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Es rappelt in der Kiste (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
464 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-30674-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Es rappelt in der Kiste - Thomas Krüger
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Der Melatenfriedhof in Köln, ein Ort der Ruhe und des Gedenkens, dient Friedhofsgärtner Konrad Leisegang seit vielen Jahren als Arbeitsplatz und Zufluchtsort gleichermaßen. Als er ein altes Grab abräumen will, stößt er jedoch auf etwas, das die Friedhofsruhe jäh durchbricht: eine zweite Leiche unter der ersten. Zeitgleich ereignet sich auf einem Flug von Bogotá nach Deutschland ein vermeintlich natürlicher Todesfall. Die Leiche wird in die Rechtsmedizin gebracht, die direkt an den Friedhof angrenzt. Kurz darauf wird der Wachmann des Instituts ermordet aufgefunden. Zufall? Konrad muss, unterstützt von dem aufgeweckten Schüler Martin, tief in die Geheimisse seines grünen Paradieses eintauchen, um die beiden Fälle zu lösen. Gemeinsam decken sie ein Netz aus düsteren Geheimnissen und Verbrechen auf, das Konrad selbst in allergrößte Gefahr bringt ...

Thomas Krüger, geboren 1962 in Ostwestfalen, arbeitete zunächst als Journalist für Tageszeitungen und Magazine. Heute ist er Hörbuch- und Kinderbuchverleger, Autor von Kinderbüchern (»Jo Raketen-Po«) und zahllosen Sonetten - u.a. an Donald Duck. Thomas Krüger lebt mit seiner Familie in Bergisch Gladbach bei Köln.

DEN LEICHEN EIN HEILIGER ORT


Es war Mittwoch, der 29. August. Gegen 18 Uhr herrschte in Köln Feierabendverkehr. Der Tag war noch immer warm und sonnig. Der Himmel: ein tiefes Leuchten, spätsommerlich blau, mit ein paar Kondensstreifen. Sie ließen an Stricheleien auf dem Reißbrett eines einfallslosen Stadtplaners denken. Ansonsten war hoch über Köln alles in Ordnung.

Unten eher nicht. Die breite Aachener Straße glich einem überfüllten Parkplatz. Hitze flirrte. Es stank nach Sprit, nach Teer. Die schnurrenden E-Mobile im Stau milderten das Abgaswabern über den Fahrzeugen kaum. Heute war es besonders schlimm: An einer Baustelle, wo die Fahrbahn erneuert wurde, war ein qualmender Asphaltfertiger im Einsatz, und irgendwo stadtauswärts hatte es geknallt. Blaulicht quälte sich durch zähes Blech. Ein Martinshorn nervte.

Die junge Frau verließ die Straßenbahn an der Haltestelle Melaten. Sie trug Sonnenbrille, wirkte gestresst. Sie ging zum Ende des Bahnsteigs bis an die Fußgängerampel, guckte nach rechts, wartete nicht auf Grün sondern zickzackte zwischen den stehenden Autos hindurch.

Sie war eine elegante Erscheinung, schlank, etwa Mitte dreißig, ganz in Schwarz. Ein Wesen von sizilianischem Stolz. Mit zielstrebigen Schritten hielt sie auf den alten Haupteingang des Melaten-Friedhofs zu, dessen Begrenzung – teils schmiedeeiserner Lanzenzaun, teils mannshohe Steinmauer – über Hunderte von Metern der schnurgeraden Straße folgte. Die Frau hatte dunkles, mittellanges Haar, gescheitelt. Es umgriff die Kinnpartie wie ein strenger Pagenschnitt. Sie trug ein eng anliegendes knielanges Kleid – wie gesagt: schwarz. In der Linken hielt sie einen schwarzen Geigenkasten.

Sie musste etwas erledigen.

In Gedanken sah sie Martin in einem Grab. Sie lächelte. Ein kurzes, waffenscheinpflichtiges Lächeln. Eigentlich war ihr nicht nach Lächeln. Ihr fehlte die Zeit. Sie konnte nicht lange nach ihm suchen. Und lange fackeln durfte sie ebenfalls nicht.

Sie näherte sich dem Portal des alten Haupteingangs: Der wuchtige Durchgang erinnerte an den Umriss eines ägyptischen Tempels. Oberhalb des Sturzes, in der Giebelfläche sozusagen, war ein Spruch in vergoldeten Großbuchstaben zu lesen, jedes U ein V:

FVNERIBVS AGRIPPINENSIVM SACER LOCVS
Den Toten Kölns ein heiliger Ort

Als die Frau durch das Portal unter dem Spruch hindurchschritt, wechselte sie von einer hektischen Welt in eine ruhige. Es dauerte nicht lange und das Raunen des Verkehrs, der Motoren, wurde vom dichten Grün verschluckt.

