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Black Forest (eBook)

Spiegel-Bestseller
Denglers elfter Fall
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32110-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Black Forest -  Wolfgang Schorlau
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Aus Sorge um seine Mutter reist Georg Dengler in den Schwarzwald. Über den Hof, auf dem er seine Kindheit verbracht hat, schleichen nachts Gestalten. Oben am Feldberg besitzt die Familie Dengler ein Grundstück - die ideale Lage für ein Windrad. Wäre da nicht der örtliche Widerstand. Georgs Jugendliebe, mittlerweile die Heilpraktikerin seiner Mutter, ist eine der Wortführerinnen. Nachdem die Denglers auf einer schmalen Straße abgedrängt werden, landet Margret im Krankenhaus - und ihr Sohn ist endgültig beunruhigt. Um zu finden, was nächtliche Eindringlinge suchen könnten, stöbert Georg durch das Inventar mehrerer Leben, das in den Winkeln des weitläufigen Hauses verstaut ist: Seit Generationen war der Hof Familienbesitz, erst nach dem Unfalltod ihres Mannes gab Margret die Landwirtschaft auf. Aber auch das scheint plötzlich, nur noch die halbe Wahrheit zu sein. Statt auf Antworten stößt Dengler auf immer neue Fragen: Wer sind die Kerle auf dem Hof und wer hat sie geschickt? Wer war sein Vater, bevor er ein treusorgender Ehemann wurde? Wieso liegt Auerhahnkot am Feldberg, wo seit Jahren keiner der Vögel mehr gesehen wurde? Als er feststellt, dass seine Familie sich inmitten erbittert geführter Kämpfe um die Zukunft unserer Energiegewinnung befindet, ist es fast zu spät: Nach einem Sturz liegt seine Mutter im Koma. Und draußen, im Schutz der Dunkelheit, schleicht eine Wölfin um eine Leiche.

Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn Dengler-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzberg Blues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht - und zusammen mit Claudio Caiolo die Venedig-Krimis um Commissario Morello. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner-Stolz-Wirtschaftskrimipreis ausgezeichnet.

Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn Dengler-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzberg Blues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht – und zusammen mit Claudio Caiolo die Venedig-Krimis um Commissario Morello. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner-Stolz-Wirtschaftskrimipreis ausgezeichnet.

Prolog: Hunger und Angst


Unsichtbar kauert sie im Schutz einer flachen, vom Sturm verdrehten Moorkiefer. Die Äste hängen rings um sie herum bis zum Boden. Seit Tagen ist dies ihr sicheres Versteck.

In der Nacht sind die Felder immer noch nass von dem sanften Regen, der am Nachmittag auf die trockene Erde gefallen war. Der Mond leuchtet in die silbernen Nester des Nachtnebels, die sich in den Wipfeln der Fichten verfangen haben. Ein leichter Wind zerrt an ihnen und lässt ihre Schatten über die kleine Lichtung huschen, deren kniehohe Heidelbeerbüsche den Boden schützen wie ein zotteliges Fell. In der Ferne läutet eine kleine Glocke, dreimal – hell und dünn.

Sie hebt den Kopf und wittert den Duft des Baumes, der sich so deutlich von allen anderen unterscheidet, vom bitteren Aroma der Eiche oder dem nichtssagenden der Buche. Ein Hauch von Menthol steigt ihr in die Nase, vermischt mit dem würzigen Aroma von Harz.

Vom See weht eine Brise den Berg hinauf und streift ihr Gesicht. Sie hebt den Kopf und genießt den Schauer, der ihr von der Kehle über die Wirbelsäule bis in den Rücken läuft. Der Wind wirbelt ein paar vertrocknete Blütenblätter in ihr Versteck. Erschöpft sinken sie auf das braune Kissen abgefallener Nadeln.

Nacht bedeutet Sicherheit. Nur im Dunkeln ist sie unterwegs – seit sechs Wochen. Tagsüber versteckt sie sich in den Wäldern, sucht Mulden und Höhlen, in denen sie sich auf den Boden drückt. Ihr Schlaf ist nie mehr als ein Dösen, leicht und flach. Sie meidet die Menschen, umgeht ihre Dörfer und Straßen, und sie hat allen Grund dazu.

Angst und Hunger sind alles, was sie fühlt.

