Harter Schnitt (eBook)
512 Seiten
HarperCollins eBook (Verlag)
978-3-7499-0790-8 (ISBN)
'Du weißt, warum wir hier sind. Gib es uns, und wir lassen sie gehen.'
Kein Polizeitraining ist effektiver als purer Instinkt - als Faith Mitchell, Agentin beim Georgia Bureau of Investigation, eines Tages ihre Mutter nicht mehr erreichen kann, fährt sie sofort nach Hause. Dort findet sie eine weit offene Haustür, einen Blutfleck über der Klinke, eine Leiche im Wäscheraum und ihre kleine Tochter in den Schuppen gesperrt vor - und zwei bewaffnete Männer im Schlafzimmer. Um ihre Mutter wiederzufinden, braucht sie Will Trents und Sara Lintons Hilfe, doch die Ereignisse überschlagen sich ...
Karin Slaughter ist eine der weltweit berühmtesten Autorinnen und Schöpferin von über 20 New York Times-Bestseller-Romanen. Dazu zählen »Cop Town«, der für den Edgar Allan Poe Award nominiert war, sowie die Thriller »Die gute Tochter« und »Pretty Girls«. Ihre Bücher erscheinen in 120 Ländern und haben sich über 40 Millionen Mal verkauft. Ihr internationaler Bestseller »Ein Teil von ihr« ist 2022 als Serie mit Toni Collette auf Platz 1 bei Netflix eingestiegen. Eine Adaption ihrer Bestseller-Serie um den Ermittler Will Trent läuft derzeit erfolgreich auf Disney+, weitere filmische Projekte werden entwickelt. Slaughter setzt sich als Gründerin der Non-Profit-Organisation »Save the Libraries« für den Erhalt und die Förderung von Bibliotheken ein. Die Autorin stammt aus Georgia und lebt in Atlanta. Mehr Informationen zur Autorin gibt es unter www.karinslaughter.com
2. KAPITEL
»Also, er erzählt mir, er hätte bei seinem Auto einen Ölwechsel gemacht, und weil es heiß war in der Werkstatt, hat er seine Hose ausgezogen …«
»Aha«, meinte Sara Linton und versuchte, Interesse zu heucheln, während sie in ihrem Salat stocherte.
»Und ich sagte: ›Hör mal, Kumpel, ich bin Arzt und nicht deshalb hier, um zu urteilen. Du kannst mir ruhig ehrlich sagen, was …‹«
Sara sah die Bewegungen von Dale Dugans Lippen, doch zum Glück verschmolz seine Stimme mit dem mittäglichen Lärm der Pizzeria. Die leise Musik. Das Lachen der Menschen. Teller, die in der Küche herumgeschoben wurden. Seine Geschichte war nicht besonders fesselnd, nicht einmal neu. Sara war Kinderärztin in der Notaufnahme von Atlantas Grady Hospital. Davor hatte sie zwölf Jahre lang eine eigene Praxis gehabt und in der Zeit nebenbei auch als Coroner für eine kleine, aber aktive College-Stadt gearbeitet. Es gab so gut wie nichts, weder Geräte, Werkzeuge, Haushaltsprodukte oder Glasfiguren, die sie nicht irgendwann einmal in einer Öffnung eines menschlichen Körpers gefunden hatte.
Dennoch fuhr Dale fort: »Dann kommt die Schwester mit den Röntgenaufnahmen rein.«
»Aha«, sagte sie und gab sich Mühe, neugierig zu klingen. Dale lächelte sie an. Zwischen seinen Schneidezähnen klemmte Käse. Sara maßte sich kein Urteil an. Dale Dugan war ein netter Mann. Er war nicht gerade der Attraktivste, aber er sah ganz okay aus, mit Gesichtszügen, die viele Frauen attraktiv fanden, nachdem sie erfahren hatten, dass er Medizin studiert hatte. Sara ließ sich nicht so leicht mitreißen. Außerdem war sie am Verhungern, da die Freundin, die ihr dieses lächerliche Blind Date verschafft hatte, meinte, sie solle eher Salat als Pizza bestellen, weil das besser aussehe.
»Also halte ich die Aufnahme in die Höhe, und was sehe ich …?«
Steckschlüssel, dachte sie, bevor er endlich zur Pointe kam.
»Einen Steckschlüssel! Kannst du dir das vorstellen?«
»Nein!« Sie zwang sich zu einem Lachen, das klang wie die Töne aus einer Aufziehpuppe.
»Und er behauptete weiterhin, er sei ausgerutscht.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Ein ziemlicher Sturz.«
»Ja, nicht?« Er lächelte sie noch einmal an, bevor er herzhaft in seine Pizza biss.
