Dämmersee (eBook)

554 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-32316-5 (ISBN)
Fast ein Jahr ist vergangen, seit Hanna Duncker nach Öland zurückgekehrt ist und sich den Schatten ihrer Vergangenheit gestellt hat. Inzwischen ist sie Mutter, und in wenigen Tagen wird sie heiraten. Doch dann erreicht sie ein Anruf von ihrem Kollegen Erik Lindgren: Ihr ehemaliger Chef wurde ermordet. Ove war erst seit Kurzem im Ruhestand. Hat sein Tod womöglich etwas mit dem Verbrechen zu tun, das Hannas Vater hinter Gitter brachte? Musste er für sein Schweigen mit dem Leben bezahlen? Hanna weiß nur eins: Wenn sie Oves Mörder finden will, ist es an der Zeit, auch das letzte Kapitel im schwierigsten Fall ihres Lebens aufzuschlagen ...
Die »Hanna Duncker«-Reihe:
Band 1: Nachttod
Band 2: Finsterhaus
Band 3: Dunkelwald
Band 4: Nebelstunde
Band 5: Dämmersee
Alle Bände können auch unabhängig voneinander gelesen werden.
Johanna Mo wuchs in Kalmar, im Süden Schwedens, auf und lebt mit ihrer Familie in Stockholm. Neben dem Schreiben arbeitet sie seit zwanzig Jahren als Redakteurin, Übersetzerin und Literaturkritikerin. Als Teenager musste Johanna Mo erleben, was es heißt, jemanden zu kennen, der zum Mörder wurde. Diese Erfahrung hat sie nie wieder losgelassen und zu der SPIEGEL-Bestseller-Reihe um Polizistin Hanna Duncker inspiriert.
2
Erik Lindgren schloss sein Fahrrad vor der Wache an den Ständer, nahm den Helm ab und fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar. Dieses Jahr nahm er seinen Urlaub etappenweise, weil sie wegen der Weltlage die Indienreise ausfallen ließen. Sie wollten nicht riskieren, in Mumbai zu stranden, sollte sich die Pandemielage zuspitzen. Im Juni waren er, Supriya und Nila eine Woche in Abisko gewesen. Erik hatte zum ersten Mal Nordschweden im Sommer besucht, die Mittsommersonne erlebt. Anfang August hatte er wieder Urlaub, damit er so viel Zeit mit seiner Tochter verbringen konnte wie möglich, bevor die Schule wieder anfing und Nila in die dritte Klasse kam.
Erik betrat das Polizeirevier und nickte einem Kollegen zu. Im Sommer lief alles in gemäßigterem Tempo. Man konnte die Pandemie fast vergessen. Denn mit dem Anstieg der Temperaturen war die Zahl der Ansteckungen gesunken, und es war viel leichter, draußen Dinge zu unternehmen. Derzeit fehlten zwei Mitglieder ihrer Ermittlungsgruppe: Hanna Duncker war in Elternzeit und Carina Hansson im Urlaub. Sie schien auch im Begriff, sich aus dem Dienst zu verabschieden, ganz wie ihr ehemaliger Chef Ove Hultmark. Man merkte richtig, dass die Polizeiarbeit sie nicht mehr erfüllte, da war kein Funke mehr. In der letzten Woche vor ihrem Urlaub hatte sie pausenlos von ihrem Garten erzählt, sodass Erik ihr irgendwann aus dem Weg gegangen war.
Aus dem Großraumbüro hörte er Daniel Lilja laut lachen. Erik blieb in der Tür stehen, hätte gern was von dem Telefonat aufgeschnappt, aber der Kollege hatte schon aufgelegt.
Daniel schaute auf, sah ihn und wirkte ertappt.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte Erik.
»Niemand Besonderem«, sagte Daniel, dabei wurden seine Wangen leicht rot.
»Du kannst es ja doch nicht lange geheim halten«, sagte Erik.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Daniel hatte offenbar jemanden kennengelernt, aber anders als sonst wollte er nichts über ihn erzählen. Als einziger Grund dafür kam Erik in den Sinn, dass irgendetwas mit diesem Menschen besondere Vorsicht nötig machte. Oder aber es war diesmal was Ernsteres. Wenn es jemanden gab, dem Erik wünschte, endlich die große Liebe zu finden, dann Daniel. In den fünf Jahren, seit er Daniel kannte, war dieser auf unzähligen Dates gewesen, aber mit keinem hatte es funktioniert.
