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Vergeltung (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
432 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-31022-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vergeltung - Karin Smirnoff
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Der achte Band der international erfolgreichen Millennium-Reihe
Langsam kehrt die Sonne in den Norden Schwedens zurück, doch die Lage in der kleinen Stadt Gasskas ist düster: Die Bodenschätze der Region werden ohne Rücksicht auf Land und Leute ausgebeutet. Eine Gruppe von Aktivisten, denen sich auch Lisbeth Salanders Nichte Svala anschließt, will verhindern, dass der stillgelegte Tagebau zu neuem Leben erweckt wird. Doch für ihre Vision eines Bergbauimperiums scheuen gnadenlose Unternehmer auch vor Mord nicht zurück. Während Mikael Blomkvist einen neuen Job bei der Gasskaser Zeitung antritt, sucht Lisbeth mit seiner Hilfe nach ihrem verschwundenen Freund, dem Hacker Plague. Als die Fäden zusammenlaufen, erkennt Salander, dass jemand es eigentlich auf sie und Svala abgesehen hat. Und rüstet zum Kampf gegen alte und neue Gegner.

»Frisch, furchtlos, nah an den Vorgängern und trotzdem originell. Eine der weltweit erfolgreichsten Krimireihen könnte nicht in besseren Händen sein. Ich bin ein Fan.« Chris Whitaker

Karin Smirnoff, geboren 1964 in Umeå, ist durch ihre Romane um die Figur Jana Kippo eine der bekanntesten Autorinnen Schwedens. Ihr Debüt 'Mein Bruder' war für den bedeutenden August-Preis nominiert. Zuvor hat sie u.a. als Journalistin, Altenpflegerin und Karatelehrerin gearbeitet. Bereits der Auftakt zur ihrer neuen Millennium-Trilogie, die die Erfolgsreihe von Stieg Larsson fortsetzt, war in Schweden ein Nr.-1-Bestseller. Allein in Deutschland haben sich die Romane um Blomkvist und Salander 10 Millionen Mal verkauft. Smirnoff und Larsson stammen aus derselben Region in Nordschweden.

6. Kapitel


Es hat etwas Befreiendes, sich in einen Streifenwagen zu setzen und Einsätze zu fahren, die einander zwar ähneln, aber doch immer unterschiedlich sind. Die Sonne steht hoch am Himmel, sie selbst stehen noch auf dem Parkplatz, sehen nach oben und drehen die gräulich blasse Bürohaut in Richtung des brutalen Frühlingslichts.

Die Welt wird durch Kriege, Naturkatastrophen und Schwedendemokraten immer elender, aber für einen kurzen Moment ist das Leben herrlich.

»Los, fahren wir«, sagt Birna Guðmundurdottir. »Wetten, Faste steht schon mit dem Fernglas da und beobachtet uns?«

Faste, Hans Faste, Chef des Dezernats für Gewaltverbrechen. Wenn es nach Lisbeth Salander ginge, stünde etwas komplett anderes auf seiner Visitenkarte.

»Soll er doch. Nur noch zwei Minuten.« Jessica Harnesk zieht die Schultern nach unten und genießt die Sonnenstrahlen auf den verspannten Muskeln.

Pling. Scheiße, ihr Handyton ist noch an. Und noch mal Pling. Bevor sie einsteigt, kramt sie noch eine Kopfschmerztablette aus der Brusttasche und würgt sie trocken hinunter. Noch so eine Woche in diesem Drecksjob, und das war’s.

»Also, wohin?«, fragt sie, obwohl sie Fastes giftige Stimme aus der Morgenbesprechung noch im Ohr hat. Es vergeht kein Tag, an dem sie nicht darüber nachdenkt, das Handtuch zu werfen. Wenigstens sind die anderen noch da, Birna zum Beispiel, und hin und wieder womöglich auch Überlegungen in Sachen Zukunft.

Dieser Faste-Arsch muss doch irgendwann in Rente gehen. Oder unverhofft tot umfallen. Sie wird ihm nicht nachtrauern, nicht mal so tun, als ob. Das Autoradio krächzt los.

»Erst nach Svartluten«, sagt Birna und tippt auf ihr Handydisplay. »Virkesvägen 7b. Ein gewisser Ivar Eriksson hat bei seinen Nachbarn verdächtige Geräusche gehört.«

Sie ruft ihn an.

»Hallo«, meldet sie sich, als er rangeht. »Was genau ist denn passiert?«

»Nichts weiter, muss mich verhört haben.«

Birna hakt trotzdem nach, was er gehört haben will, doch darauf antwortet er nicht.

»Hallo?« Dann noch mal: »Hallo?«, doch Ivar Eriksson hat bereits aufgelegt.