Sara kaute Salat. Die Digitaluhr über Dales Kopf zeigte 2:12 und ein paar Sekunden. Die roten LED-Ziffern waren eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass sie jetzt eigentlich zu Hause das Basketball-Spiel anschauen und den Berg Wäsche auf ihrem Sofa zusammenlegen könnte. Sara hatte mit sich selbst gewettet, nicht auf die Uhr zu schauen, um zu sehen, wie lange sie es aushielt, bevor ihre Selbstbeherrschung sich verflüchtigte und sie den tickenden Sekundenzeiger anstarrte. Drei Minuten und zweiundzwanzig Sekunden waren ihr Rekord. Sie nahm sich noch eine Gabel Salat und schwor sich, ihn einzustellen.
»Also«, sagte Dale, »du warst auf der Emory.« Sie nickte. »Und du warst an der Duke?«
Wie vorauszusehen, setzte er nun zu einer langatmigen Beschreibung seiner akademischen Errungenschaften an, wozu auch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und programmatische Reden bei verschiedenen Konferenzen gehörten. Wieder heuchelte Sara Aufmerksamkeit, zwang sich, nicht auf die Uhr zu schauen, und kaute den Salat so langsam wie eine Kuh auf der Weide, sodass Dale sich nicht gezwungen fühlte, ihr eine Frage zu stellen.
Das war nicht Saras erstes Blind Date, und leider war es auch nicht ihr unterhaltsamstes. Das Problem hatte schon in den ersten sechs Minuten angefangen, wie Sara an der Uhr abgelesen hatte. Die Präliminarien waren bereits abgehandelt, bevor ihr Essen serviert wurde. Dale war geschieden, hatte keine Kinder, verstand sich noch gut mit seiner Ex-Frau und spielte in seiner Freizeit im Krankenhaus Spontan-Basketball. Sara stammte aus einer Kleinstadt in South Georgia. Sie hatte zwei Windhunde und eine Katze, die allerdings lieber bei ihren Eltern wohnte. Vor viereinhalb Jahren war ihr Ehemann getötet worden.
Normalerweise war diese letzte Information ein Gesprächskiller, aber Dale hatte es überspielt wie eine unbedeutende Nebensächlichkeit. Zuerst hatte Sara es ihm positiv angerechnet, dass er nicht nach Details fragte, dann hatte sie vermutet, dass er zu egozentrisch war, um Fragen zu stellen, und schließlich hatte sie sich vorgeworfen, dass sie zu hart über den Mann urteile.
»Was hat dein Mann gemacht?«
Die Frage überrumpelte sie. Sie hatte den Mund voller Salat, kaute, schluckte und antwortete ihm dann: »Er war Polizist. Der Polizeichef des Bezirks.«
»Das ist ungewöhnlich.« Anscheinend schaute sie verständnislos, denn er erklärte: »Ich meine, ungewöhnlich, weil er kein Arzt ist. Kein Arzt war. Also kein Akademiker.«
»Akademiker?« Sie hörte den Vorwurf in ihrer Stimme, konnte aber nichts dagegen tun. »Mein Vater ist Installateur. Meine Schwester und ich haben für ihn gearbeitet, einige Jahre …«
»Mann, Mann.« Er hob kapitulierend die Hände. »Das kam wohl falsch heraus. Ich meine, es hat schon etwas Edles, mit den eigenen Händen zu arbeiten, nicht?«
Sara wusste ja nicht, welche Art von Arzt Dr. Dale war, aber sie neigte dazu, ihre Hände bei ihrer Arbeit zu benutzen.
Er schien sich seines Fauxpas gar nicht bewusst zu sein, denn seine Stimme bekam nun etwas Feierliches: »Ich habe viel Respekt vor Polizisten. Und Leuten im aktiven Dienst. Soldaten, meine ich.« Er wischte sich mit seiner Serviette nervös den Mund ab. »Gefährliche Arbeit. Ist er im Dienst gestorben?«
Sie nickte und schaute schnell auf die Uhr. Drei Minuten und sechzehn Sekunden. Ihren Rekord hatte sie knapp verfehlt.
Er zog sein Handy aus der Tasche und sah aufs Display.