Jetzt steht sie auf. Streckt den Kopf. Streckt die Beine. Lauscht. Wittert. Schiebt Zentimeter für Zentimeter den Kopf durch die Äste und Zweige. Dann: Schnell und sicher läuft sie im Schutz der Schatten am bewachsenen Rand der Lichtung entlang. Neben einem Dickicht aus Latschen und noch knospenden Alpenrosen schiebt sie sich an einem jungen Ahorn vorbei und bleibt stehen. Lauscht noch einmal. Dann trabt sie weiter über den weichen, mit braunen Fichtennadeln bedeckten Boden. Hinter einer großen Esche leuchten im Mondschein die ersten Begrenzungssteine eines Feldwegs. Ihn hat sie gesucht. Nie läuft sie in der Mitte. Sie bleibt am rechten Rand des Weges, immer dicht beim Gestrüpp, die Ohren aufgestellt. Nach zehn, fünfzehn Schritten bleibt sie stehen und lauscht, die Muskeln derart gespannt, dass sie mit einem Satz ins Unterholz springen kann, wenn sie ein unbekanntes Geräusch hört, eine verdächtige Bewegung sieht oder ihre Nase einen Geruch wahrnimmt, den sie nicht kennt oder gar fürchtet.

Seit vier Tagen ist sie in diesem Wald. In den letzten beiden Nächten hat sie den Weg mehrmals kontrolliert. Kein Mensch ist ihr begegnet. Alles scheint sicher zu sein. Dennoch bleibt sie stehen und lauscht den Stimmen der Dunkelheit. Da – ein Rascheln! Eine Rötelmaus huscht durch das Buchenlaub. Mit gedrungenem Kopf und Körper schiebt sie braune Blätter aus dem Vorjahr aus dem Weg. Vor ihr, in der Ferne, bellt ein Fuchs, heiser, laut und kurz, wie das Husten eines kranken Tieres. Ein neuer Windstoß lässt die Fichtenwipfel zu ihrer Linken klagend singen. Etwas summt, etwas flattert, etwas kommt durch die Bäume auf sie zu, dreht sich und verschwindet. Ein Ast knackt. Ein Waldkauz schwebt lautlos über sie hinweg.

Die Angst sagt, sie solle in ihr Versteck zurückkehren. Doch der Hunger treibt sie vorwärts.

Zwanzig Minuten später ist sie am Ziel. Sie biegt vom Weg ab, kriecht unter einem Zaun hindurch auf eine Wiese, sprintet so schnell sie kann darüber hinweg und schlüpft unter die Zweige eines ausladenden Brombeerstrauches. Sie spürt jeden einzelnen Dorn, der über ihren Rücken kratzt, sich in ihre Oberschenkel bohrt. Sie presst Hals, Kopf und Bauch fest gegen den Boden und schiebt sich vorsichtig Stück für Stück vorwärts. Dann bleibt sie reglos liegen und starrt durch das Geäst.

Dort drüben, nur fünfzehn Meter von ihr entfernt, liegt ein Hof. An der Mauer neben dem Tor flackert das einsame Licht einer Laterne. Der Wind, der vom See heraufweht, schüttelt sie für einen Augenblick und lässt Licht und Schatten wie Betrunkene über die Mauern taumeln. Die Holzlatten des Bauernzauns erwachen plötzlich zum Leben. Ihre Schatten blähen sich auf, werden groß und mächtig, klettern an den Holzschindeln empor, verdunkeln die Geranien auf dem Balkon, schwanken dann haltlos, als hätten sie plötzlich Mut und Kraft verloren. Jetzt werden sie kleiner, ziehen sich zurück, wechseln willkürlich die Richtung, bis ein neuer Windstoß die Laterne wieder dreht. Die Schatten fassen neuen Mut, nehmen Anlauf und klettern erneut die hölzerne Fassade hinauf, als wären sie artistische Einbrecher.

In dem Versteck folgen ihre Augen jede dieser Bewegungen. Ein Dorn reißt ein Stück Haut auf, als sie sich ein Stück nach vorne schiebt. Die Bewegungen von Licht und Schatten beunruhigen sie. Doch kein Mensch ist auf dem Hof zu sehen, kein menschlicher Laut ist zu hören. Nur das Gurren eines Huhns und das schlafverlorene Blöken einiger Schafe in der Ferne.

Die Angst kommt zurück. Unmerklich zunächst, dann immer deutlicher drängt sie zur Flucht und lässt die Muskelstränge ihres Rückens zittern. Sie schiebt sich rückwärts. Sofort protestiert der Magen mit wütendem Knurren. Die Gedärme stechen, als würden die Stacheln der Brombeeräste an ihnen reißen. Sie schließt die Augen, um ihrer inneren Unruhe Herr zu werden. Für einen Augenblick ringen Hunger und Angst miteinander, und sie weiß nicht, wem sie folgen soll. Dann vertreibt der Hunger jedes andere Gefühl und jeden anderen Gedanken.

Vorsichtig schiebt sie sich aus dem Gebüsch.

