Kölner Finale (eBook)
224 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3596-1 (ISBN)
Im Südstadion wird Paul Kosslick, der Bruder eines bekannten Kölner Torwarts, erschossen aufgefunden. Erste Spuren führen ins Wettmilieu. Doch dann stellt sich heraus, dass Kosslick vor Jahren Mitglied einer legendären Kölner Rockband war. Als ein weiteres Bandmitglied stirbt, muss Kommissar Jan Schiller erkennen, dass ihm der Mörder immer einen Schritt voraus ist. Rätselhafte Todesfälle, Südstadt-Fußball und Kölner Rocklegenden - der neue Köln Krimi!
Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.
Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.
2
Sie hatte sich zum Sterben niedergelegt – so sah es aus. Sie aß nichts, trank kaum noch etwas, und sie redete fast gar nicht mehr. Das war für Jan Schiller das Schlimmste – sein ganzes Leben lang kannte er Therese, die alte Hebamme, als eine Frau, die ständig unterwegs war und schier unentwegt redete. Fünftausend Kinder hatte sie in Köln zur Welt gebracht – er hatte auch dazugehört. In der Stadt war sie mittlerweile eine Legende, es gab kaum jemanden, der sie nicht kannte. Und ihm hatte sie vor beinahe dreißig Jahren das Leben gerettet, als seine Eltern bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen waren. Ja, ohne sie hätte er die Zeit im Kinderheim kaum überstanden.
Und nun hatte sie offensichtlich beschlossen zu sterben.
Schiller beugte sich über sie. Therese lag auf dem alten, abgewetzten Sofa. Im Hintergrund lief der Fernseher, schwarz-weiß und vermutlich ein halbes Jahrhundert alt. Sie hatte die Augen geschlossen, sie atmete noch, registrierte er. Ihre Nasenflügel bewegten sich. Sie hatte ihre Brille abgenommen und wirkte wie eine Hundertjährige, dünn und eingefallen, kaum mehr als ein mit Pergamenthaut überzogenes Knochengerüst.
»Was ist?«, flüsterte sie, ohne die Augen zu öffnen. »Warum bist du gekommen?«
»Ich wollte nach dir sehen«, erwiderte er. »Wie es dir geht.« Er spürte, dass er wie ein kleiner, ängstlicher Junge klang.
»Mir geht es gut«, antwortete sie tonlos. »Ich bin nur ein wenig müde.«
Er überlegte, ob er ihren Kopf anheben sollte, um ihr etwas zu trinken einzuflößen, so wie man es bei Sterbenden tat. Eine angebrochene Mineralwasserflasche stand neben ihr auf dem Sofatisch.
»Ich bin noch nicht tot«, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten. Sie schlug die Augen auf, ihre Pupillen wirkten, als seien sie mit einem Schleier überzogen, als wäre sie nun auch noch blind geworden.
Therese setzte sich mühsam auf und wehrte seine Hilfe mit einer unwirschen Handbewegung ab.
Erst als sie ihre dicke Hornbrille auf die Nase geschoben hatte, ähnelte sie wieder der alten Hebamme, die er kannte und so sehr liebte.
»Ich könnte dir etwas zu essen machen«, schlug er vor. »Eine Suppe – Hühnerbrühe.«
Therese kicherte. »Jetzt willst ausgerechnet du für mich kochen!« Wieder machte sie ihre wedelnde Handbewegung. »Ich sehne mich nach Richard. Ich rieche ihn im Schlaf, sein Rasierwasser. Im Leben ist mir das nie passiert. Ich lege mich neben ihn und schnüffele an ihm herum, wie ein Hund, und er sagt Gedichte für mich auf. Oh, er konnte eine Menge Gedichte auswendig.« Sie kicherte wieder, doch diesmal kraftloser. »Er hätte nicht sterben dürfen.«
Richard Goldmann, zweiundachtzig Jahre alt, genialischer Professor und Kunstkenner, war vor drei Wochen erschossen worden, weil er einem Bild nachgeforscht hatte, das er gekauft und das sich dann als Fälschung erwiesen hatte. Er und Therese hatten heiraten wollen.
»Ja«, sagte Schiller, ein hilfloses, mutloses »Ja«. Nach der Trauerfeier auf dem Melatenfriedhof, an der mehr als fünfhundert Menschen teilgenommen hatten, war Therese zusammengebrochen. Schluchzend hatte sie in seinen Armen gelegen.
»Ich werde nachher eine Kerze für ihn anzünden – er war zwar nicht katholisch, aber schaden wird es ihm nicht.« Therese griff nach der Wasserflasche und trank einen Schluck.
Schiller fiel ein, was sein Freund Henning Broder, der mit ihm im Kinderheim gewesen war, einmal gesagt hatte: Er habe Angst, dass Therese sterben würde, dann wäre er ganz allein auf der Welt. Ausgerechnet Broder war an dieser Kunstfälschung beteiligt gewesen.
Schillers Smartphone klingelte, doch er nahm das Gespräch nicht an.
»Wir könnten in den Dom gehen«, sagte er, um Therese aufzumuntern. »Eine Kerze für Richard aufstellen.« Er wusste, dass sie den Dom wie kein anderes Gebäude auf der Welt liebte und dass sie dort Stunden verbracht hatte.
