Er will nicht gehen (eBook)
408 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-31932-8 (ISBN)
Der neue packende Locked-Room-Thriller von SPIEGEL-Bestsellerautor C.M. Ewan.
Lucy und Sam sind ein glückliches Paar. Doch aus finanziellen Gründen müssen sie ihr Haus verkaufen. Als die Maklerin sich verspätet, muss Lucy einem Interessenten das Haus allein zeigen. Für Lucy, die unter Angstzuständen und Panikattacken leidet, eine fast unmögliche Aufgabe. Aber sie weiß, wie sehr sie auf das Geld angewiesen sind. Also lässt sie den Fremden herein. Doch der verhält sich merkwürdig. Er stellt seltsame Fragen und versucht Fotos von ihr zu machen. Dann verschwindet er plötzlich im Keller und antwortet nicht auf ihre Rufe. Lucy, unfähig das Haus zu verlassen, ist allein mit dem Fremden, der sich weigert zu gehen ...
Lesen Sie auch »Das Ferienhaus« und »Etage 13«.
C. M. Ewan wurde 1976 in Taunton geboren und hat an der Universität von Nottingham Amerikanische und Kanadische Literatur und später Jura studiert. Nach elf Jahren auf der Isle of Man ist er mit seiner Frau, seiner Tochter und seinem Hund nach Somerset zurückgekehrt, wo er sich ganz dem Schreiben widmet. Mit »Das Ferienhaus«, seinem ersten Roman bei Blanvalet, hat er gleich die SPIEGEL-Bestsellerliste erklommen und zahlreiche Fans gewonnen.
1
Die Paranoia pirscht sich an mich heran, sobald Sam das Haus verlässt und ich den Staubsauger anschalte. Es dauert nicht lange, und mich überkommt der panische Gedanke, ich wäre nicht allein.
Ein Prickeln rieselt über meine Wirbelsäule. Unwillkürlich versteife ich mich.
Dann drehe ich mich um.
Ich drehe mich jedes Mal um.
Dabei weiß ich ganz genau, dass hinter mir niemand ist oder vielmehr sein kann, weil ich Sam nämlich mit eigenen Augen habe gehen sehen und genau gehört habe, wie er die Haustür hinter sich zugezogen hat. Ich habe ihm zum Abschied sogar zugewinkt, als er noch einmal kurz stehen blieb und mir vom Gartentor aus zulächelte.
Nie ist da irgendwer.
Also mache ich mich wieder ans Staubsaugen und das Spiel beginnt von vorn. Da ist das ohrenbetäubende Brüllen des Staubsaugers. Das Kribbeln auf meinem Rücken. Die nagende Angst, dass, wenn ich mich nicht auf der Stelle umdrehe und nachsehe, dann …
Was ich da tue, hat absolut nichts mehr mit Vernunft zu tun. Das ist mir sonnenklar. Und natürlich habe ich auch mit Sam schon mehrfach darüber gesprochen. Nicht dass es ihn in irgendeiner Form überraschen würde. Wir haben uns unzählige Male über das unterhalten, was mir zugestoßen ist – viel zu oft, wie ich finde. Sam macht gern Witze darüber und meint, das ist bei ihm eben Berufsrisiko.
Ich stellte den Staubsauger aus, hielt den Atem an und streckte den Rücken durch – und ja, ich drehte mich noch einmal um und sah nach. Als hinter mir keiner stand, atmete ich erleichtert auf und blickte hoch zum Oberlicht.
Ich war im hinteren Zimmer im Dachgeschoss, mein absoluter Lieblingsplatz im ganzen Haus. Der Raum war selbst an bedeckten und windigen Tagen wie heute lichtdurchflutet und verströmte eine Aura tiefer Ruhe und Klarheit, woran es mir selbst leider viel zu oft mangelte.
Dieser Raum war für mich ein sicherer Ort.
Ich schüttelte meine Nervosität ab und verstaute den Staubsauger an seinem Platz im Einbauschrank unter der Dachschräge. Dann fischte ich mein Handy aus den Jeans und überprüfte die Uhrzeit.
Ich plante, während der Besichtigung in einem nahe gelegenen Café zu warten. Ich würde mir ein Buch mitnehmen, mir eine Tasse Earl Grey mit Zitrone bestellen und versuchen, mich zu entspannen. Sobald die Besichtigung vorüber wäre, könnte Bethany mich anrufen und mir mitteilen, wie es gelaufen war. Mit etwas Glück wäre heute vielleicht der Tag, an dem wir ein akzeptables Angebot bekamen.
