Spellshop (eBook)
496 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-492038-2 (ISBN)
Sarah Beth Durst ist Autorin von fast 25 Fantasybüchern für Kinder und Erwachsene. Sie ist mit dem Alex Award der American Library Association und dem Mythopoetic Fantasy Award ausgezeichnet worden und wurde dreimal für den Nebula Award nominiert. Zusammen mit ihrem Ehemann, ihren Kindern und einer äußerst ungehobelten Katze lebt sie in Sony Brook, New York.
Sarah Beth Durst ist Autorin von fast 25 Fantasybüchern für Kinder und Erwachsene. Sie ist mit dem Alex Award der American Library Association und dem Mythopoetic Fantasy Award ausgezeichnet worden und wurde dreimal für den Nebula Award nominiert. Zusammen mit ihrem Ehemann, ihren Kindern und einer äußerst ungehobelten Katze lebt sie in Sony Brook, New York.
Kapitel 1
Nie hätte Kiela gedacht, dass das Feuer die Bibliothek erreichen würde. Die übrigen Bibliothekare waren schon vor Wochen geflohen, als die Revolutionäre den Palast gestürmt und den Kaiser auf recht dramatische Art und Weise aus dem Fenster gestürzt hatten, aber das hatte sie nur am Rande mitbekommen. An der Bibliothek würde sich ganz bestimmt niemand vergreifen! Immerhin war hier alles voller Bücher. Leicht entzündlicher, unersetzlicher Bücher.
Die große Bibliothek von Alyssium mit ihren hoch aufragenden Türmen, Buntglasfenstern und labyrinthischen Gängen zwischen Bücherregalen war das Juwel des Mondsichel-Inselreichs. Seine geheiligten Magazine enthielten jahrhundertealte Abhandlungen, Geschichtswerke, Studien und – Kielas Meinung nach am wichtigsten – Zauberbücher. Nur die Elite, die Crème de la Crème der Gelehrten, bekam die Zauberbücher zu Gesicht, denn nur wenigen Auserwählten war es nach kaiserlichem Recht gestattet, Magie zu betreiben.
Kiela war verantwortlich für die Grimoires im Ostflügel des dritten Stocks. Die letzten elf Jahre lang hatte sie hier zwischen den Regalen gearbeitet, gegessen und geschlafen. Vermutlich dachte sie deshalb zunächst, sie habe ein Stück Toast auf der Grillplatte vergessen, als sie den Rauch roch.
Nur um auf der sicheren Seite zu sein, hatten ihr Gehilfe Caz und sie Anfang der Woche damit begonnen, einige ihrer liebsten Folianten in Kisten zu packen und in eins der bibliothekseigenen Boote zu laden. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme: Kiela war die ganze Zeit überzeugt gewesen, eine Evakuierung würde nicht notwendig sein. Geborgen zwischen den Regalen, weit fort vom politischen Geschehen und der Gewalt, war es ein amüsantes Spiel: Wäre sie auf einer einsamen Insel gestrandet, welche Bücher würde sie am dringendsten bei sich haben wollen? Zweifellos das »Grimoire über das Pflanzenwirken«, zusammengestellt von den Gelehrten Messembe und Cannin im Jahr 357, sowie »Die Manipulation des Wettergeschehens: eine Studie über die Auswirkungen von Zaubersprüchen auf das Paarungsverhalten von Papageientauchern«, ein faszinierendes, geradezu bahnbrechendes Werk, das …
Caz schwang sich an seinen langen Blättern in den Gang, in dem sie im Schneidersitz vor einem Stapel Bücher saß. Er war ein Spinnenkraut, etwa so groß wie ein Hofhund und bestand ganz aus Laub. In seinem Innersten umklammerte ein Wurzelknoten einen Ball aus Erde. Kiela hatte noch nie einen klügeren Gehilfen gehabt als ihn – allerdings auch noch nie einen ängstlicheren, was möglicherweise Hand in Hand ging.