»Entschuldigung, aber ich habe Bereitschaft. Ich wollte nur eben nachsehen, ob ich hier ein Signal habe.«
Wenigstens hatte er nicht so getan, als wäre sein Handy stumm geschaltet, allerdings war Sara ziemlich sicher, dass das noch kam. »Tut mir leid, dass ich so abweisend bin. Es ist ein schwieriges Thema.«
»Dein Verlust tut mir sehr leid.« Seine Stimme hatte die professionelle Färbung, die Sara aus der Notaufnahme kannte. »Das war sicher schwer für dich.«
Sara biss sich auf die Zungenspitze. Eine höfliche Reaktion fiel ihr einfach nicht ein, und als sie endlich daran dachte, das Thema zu wechseln und übers Wetter zu sprechen, war so viel Zeit vergangen, dass die Situation noch peinlicher würde. Schließlich sagte sie: »Na ja, wie auch immer. Warum reden wir nicht …«
»Entschuldigung«, unterbrach er sie, »muss mal kurz auf die Toilette.«
Er stand so schnell auf, dass sein Stuhl beinahe umgekippt wäre. Sara sah ihn nach hinten hasten. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, aber sie dachte, vor dem Notausgang hätte er kurz gezögert.
»Idiot.« Sie warf ihre Gabel auf den Salatteller.
Wieder schaute sie auf die Uhr. Es war Viertel nach zwei. Falls Dale je wieder von der Toilette zurückkam, konnte sie diese Geschichte um halb drei hinter sich haben. Sara war zu Fuß von ihrer Wohnung hierhergekommen, es würde also nicht dieses ausgedehnte, furchtbare Schweigen geben, wenn Dale sie nach Hause fuhr. Die Rechnung hatten sie bereits bezahlt, als sie an der Kasse ihr Essen bestellten. Für den Rückweg brauchte sie fünfzehn Minuten, sodass sie noch Zeit hatte, ihr Kleid aus- und eine Jogginghose anzuziehen, bevor das Basketballspiel anfing. Sara merkte, dass ihr Magen knurrte. Vielleicht sollte sie nur so tun, als würde sie gehen, und dann zurückkommen und eine Pizza bestellen.
Auf der Uhr verging noch eine Minute. Sara schaute auf den Parkplatz hinaus. Dales Auto stand noch dort, da sie davon ausging, dass der grüne Lexus mit dem Nummernschild DRDALE ihm gehörte. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert war.
Noch einmal dreißig Sekunden verstrichen auf der Uhr. Der Gang zu den Toiletten blieb noch einmal dreiundzwanzig Sekunden leer. Eine ältere Frau mit einer Gehhilfe ging mühsam dort entlang. Hinter ihr war niemand.
Sara stützte den Kopf auf die Hand. Dale war kein schlechter Mann. Er war solide, einigermaßen gesund, in fester, gut bezahlter Stellung, hatte noch fast alle Haare und wirkte, bis auf den Käse zwischen den Zähnen, gut gepflegt. Doch das alles war nicht genug. Allmählich dachte Sara, dass sie das Problem war, denn sobald sie ihre gute Meinung von jemandem verloren hatte, war sie für immer verschwunden. Die Richtung eines Dampfers zu ändern, war einfacher, als Saras Denken zu ändern.
Sie sollte sich bei der Sache einfach mehr Mühe geben. Sie war keine fünfundzwanzig mehr, die Vierziger saßen ihr im Nacken. Bei einer Größe von über eins achtzig war ihre Auswahl von vornherein beschränkt. Ihre kastanienbraunen Haare und die helle Haut war nicht jedermanns Geschmack. Ihre Arbeitstage waren lang. Als Köchin war sie eine absolute Niete. Offensichtlich hatte sie ihre Fähigkeit zu jeglichem Small Talk verloren, und allein schon die Erwähnung ihres toten Mannes konnte sie zur Furie werden lassen.
Vielleicht waren ihre Ansprüche einfach zu hoch. Ihre Ehe war nicht perfekt gewesen, aber verdammt gut. Sie hatte ihren Mann mehr geliebt als das Leben selbst. Ihn zu verlieren, das hatte sie beinahe umgebracht. Aber Jeffrey war nun schon fast fünf Jahre nicht mehr da, und um ehrlich zu sein, Sara fühlte sich einsam. Sie vermisste die Gesellschaft eines Mannes. Sie vermisste die Art, wie das männliche Gehirn funktionierte, und...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2024 |
---|---|
Reihe/Serie | Georgia-Serie |
Übersetzer | Klaus Berr |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Fallen |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atlanta • Autorin • Bestseller • blutig • Brutal • Buch • Disney • Disney plus • Georgia • Karen Slaughter • Karin Slaughter • Krimi • Kriminalroman • Mystery • Psychothriller • Reihe • Roman • Sara Linton • Serie • spannend • Spannung • Spiegel • Thriller • USA • Will Trent |
ISBN-10 | 3-7499-0790-0 / 3749907900 |
ISBN-13 | 978-3-7499-0790-8 / 9783749907908 |
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Größe: 1,9 MB
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