Jerry Cotton Sonder-Edition 246 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7165-8 (ISBN)
Durch eine Krimiserie wurde der Schauspieler Rocky Roon zum gefeiertsten Fernsehstar der USA. Aber wer für ihn arbeitete, riskierte seinen Hals. Besonders die Stuntmen, die gefährliche Szenen für Rocky doubelten, wurden zur Zielscheibe für Mörder. Dann kam auch noch der Drehbuchautor auf gewaltsame Weise ums Leben. Höchste Zeit, dass wir vom FBI uns um Rocky Roon kümmerten, den Liebling der Nation ...
1
Beim Anblick der Polizisten prallte der Mann zurück. In langer Treiberkette stampften die Cops über das vertrocknete Gras der Freifläche in New Yorks Central Park. In den Händen hielten sie Gewehre.
Der Mann wandte sich nach rechts. Plötzlich stockte er.
Streifenwagen brachen durch die Sträucher. Das Warnlicht kreiste auf ihren Dächern.
Verzweifelt blickte er den Weg zurück, den er geflohen war.
Nur eine Gestalt sperrte den Rückweg. Es war der Jäger, der ihn durch New Yorks Tage und Nächte gehetzt hatte.
Links ragte ein nackter bräunlicher Felsen, fünfzig oder sechzig Fuß hoch. Verglichen mit den zwanzig-, dreißigstöckigen Häusern am Rande des Central Park war es ein lächerlich niedriges Gebilde.
Der Mann sprang den Felsen an wie eine Katze.
Der Morgennebel machte den Stein nass und glitschig. Die Füße des Mannes rutschten ab. Verbissen klammerte er sich an winzige Vorsprünge und zog sich hoch. Er trug einen Straßenanzug, Halbschuhe an den Füßen, eine Krawatte und einen Hut. Er war für das Klettern an der nassen, glatten Felswand nicht ausgerüstet. Aber da er geschickt und stark war, gewann er rasch an Höhe.
Die Treiberkette der Polizisten kam näher. Die Streifenwagen walzten die letzte Reihe der Sträucher nieder. Auf dem unebenen Gelände schaukelten die Fahrzeuge.
Der Jäger beschleunigte seine Schritte nicht. Mit der gleichen Stetigkeit, mit der er die Verbrechen des Mannes im Fels aufgedeckt und den Täter verfolgt hatte, näherte er sich.
Der Mann im Fels erreichte den Rand. Eine letzte Anstrengung brachte ihn auf die Plattform. Er richtete sich auf.
Am Fuß des Felsens blieb der Jäger stehen.
Gelassen schob er beide Hände in die Jackentaschen und legte den Kopf in den Nacken.
»Alles zwecklos, Sam Sorrow!«, rief er hinauf. »Kommen Sie runter!«
Ich war nicht beteiligt. Ich sah nur zu.
Der Mann auf dem Felsen griff in die Tasche. Dann warf er den Arm hoch. Deutlich war die Handgranate zu erkennen. Mit der charakteristischen Bewegung riss er den Zündring ab und holte zum Wurf aus.
Die Polizisten in der Treiberkette eröffneten das Gewehrfeuer. Die Cops, die aus den Streifenwagen gestiegen waren, drückten auf die Abzüge ihrer massigen Revolver. Zehn, fünfzehn Sekunden lang knallten und krachten Schüsse. Nur der Mann, der Sam Sorrow gejagt hatte, schoss nicht. Er behielt die Hände in den Jackentaschen.
Oben auf dem Felsen bäumte sich Sam Sorrow auf. Die Hand, die zum Wurf ausgeholt hatte, sank zurück. Die Finger umklammerten noch die Handgranate. Der Körper drehte sich und kippte nach vorne. Der Mann stürzte.
Aus!, dachte ich. Na endlich!
»Aus!«, trompetete es aus dem Megafon in Dean Busters Hand. »Gestorben!« Er sprang aus dem Regiestuhl auf und wandte sich an die Leute hinter den Kameras. »Technik okay?«
»Bild okay!«, antwortete der Chefkameramann.
»Ton okay!«, bestätigte der Toningenieur.
»Schauspielerisch war's erstklassig«, sagte Buster und ging auf den Mann zu, der mit den Händen in der Tasche schweigend zugesehen hatte, wie die Kugeln der Polizisten Sam Sorrow vom Felsen holten. »Rocky, du hattest genau den richtigen Gesichtsausdruck, den die Leute in der Schlussszene vom Commander erwarten. Reglos und kalt, wie aus Gletschereis gehauen.«
Der Garderobier des Stars hastete herbei, den Kamelhaarmantel über dem Arm.
»Warum feuerst du den Drehbuchautor nicht, der diesen Mist verfasst hat?« Der Schauspieler Rock Roon, Star und Titelheld der TV-Serie Commander Crake schlüpfte in den Mantel. »Wie soll ich glaubwürdig kaltes Blut bewahren, wenn mir ein Kerl mit einer scharfen Handgranate in der Faust vor die Füße fällt? Die Leute werden sich vor Lachen krümmen, wenn ihr ihnen solchen Unsinn vorsetzt.«
»Mach dir keine Sorgen um die Wirkung, Rocky!« Der Regisseur hakte Roon unter. »Sorrow deckt die Handgranate mit seinem Körper gegen dich ab. Sie explodiert unter ihm, verstehst du? Ist doch klar, dass du dann von der Sprengwirkung nichts abkriegst. Für die Tricktechnik gibt es zum Schluss einen prächtigen Schaueffekt, wenn die Handgranate unter dem Mann und vor deinen Füßen explodiert.«
»Nicht vor meinen Füßen!«, protestierte Roon. »Ich werde mich nicht so dicht an diese verdammten Knallkörper stellen.«
»Brauchst du ja nicht, Rocky. Beim Knallen stell ich dein Double hin. Nur für den Abgang muss ich dich noch einmal haben.«
Den größten Teil des Gesprächs hörte ich mit, weil Schauspieler und Regisseur dicht an der Absperrung vorbeikamen. Roons markantes Gesicht, das jeder Bürger der USA und ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung von den Fernsehschirmen und ungezählten Illustriertenfotos kannten, war korpulent und bunt geschminkt, wie es das grelle Licht der Scheinwerfer verlangte. Die Fernsehserie Commander Crake hatte ihn zum Liebling der Nation gemacht.
