Appenzeller Abrechnung (eBook)
240 Seiten
Atlantis Literatur (Verlag)
978-3-7152-7547-5 (ISBN)
Christian Johannes Käser bezeichnet sich selbst als »Heimweh-Appenzeller«. Aufgewachsen in Herisau, schrieb er schon als Jugendlicher für die Appenzeller Zeitung, das St. Galler Tagblatt und das Kulturmagazin Saiten. Nach dem Studium der Philosophie hat er seine Leidenschaft für das Theater zum Beruf gemacht und als Schauspieler und Musiker in verschiedensten Theater- und Musicalproduktionen mitgewirkt. 2005 gründete er zusammen mit vier Schauspieler*innen die anundpfirsich GmbH, inzwischen gilt das Ensemble als einflussreichste und prägendste Improtheater-Gruppe der Schweiz. Mit seiner »Musikalischen Stegreif Comedy« hat Käser ein neues Genre erfunden und tritt in Kleintheatern, bei Kongressen, Tagungen und anderen Events auf. Neben der Arbeit auf der Bühne arbeitet er als Coach an der Atelierschule Zürich und gibt Seminare zum Thema Kommunikation und Präsenz. Käser lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Zürich. Appenzeller Abrechnung ist sein erster Roman.
Christian Johannes Käser bezeichnet sich selbst als »Heimweh-Appenzeller«. Aufgewachsen in Herisau, schrieb er schon als Jugendlicher für die Appenzeller Zeitung, das St. Galler Tagblatt und das Kulturmagazin Saiten. Nach dem Studium der Philosophie hat er seine Leidenschaft für das Theater zum Beruf gemacht und als Schauspieler und Musiker in verschiedensten Theater- und Musicalproduktionen mitgewirkt. 2005 gründete er zusammen mit vier Schauspieler*innen die anundpfirsich GmbH, inzwischen gilt das Ensemble als einflussreichste und prägendste Improtheater-Gruppe der Schweiz. Mit seiner »Musikalischen Stegreif Comedy« hat Käser ein neues Genre erfunden und tritt in Kleintheatern, bei Kongressen, Tagungen und anderen Events auf. Neben der Arbeit auf der Bühne arbeitet er als Coach an der Atelierschule Zürich und gibt Seminare zum Thema Kommunikation und Präsenz. Käser lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Zürich. Appenzeller Abrechnung ist sein erster Roman.
2
30 Jahre später
Als am Ufer der Urnäsch ein Wanderer die Leiche derachtundvierzigjährigen Karin Äschermann, geborene Bendel, entdeckte, saß Jock Kobel in einer Dachwohnung an der Gossauerstrasse in Herisau vor seinem Plattenspieler. In der Hand hielt er das Bild eines brennenden Zeppelins. Er entfernte die Plastikhülle und betrachtete diesen fragilen Flugkörper, der dabei war, in die Tiefe zu stürzen. Dann ließ er die Vinylplatte in seine rechte Hand gleiten, drehte sie elegant nach allen Seiten und sog ihren Geruch ein. Schließlich legte er die Nadel vorsichtig auf die Rillen. Zu einem schweren Gitarrenriff stimmte Robert Plant ein Klagelied über das Dasein als Mann an. Für Jock hatte Led Zeppelin immer perfekt zum Appenzellerland gepasst. Auch als er in Zürich gewohnt hatte, erinnerte ihn diese Kombination aus harmonischen Klängen und harten, direkten Rockriffs an die sanften Hügel, die zum Alpstein in klare Felsformationen übergingen.
Wenn er hier an der Gossauerstrasse aus dem Fenster schaute, sah er keine sanften Hügel und Felsen, sondern einen Betonbau aus den Achtzigern, der sich zwischen die Appenzeller Häuser gedrängt hatte. Es war nicht der einzige Schandfleck, den Herisau zu bieten hatte. Doch ein Blick auf die Kirchturmuhr der reformierten Kirche, die gleich dahinterlag, ließ ihn aufspringen. Er sollte längst im Präsidium sein. Mit einer schnellen Handbewegung stoppte er den Plattenspieler, griff nach der schwarzen Lederjacke, strich sich einige Strähnen seiner struppigen, leicht ergrauten Haare aus den Augen und stürzte aus der Wohnung.
Als er draußen auf das Kopfsteinpflaster trat, begrüßte ihn von der gegenüberliegenden Straßenseite mit einem Lächeln Santiago Rubio, der Besitzer des Musikladens Musica Viva. Er trug ein kurzärmliges Hemd mit leuchtend gelben Zitronen und hielt inne, seine Schaufensterscheibe weiterzuputzen, hinter der ein knallgelbes Schlagzeug stand, umrahmt von Gitarren in verschiedensten Formen und Farben.
