Der Richter und die 13 Schuldigen (eBook)
176 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70533-8 (ISBN)
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
Ziliouk
Es war ein Aufeinandertreffen zweier ebenbürtigerGegner. In der Staatsanwaltschaft herrschte deshalb die Meinung, der Untersuchungsrichter Froget werde an diesem Fall schließlich scheitern, und manchen war das gar nicht unrecht.
Er saß an seinem Schreibtisch, mit gesenktem Kopf, die eine Schulter höher als die andere, eine unbequem aussehende Haltung.
Wie immer bot er ein Bild in Schwarz-Weiß: weiß seine Haut, sein Bürstenschnitt à la Prosper Bressant, sein gestärktes Hemd, schwarz sein strenger Anzug.
Sicher, er war eine etwas altmodische Erscheinung. Man hatte sich öfter einmal gefragt, ob er nicht längst die Altersgrenze erreicht hatte, denn schon vor Jahren hatte er ausgesehen wie sechzig.
Ich war wiederholt in seinem Haus am Champ-de-Mars zu Gast und möchte mir eine persönliche Bemerkung erlauben. Nie hat mich ein Mensch jemals so in die Knie gezwungen, mich so an mir selbst zweifeln lassen wie Monsieur Froget.
Ich erzählte ihm eine Geschichte. Er sah mich mit einem Blick an, den man für Ansporn halten konnte. Dann kam ich zum Ende, wartete auf seine Reaktion, einen Kommentar, ein Lächeln.
Er sah mich immer noch an, wie er eine Landschaft oder ein Beweisstück angesehen hätte, und stieß schließlich einen winzigen Seufzer aus. Ich schwöre Ihnen, es war genug, um mich für den Rest des Lebens Demut zu lehren. Ein einziger Seufzer, ein Lufthauch! Ich hörte heraus: »Und um mir das zu erzählen, machen Sie so ein Brimborium!«
Das ist natürlich nur eine oberflächliche Beschreibung, und ich werde sicher noch Gelegenheit haben, seinen tieferen Charakter zu schildern, so wie er sich mir offenbart hat.
Aber an jenem Tag in seinem Büro handelte es sich um einen Schlagabtausch von der Art, wie ich sie gerade geschildert habe und die man nicht einmal frostig nennen kann.
Er hatte vor sich Ziliouk, jenen verwegenen Abenteurer, von dem seit einigen Wochen in allen Zeitungen die Rede war, ein ungarischer Jude (oder polnisch, litauisch, lettisch, das wusste keiner so genau), der schon als Zwanzigjähriger aus fünf oder sechs europäischen Ländern ausgewiesen worden war.
Man hatte ihn (mit nun fünfunddreißig bis vierzig Jahren – oder doch eher dreißig, jünger oder älter?) in einem Pariser Luxushotel aufgegriffen, nachdem er Kontakt mit dem Ministerpräsidenten aufgenommen und ihm vertrauliche diplomatische Dokumente zum Kauf angeboten hatte.
Ob diese echt oder gefälscht waren? Darüber waren die Meinungen geteilt. Ziliouk hatte schon einmal sowjetische Dokumente an England verkauft, die zu einer Regierungskrise und dem Abbruch der Verhandlungen zwischen beiden Ländern geführt hatten. An Amerika hatte er japanische Unterlagen und an Japan amerikanische Unterlagen verkauft. Er hatte seine Spuren in Bulgarien, in Serbien, in Rom und Madrid hinterlassen.
Ziliouk war eine gut aussehende Erscheinung. Er trug elegante, fast luxuriöse Kleidung, wenngleich ihm immer etwas Halbseidenes anhaftete.
Er hatte mit Monarchen und Staatschefs korrespondiert. Hatte sich Eingang in diplomatische Kreise auf der ganzen Welt verschafft. Bei seiner Festnahme hatte er sich sogleich kämpferisch gegeben.