Erst jetzt bemerkte ich die Sprachnachricht auf meiner Mail-box und sofort bohrte sich Furcht in meine Eingeweide.
Noch bevor ich die Nachricht abhörte, überkam mich eine dunkle Vorahnung. Bethanys Worte gaben mir den Rest.
Ich legte auf. Meine Kehle wurde eng, und meine Hände begannen, unkontrolliert zu zittern.
Immer mit der Ruhe, Lucy.
Noch eine Viertelstunde bis zur Besichtigung.
Absagen kam jetzt nicht mehr infrage.
Klar konnte ich die Sache jederzeit abblasen, aber das wäre unhöflich. Außerdem konnten wir es uns nicht leisten, einen potenziellen Käufer zu vergraulen.
Mein Mund war staubtrocken. Ich presste mir den Handballen gegen die Stirn und kämpfte krampfhaft gegen die sich anbahnende Panikattacke an.
Mittlerweile steckten wir bis zum Hals in Schulden. Zum einen waren da die Darlehen, die Sam wegen der Renovierungskosten aufgenommen hatte, und als diese aufgebraucht waren, kamen noch die Kreditkartenabrechnungen hinzu, die Monat für Monat höher wurden. Sam hatte schlaflose Nächte deswegen. Aber für uns beide bedeuteten der Verkauf dieses Hauses und unsere Entscheidung, London für immer den Rücken zu kehren, noch so viel mehr. Wir wollten komplett neu anfangen.
Bethany. Ich mochte diese Frau, obwohl sie in so gut wie jeder Hinsicht die typische Immobilienmaklerin war. Sie konnte extrem penetrant und unverschämt sein und das Lügen fiel ihr so leicht wie das Atmen. Aber zumindest bekannte sie sich ganz offen dazu, was ja in gewisser Weise auch eine Art von Ehrlichkeit war.
Nachts, wenn Sam sich im Bett herumwälzte, während ich in der Stille auf das leise Klicken des Schlosses an der Badezimmertür lauschte – auf das metallische Krächzen einer unbekannten Stimme –, da war mein rettender Strohhalm die Erinnerung an Bethany und wie sie das erste Mal in ihrem sündhaft teuren Mantel und mit der auffälligen Brille bei uns vor der Tür stand. Damals war sie ohne langes Vorgeplänkel ins Haus gerauscht und hatte angefangen, wie ein Wasserfall zu reden, von wegen Wertermittlung, wie geschmackvoll wir die Einrichtung ausgewählt und wie sehr wir die Nummer 18 Forrester Avenue dadurch aufgewertet hätten.
Ich vertraute ihr auf Anhieb – so sehr man einer Immobilienmaklerin eben vertrauen kann. In letzter Zeit hatte ich mich immer wieder bei dem Gedanken ertappt, dass ich hoffte, wir könnten auch nach dem Verkauf des Hauses in Kontakt bleiben. Aber gleichzeitig wurmte es mich, dass sie mich nicht früher über ihr Zuspätkommen in Kenntnis gesetzt hatte. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass sie mich ganz bewusst hatte auflaufen lassen.
Und? Jetzt musst du eben das Beste aus der Situation machen.
Ich lief die Treppe hinunter, den Korridor im ersten Stock entlang und dann weiter ein Stockwerk tiefer ins Wohnzimmer. Mein Blick huschte fieberhaft umher, auf der Suche nach etwas, das ich übersehen haben könnte.
Im ganzen Haus brannte Licht. Aus dem Blumenladen um die Ecke hatte ich einen Strauß frischer Lilien mitgebracht. Sie standen in einer Keramikvase auf dem marmornen Wohnzimmertisch. Die honigfarbenen Dielenbretter glänzten. Erst heute Morgen hatte ich jede einzelne Lamelle der hellen Holzjalousien von Staub befreit. Sie waren eine Spezialanfertigung für das große Erkerfenster, das nach vorne rausging.
Okay. Alles in Ordnung.
Ich wirbelte herum und blickte zur offenen Küche, die eine Ebene tiefer lag und über ein paar Stufen vom Wohnbereich aus zu erreichen war. Ich hatte keinen Kaffee aufgebrüht. Bethany hatte mich vorgewarnt. Das entspreche zu sehr dem Klischee. Trotzdem hatte ich dafür gesorgt, dass alles blitzsauber und ordentlich aufgeräumt war.