»Du brauchst eine neue Gitarre, Comisario, gib’s zu?«, rief Santiago ihm zu.
»Sorry, Mann, aber ich hab keine Zeit, ich muss zum Präsidium.« Jock wechselte die Straßenseite. Er wollte nicht zu rüde wirken und schüttelte dem Musikladenbesitzer die Hand. »Du sollst mich nicht Comisario nennen. Jock, einfach Jock.«
»Du bist doch Comisario?«
»Den Kommissar, den gibt’s bei uns nicht. Ich wäre … ja, egal, ich bin halt einfach ein Polizist.«
Santiago nickte, so als ob er genau verstanden hätte.
»Was für eine Brett kann ich dir verkaufen?«
»Santi, ich brauch keine Gitarre.«
»Ihr habt doch bald eine Gig im Mötli, oder?«
»Du kommst vorbei?« Jock strahlte bei dem Gedanken an den Auftritt mit seiner Band. Die Proben mit den Jungs von The Heartpacemakers gehörten für ihn zu den Lichtblicken der Woche.
»Claro. Ich hasse diesen Heavy-Metal-Lärm. Pero, ich komme. Und? Kommt sie auch?« Santiago lächelte verschwörerisch.
»Hör mir auf. Ich hätte dir das nicht erzählen sollen. Das ist nicht wirklich was Ernstes«, wand sich Jock. »Sie ist verheiratet.«
»Und warum sehe ich dann da dieses Schmunzeln im Gesicht?«, fragte Santiago, während er leicht mit dem Kopf hin- und herwippte.
Jock dachte an den Zettel, den sie ihm geschrieben hatte. Schlaf gut, mein Schöner – Flickflauder-Kuss. War er bereit für eine Beziehung? Und dann auch noch mit einer verheirateten Frau? Er war sechsundvierzig Jahre alt, hatte aber bis jetzt noch nie eine Beziehung geführt, die länger als ein paar Monate gedauert hatte. Sein Vater hatte kein gutes Vorbild abgegeben, weder die Beziehung zu Jock noch zu Jocks Mutter war für ihn besonders wichtig gewesen. Er hatte ihm die Liebe zur Musik mitgegeben, die Liebe zum Rock ’n’ Roll, wie es sein Vater immer genannt hatte. Rock ’n’ Roll war bei ihm alles, was sich echt anfühlte, alles, was Seele hatte. Soul. So hatte er ihm den Namen Joe gegeben, zu Ehren von Joe Cocker, der beim Singen mit dem Song zu verschmelzen schien. Das Verschmelzen mit dem Song hatte Jock auch bei seinem Vater gesehen, wenn er ihn als Kind mit dem schwarz lackierten Elektro-Bass auf der Bühne beobachtete. Es war eine Form der Präsenz, die er im Alltag mit dem Sohn nie hingekriegt hatte. Lag es an seinem Charakter, dem routinierten Konsum von Cannabis oder daran, dass er als Musiker ständig auf Tour war? Jock konnte es bis heute nicht sagen, aber irgendwann wurde es der Mutter zu viel. Als sich die Eltern trennten, nannte seine Mutter ihn nur noch Jock. Für sie klang es wieder etwas mehr nach ihrer alten Heimat, dem Appenzellerland.
Er gab Santiago einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und zeigte auf sein Handy. Drei Anrufe in Abwesenheit von seiner Kollegin Silvana di Novi. Jock drückte auf Rückruf.
»Wo steckst du?«, fragte Silvana mit schriller Stimme.
»Sorry, ich bin gleich auf dem Präsidium. Du kannst mir alles dort …«
»Komm sofort zum Rossfall. Wir haben eine Leiche.«
Zwanzig Minuten später parkte er seinen violetten Nissan neben dem Restaurant Rossfall. Die Läden waren geschlossen, die Gartenbeiz mit den angeketteten Metalltischen lag verlassen da. Die grüne Rutschbahn hinter dem Haus wartete vergebens auf lachende Kinder. Jock blickte hoch zum Säntis, der zwischen den Wolkenfetzen seine felsigen Flanken zeigte. Die Schwere eines abrupten Todes lag in der Luft. Hinter dem Gebäude führte ein schmaler Pfad durch den Wald, und keine hundert Meter weiter sah er das Absperrband der Kantonspolizei. Daneben stand ein Beamter, den Jock auf Mitte zwanzig schätzte und der aufgeregt an seiner Uniform herumnestelte.
Jock zeigte ihm seinen Ausweis, was angesichts seines Iron-Maiden-T-Shirts und der ausgetretenen blauen Turnschuhe von Adidas auch nötig war. Dann schaute er vom Weg den Abhang hinunter. Zwischen den Bäumen konnte er eine Gruppe erkennen, die auf dem Kies am Ufer des Flusses stand. Und ein weißes Tuch, das einen menschlichen Körper verdeckte.
