Ein Krokodil für Mma Ramotswe (eBook)
272 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70547-5 (ISBN)
1
Mma Ramotswe betrieb in Afrika eine Privatdetektei, am Fuß des Kgale Hill. Das Inventar bestand aus: einem kleinen weißen Lieferwagen, zwei Schreibtischen, zwei Stühlen, einem Telefon und einer alten Schreibmaschine. Dann gab es einen Teekessel, in der Mma Ramotswe – die einzige Privatdetektivin in Botswana – Rotbuschtee zubereitete. Und drei Tassen – eine für sie selbst, eine für ihre Sekretärin und eine für ihre Kundschaft. Was brauchte eine Privatdetektei mehr? Privatdetekteien leben von menschlicher Intuition und Intelligenz, Eigenschaften, über die Mma Ramotswe reichlich verfügte. Natürlich tauchten diese Eigenschaften auf keiner Inventarliste auf.
Da war auch noch der Blick, der ebenfalls auf keiner Inventarliste auftauchen konnte. Wie könnte eine solche Liste auch nur halbwegs anschaulich beschreiben, was man sah, wenn man aus Mma Ramotswes Tür hinausschaute? Ganz vorne, eine Akazie, der Dornenbaum, der die weiten Flächen der Kalahari bevölkert. Seine weißen Dornen sind eine einzige Warnung, gemildert von dem zarten olivgrauen Laub. In seinen Zweigen kann man am Spätnachmittag oder in der kühlen Frische des frühen Morgens einen Go-Away-Vogel sehen – oder besser gesagt, hören. Und hinter der Akazie, auf der anderen Seite der staubigen Straße, teilweise verborgen unter einem Baldachin aus Baumkronen und hohem Buschwerk, die Dächer der Stadt. Schließlich am Horizont, im blauen Hitzeflimmern, die Berge wie phantastische, überwachsene Termitenhügel.
Alle nannten sie Mma Ramotswe, obwohl die Leute, wenn sie besonders höflich sein wollten, sie auch mit Mme. Mma Ramotswe anreden konnten. So gehört es sich für eine Persönlichkeit von Format, aber sie hatte nie darauf bestanden. Daher hieß es immer Mma Ramotswe anstatt Precious Ramotswe, ein Name, den nur sehr wenige benutzten.
Sie war eine gute Detektivin und eine gute Frau. Eine gute Frau in einem guten Land, könnte man sagen. Sie liebte ihr Land, Botswana, als einen Ort des Friedens, und sie liebte Afrika, trotz all seiner Plagen. Ich schäme mich nicht, als afrikanische Patriotin betrachtet zu werden, sagte Mma Ramotswe. Ich liebe alle von Gott geschaffenen Menschen, aber ich liebe ganz besonders die Menschen, die hier leben. Sie sind mein Volk, meine Brüder und Schwestern. Es ist meine Pflicht, ihnen zu helfen, die Probleme und Rätsel in ihrem Leben zu lösen. Dazu und zu nichts anderem fühle ich mich berufen.
In stillen Momenten, wenn es nichts Dringendes zu erledigen gab und wenn jedermann von der Hitze schläfrig war, setzte sie sich unter die Akazie. Es war ein staubiger Sitzplatz, und gelegentlich erschienen dort ein paar Hühner und pickten um ihre Füße herum, aber es war ein Platz, der einen dazu brachte nachzudenken. Hier war es, wo Mma Ramotswe sich einige von den Dingen durch den Kopf gehen ließ, die im alltäglichen Einerlei sehr leicht übersehen oder beiseitegeschoben werden.
Alles, so dachte Mma Ramotswe, war irgendwann etwas anderes gewesen. Hier bin ich, die einzige Privatdetektivin in ganz Botswana, und sitze vor meiner eigenen Privatdetektei. Aber es ist nur wenige Jahre her, da gab es noch keine Privatdetektei, und davor gab es hier noch nicht einmal irgendwelche Gebäude, hier standen nur Akazien, und ein Stück entfernt war das Flussbett und dahinter die Kalahari, und alles ganz nahe.
Damals gab es noch nicht einmal ein Botswana, nur das Protektorat Betschwanaland, und davor war das Ganze Khamas Land, und da waren nur Löwen, deren Mähnen im trockenen Wind flatterten. Aber sieh es dir jetzt mal an: eine Privatdetektei, hier in Gaborone, und ich, die dicke Detektivin, sitze draußen davor und denke darüber nach, dass alles, was heute etwas ist, schon morgen etwas ganz anderes sein kann.
Mma Ramotswe gründete die No. 1 Ladies’ Detective Agency mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Rinder ihres Vaters. Er hatte eine große Herde besessen und außer seiner Tochter Precious keine anderen Kinder gehabt. So ging jedes einzelne Tier, alle hundertachtzig Stück, an sie, inklusive der weißen Brahmabullen, deren Großeltern er selbst gezüchtet hatte. Die Rinder wurden vom Viehgehege zurück nach Mochudi getrieben, wo sie im ewigen Staub unter den wachsamen Augen der ständig schwatzenden Hirtenjungen warteten, bis der Viehhändler erschien.
Die Tiere erzielten einen guten Preis, da es in jenem Jahr starke Regenfälle gegeben hatte und das Gras üppig und saftig gewesen war. Wäre es das Jahr vorher gewesen, als große Teile des südlichen Afrikas von einer Dürre heimgesucht worden waren, dann hätte es ganz anders ausgesehen. Damals hatten die Leute gezögert. Sie hatten ihr Vieh behalten wollen, da man ohne Vieh praktisch nackt war. Andere, die verzweifelter waren, hatten schon verkauft, weil der Regen ein ums andere Jahr ausgeblieben war, und sie hatten mitansehen müssen, wie das Vieh immer mehr abmagerte. Mma Ramotswe freute sich, dass die Krankheit ihres Vaters ihn davon abgehalten hatte, irgendeine Entscheidung zu treffen, da der Preis jetzt in die Höhe gegangen war und all jene, die durchgehalten hatten, reich belohnt wurden.