Gertrud Nylander betrat das Büro direkt nach Erik, weshalb er das Thema ruhen ließ. Gertrud war nun schon ein knappes Jahr ihre Chefin. Sie war nur etwa einen Meter fünfzig groß und hatte kurzes weißes Haar – wodurch sie älter aussah als neunundvierzig. Sie stammte ursprünglich von Gotland, aber ihr Akzent hatte sich etwas verschliffen. Der eigentlich so sanfte Dialekt kollidierte mit ihrer direkten, schroffen Art. Soweit Erik wusste, hatte sie zuvor fast ausschließlich in Stockholm gearbeitet.
»Amer macht heute frei, sein Sohn ist krank«, sagte Gertrud. »Ihr beide müsst als Erstes nach Össby im Südosten Ölands fahren.«
»Was ist passiert?«, fragte Daniel.
»Ein Toter wurde im Wasser gefunden. Noch ist unklar, ob es sich um ein Verbrechen handelt.«
»Wer hat es gemeldet?«
»Jemand, der ihn beim Morgenspaziergang gefunden hat.«
»Weißt du sonst noch was?«, fragte Daniel weiter.
»Nein.« Ihre Irritation zeigte sich an einer Falte zwischen ihren Augenbrauen. »Fahrt einfach hin und stellt erst mal fest, ob es sich überhaupt um einen Todesfall handelt, in dem wir ermitteln müssen.«
Sie verließ das Büro, und Erik schluckte die Frage herunter, die ihm selbst auf der Zunge gelegen hatte. Die nach der Identität des Toten. Daniel schaltete seinen Computer ab und stand auf.
»Ove wohnt in Össby«, sagte er.
»Ich weiß«, sagte Erik. »Aber er ist wohl kaum der Einzige, der dort wohnt. Zumindest im Sommer.«
Schweigend gingen sie in die Tiefgarage. Erik hatte keine Ahnung, wie viele Einwohner es im Ort gab. Hundert? Fünfzig? Vielleicht noch weniger? Im Sommer vervielfachte sich die Zahl aber immer. Vermutlich handelte es sich um einen Touristen, der ertrunken war. Der die Strömung unterschätzt hatte. Vielleicht gab es auch eine natürliche Todesursache, auf der Insel lebten schließlich viele alte Menschen.
»Ich fahre«, sagte Daniel, als sie fast beim Auto waren.
»Okay«, sagte Erik. »Wenn du mir erzählst, wer …«
»Keine Chance.«
Kaum saßen sie im Wagen, zückte Erik das Handy und schickte Ove eine SMS.
Wir sind unterwegs nach Össby. Wird dir das Rentnerleben schon langweilig? Dann kannst du gern dazustoßen.
Ove und seine Frau Birgitta hatten das Haus in Össby vor etwa einem Jahr gekauft, und bisher schien er ganz glücklich mit dem Entschluss, in Pension zu gehen. Bisher wusste er offenbar noch nicht, was er mit seiner Zeit anfangen könnte, aber innerhalb des Teams liefen schon die Wetten. Amer hatte hundert Kronen darauf gesetzt, dass Ove in die Alpakazucht einsteigen würde, Daniel darauf, dass er über kurz oder lang nach Spanien zog, nur Erik glaubte, dass er es sich noch mal überlegte und wieder zurückkam. Sein Ruhestand war wirklich eine Überraschung gewesen. Anfangs dachte Erik, dass Birgitta oder Ove selbst ernsthaft krank geworden war, aber das schien nicht der Fall zu sein.
»Hast du was von Amer gehört?«, fragte Daniel.
»Nicht seit er sich gestern verabschiedet hat«, sagte Erik. »Wieso?«
»Er hat letzte Woche erzählt, dass sie mit dem Ältesten zur Kinderärztin wollen, um ihn durchchecken zu lassen. Er hat vielleicht eine Krankheit, die sein Immunsystem schwächt.«
Amers Sohn war sechs und seine Tochter zweieinhalb. In den letzten Monaten hatte er oft nicht zur Arbeit kommen können. Erik zückte erneut das Handy und schickte auch ihm eine SMS:
Hab gehört, dass du heute zu Hause bist. Wie ist die Lage im Krankenzimmer?
Die Antwort kam sogleich:
Er hat Fieber, sonst geht es ihm aber gut. Frühstückt gerade Eis vorm Fernseher.
Während sie über die Ölandbrücke fuhren, schaute Erik aufs Meer. Hanna hatte ihm mehrfach erzählt, wie schön sie es fand, in diese Richtung über die Brücke zu fahren. Weil das ihr Heimweg war. Klar, die Aussicht war toll, aber die Richtung spielte für Erik dabei tatsächlich keine Rolle. Vor fünf Jahren war er nach Kalmar gezogen, und er fühlte sich dort sehr wohl – aber das tat er eigentlich immer, egal, wo er wohnte. Ihm hatte es in Malmö gefallen, wo er aufgewachsen war, in Stockholm, wo er studiert hatte, und in Mumbai, wo er und Supriya ihre ersten gemeinsamen Jahre verbracht hatten.
