des Pilgers Lust (eBook)
308 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8909-8 (ISBN)
Hermann Brünjes (1951), war Speditionskaufmann, dann Mitarbeiter der Ev.-luth. Kirche und Uelzen und 1980 bis 2017 Prediger und Referent im Reisedienst. Im Missionarischen Zentrum Hanstedt (Landkreis Uelzen) hat er zusammen mit anderen das Jahresteam begleitet und war für Gästegruppen als Begleiter, Coach und Referent tätig. Der Autor ist verheiratet, hat zwei eigene und vier angeheiratete Kinder, freut sich über viele Enkelkinder und lebt in der Lüneburger Heide.
Hermann Brünjes (1951), war Speditionskaufmann, dann Mitarbeiter der Ev.-luth. Kirche und Uelzen und 1980 bis 2017 Prediger und Referent im Reisedienst. Im Missionarischen Zentrum Hanstedt (Landkreis Uelzen) hat er zusammen mit anderen das Jahresteam begleitet und war für Gästegruppen als Begleiter, Coach und Referent tätig. Der Autor ist verheiratet, hat zwei eigene und vier angeheiratete Kinder, freut sich über viele Enkelkinder und lebt in der Lüneburger Heide.
Samstag, 31.8.
Einen Artikel soll ich nicht schreiben, nur ein Foto mit kurzer Bildunterschrift wurde mir zugestanden.
„Zu viele Weinfeste!“ hatte Florian in der letzten Redaktionssitzung gestöhnt. „Hier in der Kreisstadt, im Klosterflecken, im Kurort und nun auch bei euch in Himmelstal. Was ist bloß mit den Norddeutschen passiert? Sie trinken Wein! Vornehm geht die Welt zugrunde.“ Unser Sportredakteur Steini hatte ihm beigepflichtet: „Genau! Wir Nordlichter trinken Bier!“ Im Stillen hatte ich gedacht ‚und Whisky‘. Vom Dimple-Vorrat im Schrank des Chefs wusste jede und jeder hier. Zwar hatten meine Lieblingskollegin Elske und einige andere den Wein und dessen Feierlichkeiten noch in Schutz genommen, einen Artikel jedoch sollte ich nicht dazu schreiben.
Okay. Reporter Jens Jahnke tut, was von ihm erwartet wird. Meistens. Diesmal mache ich also ein paar Fotos und feiere einfach selber mit.
Das Feier-Ambiente bei uns im schönen Himmelstal ist wahrlich herausragend. Mindestens zweimal jährlich wird eine alte, längst aufgegebene Schmiede urig herausgeputzt: Zum Weihnachtsmarkt und zum Weinfest. Hackschnitzel dämpfen die Schritte, zwischen altem Gebälk und rostiger Schmiede-Deko wie Pflug, Werkzeuge, Hufeisen, Wagenräder und sowas, sind Bierzeltgarnituren und Stehtische aufgebaut. An einer Theke wird verpflegt: Kuchen, Glühwein, Bier und Bratwurst mit Pommes zu Weihnachten – Brezeln, Schmalzbrote und Wein in rot und weiß am heutigen Abend. Mit dabei sind diesmal die ‚Fidelen Himmelstaler‘, eine Bläserformation mit Schlagzeug, die es wirklich in sich hat. Wie von unsichtbaren Marionettenfäden gezogen wippen die Tanzbeine, sobald die ersten Töne der Schlager, Popmusik und Evergreens erklingen.
Komisch finde ich nur, dass die Musiker karierte Hemden und Lederhosen oder Knickerbockers tragen. Muss denn Blasmusik immer unbedingt so bayrisch daherkommen?
Ich finde schon, dass bei uns im Norden inzwischen so viele Oktoberfeste gefeiert werden, verträgt sich kaum mit unserer preußischer DNA. Nun denn, die Himmelstaler lieben es oder nehmen es, wie’s kommt. „Hauptsache, es macht Spaß!“ heißt es immer wieder. Ja, den haben wir.
„Jens, wann kommt endlich wieder mal `ne neue Story von dir? In letzter Zeit schreibst du nur langweiliges Zeug von Feuerwehr, Politik oder Kulturveranstaltungen.“
Hendrik und Axel stehen bei mir am Tisch, darauf zwei Flaschen Spätburgunder und mehrere Gläser.