»Wir müssen sterben!«, verkündete er ihr mit. Dabei raschelten seine Blätter so laut, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
»Hier passiert uns nichts«, sagte sie begütigend. Nach Jahren in dieser heiligen Stätte beherrschte sie den Ton perfekt. Sie fügte dem In-die-fünfte-Kiste-packen-Stapel ein weiteres Werk hinzu, überlegte es sich dann aber noch einmal anders und legte es stattdessen auf den Nur-wenn-es-noch-reinpasst-Stapel. »In einer Bibliothek wird nicht gekämpft.«
Er wedelte mit den Blättern. »Sie sind aber eingefallen! Haben die Vordertür aufgebrochen und plündern den Kinney-Saal!«
»Ach, du liebe Güte!«
Die Tür zum Kinney-Saal war ein Ungetüm aus Messing, gesichert mit Riegeln aus jenem stabilen Holz, das für den Bau von Bootsskeletten verwendet wurde. Kurz versuchte Kiela, die Kraft zu errechnen, die man brauchte, um eine dreißig Fuß hohe Tür gewaltsam aufzustemmen, dann riss sie die Augen auf. »Sie plündern, sagst du?«
Dass die Rebellen die Bibliothek und ihre Schätze beschlagnahmten, war zu erwarten gewesen: Es war ihrer Sache dienlich. Aber Plünderungen? Sie waren Freiheitskämpfer, keine wilden Tiere! Kiela stand ihren Zielen nicht einmal ablehnend gegenüber. Auf Caz’ Empfehlung hin hatte sie in den Anfangstagen der Revolution einige Flugblätter gelesen, und die Forderungen nach Wahlen und dem Austausch von Wissen waren ihr recht vernünftig vorgekommen …
»Der nördliche Lesesaal steht in Flammen«, sagte Caz. »Sie haben die Wandteppiche angezündet, und das Feuer ist auf die Schriftrollen übergesprungen.«
Kiela fühlte sich elend. So viele alte Handschriften!
Er zupfte mit einem Blatt an ihrem Ärmel. »Komm schon, Kiela, wir müssen verschwinden!«
Verschwinden? Jetzt? Aber sie war doch noch gar nicht fertig mit …
»Mach einen Witz übers Wurzelschlagen«, warnte Caz sie, »und ich gehe ohne dich!«
Sie rappelte sich auf. Die fünfte Kiste war nur halb gefüllt. Ohne auch nur einen Blick auf die Titel zu werfen, beförderte Kiela einen Armvoll Bücher hinein, aber als sie weitere aufsammeln wollte, rief Caz: »Es reicht!« Die Kiste hatte Rollen, und Kiela steuerte sie auf den Fahrstuhl zu. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie an den Regalreihen voll schöner, wunderbarer Bücher vorbeihasteten. Im Laufen raffte sie noch ein paar ihrer Lieblinge zusammen.
Dann stieß sie die Kiste in den Fahrstuhl und zog das Gitter hinter ihnen herab. Caz drückte mit einem Blatt den Knopf und drehte dann die Kurbel. Die Kabine ruckte und fuhr abwärts.
Unterwegs hörte Kiela Metall klirren, und ihr Magen flatterte. Sie wusste nicht aus eigener Erfahrung, wie sich ein Kampf anhörte, wohl aber, welche Geräusche in einer Bibliothek zu erwarten waren. Diese gehörten nicht hierher, und das war Furcht einflößend. Caz schob sich dichter an sie heran, und sie wünschte, der Fahrstuhl wäre nicht so langsam.
Was, wenn er auf einem Stockwerk hielt, wo gekämpft wurde?
Was, wenn er stecken blieb?
Wieder und wieder drückte sie auf den Knopf für das Untergeschoss, als könnte sie den Fahrstuhl so ermutigen. Rasselnd, quietschend und surrend rumpelte er tiefer hinab. Der Rauchgestank nahm zu. Durch das Gitter sah sie, dass die Bücherregale in nebeligen Dunst gehüllt waren.
»Hätten wir doch bloß die Treppe genommen!«, jammerte Caz.
»Wir hätten die Bücher nie tragen können«, sagte Kiela.
»Wenn wir umkommen, retten wir kein einziges Buch!« Er zitterte so heftig, dass ihm ein paar Blätter ausfielen. »Ach herrje, ich entlaube!«
»Du musst an was anderes denken!«, riet sie. »Eichen werden viel öfter vom Blitz getroffen als alle anderen Bäume. Äpfel treiben auf dem Wasser, weil sie zu fünfundzwanzig Prozent aus Luft bestehen. Wenn man zählt, wie oft eine Grille in fünfzehn Sekunden zirpt, kann man die Temperatur draußen berechnen.«
»Und wenn es draußen brennt?«, fragte Caz. »Wie schnell zirpen sie, wenn alles in Flammen steht?«
Der Fahrstuhl hielt mit einem heftigen Ruck an. Eilig schob Kiela das Gitter hoch, und Caz bugsierte die Kiste mit Hilfe seiner Ranken in Position. Zusammen schoben sie sie nach draußen.
