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Blutrotes Karma (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
608 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12374-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutrotes Karma -  Jean-Christophe Grangé
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Eine Stadt in Flammen. Ein Mörder auf Mission. Während der Pariser Studentenproteste wird die brutal zugerichtete Leiche einer jungen Frau gefunden. Arrangiert in einer Yogapose. Ihr Freund Hervé und sein Halbbruder Mersch, ein Polizist, werden in die Ermittlungen verwickelt. Da taucht eine zweite Leiche auf: wieder in einer Yogapose, wieder eine Freundin von Hervé. Will ihm jemand eine blutige Botschaft senden? Die Spur des Mörders führt um die halbe Welt bis nach Indien. Doch die schockierende Wahrheit, die Hervé dort findet, reicht noch viel weiter. Paris, 1968: Die Straßen brennen, die staatliche Ordnung scheint ausgehebelt. Mitten in diesem Chaos findet der ebenso kluge wie wütende Student Hervé die Leiche seiner Freundin Suzanne. Sie hängt grausam ermordet in einer Yogapose von einem Balken in ihrer Wohnung. Hervé bittet seinen Halbbruder und Polizisten Mersch um Hilfe. Gemeinsam stoßen sie mit Nicole, einer Freundin des Opfers, auf eine Spur, die sie tief in die spirituellen Bewegungen Indiens führt. Doch als eine weitere Freundin von Hervé ermordet und in einer Yogapose arrangiert wird, ahnen die drei: Der Mörder hat es auf Hervé selbst abgesehen. Nur warum? Eine erbarmungslose Jagd um den Erdball beginnt, an deren Ende sich das Böse unter einer Maske aus Glaube und Macht offenbart. »Eine ebenso blutige wie nervenzerreißende Verfolgungsjagd.« Paris Match

Jean-Christophe Grangé, geboren 1961, gilt als Meister des französischen Thrillers. Seit über fünfundzwanzig Jahren erobert er mit Titeln wie Der Flug der Störche oder Die purpurnen Flüsse die internationalen Bestsellerlisten. Seine Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt, weltweit millionenfach verkauft und fürs Kino verfilmt.

Jean-Christophe Grangé, geboren 1961, gilt als Meister des französischen Thrillers. Seit über fünfundzwanzig Jahren erobert er mit Titeln wie Der Flug der Störche oder Die purpurnen Flüsse die internationalen Bestsellerlisten. Seine Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt, weltweit millionenfach verkauft und fürs Kino verfilmt. Ina Böhme, Jahrgang 1988, studierte Romanische Philologie und Interkulturelle Deutsch-Französische Studien in Marburg, Poitiers, Aix-en-Provence und Tübingen. Nach mehreren Jahren in Frankreich lebt sie inzwischen als literarische Übersetzerin in Berlin. Sie übersetzte unter anderem Aude und Maryse Condé.

33


Von allen Aktivisten, denen er bislang begegnet war, waren die Maoisten die gefährlichsten. Aus einem einfachen Grund: Ihr Einfluss ging weit über das politische Feld hinaus. Seit 1967 waren China und sein »Großer Vorsitzender« in Mode. Man kleidete sich wie Mao, man gab sich wie Mao, man dachte wie Mao … Aus irgendeinem Grund war der Vater der Kulturellen Revolution »hip« geworden.

Jean-Louis saß am Steuer der Dauphine und beschloss, das Schweigen zu brechen.

»Was hältst du von den Maoisten?«

»Das sind Genies.«

»Ach ja?«

Das war wirklich nicht die erste Bezeichnung, die ihm in den Sinn gekommen wäre.

»Die meisten sind an der École normale supérieure gewesen«, erklärte Hervé. »Da haben sie vor zwei Jahren die UJC-ML gegründet, die Union der Kommunistischen, Marxistisch-Leninistischen Jugend.«

»Ja, und?«

Als Autodidakt hegte Mersch ein dumpfes Misstrauen gegenüber allen Intellektuellen – man musste nicht Lacan heißen, um zu sehen, dass seine Skepsis, die nicht selten zur Allergie wurde, aus einem Minderwertigkeitskomplex resultierte.

»Auf intellektueller Ebene«, fuhr Hervé fort, »gibt es nichts Besseres. Man kann die großen Köpfe, die an der ENS studiert haben, ja gar nicht mehr zählen: Nobelpreisträger, Fields-Medaillen-Träger und CNRS-Goldmedaillen-Träger, berühmte Schriftsteller, einflussreiche Philosophen …«

Nicht zu vergessen Pompidou, dachte Jean-Louis. Auch der Premierminister hatte die Kaderschmiede in der Rue d’Ulm durchlaufen, erinnerte er sich. Da kam ihm ein weiterer Gedanke: Die Studierenden, die davon träumten, das System, das heißt den Staat zu zerstören, erhielten ihre Bildung wiederum von genau diesem Staat. Ein Witz!