„Danke, Hendrik. Du erinnerst mich an mein tristes Reporterdasein beim Käseblatt. Dabei wollte ich jetzt einfach nur feiern und Teil dieses netten Dorfes sein.“
Hendrik Meier, Bestatter von Himmelstal, einen Kopf kleiner als ich und mit deutlich weniger Haaren, grinst zurück.
„Na Jens, aber das bist du doch! Wie lange wohnst du hier und bist mit der überaus attraktiven Maren Bender zusammen? Fünf Jahre? Du schreibst über uns, du bist jetzt hier und stößt mit uns an – Jens, natürlich bist du einer von uns!“
„Nach fünf Jahren? Hä, Hendrik, erst wenn jemand hier geboren ist, kann er sagen, er gehört dazu!“
„Reaktionär!“ faucht Hendrik den schmächtigen Sportwart Axel an. „Du bist auch so jemand, der nichts Neues ins Dorf lässt. Erst in zweiter oder dritter Generation gehört man dazu – oder? So ein Blödsinn. Schau dich hier doch mal um. Überall sind neue Leute. Sogar einen größeren Kindergarten kriegen wir demnächst. Da werden dann fünfzig Kinder betreut – und deren Eltern sind zumeist zugezogen.“
Ich muss lachen. „Drei Jahre.“
„Wie, drei Jahre? Der Kindergarten soll nicht erst in drei Jahren, sondern noch in diesem Jahr öffnen.“
„Drei Jahre bin ich erst hier. Wenn du recht hättest, Axel, wird aus mir nie ein Himmelstaler.“
Hendrik hebt sein Glas. „Komm, Jens. Hör nicht auf Axel. Und du Axel, hör auf deinen gesunden Menschenverstand. Wir trinken auf alle hier. Sie alle gehören doch dazu!“
Der liebliche Klang unserer Gläser unterstreicht sein Bekenntnis. So ein Dorffest macht tatsächlich Mut. Ja, man gehört irgendwie zusammen, auch wenn ich viele der über hundert Menschen hier nicht persönlich kenne oder sie sogar noch nie gesehen habe. So ein Dorffest macht dennoch alle gleich. Egal, wie jemand aussieht oder wieviel er oder sie verdient. Egal, was jemand glaubt oder wählt. Im Wein liegt nun mal die Wahrheit.
Gerald Tönnies, mein Nachbar, stellt sich zu uns. Auch er trägt ein blau kariertes Hemd, allerdings keine Lederhose. In der Hand schwenkt er sein Glas, stößt mit uns an.
„Und ihr? Worum geht’s bei euch am Tisch? Auch um die Sache mit dem Baby?“
Wir drei schauen offenbar so dumm aus der Wäsche, dass Gerald sofort kapiert, dass wir nichts kapieren.
„Ihr wisst also noch nichts davon? Christian Moormanns Baby ist verschwunden.“
Ich weiß nicht, wovon Gerald spricht, kenne die Leute hier eben noch immer nicht besonders gut. Axel und Hendrik jedoch wissen sofort, wer gemeint ist. Vermutlich sind sie bereits mit diesem Christian zur Schule gegangen.
„Du meinst, Theas Kind? Das ist doch erst ein oder zwei Monate alt! Verschwunden? Wie das denn?“
„Thea war heute Nachmittag beim Edeka. Sie hat das Baby im Maxi Cosi auf den Beifahrersitz ihres Renaults gestellt und hinten den Einkauf in den Kofferraum gepackt. Als sie dann den Einkaufswagen weggebracht hatte und zum Auto zurückkam, war das Baby weg. Samt Maxi Cosi.“
Ich wundere mich, dass ich davon noch nicht gehört habe. Solche Meldungen kommen in der Regel ziemlich schnell bei uns in der Redaktion an, oft kriegen wir sie direkt von der Polizei. Wenn es allerdings erst heute Nachmittag passiert ist …
„Das ist ja furchtbar. Und du bist dir sicher?“
Gerald nickt. „Ja. Ich wollte die beiden zum Weinfest einladen und habe gegen fünf mit Christian telefoniert. Er war total aufgelöst. Die Polizei war auch schon da. Im Klosterflecken und rund um den Supermarkt läuft bereits eine Suchaktion.“
„Diese Moormanns, wohnen die in Himmelstal?“
Ich ahne, dass diese Feier für mich vorbei ist. Es riecht nach Story und die Arbeit ruft.
