Die Abschaffung des Todes (eBook)
655 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-6090-4 (ISBN)
»Der Tod löscht alles aus. Der Tod ist barbarisch. Und jetzt sagen Sie mir, warum sollten wir das dulden?«
Drei hochkarätige Unternehmer aus dem Silicon Valley wollen ein zweites 'Manhattan Projekt' ins Leben rufen. Nur ist das Ziel noch ehrgeiziger als damals die Entwicklung der Atombombe: Sie wollen den Tod abschaffen. Der Journalist James Windover entdeckt jedoch, dass die Unternehmer, während sie von Investoren Milliarden sammeln, insgeheim versuchen, einen Schriftsteller zum Schweigen zu bringen - weil sie eine Story fürchten, die er geschrieben hat. Was steht darin, das das Projekt gefährden könnte? James begibt sich auf die Suche nach dem Mann und gerät rasch selbst in tödliche Gefahr ...
<p><strong><strong>Andreas Eschbach</strong>,</strong>geboren 1959 in Ulm, verheiratet, schreibt seit seinem 12. Lebensjahr.Bekannt wurde er vor allem durch den ThrillerDas Jesus-Video, gefolgt von Bestsellern wieEINE BILLION DOLLARundAUSGEBRANNT. Sein RomanNSA - NATIONALES-SICHERHEITS-AMTbefasst sichmit der brisanten Frage: Was wäre, wenn es im dritten Reich bereits Computer und das Internet gegeben hätte - und deren totale Überwachung? In dem Kriminalroman <strong>FREIHEITSGELD </strong>zeigt er eine nicht allzu ferne Zukunft, in der Automatisierung, Klimawandel und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens das Leben der Menschen entscheidend verändert haben. Andreas Eschbach lebt seit 2003 als freier Schriftsteller in der Bretagne.</p>
Kapitel 1
Montags Punkt zehn Uhr findet bei uns immer die sogenannte »große« Redaktionssitzung statt. Es ist der einzige Termin, der feststeht, die Konstante unseres Lebens, seit unsere Zeitung existiert. Wir treffen uns, um gemeinsam die Leitlinien für die vor uns liegende Woche herauszuarbeiten, zusammenzutragen, was sich momentan an großen Trends in der Welt abzeichnet und was wir tun müssen, um sie adäquat zu beschreiben.
Wenn es im Lauf der Woche notwendig werden sollte, über Details zu diskutieren – was für gewöhnlich der Fall ist –, erledigen wir das mithilfe moderner Bürokommunikationssysteme. Mit anderen Worten, dann erscheinen Texte auf Bildschirmen, werden gelesen, kommentiert und überarbeitet, oft gleichzeitig von mehreren Personen und oft über Kontinente hinweg. Wo nötig, telefonieren wir oder starten eine Ad-hoc-Videokonferenz. Hausintern klären wir vieles einfach im direkten Gespräch, bei einer Tasse Tee oder Kaffee. In den Redaktionskonferenzen jedoch liegt nur ein großes Notizbuch vor mir, blanke Seiten im Format A4, in Leder gebunden. Ich bin überzeugt, dass sich in dem, was ich darin an Fragen und Stichworten notiere, ergänze oder durchstreiche, der Zustand der Welt im Grunde am besten abbildet, zumindest, was mich betrifft.
In diesem Notizbuch könnte ich nachsehen, welche Themen, Trends und Entwicklungen wir an jenem Montag im Oktober diskutiert haben, an dem alles begann, aber ich tue es nicht. Absichtlich, denn, wie gesagt, ich möchte die nachfolgend zu schildernden Ereignisse zeitlich lieber nicht allzu klar einordnen. Ich kann so viel sagen, dass nichts »Großes« darunter war, und den Rest kann man sich denken – im Nahen Osten kriselt es immer, in Brüssel wird immer an irgendwelchen weitreichenden Plänen gebrütet, immer werden neue Firmen gegründet und geraten andere in Schieflage, und immer wird viel über die Umwelt geredet und wenig für sie getan.
Unser Konferenzraum befindet sich im zweiten Stock unseres im Herzen Amsterdams gelegenen Redaktionsgebäudes, direkt über unserer Cafeteria, auf derselben Etage wie die Büros unserer Statistikabteilung und die des halben Rechercheteams. Die andere Hälfte der Rechercheure haust unterm Dach, und das ist ein Bereich des Hauses, den zu betreten ich lieber vermeide, denn unsere Rechercheure sind, sagen wir mal … speziell. Und ich will, dass sie das bleiben, denn sie leisten hervorragende Arbeit.