»Ich möchte, dass du dein eigenes Geschäft hast«, sagte er auf seinem Totenbett zu ihr. »Du kriegst für das Vieh jetzt einen guten Preis. Verkauf die Tiere und kauf ein Geschäft. Eine Metzgerei. Oder einen Getränkeladen. Was du willst.«
Sie ergriff die Hand ihres Vaters und blickte in die Augen des Mannes, den sie mehr liebte als jeden anderen, ihren Daddy, ihren weisen Daddy, dessen Lungen voll waren mit dem Staub aus den Minen und der eisern gespart hatte, um ihr zu einem schönen Leben zu verhelfen.
Sie hatte Tränen in den Augen, und ihre Kehle war wie zugeschnürt, aber sie brachte dann doch heraus: »Ich gründe eine Privatdetektei. Unten in Gaborone. Es wird die beste in ganz Botswana sein. Die No. 1 Detective Agency.«
Für einen kurzen Moment weiteten sich die Augen ihres Vaters, und es schien, als wollte er etwas sagen.
»Aber … aber …«
Doch er starb, ehe er weiterreden konnte, und Mma Ramotswe warf sich auf ihn und weinte um all die Würde und Liebe und all das Leiden, das mit ihm gestorben war.
Sie hatte ein Schild in hellen Farben malen lassen, das dann an der Lobatse Road, am Stadtrand, aufgestellt wurde und auf das kleine Haus hinwies, das sie gekauft hatte:
DIE NO. 1 LADIES’ DETECTIVE AGENCY FÜR ALLE VERTRAULICHEN ANGELEGENHEITEN UND ERMITTLUNGEN. PROMPTE ERLEDIGUNG UND ABSOLUTE DISKRETION GARANTIERT.
Die Eröffnung war von erheblichem öffentlichem Interesse gewesen. Radio Botswana brachte ein Interview, in dem sie höchst unhöflich dazu gedrängt wurde, ihre Qualifikationen offenzulegen; die Botswana News brachten einen wesentlich befriedigenderen Artikel, der auf die Tatsache verwies, dass sie die einzige Privatdetektivin des Landes war. Dieser Artikel wurde ausgeschnitten, kopiert und gut sichtbar an einem kleinen Brett neben dem Eingang der Detektei befestigt.
Nach einem langsamen Anfang stellte Mma Ramotswe mit Überraschung fest, dass ihre Dienste äußerst begehrt waren. Sie wurde über verschollene Ehemänner befragt, über die Kreditwürdigkeit potenzieller Geschäftspartner und über Mitarbeiter, die im Verdacht standen, Betrügereien begangen zu haben. In beinahe jedem Fall konnte sie ihrem Kunden zumindest einige Auskünfte geben. War dies nicht der Fall, verzichtete sie auf ihr Honorar, was bedeutete, dass praktisch niemand, der sie zurate zog, unzufrieden war. Die Menschen in Botswana redeten gern, stellte sie fest, und die reine Erwähnung der Tatsache, dass sie Privatdetektivin war, löste einen wahren Wortschwall über alle möglichen Themen aus. Es schmeichelte offensichtlich den Leuten, von einer Privatdetektivin angesprochen zu werden, das lockerte ihre Zungen. Auch Happy Bapetsi, eine ihrer ersten Kundinnen, hatte keine Scheu, mit ihr zu reden. Die arme Happy! Ihren Daddy verloren zu haben und ihn dann zu finden und wieder zu verlieren …
»Ich hatte mal ein glückliches Leben«, sagte Happy Bapetsi. »Ein sehr glückliches Leben. Dann passierte diese Sache, und jetzt kann ich das nicht mehr behaupten.«
Mma Ramotswe beobachtete ihre Kundin, während sie den angebotenen Rotbuschtee schlürfte. Alles, was man über einen Menschen wissen wollte, stand in seinem Gesicht geschrieben. Nicht, dass sie meinte, die Kopfform zähle – auch wenn es noch viele gab, die an diesem Glauben festhielten –, es ging eher darum, die Linien und den Ausdruck genauestens zu studieren. Und die Augen natürlich; sie waren sehr wichtig. Die Augen erlaubten es einem, tief in das Innere eines Menschen zu blicken, seinen Kern zu durchdringen. Deshalb trugen Leute, die etwas zu verbergen hatten, auch drinnen Sonnenbrillen. Sie musste man sehr genau beobachten.
Nun, diese Happy Bapetsi war intelligent. Das war gleich zu sehen. Sie hatte außerdem wenig Sorgen – das war daran zu erkennen, dass sich, außer ein paar Lachfältchen natürlich, keine Falten in ihrem Gesicht zeigten. Also Probleme mit Männern, dachte Mma Ramotswe. Irgendein Mann ist aufgetaucht und hat ihr alles verdorben, ihr Glück mit seinem schlechten Benehmen zerstört.
»Lassen Sie mich erst einmal von mir erzählen«, sagte Happy Bapetsi. »Ich komme aus Maun, wissen Sie, oben am Okavango. Meine Mutter hatte einen kleinen Laden,...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
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Übersetzer | Gerda Bean |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Afrika • Botswana • Detektivin • Ermittlung • Kalahari • Krimi • Wüste |
ISBN-10 | 3-311-70547-5 / 3311705475 |
ISBN-13 | 978-3-311-70547-5 / 9783311705475 |
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