Nun ja, hier und dort heulte ein Friedhofsfahrzeug, keuchte ein Pritschenwagen beladen mit Bagger und Motorsägen zu einer aufzulassenden Grabstelle oder einer alten Platane, von der Äste abzubrechen drohten. Lärm war auf dem Friedhof allerdings die Ausnahme. Hier waren die Bewegungen leiser, feiner. Hummeln und Bienen flogen, Amseln, Stare, Elstern, Rotkehlchen, Meisen, Tauben, Zaunkönige, Gimpel und Zilpzalpe und nachts Käuze und diverse Fledermäuse. Am Boden wuselten Eichhörnchen, Mäuse, Wildkaninchen, dann und wann Marder, sogar Füchse – und zum Herbst hin immer wieder Igel. Auf Melaten lebten sie in Frieden – auf der Aachener Straßen hinterließen sie Matschflecke. Der Friedhof war eine Welt voller Schlupfwinkel, und die Menschen – sogar die, die hier nicht lagen, sondern als Besucher umherwandelten – ließen den Tieren und Insekten des Friedhofs ihre Ruhe.

Die Luft duftete von Wild- und Wiesenkräutern. Alles roch irgendwie nach Grün. Die Bäume, Büsche, Sträucher hielten nicht nur den Verkehrslärm, sondern auch Stress und Abgase fern. Der Friedhof gönnte dem Erfinder des Verbrennungsmotors, Nikolaus August Otto, der hier seit über 130 Jahren lag, Ruhe vor den Geistern, die er gerufen hatte.

Auf dem Friedhof benahmen sich sogar die Radfahrer.

Meistens jedenfalls.

Die Frau in Schwarz folgte dem Hauptweg, schritt auf ein breites Rondell mit angegrüntem, sandsteinernem Hochkreuz in der Mitte zu, wo am Wegrand das Ehrengrab der Kölschen Funken lag: eine prächtige Anlage, gestaltet mit rotem Granit. In einem Seitenweg links des Rondells trug die bronzene Statue eines verstorbenen Karnevalisten sommers wie winters eine rote Clownsnase.

In Köln hatte der Tod Humor.

Davon wollte die Frau in Schwarz nichts wissen. Sie verließ das Rondell auf ihrem von Leichen gesäumten Weg, näherte sich einem Kriegerdenkmal. Oben, auf dem Säulenbaldachin des turmhohen Dings, hockte ein die Schwingen ausbreitender, drohender Bronzeadler.

Der guckte allerdings weniger düster als die Frau.

Während sie sich auf die Ostseite des Friedhofs zubewegte, fanden, keine hundert Meter entfernt, Abräumarbeiten statt: nah dem Grab von Edith Mendelssohn Bartholdy – gestorben 1969. Einst hatte sie im WDR die Sendung Der Lebensabend moderiert. Nun lag sie hier.

Gleich neben ihr, vor einem stark verwitterten Sandsteinblock mit kaum noch leserlichen Buchstaben, stießen die Finger des Friedhofsgärtners Konrad Leisegang auf Knochen. In über zwei Metern Tiefe.

»Hast recht gehabt«, sagte er. »Fantastisch.«

Weil Konrad über einige Erfahrung mit Menschenknochen verfügte, wusste er sofort, dass er einen Schädel gefunden hatte. Sein Herz hüpfte. Er war ein schlaksiger Typ, fast zwei Meter groß, und hatte trotz seiner 38 Lebensjahre noch immer das melancholische Gesicht eines Hamlet-Darstellers: ernste große Augen und verstrubbeltes Haar, das wunderbar zum grüblerisch-verträumten Charakter Konrads passte. Man hätte ihn für einen an die Forschung verlorenen Akademiker halten können, wäre da nicht der grüne Arbeitsoverall der Friedhofsgärtner gewesen.

Da sich Konrad in der engen Ausschachtung kaum bücken konnte, war er in die Hocke gegangen. Seine Finger schlüpften in die Augenhöhlen des Schädels wie in die Löcher einer Bowlingkugel. Jetzt musste er vorsichtig lockern und ziehen:

»Ich hab ihn.«

»Hier ist auch was!« Eine zweite Stimme.

»Nicht so laut. Wir sind auf dem Friedhof.«

Konrads Stimme klang, wenn er leise sprach, immer leicht gedämpft, wie von einer dünnen Schicht Erde bedeckt.

