Freier Fall (eBook)
448 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46227-0 (ISBN)
Clare Mackintosh arbeitete 12 Jahre lang bei der britischen Kriminalpolizei, bevor sie sich entschloss, zwei Jahre Auszeit zu nehmen und es mit dem Schreiben zu versuchen. Heute ist sie die mehrfach preisgekrönte Autorin von fünf Sunday Times-Bestsellern. Ihre Bücher, die in vierzig Sprachen übersetzt wurden, haben sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt Clare Mackintosh in Wales.
Clare Mackintosh arbeitete 12 Jahre lang bei der britischen Kriminalpolizei, bevor sie sich entschloss, zwei Jahre Auszeit zu nehmen und es mit dem Schreiben zu versuchen. Heute ist sie die mehrfach preisgekrönte Autorin von fünf Sunday Times-Bestsellern. Ihre Bücher, die in vierzig Sprachen übersetzt wurden, haben sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt Clare Mackintosh in Wales.
DREI
10:00 Uhr | MINA
Als ich mich dem Flughafen nähere, verrät mir das Polizeiaufgebot, dass wieder eine Demonstration stattfindet. Die Bauarbeiten für das neue Rollfeld haben vor drei Monaten begonnen, und immer noch kreuzen Protestler nahe den Ankunftsterminals auf, um ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Größtenteils machen sie keine Schwierigkeiten, und obgleich ich es nie offiziell zugeben würde, stimme ich ihnen zu. Ich finde bloß, dass sie sich das falsche Ziel gesucht haben. Wir haben eine Welt geschaffen, in der wir fliegen müssen – daran ist nichts mehr zu ändern. Wäre es nicht besser, sich die Fabrikemissionen und die gigantischen Abfallmengen vorzunehmen?
Schuldbewusst denke ich an meine täglichen Feuchttücher und beschließe, meine Gesichtswässer wieder auszugraben. Ein Banner ist quer über die Straße gespannt. FELDER STATT FLUGZEUGE. Sie müssen es eben erst aufgehängt haben, denn um den Flughafen herum wimmelt es von Security. Die Polizei kann ihnen das Demonstrieren nicht verbieten, aber sie holen die Banner und Schilder so schnell runter, wie sie angebracht wurden. Es scheint eine ziemlich sinnlose Übung, wenn man bedenkt, dass jeder, der herfährt, entweder am Flughafen arbeitet oder ein Ticket hat, mit dem er irgendwo hinwill. Ein Banner wird die Leute nicht umstimmen.
Vor dem Kreisel werde ich langsamer und blicke nach links, wo eine Frau ein Plakat mit dem Foto eines verhungernden Eisbären in die Höhe hält. Als sie mich bemerkt, schwenkt sie das Plakat in meine Richtung und ruft etwas Unverständliches. Mein Herz rast, und ich strecke die Hand nach der Zentralverriegelung aus. Gleichzeitig rutscht mein Fuß vom Gas, weil ich es so eilig habe wegzukommen. Meine absurde Reaktion – auf eine Frau hinter einer Absperrung, noch dazu! – macht mich wütend auf sie alle. Vielleicht bleibe ich doch bei meinen verdammten Feuchttüchern, nur um die zu ärgern.
Auf dem Parkplatz verriegle ich den Wagen und ziehe meinen kleinen Koffer zum Shuttlebus. Normalerweise gehe ich zu Fuß zum Crewraum, aber das Pflaster ist glitschig von grauem Eis, und was zu Hause frischer Schnee war, ist hier Matsch. Ich kann es kaum erwarten, in Sydney zu landen und Sonnenschein zu sehen; dann werde ich mein Gepäck ins Hotel bringen und an den Strand gehen, um Schlaf nachzuholen.
Im Crewraum herrscht die unruhige Stimmung, die mit heißen Gerüchten oder neuen Dienstplänen einhergeht. Ich stelle mich für einen Kaffee an und umklammere den Plastikbecher mit beiden noch kalten Händen. Eine Frau in Zivil mustert mich.
»Sind Sie auf dem Sydney-Flug?«
»Ja.« Ich spüre, dass ich rot werde, und rechne halb mit Empörung. Sie sollten nicht hier sein …
Aber sie rümpft die Nase. »Lieber Sie als ich.«
Ich suche nach einem Namensschild, finde aber keines. Wer ist diese Frau? Sie könnte irgendwer sein, von einer Putzkraft bis hin zu einer Managerin. Selbst an normalen Tagen laufen Hunderte durch den Crewraum, und dies ist kein normaler Tag. Jeder will ein Teil von Flug 79 sein, Geschichte machen.