Von der Industrigatan biegen sie in den Virkesvägen ab. Birna wirft Jessica einen flüchtigen Blick zu.

»Wohnt deine Mutter nicht hier irgendwo?«

»Hat sie mal, ja. Ist aber wohl umgezogen. Ich glaube, vor ein paar Jahren kam mal eine Karte mit einer neuen Adresse.«

»Wenn du willst, fahren wir nachher mal vorbei.«

»Warum sollte ich das wollen?« Sie stellen den Wagen vor der Hausnummer 7b ab. »Sollen wir dann auch gleich nach Island und deine Mutter besuchen?«

Sie sehen einander missmutig an und klingeln an Ivar Erikssons Tür. Gehen weiter zur 7a und klingeln dort ebenfalls. Na ja, gehen – sie klettern über den Schrott, der sich vor dem Haus türmt: Überreste eines Küchentischs, ein aufgeschlitzter Sessel, Kartons und anderer Müll, der auf schnellstem Wege nach draußen befördert und mit Reifen und Müllsäcken dekoriert wurde.

Im Gegensatz zur Nachbarstür, die entweder mal ausgetauscht oder zwischenzeitlich zumindest lackiert wurde, ist die Tür zur 7a noch immer die ursprüngliche. Sie setzt sich verbissen dem Wetter und Geschrei zur Wehr.

»Du Scheißhure, dich bring ich um!«, brüllt jemand, und jemand anderes antwortet: »Mach doch, du impotentes Arschloch!«

Birna drückt gegen die verzogene Tür. Erst als sie sich zu zweit dagegenstemmen, lässt sie sich weit genug öffnen.

Die Stimmen kommen aus dem rückwärtigen Teil des Hauses, und obwohl sie beide Hallo? und Polizei! rufen, geht der Streit unvermindert weiter.

Was das für Geräusche sind, könnten sie nicht mal sagen; ein Kopf vielleicht, der gegen eine Wand schlägt? Oder Gegenstände, die geworfen werden. Nichts Ungewöhnliches jedenfalls. Auseinandersetzungen unter Besoffenen sind Alltag, gerade an einem Lohntütenfreitag.

Die Doppelhäuser am Virkesvägen und Timmervägen wurden Anfang der Siebzigerjahre alle mit dem gleichen Grundriss erbaut: ein schmaler Flur, von dem Schlafzimmer und ein Bad abgehen. Eine Küchentheke trennt Küche und Hauswirtschaftsraum vom Wohnzimmer. Dahinter ein Gärtchen mit Blick auf die Zellstofffabrik.

Der Grund für den Siedlungsbau in Svartluten – besagte Fabrik – lässt sich vielleicht eine Zeit lang verdrängen, doch sobald man ein Fenster öffnet, weiß man es wieder. Die ganze Gegend stinkt nach verrottetem Fisch, vor allem wenn der Wind aus Westen kommt.

Es riecht nach Geld. Hat er das nicht immer gesagt? Dieser Idiot Göran, mit dem Jessicas Mutter zusammengezogen war. Und sie daraufhin: Hier, unser Gästezimmer, so kannst du mal zu Besuch kommen. Wir könnten zusammen den Garten machen, Erdbeeren pflanzen zum Beispiel. Du magst doch Erdbeeren.

Erdbeeren mochte Jessica noch nie. Sie ist gegen Erdbeeren dermaßen allergisch, dass sie mal im Krankenhaus gelandet ist, als ihre Mutter Erdbeeren in eine Geburtstagstorte geschmuggelt hatte.

In der 7a klebt immer noch die ursprüngliche Tapete mit einem grün-rosa-gelben Medaillonmuster an der Wand, auf dem Fußboden liegt dunkelbrauner Teppichboden. Im Maklerjargon hieße das wohl charmante Originaldetails.

Sie gehen auf die Stimmen zu, mäandern um Kleiderhaufen und Mülltüten herum, die es nicht bis raus zur Tonne geschafft haben.

Birna schiebt eine der Zimmertüren auf, dann die nächste, die sie genauso schnell wieder schließt.

»Puh, wie das stinkt! Irgendwas ist da verreckt! Darum kümmern wir uns später.«

Es stinkt wie bei ihrer ersten Begegnung mit Göran. In diesem Haus hab ich das Sagen, nur dass du es weißt.

Zuerst sehen sie die Eckcouch und jemanden, der darauf liegt, als Nächstes einen Mann, der steht, und dann die Frau, die mit blutüberströmtem Gesicht an der Wand kauert. Die Augen sind bloß noch Schlitze inmitten aufgeplatzter Haut. Nur das Mundwerk ist immer noch voll funktionsfähig.