Roon verschwand in seinem Garderobewagen.
Der Regisseur setzte den Handlautsprecher an den Mund. »Eine Stunde Pause!«
Die Kette der Statisten in den Uniformen der New Yorker City Police löste sich auf. Die meisten Cops strebten, die Gewehre unter dem Arm, dem Erfrischungswagen zu, um heißen Kaffee und Hotdogs zu bestellen. Ihre Kollegen aus den Streifenwagen schlossen sich an. Nur die echten Cops, die den Absperrdienst versahen, blieben auf ihren Posten.
»Warum steht der Stuntman nicht auf?«, dröhnte die Lautsprecherstimme des Regisseurs. »Ich sagte, es ist Pause!«
Der Mann, der den Gangster gespielt hatte und so kunstvoll vom Felsen gefallen war, lag leicht zusammengekrümmt auf der vielfachen Schicht Schaumgummimatratzen, die den Aufschlag ungefährlich machen sollte. Er war kein Schauspieler, sondern ein Artist. Ein sogenannter Stuntman. Er sprang für die Schauspieler ein, wenn die Handlung eine gefährliche Aktion erforderte.
Es sind die Stuntmen, die in Westernfilmen von den Pferden stürzen, in Krimis Autos zu Schrott fahren, auf Züge springen und sich mit Gangstern prügeln, die ebenfalls von Stuntmen dargestellt werden. Ganze Wolkenkratzer brechen in Katastrophenfilmen über den Stuntmen zusammen. Sie ertrinken in Sintfluten und fallen bei Erdbeben in klaffende Spalten. Wenn King Kong einen Hubschrauber vom Himmel bläst, dann kann man sich darauf verlassen, dass die Maschine von einem Stuntman geflogen wird, es sei denn, es handelt sich nur um eine Trickaufnahme im Spielzeugformat.
Einige Stuntmen haben Karriere gemacht und sind große Schauspieler geworden. Als Schauspieler wurden sie dann von weniger glücklichen Ex-Kollegen in gefährlichen Szenen gedoubelt, wie der Fachausdruck heißt.
Der Stuntman, der den Schauspieler der Sorrow-Rolle ersetzt hatte, lag reglos. Ein Regieassistent beugte sich über ihn und schüttelte ihn an der Schulter. Dann richtete er sich auf und betrachtete seine Hand.
Plötzlich begann er zu schreien. »Polizei! Polizei!«
Ich flankte über die Absperrung.
Ein Kreis von Statisten und Beleuchtern bildete sich um den Mann auf dem Schaummatratzenpolster.
Ich schob die Leute zur Seite. »Machen Sie Platz!«
Der Mann hatte kurz geschnittenes blondes Haar. Am Hinterkopf war es blutgetränkt. Auch der Stoff seiner Jacke war an zwei Stellen von Blut durchfeuchtet. An der linken Schulter und zwischen den Schulterblättern.
Mindestens drei Kugeln hatten den Mann getroffen. Er war tot.
Rock Roons Hand zitterte, als er das Glas an die Lippen setzte. Die Eiswürfel im Whisky klirrten.
»Nein, ich weiß nichts über den Stuntman«, sagte er unwirsch. »Ich kannte nicht einmal seinen Namen.«
»Er hieß Joel Harris und gehörte seit zwei Jahren zum Team«, erwiderte Buster, der Regisseur. »Wie lange soll das Verhör noch dauern?«
Der Wohnraum in Roons Garderobewagen war nicht groß genug für die Beamten des Homicide Department, für Stenografen, Zeugen, nervöse Schauspieler, den Regisseur und ein halbes Dutzend hübsche Frauen, von denen niemand zu wissen schien, welche Funktion sie in dem TV-Team hatten.
Ich stand in einer Ecke. Noch immer war ich Zuschauer. Die Untersuchung leitete Detective Lieutenant Jim McLoy. Der große, schwere Mann war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.
»Wie lange?«, wiederholte er die Frage des Regisseurs. »Bis ich herausgefunden habe, warum dieser Joel Harris vom Felsen geschossen wurde.«
»Vielleicht war es ein Unglücksfall!«, schrie Buster.
McLoy schüttelte den Kopf. »Kein Unglücksfall! Meine Leute haben alle Waffen eingesammelt, mit denen Ihre Polizeitruppe gefeuert hat. Alle waren korrekt mit Platzpatronen geladen.«
»Mich interessiert nur, wann ich weiterdrehen kann!« Buster wühlte in seiner dichten grauen Haarmähne. »Lieutenant, jede Minute kostet die Produktionsgesellschaft viertausend Dollar!«
»Gemessen an dem Preis fallen manche Folgen von Commander Crake verdammt langweilig aus«, murmelte McLoy. »Sie haben den...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-7165-4 / 3751771654 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7165-8 / 9783751771658 |
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Größe: 903 KB
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