Im Zuge der Renovierungsarbeiten am Haus hatten wir den Großteil der Wände im Erdgeschoss eingerissen, um einen großzügigen, offenen Wohnraum zu schaffen. Den Abschluss bildete eine Fensterfront mit einer doppelten Stahltür im Industriestil, durch die man in einen bescheidenen kleinen Garten gelangte. Wir hatten fast sämtliche Arbeiten im Alleingang durchgeführt, hatten den Vorschlaghammer geschwungen und Wände verputzt. Einzig die elegante Küche hatten wir von Profis einbauen lassen, ausgestattet mit qualitativ hochwertigen Schränken und High-End-Geräten. Die Arbeitsflächen aus Granit und die Kochinsel hatten allein so viel gekostet wie ein Mittelklassewagen.
Früher oder später macht sich das bezahlt, hatte Sam mir versichert und mit rot geränderten Augen von seinen Kalkulationstabellen zu mir aufgesehen, sein wild vom Kopf abstehendes Haar war mit einer feinen Staub- und Schmutzschicht überzogen. Zu dem Zeitpunkt war ich mir nicht sicher gewesen, wen von uns beiden er damit eigentlich überzeugen wollte. Sie mag zwar teuer sein, ist aber genau das, was Leute, die ein solches Haus kaufen, haben wollen. Wenn sich unsere Investition lohnen soll, ist das die beste Entscheidung.
Mir schwirrte der Kopf. Ich überlegte, was Sam wohl dazu sagen würde, wenn er wüsste, dass ich ernsthaft in Erwägung zog, einen Wildfremden durch unser Haus zu führen. Wahrscheinlich wäre er im ersten Moment sprachlos. Und nach einigem Überlegen würde er mich liebevoll in seine Arme ziehen, mir über den Rücken streichen und mir erklären, dass es vielleicht an der Zeit war, mich meinen Ängsten zu stellen.
Doch leider hatte ich nicht die Möglichkeit, ihn zu fragen. Sam steckte mitten in einer Vorlesung und müsste gleich im Anschluss zu seiner Selbsthilfegruppe. Bestimmt hatte er sein Telefon gar nicht an.
Außerdem hatte Bethany mir in ihrer Nachricht versichert, sie sei unterwegs. Ich wäre also ohnehin nicht lange mit dem Interessenten allein.
Nervös kaute ich auf der Innenseite meiner Wange herum und warf einen Blick zu dem grünen Samtsofa, auf dem ich Mantel und Schal bereitgelegt hatte. Ich nahm die Kleidungsstücke von der Lehne, trug sie nach oben und hängte sie zurück in den begehbaren Kleiderschrank im umgebauten ehemaligen Gästezimmer, das direkt an unser Schlafzimmer grenzte.
Ich ging zum Bett und zog die Tagesdecke glatt, die ich für Besichtigungen bewusst auf einer Seite zurückschlug. Am Kopfende waren diverse Daunenkissen und kleinere Dekokissen gegen das überdimensionale Brett gelehnt, das ich in einer mehrtägigen Aktion eigenhändig gepolstert und mit Stoff bezogen hatte. Dieses Kopfbrett war an der Wand befestigt, die den Schlafraum vom angrenzenden Badezimmer trennte. Das Arrangement erinnerte an eine schicke Suite in einem Boutique Hotel. Mein Ziel war es gewesen, ein Ambiente für erholsamen Schlaf zu schaffen, etwas, das bei uns leider nicht immer funktioniert hatte.
Bitte, mach, dass er unser Käufer ist.
Mein Blick fiel auf den Ganzkörperspiegel gleich neben der Tür. Eine blasse, sichtlich mitgenommene Frau Anfang dreißig mit Sorgenfalten rund um Augen und Mund starrte mir entgegen. Mein Haar war locker zurückgebunden, ich trug einen weiten Aran-Pullover und bequeme Jeans. Vielleicht sollte ich mich schicker anziehen?
Doch bevor ich dem Impuls nachgeben konnte, klingelte es an der...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Übersetzer | Bettina Spangler |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The House Hunt |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2024 • Angst • Angststörung • Das Ferienhaus • eBooks • England • etage 13 • Hausverkauf • Krimi • Kriminalromane • Krimis • locked room • London • Maklerin • Mord • Neuerscheinung • Neustart • Panikattacken • psychologische Spannung • Psychothriller • Rache • Spiegel Bestsellerautor • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-31932-3 / 3641319323 |
ISBN-13 | 978-3-641-31932-8 / 9783641319328 |
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