Hier unten konnten sie keinen Kampfeslärm mehr hören, und ein fischiger Geruch überlagerte den Gestank nach Qualm. Alyssium war bekannt für seine vielen Kanäle. Auch deshalb war es eine der schönsten Städte der Welt, das Kleinod des Kaiserreichs. Kiela war tief beeindruckt gewesen, als sie hierhergekommen war. Damals war sie noch ein kleines Mädchen gewesen, und ihre Eltern hatten noch gelebt. Sie wusste noch gut, wie sie Alyssium zum ersten Mal gesehen hatte: die glitzernden Kanäle, über die sich weiße Brücken spannten, die Türme und die Blumen, die auf jedem Balkon blühten, von jedem Fenster hingen, jede Tür umrahmten. Wie viel von der Stadt, an die sie sich erinnerte, war wohl noch übrig?
Im Laufschritt rollten sie die Kiste durch die engen Steingänge, und Kiela horchte angestrengt. Aber sie hörte nur Wasser gegen Stein schwappen und ein stetes Tropfen – irgendwo in der Nähe musste es ein Leck geben. Vor ihnen befanden sich die Boote.
Sie waren unterirdisch in schmalen Buchten vertäut und dazu gedacht, Bücher auf die benachbarten Inseln zu bringen und wieder von dort abzuholen. Alle hatten silberne Segel, die fest um den Mast gebunden waren, und Rümpfe aus dunklem Kirschbaumholz, in denen sich mehrere Bücherkisten verstauen ließen. Dennoch waren sie schmal genug, dass eine einzelne Bibliothekarin sie segeln konnte. Im letzten Winter hatte Kiela einem bettlägerigen emeritierten Zauberer die vollständige Reihe der Gelehrten Cypavia gebracht: »Eine Untersuchung der Aufgaben von Waldgeistern – Dichtung und Wahrheit«. Er hatte seine Haushälterin angewiesen, ihr eine Tasse Tee anzubieten, aber sie hatte höflich abgelehnt: Lieber hatte sie in die Geborgenheit der Bibliothek zurückkehren wollen. Wenigstens ist Cypavias Werk in Sicherheit. Aber das war nur ein schwacher Trost, wenn sie an den Wissensschatz über ihnen dachte, der in höchster Gefahr schwebte.
Die vier fertig gepackten Kisten waren bereits in einem der Boote unter einer Plane verstaut. Kiela rollte die halb volle fünfte an Bord und sicherte sie mit Gurten. Wenigstens drei weitere hätten Platz gehabt, aber sie hatten keine Zeit, sie zu füllen. Hätte sie doch schneller sortiert! Oder wäre weniger wählerisch gewesen. Außerdem hätte sie mehr Vorräte einpacken sollen. Sie hatte bloß einige Wasserkrüge, eingekochte Pfirsiche in Gläsern, einen Sack getrockneter Bohnen und einen Sack Pekannüsse dabei. Für Caz stand ein Kübel mit frischer Erde bereit. Kiela hatte ein paar Kleider zum Wechseln und leere Notizbücher für den Notfall ins Boot geschmuggelt. Aber sie hatte ihre persönlichen Sachen nicht aus ihrem Zimmerchen in der Bibliothek geholt. Wehmütig dachte sie an alles, was sie zurückgelassen hatte: ihre alten Tagebücher, ihre besten Schreibfedern, eine geschnitzte Meerjungfrau, die...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Übersetzer | Aimée de Bruyn Ouboter |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Cosy Fantasy • cozy fantasy • Fantasy Bestseller • Fantasy Neuheit 2024 • Fantasy Novität 2024 • farbschnitt fantasy • Humorvolle Fantasy • Liebesgeschichte • Magie • Romantasy • Romantic Fantasy • travis baldree • zauberbücher |
ISBN-10 | 3-10-492038-9 / 3104920389 |
ISBN-13 | 978-3-10-492038-2 / 9783104920382 |
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Größe: 6,9 MB
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