»Nach Santiago sind es vierzehn Stunden, und das ist nicht allzu schlimm.« Ich lächle höflich und hole mein Handy hervor, um zu signalisieren, dass wir hier fertig sind, aber sie ignoriert es. Jetzt kommt sie näher, zieht mich zu sich und senkt die Stimme, als könnten wir belauscht werden.
»Ich habe gehört, dass beim letzten Testflug etwas schiefgegangen ist.«
Ich lache. »Was reden Sie denn?«, frage ich lauter und weise jeden noch so kleinen Anflug von Furcht weit von mir.
»Ein Problem mit dem Flugzeug. Es wurde nur totgeschwiegen. Die haben die gesamte Crew gezwungen, eine Verschwiegenheitsverpflichtung zu unterschreiben und …«
»Hören Sie auf!« Ich bin zu neunundneunzig Prozent sicher, dass ich noch nie mit dieser Frau gearbeitet habe. Warum hat sie sich ausgerechnet mich von allen hier rausgepickt? Ich sehe mir ihr Gesicht an und versuche dahinterzukommen, woher sie ist. Personalabteilung vielleicht? Nicht vom Kundendienst, so viel steht schon mal fest – keiner würde je wieder in einen Flieger steigen. »Das ist Blödsinn«, erwidere ich streng. »Glauben Sie allen Ernstes, die würden eine neue Route anbieten, wenn sie sich nicht absolut sicher sind, dass alles stimmt?«
»Mussten sie. Sonst wäre Qantas ihnen zuvorgekommen – die arbeiten schon viel länger daran. Die Testflüge fanden nur mit wenigen Passagieren und ohne Gepäck statt. Wer weiß, was bei einer voll beladenen Maschine passiert …«
»Ich muss los.« Ich werfe meinen halb vollen Kaffeebecher in den Treteimer, und der Deckel kracht scheppernd herunter, als ich meinen Fuß vom Pedal nehme und weggehe. Blöde Kuh – es ist lächerlich, dass ich mich von ihr nervös machen lasse. Trotzdem spüre ich, wie Furcht meinen Brustkorb einengt. Vor zwei Tagen hatte die Times eine Pressemitteilung über den Wettlauf zwischen Qantas und World Airways veröffentlicht, sie allerdings ziemlich verzerrt. Wie schnell ist zu schnell? lautete die Schlagzeile über einem Artikel, der Pfusch und Einsparungen andeutete. Eine Stunde lang musste ich meinem Dad am Telefon versichern, dass ja, alles sicher ist, und, nein, sie würden kein Risiko eingehen.
»Ich könnte es nicht ertragen, wenn …«
»Dad, es ist vollkommen sicher. Alles ist doppelt und dreifach geprüft worden.«
»Ist es immer«, sagte er unheilschwanger, und ich war froh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich biss nicht an, denn ich wollte nicht darüber nachdenken.
Letztes Jahr hatten sie vierzig Mitarbeiter auf drei Testflüge geschickt, ihren Blutzuckerspiegel, die Sauerstoffsättigung und die Hirnaktivität gemessen. Der Kabinendruck war genau justiert worden, der Lärmpegel gedrosselt, und es gibt sogar spezielle Mahlzeiten, um den Jetlag zu mindern. Dieser Flug ist so sicher wie jeder andere.
»Viel Glück!«, ruft die Frau mir nach, doch ich blicke mich nicht um. Mit Glück hat es nichts zu tun.
Trotzdem ist mein Puls noch immer hoch, als ich wenige Minuten später ins Besprechungszimmer gehe. Es ist gerappelt voll, denn neben der Crew sind hier noch mehrere Anzugträger, von denen ich die meisten nicht erkenne.
»Ist das Dindar?«, frage ich den Steward neben mir, mit dem ich schon einmal geflogen bin. Ich sehe auf sein Namensschild. Erik.
»Ja, das ist Dindar. Er ist zum Jungfernflug hier.«
Logisch. Yusuf Dindar, der CEO der Airline, erscheint ausschließlich an Tagen wie heute, wenn ein großes Ereignis bedeutet, dass Fernsehkameras da sind und es reichlich Lob für die Männer (ja, es sind ausschließlich Männer) hinter World Airways zu ernten gilt. Das Wettrennen um den ersten Nonstop-Flug von London nach Sydney ist knapp gewesen, und in Dindars triumphierender Miene heute Morgen nehme ich einen Hauch von Erleichterung wahr, dass sie es als Erste geschafft haben. Er steht da und wartet, bis sämtliche Blicke auf ihn gerichtet sind.
