Schmerz (eBook)
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-492000-9 (ISBN)
Jón Atli Jónasson ist ein vielfach ausgezeichneter Bühnen- und Drehbuchautor, dessen Werk auf der ganzen Welt gezeigt wurde. Sein Film »The Deep« war für einen Oscar eingereicht; er ist Co-Autor der Serie »The Arctic Circle« (ZDF). Mit der Buchreihe um das ungleiche Ermittlerduo Dora und Rado eroberte Jónasson die isländische Bestsellerliste und erzielte den internationalen Durchbruch als Spannungsautor. Er sieht sich klar in der Tradition des Nordic Noir. Jón Atli Jónasson hat einige Zeit in Berlin gelebt und wohnt derzeit mit seiner Familie in Reykjavík.
Jón Atli Jónasson ist ein vielfach ausgezeichneter Bühnen- und Drehbuchautor, dessen Werk auf der ganzen Welt gezeigt wurde. Sein Film »The Deep« war für einen Oscar eingereicht; er ist Co-Autor der Serie »The Arctic Circle« (ZDF). Mit der Buchreihe um das ungleiche Ermittlerduo Dora und Rado eroberte Jónasson die isländische Bestsellerliste und erzielte den internationalen Durchbruch als Spannungsautor. Er sieht sich klar in der Tradition des Nordic Noir. Jón Atli Jónasson hat einige Zeit in Berlin gelebt und wohnt derzeit mit seiner Familie in Reykjavík.
Viele unerwartete Wendungen und Perspektivenwechsel halten die Aufmerksamkeit hoch, und wenn es dann richtig spannend wird, bleibt man [...] lange in dem Fall gefangen.
Wir dachten, Island-Krimis könnten uns nicht mehr überraschen. Wir haben uns geirrt.
Ein temporeicher, rasant erzählter Krimi mit einigen Sprüngen und Brüchen, der neugierig macht auf eine Fortsetzung.
kommt als Krimi daher und ist doch intensiver und vielschichtiger.
Theater- und Drehbuchautor Jón Atli Jónasson startet mit seinem Debüt eine neue Serie, bei der er niemanden schont [...].
Der sensibel gestrickte Plot wartet am Ende mit einem veritablen Überraschungseffekt auf. Mehr davon.
3
Rado betritt seine Dreizimmerwohnung im Urriðaholt-Viertel. Vorsichtig schließt er die Tür und zieht sich Schuhe und Jacke aus. Es ist sieben Uhr morgens.
Seit ein paar Wochen muss er im Rauschgiftdezernat aushelfen. Dort ist man gerade hinter einem gewissen Þormóður Óli her, einem Anwalt, der Strippenzieher von umfassendem Kokainschmuggel sein soll. Leider haben sie kaum etwas gegen ihn in der Hand. Sie haben lediglich eine Informantin, eine Kurierin, die in anderer Sache festgenommen wurde, ein glücklicher Zufall; die Frau kennt Þormóður und sagt, eine große Sendung sei auf dem Weg.
Rado folgt dem Anwalt jeden Morgen von dessen Einfamilienhaus in Kópavogur, wo er allein lebt, zur Kanzlei in Borgartún. Mittags geht Þormóður meist ins Fitnessstudio oder zum Essen in die Innenstadt. Manchmal muss er auch zum Amtsgericht, und dann meist, um irgendwelche guten Bekannten der Polizei zu verteidigen, die ihn auch regelmäßig in der Kanzlei besuchen.
Am schlimmsten sind die Wochenenden. Dann lässt sich Þormóður volllaufen und schmeißt fette Partys in seinem Haus. Das Rauschgiftdezernat achtet darauf, dass uniformierte Polizisten den Lärmbeschwerden der Nachbarn nachgehen. Zweimal kam es vor, dass er zwei Kinder abgeholt hat, um die sechs und acht Jahre alt, ein Junge und ein Mädchen, und mit ihnen ins Kino und in den Streichelzoo in Laugardalur gegangen ist. Er ist geschieden, die Kinder leben bei ihrer Mutter in der Weststadt. Der Anwalt hat ein paar Freundinnen, die er regelmäßig besucht. Die meisten sind irgendwann schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, kleinere Delikte, Drogen. Die Polizei geht davon aus, dass er sie für den Sex bezahlt. Manchmal verbringt er die Nacht auch bei einer jungen Frau mit einem einjährigen Kind.
So auch gestern, als Rado Nachtdienst hatte. Zu Beginn der Schicht wurde ihm einfach nur gesagt, dass dies vorerst seine letzte sein würde. Die Beschattung kam ihm von Anfang an seltsam vor. Wochenlang hat er Þormóður Óli gewissenhaft aufgelauert, war dabei aber immer allein. Er hat Protokolle eingereicht, aber um einen Bericht wurde er nicht gebeten. Er hat keine Ahnung, ob die Abteilung einen Gerichtsbeschluss hat, der ihnen erlaubt, Þormóðurs Telefon abzuhören. Wenn, dann hat Rado jedenfalls noch keine Aufnahmen zu hören bekommen.