„Nein.“ Hendrik klärt mich auf. „Christian und Thea wohnen in Allentorfstedt. Sie sind erst seit etwa zwei Jahren zusammen. Christian ist von hier und hat das Haus seiner Eltern im Nachbardorf geerbt. Thea ist zugezogen. Er hat sie im Kreishaus kennengelernt, wo sie zusammen in einer Abteilung arbeiten. Viele von uns hier waren auf der Hochzeit der beiden.“
„Dann ist es also ihr erstes Kind.“
„Genau. Und ihr einziges. Auch wenn Christian schon etwas älter ist – ein Kind hat er nicht mit in die Ehe gebracht. Erstaunlich eigentlich.“ Hendrik grinst, Gerald und Axel nicken und ich schaue wieder mal unwissend von einem zum anderen.
„Wieso erstaunlich?“, frage ich.
„Weil Christian schon immer ein echter Schürzenjäger war. Vor ihm war niemand in Rock und Schlüpfer sicher …!“
„Genau. Wo du das sagst, Hendrik. Vielleicht hat eine seiner Verflossenen das Kind geklaut. So unter dem Motto: Ich will ein Kind von dir!“ Axel lacht über seinen makabren Witz.
Gerald bleibt ernst. „Jetzt ist niemand im Umfeld der Moormanns zu Scherzen aufgelegt. Ihr Baby ist verschwunden!“
Es stimmt. Während wir hier feiern, über Zugehörigkeit und sonst was diskutieren und unsere Witze machen, sind ein Dorf weiter Vater und Mutter furchtbar verzweifelt. Wie schlimm mag es sein, wenn man neun Monate lang ein Kind austrägt, es unter Schmerzen zur Welt bringt, sich über sein erstes Lachen freut – und dann verschwindet es von einer Sekunde auf die andere. Solchen Schmerz kann vermutlich nur jemand ermessen, der selber Kinder hat. Ich habe keine. Trotzdem erschüttert allein der Gedanke daran auch mich.
„Ich muss los.“
Abrupt stelle ich mein Glas auf den Tisch und nicke meinen drei Gesprächspartnern zu. Sie wirken überrascht.
„Du willst schon gehen? Doch nicht deswegen. Du kannst da nichts tun.“
Doch, kann ich. Ich kann weit über zwanzigtausend Leserinnen und Leser unserer Zeitung zum Suchen animieren.
*
Fünfzehn Minuten später fahre ich auf den Parkplatz beim Edeka-Markt im deutlich größeren Nachbarort. Obwohl der Laden bereits geschlossen ist, herrscht hier noch Betrieb. Zwei Polizeiwagen, mehrere Feuerwehren und viele aufgeregte Leute laufen umher. Ein Polizist führt einen braunen Hund mit Schlappohren an der Leine. Der läuft irgendwie planlos umher und wirkt nicht so, als habe er eine Spur aufgenommen.
Ich erkenne den roten Kleinbus unserer Himmelstaler Feuerwehr und entdecke Enno, unseren Ortsbrandmeister, im Gespräch mit einem Polizisten. Ich verlasse meinen Golf und gehe auf die beiden zu. Puh, ich dachte schon, Wachtmeister Westermann redet da mit Enno. Dann könnte ich gleich wieder nach Hause fahren. Der alte Kreispolizist hat mich dermaßen ‚gefressen‘, dass mit ihm keine Zusammenarbeit mehr möglich ist. Dies jedoch ist ein mir unbekannter junger Uniformierter.
„Ach Jens! Dass du hier aufschlägst, wundert mich nicht. Hat also deine Reporternase wieder angeschlagen?“ Enno nickt in Richtung Hund mit Schlappohren. Ich nehme seine Begrüßung als Kompliment.
„Ich habe auf dem Weinfest davon erfahren.“
„Ja, das mit dem Feiern kann ich mir nun leider abschminken. Wir werden noch so lange weitersuchen, wie es das restliche Tageslicht erlaubt.“
„Wenn das Baby wirklich entführt oder gestohlen wurde, werdet ihr es hier nicht finden.“
„Stimmt...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2024 |
---|---|
Reihe/Serie | Jens Jahnke Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Besinnungswege • Jakobsweg • Pilgern • Rache • ViaScandinavica • Wahrheitssuche |
ISBN-10 | 3-7565-8909-9 / 3756589099 |
ISBN-13 | 978-3-7565-8909-8 / 9783756589098 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich