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Sörensen macht Urlaub (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
576 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01926-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sörensen macht Urlaub -  Sven Stricker
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Der von seiner Angststörung geplagte Kriminalkommissar Sörensen will endlich einmal Urlaub machen und dem tristen Katenbüll für eine Weile entfliehen. Nach Österreich will er, in die Berge ? schwimmen gehen. Nur einen kurzen Zwischenstopp in Hamburg plant er ein, bei seiner Ex-Frau Nele und Tochter Lotta. Was soll schon schiefgehen? Antwort: alles. Denn das Verbrechen reist ihm hinterher ... Parallel hat Kollegin Jennifer in Katenbüll plötzlich einen eigenen Mordfall zu bearbeiten. Und sie wird den Teufel tun, Sörensen davon zu erzählen. Sörensen sieht sich bald schon in einem Netz aus größeren und kleineren Lügen gefangen, das nicht nur ihm die Sicht versperrt. Oder ist es am Ende gerade diese Spur aus Lügen, die Jenni und ihn zur Wahrheit führt?

Sven Stricker wurde 1970 in Tönning geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Er studierte Komparatistik, Anglistik und Neuere Geschichte. Seit 2001 arbeitet er als freier Wortregisseur, Bearbeiter und Autor und gewann in dieser Funktion mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Für seine Sörensen-Romane war Stricker 2017 und 2024 für den Glauser-Preis nominiert. Die Verfilmung von 'Sörensen hat Angst' gewann 2021 den Deutschen Fernsehkrimipreis sowie den österreichischen Fernsehpreis Romy. 2022 wurde Stricker für das Drehbuch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Potsdam und hat eine Tochter.  

Sven Stricker wurde 1970 in Tönning geboren und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf. Er studierte Komparatistik, Anglistik und Neuere Geschichte. Seit 2001 arbeitet er als freier Wortregisseur, Bearbeiter und Autor und gewann in dieser Funktion mehrmals den Deutschen Hörbuchpreis. Für seine Sörensen-Romane war Stricker 2017 und 2024 für den Glauser-Preis nominiert. Die Verfilmung von "Sörensen hat Angst" gewann 2021 den Deutschen Fernsehkrimipreis sowie den österreichischen Fernsehpreis Romy. 2022 wurde Stricker für das Drehbuch mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Potsdam und hat eine Tochter.  

Algarve


Der erste Satz ist ja so wichtig, dachte Siemen Niehus und hoffte, er würde ihm nicht misslingen. Erster Satz gleich erster Eindruck, nicht zurückzunehmen, nicht auszugleichen, ja, ja, das kannte man von jedem Vorstellungsgespräch, jeder Klausur, jeder Frau, die man gut fand, der war wichtig, so ein erster Satz, so ein Eindruck, er war entscheidend für den Moment und damit für das ganze Leben. Also nachgedacht, der erste Satz, er musste passen. Demnächst. Bald. Gleich. Er hustete, warf den damit verbundenen Weltekel aus und betätigte den Scheibenwischer.

Es war November, es war dunkel, es war deprimierend. Das Wetter changierte zwischen Regen, Sturm, Eiseskälte und plötzlichen Hitzewallungen, alles auf einmal, alles in einem einzigen Aufwasch. Genau, meteorologische Wechseljahre waren das, man musste zur Winterjacke ein T-Shirt anziehen, ein T-Shirt mit Schal und Kapuze, Scheiß-Klimawandel, Scheiß-Zwischentöne, Scheiß-Zukunft.

Siemen war erst neunzehn Jahre alt, aber in ihm wucherte die Resignation bereits wie ein Tumor, an dem nichts gutartig war. Er war blond, schlaksig und im landläufigen Sinne gut aussehend, das Gesicht symmetrisch und fein, nur die übertriebene Blässe und heruntergezogenen Mundwinkel verrieten seine Anspannung und beschädigten den Gesamteindruck. Er wischte sich über die Stirn. Es ging um alles. Vor ihm lag das große Glück – oder der endgültige Absturz.

Er passierte das Ortsschild, die Sicht war schlecht, er schaltete das Radio aus, um sich besser konzentrieren zu können, beugte sich vor, so weit der Gurt es ihm erlaubte, ließ Tankstelle und Kirchenhügel links liegen, kniff die Augen zusammen und wappnete sich fürs Abbiegen. Hier irgendwo musste es sein. Etwas von Glanz war nicht zu erwarten – nichts in Katenbüll versprühte Glanz –, eher eine Art Baracke, ein dauerhaftes Provisorium (auch wenn sich das natürlich eigentlich ausschloss), dazu ein unscheinbares Gelände, nein, Brachland. So hatte es geheißen: Brachland mit Wellblechcontainer und Autos. Nicht verfehlen, drauffahren, hinter dem Container warten.

Eine verlassene Haltestelle, ein verkrüppelter Baum, ein einzelner, geduckter Passant im Regencape, dann ein verbeultes Schild, aufgestellt am Straßenrand: S+M Automobile. Gut, gut, gut. Das war tatsächlich schnell gegangen. Siemen bremste herunter, blinkte und befuhr knirschend das Grundstück, registrierte einen unbeleuchteten Container und erstaunlich viele Gebrauchtwagen, dicht gedrängt, so als würden sie sich zum Schutz gegen das nordfriesische Wetter zusammenrotten. Wer sollte die denn eigentlich alle kaufen? Hier, am Ende der Welt?

Schlagloch folgte auf Schlagloch, er rollte und ruckelte über den lehmigen Boden links am Container vorbei, wandte sich nach rechts und hielt direkt dahinter an, von der Straße aus nicht zu sehen. Er machte den Motor aus, schnallte sich ab, öffnete die Tür und brauchte einen langen Anlauf, um auszusteigen – der Druck, der Regen, die Angst. Der Wind schlug ihm entgegen und peitschte ihm das Wasser ins Gesicht; die eh schon verwohnten roten Chucks steckten im Matsch fest, er befreite sie steifbeinig und fluchte, in ihm entfaltete sich mit einem Mal ein Unwetter, das es mit den äußeren Verhältnissen aufnehmen konnte. Was tat er hier? Es war Freitagabend, verdammt noch mal! Da ging man aus, traf sich mit Freunden, sofern man welche hatte, chillte irgendwo im Trockenen, das hätte man doch machen können! Oder den Boden wischen, Zwiebeln schälen, Schnecken züchten, Gras rauchen, den Müll rausbringen, neuen Müll machen. Egal. Alles war besser als das hier. Er kam sich vor wie ein Balletttänzer, der sich völlig überraschend im Boxring wiederfand. Er rang um Kontrolle, Selbstbewusstsein, Festigkeit. Festigkeit war wichtig. Ein souveränes Auftreten, ein guter Stand.

An seinen Füßen wurde es nass, während der Regen immer stärker wurde. Siemen hatte weder Schirm noch Kapuze, er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu orientieren. Viel war nicht zu erkennen, ohne Lampe, ohne Licht. Einige scheinbar wahllos dahingeworfene Autowracks sah er, Reifen, die sich zu bedrohlichen Stapeln auftürmten, einen Lkw-Anhänger und verschiedene Haufen Schrott oder Ersatzteile, es war wie ein Hindernisparcours für Endzeit-Touristen. Weiter hinten, etwas diesig, befand sich eine breite, hohe Garage mit zwei, nein, drei Toren. Die Werkstatt. Kein Mensch war zu sehen. Kein Nachtwächter. Auch kein Wachhund. Natürlich nicht. Genau deshalb war er ja hier, war dies der Treffpunkt.

Siemen schauderte und überlegte, eine Zigarette zu rauchen, griff nach der Schachtel in seiner Hosentasche – aber nein, er versuchte ja, es sich abzugewöhnen, seit … Moment … fünf Jahren. Genau. Er hatte mit vierzehn angefangen und seitdem fast jeden Tag aufgehört. So etwas wurde viel zu selten gewürdigt, dachte er, dieses tägliche Aufraffen, diese Willensstärke. Siemen war ein Zyniker. Er mochte nicht, dass es so war, aber er mochte sowieso wenig an sich.

Er strich sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augenbrauen. Die Uhrzeit? 20:30 Uhr. Er war pünktlich. Der andere nicht. Fünf Minuten würde er noch warten, nur fünf Minuten. Dann war es genug, hatte es halt nicht sein sollen, hatte das Schicksal für ihn entschieden. Oh Gott, was hatte er sich bloß dabei gedacht?

Siemen musste aufpassen, nicht durchzudrehen, er neigte zur Impulsivität, hatte keine Erfahrung in diesen Dingen, wirklich nicht, lehnte sie sogar entschieden ab, er hatte Werte, richtige und wichtige Werte, eine klare Vorstellung von Gut und Böse – aber er war auch Realist. Und Realismus hieß in diesem Fall, dass er kein Geld hatte, um sich Idealismus leisten zu können. Wenn er sich an die Regeln hielt, wenn er nur bis zur Markierung schwamm, spülte die Welle über ihn hinweg. Aber wenn er sie brach, nur dieses eine Mal, dann brach er auch die Welle. Dann konnte er Gutes tun, zum Beispiel. Mit Geld, das woanders nicht fehlen würde. Gutes für die Welt und ein ganz klein wenig für sich selbst. Die Algarve, dachte er. Das war die Möhre, der er als Esel hinterherlief: Portugal, Algarve. Dort musste er hin. Mit einem Camper, er durfte auch gebraucht sein. Erfahrungen sammeln am Strand. Erleuchtung finden zwischen schroffen, roten Felsen. Einen Wink für die Zukunft.

Siemen hörte auf, sich seine Tat schönzureden, und vergaß zu atmen. Er sah zuerst die Scheinwerfer, dann hörte er den Motor, das Rütteln auf der Buckelpiste, holte eiligst sein Handy heraus, öffnete das Audioprogramm, drückte auf Aufnahme, verstaute das Gerät in der Innentasche seiner Jacke, trat einen Schritt vor und wollte die Zigarette wegschnippen, die er gar nicht geraucht hatte. Er hob zögerlich den rechten Arm. Der Wagen bremste und kam vielleicht fünf Meter vor ihm zum Stehen. Der Höhe nach war es ein Geländewagen. Das Licht blendete ihn, der Motor lief weiter. Siemen betastete jetzt doch einigermaßen zitternd und zum insgesamt zwölften Mal seine rechte Jackentasche. Er war noch da. Die Fahrertür öffnete sich, ein Mann stieg aus und stellte sich dem Regen. Siemen konnte nicht viel erkennen, außer dem breiten Körperbau und einer Haltung, die sich vor allem durch diesen Körperbau definierte. «Du bist ja fast noch ein Kind», sagte der Mann, seine Stimme war ruhig, vielleicht ein wenig enttäuscht. Siemen erkannte sie nicht.

«Bin ich nicht.» Siemens Herz hüpfte hin und her wie ein Luftballon über einem Lüftungsschacht. War das jetzt ein guter erster Satz gewesen? Eher nicht. «Haben wir telefoniert?», fragte er. «Also, wir beide?»

«Ja, natürlich», sagte die Stimme. «Ja, natürlich, wir haben telefoniert. Ich hoffe, du bist allein gekommen?»

«Ja … Ich hoffe, Sie sind … Sie auch?»

«Gib mir einfach den Stick.»

«Erst wenn ich das Geld habe.»

Sehr gut. Erste Stunde auf der Robert-De-Niro-Mafiaschule für Minderbegabte. Siemen sah, wie der Mann, dessen Gesicht nach wie vor im Dunkeln lag, hinter der Fahrertür hervorkam, den entscheidenden Schritt auf die Bühne aber nicht machte. Ob er einen Koffer bei sich trug, ließ sich nicht erkennen. Nicht einmal einen Rucksack, eine Bauchtasche oder einen Brustbeutel.

«Dir ist schon klar, dass alles anders wird, wenn du das Geld nimmst?»

«Das will ich ja», sagte Siemen.

«Sicher? Im Moment bist du nur ein verwirrter Trottel im Regen, der aus irgendeiner Laune heraus den falschen Leuten ans Bein gepisst hat. Nichts für ungut. Du bist jung, hast ein bisschen Wirbel gemacht und mit dem Feuer gespielt. Okay. Kann passieren, jeder wandelt ja mal an der Klippe. Vor allem in deinem Alter. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.» Der Mann machte eine Pause. «Aber wenn du das Geld annimmst, Junge, dann bist du ein Krimineller. Endgültig. Und das bleibst du dann auch. Das ist schon ein ziemlicher Einschnitt. Du hast dann zwar das Geld, aber was ist mit dem Gewissen? Was ist mit der Angst? Dem Blick über die Schulter? Dein Nacken wird steif vom vielen Umdrehen. Ich sage dir, du wirst dich für den Rest deines Lebens verfolgt fühlen. Zum Beispiel von uns.» Er setzte eine erneute Pause. «Und wer weiß schon, wie lange dein Geld reicht? Ob du nicht doch noch mehr willst? Irgendwann?»

Siemen schluckte. «Will … will ich nicht.»

«Sicher?»

«Nein. Also, ja, will ich nicht. Und vielleicht bin ich ja gar nicht so naiv? Vielleicht weiß ich ja genau, was ich tue? Vielleicht bin ich ja schon länger, äh, in dem...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2024
Reihe/Serie Sörensen ermittelt
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte ARD • ARD-Film • Bestseller 2024 • Bestseller-Autor • Bjarne Mädel • Büsum • Gisa Pauly • Humor • humorvoller Krimi • Husum • Inselkommissarin • Katenbüll • Kleinstadt • Kommissar • Koog • Krimi Bestseller • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Küstenkrimi • lustiger Krimi • Mord • Norddeutschland • Nordfriesland • Nordsee • Nordsee Krimi • Nordsee Roman • Sörensen • spiegel bestseller • Spiegel Bestsellerliste aktuell
ISBN-10 3-644-01926-6 / 3644019266
ISBN-13 978-3-644-01926-3 / 9783644019263
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