Auf einem Baum sitzt ein junger Hahn. Er hat sie längst bemerkt. Das dumpfe nervöse Glucken verrät es ihr. Vielleicht bedauert er in diesem Augenblick, dass er an diesem Abend nicht mit den anderen Hühnern über die hölzerne Treppe in den Stall marschiert ist. Doch er fürchtete sich vor dem großen Hahn, dem Herrscher über alle Hühner und König dieses Hofes. Diese Furcht hat einen guten Grund. Gestern hatte er ihn zum ersten Mal herausgefordert und war auf eine junge Henne gestiegen, die abseits von den anderen und nicht in Sichtweite seines Widersachers unter dem Holunder nach Körnern pickte. Doch der große Hahn hörte sein Flügelflattern und rauschte wütend krähend heran. Dann jagte er ihn am Zaun entlang, und als er ihn an der Tränke erwischte, ging es ihm unter den Schnabelhieben des stärkeren Hahns gar nicht gut. Sicher, irgendwann wird er der Herrscher des Hofes sein, aber trotzdem schien es ihm nicht klug, die Nacht mit ihm in dem engen Stall zu verbringen.

Mit vier Sprüngen ist sie an dem Stamm und richtet sich auf. Der junge Hahn klettert auf seinem Ast ein paar Zentimeter weiter nach vorne. Doch er verliert nicht die Nerven. Irgendwann wird er den großen Hahn besiegen. Doch dazu muss er heute auf diesem Ast sitzen bleiben.

Sie trollt sich.

Der Hunger treibt sie auf den Feldweg zurück. Sie hält sich links am Waldrand. Immer sprungbereit. Immer bereit zur Flucht. Und doch: Sie ist nachlässiger mit ihrer Tarnung als beim Hinweg.

In ihrem Kopf formt sich ein neues Ziel. Vorsichtig, nach allen Seiten witternd, klettert sie über Schotter die Böschung eines Bahndamms hinauf. Mit zwei schnellen Sprüngen überquert sie ein Gleis. Dann umschließt sie wieder die Schwärze eines Dickichts. Sie ist in Sicherheit. Zweimal rennt sie über eine leere, vom Mond beleuchtete Straße. Dann senkt sich der Boden. Sie weiß: Unten ist der See. See bedeutet Enten. Enten bedeuten Futter. Enten bedeuten Ende des quälenden Hungers – wenn es ihr gelingt, eine zu fassen.

Sie streicht über eine breite Fläche abgestorbener Fichten. Wassermangel und hohe Temperaturen haben diesen Teil des Waldes in einen riesigen Friedhof verwandelt. Dürre braune Skelette ragen in die Nacht. Die Stämme einiger Bäume sind vom Baumschwamm überwuchert oder unterhalb der Mitte abgebrochen. Noch vor zwei Jahren transportierten diese Fichten in einem ununterbrochenen Strom Wasser aus dem Boden, pumpten es durch die Leitungsbahnen in ihren Stämmen zu den Ästen und Nadeln. Als der Boden austrocknete und die Wurzeln kein Wasser mehr fanden, riss der kontinuierliche Strom ab und in den Leitungen bildeten sich Luftblasen, die wie Embolien das lebenswichtige Gefäßsystem der Bäume zerstörte. Sie verdursteten und starben. Doch dort, wo nun Tageslicht auf den Boden fällt, strecken sich ihr junge Ahornpflanzen entgegen.

Sie hat keinen Sinn für das Drama von Sterben und Neubeginn. Sie bleibt stehen und lauscht. Dann steigt sie weiter hinab zum See.

Auf der Hälfte des Weges sticht ihr ein Geruch in die Nase.

Metallisch. Süß.

Schwer, als habe er Gewicht.

Diesen Geruch kennt sie seit ihrer Kindheit.

Blut.

Sie bleibt stehen.

Wittert. Lauscht.

Zittert.

Vorsichtig, jeden Schritt bedenkend, wendet sie sich nach links. Sie geht nicht mehr talabwärts, sondern bleibt auf gleicher Höhe. Sie weiß: Etwas weiter vorne gibt es einen Felsvorsprung. Von dort kann sie zum See hinuntersehen.

Ihre Fußballen dämpfen jedes Trittgeräusch.

Der Untergrund wird steiniger. Geduckt schiebt sie sich auf dem Felsvorsprung nach vorne. Sie weiß, dass sie im Mondlicht gesehen werden kann. Als sie die Spitze erreicht, sieht sie hinunter.

Dort unten, links von ihr, auf einem großen Felsblock liegt ein Mensch.

Weiblich. Tot.

Der Kopf unnatürlich verdreht.

Sie steht still. Atmet. Lauscht. Wittert. Und kann den Blick nicht von dem leblosen Körper wenden.

Dann...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2024
Reihe/Serie Dengler ermittelt
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Atomlobby • Energiepolitik • Georg Dengler • Korruption • Lokaler Widerstand • Politik • Privatdetektiv • Privatermittler • Provinzkriminalität • Russland • Schwarzwald • Windkraftanlagen
ISBN-10 3-462-32110-2 / 3462321102
ISBN-13 978-3-462-32110-4 / 9783462321104
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