Er schleicht in das Zimmer von Jurek, seinem dreijährigen Sohn, der seit kurzem darum bittet, allein in seinem eigenen Bett zu schlafen. Das Bett hat die Form eines Rennwagens, was dabei eine wesentliche Rolle spielt. Auf dem Tisch neben dem Bett brennt ein Nachtlicht, das aussieht wie ein kleines Ungeheuer aus Plastik. Jurek schläft noch friedlich.
Leise geht Rado weiter ins Schlafzimmer, wo seine Frau Ewa ebenfalls schläft. Vorsichtig zieht er sich aus und schlüpft unter die Decke. Er hat seit vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, aber müde ist er trotzdem nicht. In seiner Brust macht sich Unbehagen breit. Es fühlt sich irgendwie schwer an. Als hätte er etwas Wichtiges vergessen. Wie wenn man das Haus verlässt und sich nicht erinnert, ob man alle Kerzen oder das Bügeleisen ausgemacht hat. Er versucht, die Augen zu schließen und sich auf seinen Atem zu konzentrieren. Aber es bringt nichts.
Er kriecht wieder aus dem Bett, zieht sich an und geht in die Küche. Für eine Weile steht er vor dem Fenster mit der Aussicht auf einen Einkaufspark. Costco, IKEA und der Toyota-Händler. Er schaltet die Kaffeemaschine ein, doch plötzlich hört er ein leises Rascheln im Wohnzimmer und geht zögernd hinüber. Dort steht Jurek in seinem Pyjama und hält die Fernbedienung des riesigen Flachbildfernsehers in der Hand, den Rados Schwiegervater ihnen neulich geschenkt hat, indem er ihn einfach ungefragt aufgehängt und angeschlossen hat.
»Wir werden jetzt nicht fernsehen, mein Junge«, sagt Rado liebevoll, und Jurek erschrickt ein wenig.
»Okay, Papa«, sagt er. Er legt die Fernbedienung wieder auf den kleinen Glastisch und dreht sich um. Rado beobachtet ihn. Oft staunt er darüber, wie ruhig und ausgeglichen der Junge ist. Im Gegensatz zu den anderen Kindern in seinem Kindergarten bekommt er nie Trotzanfälle. Jurek wirkt wie eine alte Seele. Rado prahlt nicht damit, aber sein Sohn war von Geburt an ruhig und besonnen. Von seiner Mutter hat er das nicht, sie ist hitzig und kann ganz schön launisch sein. Bei Rado ist das nicht viel anders. Vielleicht ergeben minus und minus in dem Fall plus.
Rado hebt Jurek hoch und setzt ihn in der Küche auf seinen Stuhl. Er holt Cerealien und Hafermilch für ihn hervor. Als die Kaffeemaschine schnaubt, schenkt er sich eine Tasse ein. Er macht schon lange keinen Kaffee für Ewa mehr, sie würde ihn ohnehin nicht trinken. Neben seiner kleinen Filtermaschine steht ein italienisches Edelstahlmonster, das er sich nicht traut, auch nur anzufassen. Es ist trotzdem nur eine Miniatur im Vergleich zu der Maschine hinter dem Tresen in Ewas Café im Smárar-Viertel.
Rado setzt sich Jurek gegenüber an den Küchentisch und trinkt seinen Kaffee. Das Koffein scheint das Unwohlsein in seiner Brust nur weiter anzukurbeln. Vielleicht liegt es auch einfach an der Übermüdung. Und manchmal, vor allem, wenn er müde ist, beschleicht ihn noch ein ganz anderes Gefühl: dass er hier nicht wirklich zu Hause ist. Dass dieses Zuhause nicht seins ist und auch nicht die Frau und der Junge, der ihm gegenübersitzt und mit einem Löffel Cornflakes aus der Milch fischt. Das Gefühl, dass er einfach nicht dazugehört. Das hat nichts mit Liebe oder Treue zu tun. Er liebt seine Frau und seinen Sohn über alles. Mit Ewa ist es nicht immer leicht, aber er könnte sich kein anderes Leben vorstellen. Und trotzdem verspürt er dieses Zaudern. Das ist sein großes Geheimnis. Manchmal, wenn der Junge ihn ansieht, wartet er nur darauf, dass er es anspricht. Dass er einfach sagt: »Schon gut, Papa. Du kannst gehen.« Rado hat immer wieder den gleichen Albtraum. Er beginnt damit, dass Jurek ihm erlaubt zu gehen. Dann nickt Rado nur, zieht sich Schuhe und Jacke an und öffnet die Tür nach draußen. In dem Moment, in dem er den Flur betritt, wacht er immer auf. Als würde sein Bewusstsein nicht weiter reichen. Als gäbe es jenseits des Treppenhauses nichts als gähnende Leere.
Er hört, dass Ewa ins Bad geht und die Dusche anmacht. Sofort schaltet er die italienische Kaffeemaschine ein, damit sie warm ist, wenn Ewa fertig geduscht hat. Die schweren Gedanken versucht er, erst einmal beiseitezuschieben.