»Dann schlag mich halt tot, du nutzloser Feigling! Oder schaffst du nicht mal mehr das?«

Irgendwas hält er in der Hand. Ein Werkzeug. Jessica fällt die Bezeichnung nicht mehr ein, aber die ist gerade auch nicht wesentlich. Als der Mann den Arm hebt und zielt, rammt sie ihn von der Seite. Das Werkzeug verfehlt den Kopf der Frau, geht stattdessen durchs Fenster, und jetzt scheint er nicht mehr nur wütend zu sein, sondern rasend vor Zorn. Er stößt Jessica von sich weg, setzt einen halb geglückten Tritt gegen ihr Knie und rappelt sich wieder hoch.

Voll wie eine Haubitze, aber wieselflink greift er zu einem Metallkolben, der als Aschenbecher für zig zum Teil noch qualmende Kippen dient, schwingt ihn und trifft alles, was ihm in die Quere kommt: Stehlampen, Zimmerpflanzen, Bilder. Es ist klar, worauf er es abgesehen hat. Die Frau kreischt nicht mal mehr, sie lacht nur noch, lacht wie eine Geisteskranke.

»Fallen lassen, oder ich schieße!«, schreit Birna, und er erstarrt, als hätte er sie jetzt erst bemerkt. »Fallen lassen!«, schreit sie erneut, und mit einem dumpfen Geräusch geht der Ascher zu Boden.

Der Mann dreht sich um. Hebt zwar die Arme, doch irgendwas ist mit seinen Augen, mit dem Blick. Er grient. Schaut sich um, als wollte er sich ansehen, was er geleistet hat. Sein Blick besagt: Legt euch nicht mit mir an. In diesem Haus hab ich das Sagen. Er macht einen Schritt nach vorn, dann noch einen.

»Stehen bleiben!«, schreit Birna, trotzdem steht er plötzlich so nah vor ihr, dass ihr sein Mundgeruch entgegenweht.

»Hinter dir!« Jessicas Warnung kommt zu spät. Die Person auf der Couch schnellt hoch und packt Birnas Arm. Die Waffe gleitet ihr aus der Hand, und sie kann sie gerade noch rechtzeitig unters Sofa treten.

Jessica reagiert binnen eines Sekundenbruchteils. Ein Schuss löst sich und setzt sich wie ein Paukenschlag über die Trommelfelle und durch den ganzen Körper fort. Dann schießt sie ein zweites Mal.

Einer sackt zurück aufs Sofa und kotzt. Ein anderer kauert sich in Embryonalstellung am Boden zusammen. Zwei Polizistinnen schließen Handschellen um Handgelenke, und Stimmen krächzen durchs Funkgerät. Ein Notarzt sei unterwegs, Verstärkung ebenfalls und sicher auch bald die Presse.

Als es endlich still wird, sind nur noch vereinzelte Schluchzer zu hören.

»Sind Kinder im Haus?«, will Birna wissen. Sie hat sich Latexhandschuhe übergestreift und untersucht die blutende Frau, die immerhin aufgehört hat zu lachen. Sie schüttelt den Kopf.

Jessica beugt ein paarmal ihr Knie, um sicherzustellen, dass sie es belasten kann. Aus den Einschusslöchern in der Decke rieseln Holzspäne. Sie steigt über den Mann am Boden hinweg, der mittlerweile aufgehört hat zu schluchzen und möglicherweise eingeschlafen ist.

Göran schlief auch immer irgendwann ein. Gern mit dem Blut ihrer Mutter auf den Fingerknöcheln.

»Wenn mein Knie nicht so scheiße wehtun würde, würd ich dir jetzt die Eingeweide raustreten«, knurrt sie und humpelt in Richtung Küche. Ein Geräusch, das wieder verklingt. Doch an der Tür zum Hauswirtschaftsraum ist es wieder deutlicher zu hören.

»Ich glaube, das ist ein Hund.« Sie zieht die Tür ein Stück weit auf. Dahinter ist es dunkel, bis auf einen Spalt zwischen dem Fensterrahmen und einer Decke, die zum Abdunkeln vor das Fenster gehängt wurde.

Der Urin- und Fäkalgestank treibt ihr die Tränen in die Augen.

Genau wie der Anblick des misshandelten Tieres, das kaum den Kopf anheben...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2024
Reihe/Serie Millennium
Übersetzer Leena Flegler
Sprache deutsch
Original-Titel Lokattens klor
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2024 • aktuelle Skandi-Bestsellerautoren • Bandenkriminalität • David Lagercrantz • eBooks • Familie • Gewalt gegen Frauen • Greenwashing • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lappland • lesemotiv nervenkitzeln • Neuerscheinung • Nordschweden • Schweden • Skandi-Crime • SPIEGEL-Bestsellerserie • Thriller
ISBN-10 3-641-31022-9 / 3641310229
ISBN-13 978-3-641-31022-6 / 9783641310226
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