»Am Ende müssen Sie mich doch freilassen, und dann wird es Ihnen leidtun!«
Er ging so weit, gegen jeden Augenschein zu behaupten, dass er in Wahrheit für das Deuxième Bureau, den französischen Militärgeheimdienst, arbeite und in engem Kontakt mit dem britischen Secret Intelligence Service stehe.
Kein Richter wollte mit der Sache zu tun haben, dem Paradebeispiel eines Falles, der einem ehrbaren Untersuchungsrichter das Genick brechen und das traurige Ende seiner Karriere einläuten konnte.
Ziliouk saß da, in einem Anzug aus dem besten Herrenatelier Londons, wohlgepflegt, mit unbestimmtem Lächeln.
Eine Stunde lang richtete Froget nicht das Wort an ihn. Mit den zierlichen, präzisen Gesten einer knabbernden Maus las er die Berichte der mobilen Brigade, in deren Kopfzeile Fall Ziliouk stand, wie der Beschuldigte verkehrt herum entziffern konnte.
Froget las die Texte mit einer Ausführlichkeit, als sähe er sie zum ersten Mal. Anschließend betrachtete er den Verdächtigen mit dem ihm eigenen intensiven, bleischweren Blick. Er hatte nichts Durchdringendes oder gar Hellseherisches, auch nichts Grimmiges. Es war ein ruhiger Blick, der sich langsam auf einen Gegenstand richtete und dann stundenlang auf ihm verweilen konnte.
Seine ersten Worte, als Ziliouk sich mit ostentativer Lässigkeit eine Luxuszigarette anzündete, lauteten:
»Der Rauch ist mir ein wenig lästig …«
Und vielleicht zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn verspürte der Hochstapler ein Unbehagen. Und so beeilte er sich, großspurig zu antworten:
»Ich sage Ihnen lieber gleich, dass Sie nichts erreichen werden! Wenn die Dokumente, die ich Frankreich verkaufen wollte, gefälscht waren, wie behauptet wird, dann versuchen Sie doch einmal, mich deswegen zu verurteilen. Und angeblich soll ich vertrauliche Dokumente der französischen Außenpolitik an Deutschland verkauft haben, die ebenfalls gefälscht seien … Aber keiner hat diese Dokumente je gesehen! Der einzige Ankläger ist ein kleiner Beamter des Deuxième Bureau, und ich beweise Ihnen gern, dass der Mann sein eigenes Süppchen kocht, so wie ich auch beweisen werde, dass ich dem Deuxième Bureau erhebliche Dienste geleistet habe …«
Froget antwortete nicht. Er widmete seine Aufmerksamkeit einem weiteren Bericht, den er von Anfang bis Ende durchlas.
Schon eine Stunde war vergangen! Und Ziliouk wartete vergeblich auf ein Anzeichen von Neugier, Eifer oder Leidenschaft, kurz, auf irgendeine menschliche Regung. Wieder ergriff er das Wort.
»Und selbst wenn man mich verurteilen würde, dann höchstens zu drei Jahren, wie im Falle von X oder Z.« An dieser Stelle nannte er die Namen von Spionen, die unlängst von französischen Gerichten verurteilt worden waren. »Und danach würde Frankreich sich noch wundern!«
Die Papiere vor Froget raschelten. Der Richter war immer noch am Lesen. Er hatte Ziliouks sämtliche Ausweisdokumente vor sich liegen, eines zweifelhafter als das andere. Tatsächlich hätte man kaum mit Sicherheit sagen können, in welchem Land er eigentlich geboren war. Er hatte sich nacheinander Carlyle, Sunbeam, Smit, Keller, Lipton, Richet genannt. Und vermutlich gab es noch mehr Namen.
Bei seiner Festnahme hatte Ziliouk fünfzigtausend Dollar bei sich gehabt!
Jetzt saßen sie schon anderthalb Stunden einander gegenüber, und Froget hatte ihm noch immer keine Frage gestellt. Bei dem Dokument, das er zuletzt studiert hatte, handelte es sich um einen Militärbericht. Vor zehn Jahren war Ziliouk unter rätselhaften Umständen in Deutschland verhaftet und einen Monat später unter noch ominöseren Umständen freigelassen worden – dazwischen hatte er in seiner Zelle hohen Besuch aus der Wilhelmstraße erhalten.