»Und wo ist das Problem?«, fragte Mersch.

»Es gibt kein Problem.«

»Natürlich gibt es eins. Wie kann es sein, dass hochintelligente Menschen sich mit Leib und Seele einem politischen System verschreiben, über das sie nichts wissen und das alle Aussichten hat, die nächste Diktatur mitsamt Folter und Massenmord zu werden?«

Hervé schwieg eine Weile. Während er den Verkehr beobachtete, schien er nachzudenken.

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich das erklären soll«, erwiderte er schließlich. »Was hat eine Rote Socke heutzutage schon zu beißen? Mit der Sowjetunion wollen wir gar nicht erst anfangen: Seit Stalin und den Moskauer Prozessen ist der russische Kommunismus nur noch abstoßend. Die Kubanische Revolution? Che Guevara, Fidel Castro – alles schön und gut, aber kein Vorbild für Europa. Dann gibt es noch die Việt Minh, aber auch da können wir uns nicht viel abgucken. Was bleibt also übrig? China.«

Jean-Louis war stolz auf seinen kleinen Bruder. Wenn er sich nicht gerade verliebte, war Hervé der brillanteste Mensch, den er kannte, einer mit Sinn für Zusammenhänge.

»Seit den Dreißigern«, fuhr der Pfiffikus fort, »vermittelt China das ferne Bild einer denkwürdigen Revolution. Der Lange Marsch, der Große Vorsitzende, das alles. Gut, man darf nicht zu genau hinsehen, es hat auch Hungersnöte und Massaker gegeben, es war ein verschlungener und oft auch barbarischer Weg, der die Entstehung einer egalitären Republik ermöglicht hat. Die Menschen waren gerade dabei, alles zu vergessen, als die Kulturrevolution ausgebrochen ist, eine ganz neue Bewegung, die tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft erreichen und alles Bürgerliche ausrotten will … Auf einmal ist China für junge Linke so eine Art Gelobtes Land.«

Mersch winkte ab, ohne das Lenkrad loszulassen.

»Das sind doch Hirngespinste.«

»Möglich. Aber es bringt die Menschen zum Träumen. Gerade die Bauern, die brav ihre Arbeit machen, die weder Gewerkschaften noch Gehaltserhöhungen wollen. China hat eine egalitäre, brüderliche und solidarische Welt erschaffen, in der sich der ›neue Mensch‹ in der Gemeinschaft verwirklicht.«

Mersch fuhr um die Place du Panthéon und erreichte schließlich die Rue d’Ulm.

»Scheiße, Einbahnstraße.«

»Wir gehen einfach zu Fuß, ist nicht mehr weit.«

Nachdem sie den Wagen abgestellt hatten, gingen die Brüder per pedes weiter.

»Das ist doch absurd«, redete Mersch weiter. »Die waren doch alle noch nie in China.«

»Dass du dich da mal nicht täuschst. Die ENSler sind von den Chinesen empfangen worden.«

»Ja ja, eine Studienreise, wo sie nur das zu sehen bekommen haben, was sie sehen sollten.«

»Wahrscheinlich. Aber das war die Geburt eines Mythos, einer Legende.«

»Ich verstehe das nicht. Diese Typen sind doch superintelligent. Ihre Köpfe sind randvoll mit Wissen, Theorien, Erkenntnissen. Wie können sie denn wollen, dass die Wissenschaft abgeschafft und Bücher vernichtet werden? Genau das ist doch die Kulturrevolution, oder?«

»Gegensätze ziehen sich an, und die Maoisten sind um einen Widerspruch nicht verlegen. Die meisten sind davon überzeugt, dass der Geist Maos in China die Tomaten wachsen lässt. Ihr Wissen ist auf das kleine Rote Buch beschränkt.«

Sie waren bei der ENS angekommen. Ein Quadersteinbau ganz im Stil des neunzehnten Jahrhunderts. Natürlich hüllte sich auch dieses Gebäude in Protest: Banner und Plakate, die wie Pflaster die Fassaden überzogen.

»Da ist noch etwas, das ich nicht verstehe.«

»Nämlich?«

»Die Typen hier sind Verfechter der Revolution. Warum sieht man sie nicht auf den Demos, bei den Vollversammlungen?«

Hervé nahm sich die Zeit, eine Disque Bleu hervorzuholen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, wie ein Vorgeschmack auf das Geheimnis, das er gleich lüften würde.