Die Fenster des Konferenzraums weisen nach Norden. Dadurch ist der Raum zwar hell, aber nicht zu hell, denn es sind mindestens unsere Büros in Paris, Singapur und Los Angeles per Video zugeschaltet. In Singapur ist es dann siebzehn Uhr abends, und Yu Chow, der Leiter unserer dortigen Niederlassung, beschließt seinen Arbeitstag mit dieser Konferenz. Greg Scott in L. A. dagegen, wo es erst ein Uhr früh ist, muss seinen Sonntagabend opfern. Doch er ist ohnehin eine Nachteule, unverheiratet und kinderlos; man kriegt ihn um diese Zeit auch unter der Woche zuverlässig ans Telefon. Eine Konferenz hingegen, für die er morgens um neun Uhr wach sein müsste, wäre eine Herausforderung für ihn, die wir ihm lieber ersparen.
Wir sprechen bei diesen Treffen natürlich auch über Internes. Marta Udenthal, die kaufmännische Geschäftsführerin und meine Stellvertreterin, legte gerade unsere momentane finanzielle Situation dar – wir nehmen viel Geld ein, gewiss, aber wir geben auch unglaublich viel wieder aus –, als es an der Tür klopfte und Octavia Gabriel hereinkam, unsere Sekretärin.
»Ich störe ungern«, erklärte sie mit sanftem Lächeln in das abrupte Schweigen hinein, »aber ich glaube, es ist wirklich dringend.«
Damit legte sie einen zusammengefalteten Zettel vor mich hin, bedachte die Runde noch einmal mit einem Blick aus ihren leuchtend blauen Augen und entschwand wieder.
Ich lugte in den Falz des Zettels. Frau Lestari bittet um SOFORTIGEN!!! Rückruf stand da und eine Telefonnummer in London.
Eine Nummer, die Octavia gar nicht hätte aufschreiben müssen, denn ich kannte sie auswendig.
Ich holte tief Luft, schob den Zettel in die Tasche und sagte: »Leute, ich fürchte, ihr müsst mich kurz entschuldigen. Das hier ist tatsächlich dringend.«
»Wir unterbrechen«, bestimmte Marta.
* * *
Marta folgte mir die Treppe hinab in den ersten Stock, aber nicht, um in die Cafeteria oder in ihr Büro zu gehen, sondern um mir in meines zu folgen.
»James – was ist los?«, wollte sie wissen. »Was ist so wichtig, dass du eine Redaktionskonferenz unterbrichst?«
Ich verstand ihre Beunruhigung: Das hatte ich noch nie zuvor gemacht. Im Gegenteil, ich predigte immer, der Montagstermin sei unantastbar. Heilig. Unterbrechungen nur, falls ein Atomkrieg ausbrach oder Aliens landeten.
»Ich erklär’s dir«, sagte ich, »aber nicht jetzt. Jetzt muss ich telefonieren.«
Marta ist eine patente, fröhliche Frau, die mit sich und ihrem Leben im Reinen ist und für jeden stets ein Lächeln und ein freundliches Wort übrig hat. Doch es gibt Momente, in denen es in ihr brodelt und man meinen könnte, ihre rötlich-braunen Haare würden sich gleich in flammende Feuerzungen verwandeln, und dies war so ein Moment.
Doch bevor Schlimmeres passierte, wandte sie sich ab, verließ mein Büro und zog die Tür hinter sich zu.
Mir tat das sehr leid. Marta ist meine Geschäftspartnerin, ja, meine Vertraute. Ich habe mit ihr zusammen diese Firma aufgebaut und hatte keine Geheimnisse vor ihr – keine, bis auf dieses.
Heute, dämmerte mir, ging eine schöne, glückliche Epoche zu Ende, und eine neue begann.
Hoffentlich.
Ich nahm den Hörer ab und wählte die Nummer auf dem Zettel.
»Lestari – James Windover hier«, sagte ich, als sich eine helle, junge Frauenstimme meldete. »Ist etwas mit Ihrer Mutter?«
»Nein, mit ihr ist alles in Ordnung«, antwortete sie fröhlich. »Aber sie will Sie dringend sprechen. Persönlich. Heute noch.«
»Heute noch? Wieso das denn?«
»Das weiß ich nicht. Aber sie hat gesagt, wenn Sie nicht so schnell wie möglich kommen, werden Sie es bestimmt sehr bedauern.«
Das ist nicht unbedingt das, was man hören will zu Beginn einer Woche, die gerade noch so friedlich vor einem gelegen hat. Ich weckte den Computer auf und betrachtete meinen Terminkalender.
