auf Durchzug. Es ist ihr unangenehm, wie Beatrice sie mit einem aufgesetzt strengen Blick durch ihre runde Brille ansieht. In diesen Momenten ist sie wie eine Lehrerin. Dann liegt ihr manchmal auf der Zunge, dass sich Beatrice meist selber nur praktisch und spielplatztauglich anzieht und sich hinter ihrer Mutterrolle versteckt. Aber sie schluckt dann lieber runter. Konfrontation ist nicht ihre Sache - viel zu anstrengend. Beatrice ist nun mal ihre beste Freundin und sie hängt an ihr. Weshalb darüber mit ihr in Streit geraten, der vielleicht am Ende gar nicht mehr zu reparieren wäre?

Nein, Katja fühlt sich wohl in ihrem lässigen Kleidungsstil. Meistens liegt er abseits vom Mainstream, mit einem Hauch von Schlampigkeit, die Jeans eher weit geschnitten, oft auch das T-Shirt, darüber ihre Lederjacke, die aus der Zeit gefallen ist, an der sie aber hängt. Bei offiziellen Besprechungen, wenn es darum geht, einen Auftrag an Land zu ziehen, kann sie auch anders. Dann stylt sie sich ein wenig, helle Bluse, darüber einen kurzen, schwarzen Blazer und dunkle Hosen. Sie legt dezentes Make-up...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlinroman • Familienschicksal • Flucht • Liebesgeschichte • Mauerbau
ISBN-10 3-7565-8990-0 / 3756589900
ISBN-13 978-3-7565-8990-6 / 9783756589906
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 923 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Tetzner, Reiner - Lektüre für den Deutsch-Unterricht - 14554 - …

von Reiner Tetzner

eBook Download (2024)
Reclam Verlag
CHF 9,75
Tetzner, Reiner - Lektüre für den Deutsch-Unterricht - 14555 - …

von Reiner Tetzner

eBook Download (2024)
Reclam Verlag
CHF 11,70
Gesamtausgabe: Licht der Liebe, Schatten der Liebe, Lieder der Liebe

von Klaus Rosellen

eBook Download (2025)
epubli (Verlag)
CHF 5,35