Er sieht Jurek an, der sein Frühstück aufgegessen hat, und fragt, ob sie sich nicht anziehen und zum Kindergarten gehen sollten. Jurek nickt, aber verzieht keine Miene. Rado steht auf und geht mit ihm zur Tür, vorbei am Badezimmer, wo er Ewa unter der Dusche singen hört. Ein Anzeichen, dass sie einigermaßen gut gelaunt ist. Ihre Beziehung ist schon immer instabil gewesen, aber seit Jureks Geburt herrscht zwischen ihnen eine Art Waffenstillstand. Rado ist ein guter Vater. Das bestätigen ihm seine Verwandten und Bekannten immer wieder. Aber er muss sich dafür nicht anstrengen, es geschah ganz natürlich. Als er seinem Sohn zum ersten Mal in die Augen sah, fiel der ganze Stress, der zu seinem Beruf dazugehört, einfach von ihm ab, so klischeehaft das auch klingen mag. Es ist auch nicht verwunderlich, dass er sich Ewa als Partnerin ausgesucht hat. Daran wird er erinnert, als sie aus dem Bad ins Schlafzimmer huscht, um sich anzuziehen: Sie ist einfach umwerfend. Vielleicht kommt sein Zaudern daher, dass er keine Ahnung hat, was sie eigentlich in ihm sieht. Und er vermutet, dass sie das ganz genau weiß.
Es ist kurz vor acht, als er sich in der Garderobe des Kindergartens von Jurek verabschiedet. Er gibt ihm einen Kuss auf die Stirn und geht zurück zu seinem Auto, einem alten Toyota-Jeep, den er einem Kumpel für wenig Geld abgekauft hat. Eine ziemliche Spritschleuder, aber zuverlässig und unkaputtbar. Ewa fährt einen Tesla, den sie von ihrem Vater bekommen hat.
Ewa wusste, dass sie Rado besser nicht fragt, woran er gerade arbeitet. Er hätte doch nur gesagt, dass er gerade ein Projekt abschließe und nicht genau wisse, was danach kommt. Er hat noch ein paar Urlaubstage und hat sich vorgenommen, die Garage aufzuräumen, um zu prüfen, ob sie dort nicht eine Ladestation für den Tesla einrichten können. Darum bittet ihn Ewa schon lange. Außerdem soll er Jurek am Nachmittag vom Kindergarten abholen.
Ewa wollte erst zu Hause Rechnungen prüfen, die Bestellungen erledigen und gegen Mittag ins Café gehen. Rado hat ihr gesagt, er würde noch kurz auf der Polizeistation vorbeifahren, um ein paar Berichte fertig zu schreiben – eine Lüge. Dieses ungute Gefühl in seiner Brust geht einfach nicht weg, es ist sogar noch stärker geworden. Schlafen könnte er ohnehin nicht, also will er sich kurz im Dezernat an der Hverfisgata blicken lassen. Mit den Kollegen plaudern, die er während seiner Zeit beim Rauschgiftdezernat wochenlang nicht gesehen hat. Vielleicht hat Elliði ja etwas für ihn zu tun.
Ein weißer Volvo schneidet ihn, als er auf den Parkplatz hinter dem Hauptdezernat einbiegt. Rado flucht leise und schüttelt den Kopf. Er kennt die Fahrerin. Das ist diese komische Kollegin aus der Kriminalabteilung, die Ermittlerin ist und doch wieder nicht. Eine Art Aktenschubserin. Rado weiß es nicht genau, aber er würde auch nie nachfragen. Irgendwie hat sie Elliði in der Hand. Vielleicht schlafen sie miteinander. Lange dachte Rado, sie wäre seine persönliche Assistentin, was sie in gewisser Hinsicht ja auch ist. Sie ist verdammt...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2025 |
---|---|
Reihe/Serie | Die Dora-und-Rado-Reihe |
Übersetzer | Freyja Melsted |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Arctic circle • Arnaldur Indridason • Arne Dahl • atmosphärische Spannung • Bandenkriminalität • besondere Ermittlerin • Dänischer Krimi • Die Brücke • Drogen • Ermittlerduo • Ermittlerkrimi • Eva Björg Ægisdóttir • Gender • Hakan Nesser • harter Thriller • Hildur • Hjorth Rosenfeld • Hulda • Island-Krimi • Johanna Mo • Jo Nesbo • Jussi Adler Olsen • Kommissar • Krimireihe • Krimiserie • Migration • Mord • Nervenkitzel • Nordic Noir • Ragnar Jonasson • Satu Rämö • Schweden Krimi • Schweden Krimi Bestseller • Schwedischer Krimi • Skandinavien • Skandinavische Krimis • spannend • The Deep • Thriller Bestseller • Tove Alsterdal • Trauma • verschwundenes Kind • Yrsa Sigurdardottir |
ISBN-10 | 3-10-492000-1 / 3104920001 |
ISBN-13 | 978-3-10-492000-9 / 9783104920009 |
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