»Da gibt es ein Problem.«

»Was für ein Problem?«

»Ihre wichtigsten Anführer sind im Krankenhaus.«

»Sind sie alle krank?«

»Sie sind im Sainte-Anne.«

»Du meinst …«

»Sie sind verrückt geworden, ja. Louis Althusser, der große marxistische Theoretiker, ist auf Lithium. Robert Linhart, der die Bewegung gegründet hat, macht eine Schlafkur. Er ist eingewiesen worden, nachdem er in einem Anfall von Wahnsinn im Wald gefunden wurde.«

Die Maoisten in der Irrenanstalt. Konnte man sich kaum ausdenken.

»Aber ich kann dich beruhigen«, sagte Hervé abschließend, »hier an der ENS laufen noch eine ganze Menge Verrückter frei herum. Suzanne muss gut zu tun gehabt haben …«

34


Als sie die Rue d’Ulm 45 betraten, begriff Mersch mit einem Mal, wo er war: Das hier war nicht der Sitz der École normale supérieure, sondern eine Kirche, eine Kathedrale – eine heilige Stätte, gewidmet dem allmächtigen Gott Mao.

Überall Plakate, Aphorismen, Porträts des Großen Vorsitzenden mit seinem schwarzgefärbten Haar und der Tino-Rossi-Frisur. Sie durchquerten die Eingangshalle und traten in den Haupthof. Mersch revidierte seinen ersten Eindruck: keine Kirche, eher eine Abtei, ein Kloster …

Der Hof war ein richtiger Garten: Bäume, Beete und in der Mitte ein großer runder, von kreisbogenförmig gestutzten Hecken gesäumter Springbrunnen. Jean-Louis war verwirrt. Er, der Bildungsstätten wie diese verabscheute, musste zugeben, dass der Ort mit seiner Klosteratmosphäre und der frühlingsfrohen Blütenpracht wirklich herrlich war.

Hervé raunte ihm ins Ohr:

»Die Vesper hat begonnen.«

An dem Springbrunnen hatte sich eine Gruppe Studierender zusammengefunden – manche saßen auf dem Brunnenrand, andere im Gras – und lauschte einem jungen Burschen, groß wie ein Fahnenmast, der die frohe Botschaft verkündete.

»Komm mit«, fuhr Hervé amüsiert fort, »lass uns anhören, was die ›Roten Garden‹ zu sagen haben.«

Ob es an dem runden Brunnenbassin lag oder an den bauchigen Sträuchern, auf jeden Fall musste Jean-Louis an einen Hörsaal unter freiem Himmel denken.

»Vergesst alles, was ihr hier gelernt habt!«, ließ der Redner verlautbaren (er hatte schwarze Locken und trug ein Kassengestell auf der Nase). »Vergesst sogar eure akademische Sprache. Die Revolution ist einfach. Maos Worte sind einfach. Was zählt, ist einzig und allein die Realität! Der Aufstand der progressiven Massen hat nichts mit irgendwelchen Phrasen zu tun. Mao sagt: ›Das Dogma ist weniger wert als Kuhmist. Mit Mist kann man wenigstens düngen.‹ Denkt darüber nach, Genossen. Scheiße. Abfall. Unrat. Alles kann uns dienen! Für die Produktivkräfte ist alles wichtig! Alles zählt, außer leeres Geschwätz!«

Jean-Louis konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Dass die (relativ hohe) Stimme des Mannes seinen Worten viel von ihrer Glaubwürdigkeit nahm, machte die Dinge nicht gerade besser. Was blieb also? Der Witz. Sätze und Konzepte, die in die Luft geschleudert wurden wie Astragale und lustige Geräusche machten, wenn sie auf dem Boden landeten.

Sie flüchteten sich in den Schatten einer dicken Eiche mit üppigem Blätterdach und warteten geduldig darauf, dass der Sermon zu Ende ging.

»Die Worte«, fuhr der Lockenkopf fort, »sind ein Zeichen bürgerlicher Dekadenz. Die Worte sind der Feind! Das Spiegelbild eines verdorbenen Geistes, einer Dialektik, die zum Scheitern verurteilt ist. Vergessen wir die Worte und vereinigen wir uns, Genossen! Dienen wir dem Volk! Schreiten wir zur Tat!«

Für jemanden, der Stille predigte, plapperte er ganz schön viel. Mersch ließ sich auf sein Borkenkissen zurücksinken und zog ernsthaft in Erwägung, ein Schläfchen zu machen.

»Fürchten wir nicht die Mächtigen, denn die Mächtigen sind wir!«, tönte die Stimme weiter. »Wir besitzen die Produktionsapparate, wir halten die...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2024
Übersetzer Ina Böhme
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
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ISBN-10 3-608-12374-1 / 3608123741
ISBN-13 978-3-608-12374-6 / 9783608123746
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