»Heute machen wir Schlagzeilen!«
Alle applaudieren. Von hinten im Raum sind Jubelrufe zu hören, und Kameralichter blitzen. Inmitten der feierlichen Stimmung wird mir eiskalt.
Etwas ist schiefgegangen … ein Problem mit dem Flugzeug …
Mit einem Kopfschütteln verscheuche ich die Worte der Frau und applaudiere energisch mit den anderen. Wir machen Schlagzeilen. Von London nach Sydney in zwanzig Stunden. Nichts wird schiefgehen. Nichts wird schiefgehen, wiederhole ich wie ein Mantra gegen mein wachsendes Unbehagen.
Ich weiß, warum die Frau mich so verunsichert hat. Weil ich nicht hier sein sollte.
Die Personalabteilung hatte die Namen für die Crew ausgelost, allerdings konnte niemand sich entscheiden, ob wir in der Lotterie gewonnen oder den Kürzeren gezogen hatten. In der WhatsApp-Gruppe flogen die Nachrichten hin und her.
Was gehört?
Noch nicht.
Ich habe gehört, dass die E-Mails raus sind.
Ich will unbedingt dabei sein!!!
Und dann ein Bild: ein Screenshot von Ryans Handy. Glückwunsch! Sie wurden für den Jungfernflug London–Sydney am 17. Dezember ausgelost. Er hatte ein weinendes Emoji angehängt und Zwanzig besch… Stunden!
Ich hatte ihm privat geschrieben und angeboten, seinen Platz zu übernehmen. Warum, erzählte ich ihm nicht, und natürlich versuchte ich, nicht durchblicken zu lassen, wie viel es mir bedeutete. Und er verlangte im Tausch einen Flug nach Mexico City und einen Stapel Geschenkgutscheine, die ich zum Geburtstag bekommen hatte. Verrücktes Huhn!, folgerte er, und ich musste ihm zustimmen.
So kam es, dass ich jetzt hier bin. Die Frau, die sich den wichtigsten Flug in der jüngsten Geschichte erschlichen hat.
»Ich möchte die Piloten für diesen historischen Flug vorstellen«, sagt Dindar. Er winkt sie zu sich nach vorn. Es gibt ein wenig Unruhe, als alle Platz für sie machen. »Captain Louis Joubert und Co-Pilot Ben Knox; Captain Mike Carrivick und Co-Pilotin Francesca Wright.«
»Carrivick?«, frage ich Erik, als alle klatschen. »Der steht nicht auf der Crewliste, die ich bekommen habe.«
Erik zuckt mit den Schultern. »Wurde in letzter Minute eingewechselt. Ich kenne ihn...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Übersetzer | Sabine Schilasky |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Adoptiveltern • Adoptivkind • Adoptivtochter • Business Class • Clare Mackintosh • clare mackintosh deutsch • clare mackintosh die letzte party • Erpressung • Escape Thriller • Flug 79 • Flugangst • Flugbegleiterin • Flug London Sydney • Flugzeugentführung • Freier Fall • gute psychothriller • Katastrophengeschichte • Katastrophen-Thriller • Kindermädchen • Klimaaktivisten • Klimakatastrophe • Klimawandel • Langstreckenflug • locked room • Locked-Room-Thriller • Meine Seele so kalt • Mutter-Tochter-Beziehung • Non-Stop-Flug • Ökoterror • Ökoterrorismus • Öko-Terrorismus • Ökothriller • Pageturner • Psychologischer Thriller • Psychospannung • Psychothriller • Psychothriller Buch • Psychothriller Familie • spannende Bücher • Spannende Bücher für Frauen • spannende Thriller • Terrorismus • Terror Thriller • Thriller Action • Thriller Autorinnen • Thriller England • thriller entführung • thriller familie • Thriller Flugzeug • Thriller Frauen • Thriller Kinder • Thriller und Psychothriller • Umweltaktivisten • Wettlauf gegen die Zeit |
ISBN-10 | 3-426-46227-3 / 3426462273 |
ISBN-13 | 978-3-426-46227-0 / 9783426462270 |
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