Im August würde Hanna endlich aus der Elternzeit zurückkommen. Ihm fehlte es, mit ihr zu arbeiten, mehr als er je hätte vorhersehen können. Es hatte ja ein bisschen gedauert, bis sie sich eingespielt hatten. Er hatte sie sehr verschlossen und kompliziert gefunden, und ihr war sein ewiges Geplapper auf die Nerven gegangen. Er fand, dass er sich in dem Punkt etwas verbessert hatte, war sich aber nicht sicher, ob Hanna das genauso sehen würde.
»Entschuldige, aber dir ist schon klar, dass ich nicht lockerlassen kann, oder?«, fragte Erik. »Es ist nicht meine Schuld, dass ich so neugierig bin.«
Daniel lächelte übertrieben und zog auf die äußerste Spur, um ein Auto mit Wohnwagen zu überholen. Eigentlich gab es nicht weniger Stau als sonst im Sommer. Zwar waren gerade keine ausländischen Touristen da, dafür machten mehr Schweden im eigenen Land Urlaub. Kaum hatten sie die Brücke hinter sich gelassen, steuerten die meisten den nördlichen Teil der Insel an. Össby lag an der Südspitze, und Google Maps hatte eine Stunde Fahrtzeit vom Revier bis dorthin veranschlagt, aber sie schafften es schneller.
»Warst du schon mal hier?«, fragte Daniel, als sie das Ortsschild passierten.
»Nein, noch nicht, obwohl Ove ja ausdrücklich gesagt hat, wir sollten ihn mal besuchen. Du?«
»Seit über zehn Jahren nicht. Eine aus meiner Klasse hat da gewohnt, und als ihre Eltern mal in Griechenland waren, hat sie eine riesige Party für die ganze Klasse geschmissen.«
»Manchmal vergesse ich, wie jung du bist«, sagte Erik. »Unfassbar, in den Neunzigern geboren.«
»Du verdrängst wohl eher, wie alt du bist«, konterte Daniel. »Ich bin zwar in den Neunzigern geboren, aber trotzdem schon einunddreißig.«
Sie fuhren durch das spärlich besiedelte Dorf, so weit die Straße es zuließ. Irgendwann ging der Asphalt in Kies über. Ein Mann mittleren Alters in Tarnhose und grauer Kapuzenjacke stand auf einem Hügel. Er eilte auf sie zu, und Daniel parkte, damit sie aussteigen konnten.
»Sind Sie von der Polizei?«
»Ja«, sagte Erik. »Am besten zeigen Sie uns den Weg.«
»Er liegt direkt hier unten«, sagte der Mann. »Ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen.«
Sie folgten dem Mann auf den Hügel. Der Strand war schmal, aber lang, und wenige Meter entfernt lag ein Mensch im Wasser. Turnschuhe, Jeans, Pulli. Mehr war nicht zu erkennen.
»Ein paar Leute wollten hier vorhin schwimmen gehen«, erklärte der Mann. »Aber ich habe sie weggeschickt, bevor sie was sehen konnten. Ich habe ihnen gesagt, dass die Polizei unterwegs ist, aber nicht warum …«
Er biss sich auf die Lippe und wandte sich vom Meer ab.
»Ich bin Reservist«, fuhr er fort, »hab einige Übungen mitgemacht, aber ich habe noch nie … Ich hätte nicht gedacht, dass ich so reagiere.«
»Waren Sie bei ihm?«, fragte Daniel.
»Ja«, antwortete der Mann. »Ich...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2025 |
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Reihe/Serie | Die Hanna Duncker-Serie |
Übersetzer | Ulrike Brauns |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Brottsjön |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Broadchurch • Camilla Läckberg • Charlie Lager • Demenz • Der Kommissar und das Meer • Dunkelwald • eBooks • Erik Lindgren • Ermittlerduo • Ermittlerkrimi • finsterhaus • Fuchsmädchen • Gotland • Hanna Duncker • Inselkrimi • Kalmar • kalt und still • Krimi • krimi 2024 • Kriminalromane • Krimis • Kristina Ohlsson • Lina Bengtsdotter • Löwenzahnkind • Maria Grund • Mattias Edvardsson • Nachttod • Neuerscheinungen 2024 • Öland • Rotwild • Schweden • Schwedenkrimis Neuerscheinungen 2023 • Skandinavischer Krimi • Sturmrot • Tove Alsterdal • Urlaubslektüre • Viveca Sten • Zittergras |
ISBN-10 | 3-641-32316-9 / 3641323169 |
ISBN-13 | 978-3-641-32316-5 / 9783641323165 |
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