Dass der Mann gefährlich war, stand außer Frage. Dass er ein Gauner war, gab er ja voller Stolz zu! Doch wie er selbst sagte, bot er den Gerichten keine wirklichen Angriffspunkte.
Froget saß nach wie vor mit seinen schiefen Schultern völlig unbewegt da, und sein teilnahmsloser Blick schweifte gelegentlich zu dem Beschuldigten, bevor er sich wieder auf die Unterlagen vor ihm richtete.
Plötzlich fragte er mit tonloser Stimme: »Würden Sie Ihre letzte Geliebte auf einem Foto wiedererkennen?«
Ziliouk fing an zu lachen.
»Schwerlich, Herr Richter! Schwerlich! Es war eine niedliche Kleine aus dem Picratt’s, der Bar in der Rue Daunou … Ich habe sie kaum gesehen …«
Und sein Lachen wurde zweideutig, ja anstößig. Er besaß noch die Dreistigkeit zu fragen:
»Gehört sie etwa zu Ihren Freundinnen?«
»In welcher Sprache haben Sie mit ihr geredet?«
Und wieder gab Ziliouk eine betont anzügliche Antwort. Sein Satz, der sich hier kaum wiedergeben lässt, entlockte dem Richter keinerlei Gemütsbewegung.
»Einmal hat das Mädchen im Dialekt von Lille zu Ihnen gesprochen, worauf Sie ihr im gleichen Dialekt geantwortet haben. Das hat sie aus der Fassung gebracht, denn sie hatte gewisse unfreundliche Dinge geäußert und nicht damit gerechnet, von einem Ausländer verstanden zu werden.«
Ziliouk schwieg. Auch der Richter schwieg, fast eine Viertelstunde lang. Er prüfte ausführlich die Akte, dann eine andere Akte, auf deren gelbem Deckel in sorgfältiger Rundschrift Fall Stephen stand.
Ziliouk konnte die dicke Überschrift so gut lesen wie Froget. Und dieser ließ ihm genug Zeit, um sich schon einmal Antworten und kleinste Reaktionen zu überlegen.
Die Akte war vor acht Jahren erstellt worden, und genauso lange ruhte das Verfahren. Es ging darin um eine Madame Stephen, Ehefrau von Pierre Stephen, die unter mysteriösen Umständen von ihrem Liebhaber, einem polnischen Arbeiter, ermordet worden war, der daraufhin spurlos verschwand.
Der Ehemann Pierre Stephen arbeitete als Werkmeister in einer Chemiefabrik, der man einen Artillerieoffizier zugeteilt hatte, was nahelegt, dass dort Forschungen betrieben wurden, die die nationale Verteidigung betrafen.
Zur selben Zeit waren wichtige Dokumente von dort verschwunden, darunter die Bauanleitung eines neuen Typs von Gasmaske.
Ebenfalls zu dieser Zeit lebten die Stephens auf ungewöhnlich großem Fuß und machten diverse Anschaffungen, die nicht recht mit ihrer finanziellen Situation zusammenpassten.
Dann das Drama: Madame Stephen wurde am Fuße einer Bergwerkshalde tot aufgefunden.
Von ihrem Liebhaber war kaum etwas bekannt. Man hatte ihn durch die Gegend streifen sehen. Er lebte im Barackenlager einer ganzen Sippe von...
Erscheint lt. Verlag | 14.11.2024 |
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Reihe/Serie | Georges Simenon. Weitere Titel |
Übersetzer | Sophia Marzolff |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Befragung • Frankreich • Maigret • Paris • Seine • Untersuchungsrichter • verdächtigen • Verhör • Vorläufer • Zeugen |
ISBN-10 | 3-311-70533-5 / 3311705335 |
ISBN-13 | 978-3-311-70533-8 / 9783311705338 |
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