»Hören Sie, wie wäre es etwas später in der Woche? Sagen wir, am Donnerstag?«
»Mutter hat gesagt, heute.«
»Lestari – wie soll ich das denn machen? Wir haben gerade Redaktionssitzung. Die geht mindestens bis dreizehn Uhr. Und heute Nachmittag muss ich –«
»Ein Flugzeug braucht von Amsterdam bis London eine Stunde und fünfzehn Minuten«, unterbrach sie mich freundlich. »Sie können heute Nachmittag hier sein und abends wieder zurück.«
»Ich weiß.« Die Sache ist die: Ich hasse es, zu fliegen. Nicht aus Flugangst, sondern weil man als Fluggast heutzutage behandelt wird wie zu transportierendes Vieh. Ganz davon abgesehen war Lestaris Rechnung sehr theoretisch, denn in der Praxis muss man bei Flügen mindestens ein bis zwei Stunden vor dem Abflug antanzen, sich unsinnig oft kontrollieren und durchleuchten lassen, dann warten, warten und nochmals warten, und selbst wenn der Flug keine Verspätung hat, landet man am Ende ja nicht in London, sondern fünfzig Kilometer davon entfernt, was auf noch gut eine weitere Stunde Fahrzeit hinausläuft.
»Heute Abend, achtzehn Uhr«, sagte ich. »Wäre das schnell genug?«
»Das wäre großartig«, erwiderte sie. »Tatsächlich hat Mutter mit genau diesem Termin gerechnet. Ich sage ihr Bescheid, dass Sie kommen.«
»Ja, sagen Sie ihr Bescheid«, meinte ich seufzend.
Dann legte ich auf, ging hinüber in unser Sekretariat und sagte: »Octavia, ich brauche einen Platz im Eurostar um dreizehn Uhr. Egal, welche Klasse.«
Und zu Marta, die in der Tür ihres eigenen Büros lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt und die Brauen argwöhnisch gefurcht, sagte ich: »Du hast jetzt das Kommando.«
»Willst du mir nicht erklären, was das alles zu bedeuten hat?«
»Doch«, sagte ich. »Aber es ist eine lange Geschichte, und ich muss los. Ich erzähl sie dir, wenn ich zurück bin.«
* * *
Über unser Redaktionsgebäude sei so viel verraten, dass es sich, wie erwähnt, im malerischen Zentrum Amsterdams befindet, nahe der Grachten, aber abseits aller touristischen Trampelpfade. Die alten Häuser Amsterdams sind bekanntlich sehr schmal gebaut, weil man zu der Zeit nach der Breite seiner Straßenfassade besteuert wurde, deswegen mussten wir zwei direkt nebeneinanderliegende Häuser kaufen und mit allerlei Durchbrüchen und anderen Umbauten zu einer Einheit verbinden. Von außen erkennt man das nicht, weil die zuständige Behörde eine Veränderung der Fassade nicht genehmigt und wir das ohnehin nicht gewollt hätten. Von der Straße aus sieht man zwei getrennte Haustüren und ein Hoftor aus dunkelgrünem Holz. Auf einem winzigen Klingelschild steht »Wind. View«. Das ist alles.
Im Erdgeschoss befinden sich Lagerräume für Büromaterial, eine Waschküche, ein Hauswirtschaftsraum, Stellplätze für Fahrräder (es gibt auch Stellplätze auf der Straße, aber wir wollen nicht, dass man sieht, wie viele Leute bei uns kommen und gehen), Serverräume, Umkleiden und sogar zwei Duschen: Die waren schon da, als wir das Haus übernommen haben, und haben sich als nützlich erwiesen, wenn man im Sommer verschwitzt mit dem Rad ankommt....
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | AI • Bestsellerautor • Definition Menschlichkeit • Digitalisierung des Menschen • Ewiges Leben • Gedankenexperiment • KI • Künstliche Intelligenz • künstliches Bewusstsein • Spekulative Literatur • Thriller • Tod • Verschwörungsthriller • Zukunftsporträt |
ISBN-10 | 3-7517-6090-3 / 3751760903 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6090-4 / 9783751760904 |
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Größe: 987 KB
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