Als er den jungen Beamten nach dem einfachsten Weg zum Fluss fragen wollte, hörte er hinter sich Silvana Di Novis Stimme.
»Du solltest dir angewöhnen, ans Telefon zu gehen, wenn man dich anruft.«
Jock drehte sich um und blickte in die dunklen Augen seiner Kollegin, die sie immer leicht zusammenkniff, wenn sie redete. Sie war recht klein und hatte einen kräftigen Körper.
»Ich hab volles Vertrauen in dich. Was ist denn passiert?«, fragte Jock.
Silvana trippelte nervös mit beiden Beinen auf dem Waldboden herum, so als ob sie sich für einen Langstreckenlauf aufwärmen wollte.
»Ein Wanderer hat eine Frau tot aufgefunden. Sie ist hier in die Tiefe gestürzt, und es deutet alles darauf hin, dass sie nicht versehentlich runtergefallen ist.«
»Sie wurde gestoßen?«
»Die Wunden am Kopf deuten darauf hin, dass sie mit einem harten Gegenstand erschlagen wurde und dann hinunterstürzte. Vermutlich gestern Abend. Komm.« Silvana deutete auf eine etwa zwanzig Meter weiter rechts liegende Stelle, wo der Abhang weniger steil war und man sich an Wurzeln festhalten konnte, und schloss ihre schlichte Funktionsjacke bis unters Kinn.
Vorsichtig kletterten die beiden zum Fluss hinunter. Jock fröstelte. Der Wind trieb die Wolken etwas weg, und einzelne Sonnenstrahlen drangen durch die Baumwipfel. Durch den Wald hörte er die Geräusche der Motorräder, die auf der Schwägalpstrasse gegen die Schwerkraft ankämpften.
Als sie unten auf dem Kies ankamen, schaute Jock hoch zum Weg. Der Abhang war hier steil und felsig. Er grüßte kurz die Leute von der Spurensicherung, die aber beschäftigt waren, dann wandte sich Jock an Silvana.
»Wisst ihr schon, wer das Opfer ist?«
»Karin Äschermann, geborene Bendel, das ist die Tochter vom Restaurant-Kreuz-Wirt aus Hundwil …«
Jock schaffte es nicht mehr zuzuhören. Sein Blick suchte den weißen Stoff, der den Körper des Opfers bedeckte, wobei er sich ohne Grund auf eine Amsel konzentrierte, die daneben Krümel vom Boden aufpickte. Dann starrte er auf den Arm, der auf der Seite herauslugte. Er war leicht verdreht. Jock wartete darauf, dass sich dieser Arm bewegte, dass der Mensch, der dort unter dem Tuch lag, aufstehen und alles als einen billigen Scherz abtun würde. Er merkte, wie ihn die Übelkeit erfasste.
Bendel, Äschermann. Beide Namen lösten in ihm etwas aus. Da war Karin Bendel, die Tochter des Kreuz-Wirtes, die zur jungen Frau wurde, in dem Jahr, als Jock mit seiner Mutter die Wohnung in Hundwil geräumt hatte und nach Zürich gezogen war; und dann war da Karin Äschermann, die verheiratete Frau, die ihm in Herisau wiederbegegnet war.
Der Fluss gurgelte und rauschte gleichmäßig. Die Vögel schienen sich über die wärmeren Temperaturen zu freuen und zwitscherten vielstimmig in den Zweigen. Für die Natur war nichts Außergewöhnliches geschehen.
»Jock, hörst du mir überhaupt zu?« Silvana schien zu schreien.
»Ja, klar. Ich muss vermutlich einfach schnell …«
Weiter kam er nicht, denn er hatte gerade noch Zeit, eine Hand an den nächsten Baum zu pressen, dann übergab er sich auf die Kieselsteine, die den Fluss säumten. In seinem Kopf drehte sich alles, und er wollte nur weg von hier.
»Wir sehen uns nachher im Präsidium«, stammelte er. »Es war gut, ich konnte mir einen Eindruck verschaffen, ich muss jetzt erst mal nachdenken.«
Silvana schaute ihn misstrauisch an. Jock lächelte, als ob er es auf der Schauspielschule gelernt hätte, und grüßte von Weitem Pierina Otènger, die Gerichtsmedizinerin, die...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
---|---|
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Appenzeller • Ausserhoden • Feminsmus • Femizid • Frauenstimmrecht • Herisau • Hundwil • Krimi • Leiche • Liebe |
ISBN-10 | 3-7152-7547-2 / 3715275472 |
ISBN-13 | 978-3-7152-7547-5 / 9783715275475 |
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Größe: 793 KB
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