»Lass nur«, sagte sie leise, während sie sich wieder auf das Sofa legte. »Da laufen nur noch Japaner und Chinesen herum und machen Fotos.« Sie schloss wieder die Augen und hob die Hände. Sie fuchtelte herum. »Da«, sagte sie, »da steht der alte Rekorder auf dem Stuhl. Würdest du ihn bitte anschalten?«
Schiller schaute sich um. Therese war eine Sammlerin, nichts konnte sie wegwerfen, alles ließ sich noch irgendwie verwenden. Alte Zeitungen lagen auf dem Tisch, drei Taschenbücher, an denen der Umschlag abgerissen war – vermutlich hatte sie Papier gebraucht, um sich eine Notiz zu machen. Daneben eine Thermoskanne ohne Verschluss, eine alte Kladde, aus der zahllose Zettel ragten, und ein Handtuch, in das irgendetwas eingewickelt war. Auf einem Sessel lag ein Kittel, wie ordentlich hindrapiert, darauf ihre braune zerschlissene Ledertasche, ohne die sie niemals ihr Haus verließ. Der Rekorder stand auf halber Höhe auf einem Klappstuhl, der mit weißen Farbsprenkeln überzogen war, als hätte ein Maler ihn zuletzt benutzt.
Als er die Play-Taste hinunterdrückte, erklang ein lautes knisterndes Rauschen, dann setzte Klaviermusik ein. Eine schlechte, amateurhafte Aufnahme.
Therese bewegte weiter ihre knöchernen Hände wie ein Dirigent.
»Richard«, sagte sie, »er hat was für mich komponiert.«
Das Klavierspiel klang ungelenk, als hätte Goldmann da gesessen und improvisiert.
Für einen Moment sah Schiller den alten Mann vor sich – die wenigen Haare über die Glatze gekämmt, ein Hörgerät hinter den großen faltigen Ohren. Goldmann war ein Kauz gewesen, der gern im Bademantel herumgelaufen war und Marx und Engels zitiert hatte.
»Richard war der erste Mann, den ich geliebt habe«, sagte Therese mit ihrer krächzenden Stimme vor sich hin, »und er war der letzte. Dreißig Jahre lang habe ich mit keinem Mann geschlafen, und dann ist er gekommen. Er hat mich an sich gezogen, als wäre ich ein junges Mädchen, hat mich in den Nacken geküsst und mich ausgezogen. Auf dem Teppich haben wir uns geliebt – zwei über achtzig Jahre alte Menschen, die geglaubt hatten, das Leben läge hinter ihnen.«
Therese schwieg, und Schillers Smartphone meldete sich wieder. Er sah, dass Birte Jessen ihn anrief, nicht aus dem Präsidium allerdings, sondern von ihrem privaten Anschluss.
»Aber wahrscheinlich«, fuhr Therese fort, »willst du das gar nicht wissen. Wahrscheinlich ist es peinlich, so etwas nur anzuhören.« Sie kicherte. »So war Richard eben – für ihn galten keine Gesetze, er war immer sein eigener Herr.«
Schiller wandte sich ab. Ja, Therese hatte recht, wenn er ehrlich war – er wollte nicht hören, wie sie sich auf einem Teppich geliebt hatten. Über solche Dinge hatte er mit ihr noch nie geredet. Er nahm das Gespräch an.
»Jan«, sagte Birte atemlos, »was soll ich machen? Er steht unten vor meiner Tür und glotzt herauf, seit zwei Stunden schon.«
»Wer glotzt herauf?« Schiller ging in die Küche hinüber. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle. Auf dem Tisch standen Tüten mit alten Kleidern zwischen einer Batterie von leeren Bier- und Mineralwasserflaschen.
»Hinrichs«, erwiderte Birte. »Er ist mit einem Polizeiwagen vorgefahren – weiß der Teufel, wo er denn herhat. Das Blaulicht hat er angeschaltet, und da steht er neben dem Wagen und raucht.«
»Ich dachte, er ist zur Kur – Burn-out oder so etwas.«
»Ja, das dachte ich auch.« Birte gehörte nicht zu den Menschen, die leicht aus der Ruhe zu bringen waren, aber Hinrichs hatte es geschafft.
Nach einer Nacht, die der Sprecher der Kölner Polizei mit ihr verbracht hatte, hatte er ihr seine große Liebe geschworen und sie verfolgt und ihr aufgelauert. Genaueres hatte Birte ihm nicht verraten, aber es war Schiller nicht schwergefallen, sich auszumalen, wie aufdringlich Hinrichs sein konnte.
»Ich habe genug von ihm«, fuhr Birte fort. »Pierre ist in Luxemburg – irgendeine Tagung, und ich habe wirklich keine Lust mehr, mich von Hinrichs terrorisieren zu lassen.«
»Ich bin bei Therese«, sagte Schiller. »Aber ich könnte in einer halben Stunde bei dir sein. Wenn er dann noch da ist, nehme ich ihn mir vor.«
»Gut«, erwiderte Birte. »Wie geht es Therese?«
»Ein wenig besser«, log...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller 2024 • Köln • Krimi • neuerscheinung 2024 • Regionalkrimi • Ruhrgebiet • Ruhrpott • Thriller |
ISBN-10 | 3-8412-3596-4 / 3841235964 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3596-1 / 9783841235961 |
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Größe: 726 KB
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