Statt auf den Vorwurf einzugehen, rief die zweite Stimme: »Ich stell mir grad vor, hier um uns rum hätten früher Zuschauer gestanden, um dem Scharfrichter zuzugucken.«

»Dem was? Pssst!«

»Dem Scharfrichter. Der alte Richtplatz von Köln. Der lag hier irgendwo.«

»Und was bedeutet das für uns?«

»Dann könnte es ja sein, dass die Knochen hier von Leuten stammen, die vielleicht gerädert wurden.«

»Aha.«

»Gerädert und geköpft. Vielleicht waren das Hexen!«

»Nein«, widersprach Konrad. »Außerdem …«

»Stimmt. Hexen sind hier meist verbrannt worden. Erwürgt, dann verbrannt.«

»Außerdem waren das keine Hexen, sondern Frauen, die man zu Hexen erklärt und dann umgebracht hat«, sagte Konrad – so leise, als spräche er zu sich selbst. Das offene Grab, das es abzuräumen galt, lag nicht weit entfernt vom neuen Haupteingang des Friedhofs. Neben jenem Bereich, den ein Steinblock mit besinnlichen Worten als Ruhegarten auswies. Konrad hatte mit dem Bagger sehr tief gegraben. Tiefer als geplant, denn er und sein Kollege gingen einem Verdacht nach. Einem, der ganz und gar nichts mit Hexen zu tun hatte.

In diesem Grab war ein Kölner Fabrikant bestattet worden, der um 1900 herum zu Geld und Einfluss gekommen, aber mit seinem Tod in Vergessenheit geraten war. Über hundert Jahre lang hatte das Grab Zeit gehabt, zu verfallen. Ein eher unscheinbares Grab, abseits der Angebergräber der Kölner Geldsäcke. Kaum hatte Konrad hier am Montag begonnen, in die Tiefe zu graben, war er auf ein Metallkästchen gestoßen. Und nun …

Er besah den Fund. Es war der erstaunlich gut erhaltene Schädel einer Frau. Zumindest vermutete Konrad das. Das Loch auf der Rückseite deutete auf Mord hin. Erschlagen. Von hinten. Mit was auch immer. Konrad beugte sich halb über den Schädel, drehte sich vom Weg weg. Er wusste, dass es nie gut kam, wenn Leute plötzlich Knochen, insbesondere Totenköpfe, sahen. Nicht mal hier, auf dem Friedhof. Sein Gesprächspartner hatte da weniger Probleme:

»Ein Femur!«, rief er.

»Pssst. Bitte.«

»Guck doch! Ist ein ziemlich kurzer. Hier!«

Femur – Oberschenkelknochen. Das lateinische Wort wirkte fremd im Ton der aufgeregten Stimme. Eine ältere Dame, die sich aus südlicher Richtung näherte, schrie plötzlich auf, was auf dem Friedhof selten geschah, denn der Friedhof war der Ort der Zeit nach dem Tod und nicht der des Moments unmittelbar davor. Die Dame war elegant gekleidet, weißhaarig – der Volksmund nannte es melatenblond. Vielleicht kam sie von einem Kaffeekränzchen mit befreundeten Witwen auf einen Abstecher zum Ruheplatz des Gatten. Sie schnappte keuchend nach Luft, war alt genug, um nun auch den letzten Atemzug beziehungsweise Schritt noch zu tun. Sie stolperte, stützte sich, Halt suchend, auf einem der Grabsteine rechts des Weges ab. Da erblickte sie in dem gähnenden Erdloch links von sich – sie konnte ein Stück weit hineinsehen – nicht nur den erschrockenen Konrad mit Schädel in der Hand, sondern auch eine Faust, die einen stattlichen Knochen hielt und hochfuhr, als würde diese Faust eine Keule schwingen und zuschlagen wollen. In dem Moment ging die Fantasie mit der alten Dame durch:

»Ein Kind! Da … da ist …«, japste sie verwirrt, »… ein Kind … im Grab!«

Eine weitere Person eilte, wie tänzelnd,...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2024 • Amateurdetektiv • besonderer Ermittler • Bogota • Cosy Crime • Cosy Krimi • David Safier • eBooks • Friedhof • Friedhofsgärtner • Geheimnis • Gruft • Heimatkrimi • Humor • Köln • Kolumbien • Krimi • Krimi deutsche Autoren • Krimi humorvoll • krimi lustig • Kriminalromane • Krimis • lustig • lustige • melatenfiedhof • Miss Merkel • Mord • Neuerscheinung • Obdachlose • Rechtsmedizin • Richard Osman • Sarg • Thorogood • Twists • Wohlfühl Krimi
ISBN-10 3-641-30674-4 / 3641306744
ISBN-13 978-3-641-30674-8 / 9783641306748
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